Remagen, Rolandseck, Aris Argiris - Arienabend - Puccini, Donizetti, Verdi, Liszt, Brahms, IOCO Kritik, 04.06.2018
ARIS ARGIRIS - Meisterwerke der Klassik
- Musikalische Reise in die Tiefen der menschlichen Seele -
Von Patrik Klein
Seit 1964 stellt der Bahnhof Rolandseck ein Zentrum des kulturellen Lebens im Rheinland dar. Konzerte und Ausstellungen fanden dort statt und Künstler lebten und arbeiteten im Gebäude des Bahnhofs. Nach dem Tod des Leiters Johannes Wasmuth im Jahre 1997 endete erst einmal das kulturelle Leben im Bahnhof. Am 22. Oktober 2004 wurde der Bahnhof als Arp-Museum Bahnhof Rolandseck wieder eröffnet und am 28. September 2007 durch den Neubau von Richard Meier am Hang oberhalb des Bahnhofs erneuert bzw. erweitert. Das Museum setzt sich aus dem klassizistischen Bahnhofsgebäude und dem „harmonisch“ in die Natur eingefügten Neubau des amerikanischen Architekten zusammen. Insgesamt besitzt es vier Ausstellungsebenen, die mit wechselnden Präsentationen versehen werden. Das Programm des Drei-Sparten-Hauses umfasst Ausstellungen mit internationaler bildender Kunst, klassischen Konzerten sowie einem sommerlichen Kammermusikfestival mit bekannten Ensembles und Solisten, Künstlergesprächen sowie Lesungen prominenter Autoren. Im Zentrum stehen die Kunst von Hans Arp und von Sophie Taeuber-Arp. In Sonderausstellungen werden im Dialog mit diesen Werken Skulpturen und Malereien zeitgenössischer Künstler gezeigt.
Im Rahmen eines Abonnementkonzertes der Johannes-Wasmuth-Gesellschaft e.V. und dem Arp Museum Bahnhof Rolandseck traten der Bassbariton Aris Argiris und sein Repetitor und Freund Peter Bortfeldt am Klavier auf. Es wurden Werke von Puccini, Verdi, Leoncavallo, Donizetti, Liszt und Brahms gegeben.
Aris Argiris ist an den großen Opernhäusern der Welt zu Hause – Engagements führten ihn an die Semperoper in Dresden, die Staatsopern von Berlin, Hamburg und Stuttgart, das Royal Opera House in London etc. Er brilliert in den großen Bariton-Partien der Opern von Verdi und Puccini als auch in vielen anderen Rollen. Zuletzt debutierte er mit großartigem Erfolg als Wotan in Die Walküre in Chemnitz mit weit über die Region reichenden und überragenden Kritiken.
IOCO Kultur im Netz besuchte die Premiere der Walküre in Chemnitz (link HIER) und führte dort mit Aris Argiris und seiner Frau Lupe Larzabal ein ausführliches Interview, in dem besonders über die wechselseitige Beziehung im dramatischen deutschen und italienischen Fach gesprochen wurde. Link zum Interview Aris Argiris HIER! Wagner wie Verdi zu singen, in beiden Fächern unterwegs zu sein, ist Aris Argiris klares und wirkungsvolles Rezept. In dem Konzert in Rolandseck stellte er dies eindrucksvoll unter Beweis.
Peter Bortfeldt konzertiert als Pianist, Dirigent, Kammermusiker und Liedbegleiter, als Gast von Orchestern und Festivals in vier Kontinenten. Er war Studienleiter und Dirigent der Aachener Oper und ist Dozent der Musikhochschule für Musik und Tanz in Köln. Sein besonderes Engagement als Musiker und Lehrer gilt heute dem Liedrepertoire. Zusammen mit dem Tenor Josef Protschka leitet er Meisterkurse "Deutsches Lied" in China und Deutschland. Mit seiner Frau, der Sopranistin Lisa Graf, gibt er Liederabende in aller Welt.
Die beiden miteinander harmonierenden und bestens aufgelegten Musiker präsentierten mit viel Humor und leidenschaftlichem Engagement die dem Bariton üblicherweise zugewiesenen dunklen und bösen Charaktere in der Opernwelt.
Das kurzweilige Programm wurde mit dem Prolog des Tonio von Ruggiero Leoncavallo aus I Pagliacci eröffnet, in dem sich Bühnenhandlung und richtiges Leben vermischen und zum dramatischen Ende der Handlung führen. Hier ließ Aris Argiris zum ersten Mal die enorme Bandbreite seiner dunkel gefärbten und fein geführten Stimme anklingen. Den dramaturgisch noch recht harmlosen Beginn ergänzte der Pianist Peter Bortfeldt mit einem Piano Solo desselben Komponisten, der Canzonetta "À Ninon", die er sehr gefühlvoll und mit hoher solistischen Virtuosität darbot.
Immer noch charakterlich verhalten folgte Gaetano Donizettis Arie des Dulcamara "Udite o rustici" aus Elisir d’amore als Debut des Baritons, der in dieser Oper bislang den Belcore gab. Der Herr "Süßbitter", den man heutzutage als guten Verkäufer der Pharmaindustrie und Werbefachmann bezeichnen könnte, wickelte das Publikum mit fein dosierter Stimmführung und am Ende mit kontrolliertem hohen Schlusston förmlich um die Finger. Das Publikum hätte ihm alles abgekauft.
Mit der Arie des Enrico "Cruda, funesta smania" aus Gaetano Donizettis Lucia di Lammermoor wurde es finsterer. Aus der düsteren und depressiven Umgebung in Schottland, in dem dieses Drama um "Romeo und Julia" angesiedelt ist, versuchte er stimmlich bestens disponiert und in vollendeter Harmonie mit dem Pianisten, seine finanziellen Probleme zu lösen. Donizettis erster großer Erfolg mit dieser tragischen Oper hatte Franz Liszt dazu inspiriert, über das enthaltene bekannte Sextett eine "Reminiscences de Lucia di Lammermoor" zu komponieren. Peter Bortfeldt gestaltete das pianistische Gemälde mit großer Farbenvielfalt und dramatischem Gespür.
In der Anmoderation von Peter Bortfeldt zum Ende des ersten Teils hatte man sich mit dem Klavier als "armen Substrat" des Orchesters zufrieden zu geben und den fehlenden Chor, die Kanonenschüsse und die Kirchenglocken dazu zu denken. Das fiel nicht schwer, denn Aris Argiris sang aus Puccinis Tosca das Te Deum und charakterisierte den typischen "Me too-Fall" des 19. Jahrhunderts Scarpia, der mit seinem machtbesessenen fundamentalistischem Charakter ganz nahe an dem des Jago aus Otello liegt, mit einer stimmlichen Präsenz und Farbenfülle, dass man fasst benommen in die Pause ging.
In der Arie "Nulla, silenzio!" des Michele aus Il Tabarro von Giacomo Puccini folgt ein weiterer böser Charakter, der eigentlich gar keiner ist, weil er verzweifelt, verliebt und eifersüchtig seiner Liebe hinterher eilt. Die tragische Figur des Michele ist besessen von seiner angebeteten unglücklichen Liebe, die in ihrem Tod und dem ihres Geliebten endet. Mit kontrollierter und vollkommener Technik zeichnete Aris Argiris hier ein besonders gelungenes genaues Abbild des Seelenzustands und Charakters der Figur.
Das wahre Böse steckt wohl unumstritten in der Figur des Jago aus Giuseppe Verdis Otello. Man hätte diese Oper eigentlich nach diesem Bösewicht benennen können, denn er ist der Gott verspottende Strippenzieher mit der Triebfeder aus Spaß. Wie das mit dem Bösen sein muss, so kommt er am Ende sogar davon und niemand weiß genau wohin. Das "Credo in un dio crudel" gelingt Aris Argiris besonders dunkel, virtuos und mit traumwandlerischer Sicherheit in perfekter Harmonie mit seinem Begleiter am Klavier.
Man durfte nun durchatmen mit Johannes Brahms Ballade Edward, op. 10 Nr. 1, bei der man sich zunächst fragt, wie diese zu den italienischen Bösewichten passt. Sie erzählt jedoch auch aus düsterer, schottischen Umgebung von rituellen Taten, blutrot gefärbten Schwertern, Buße und Flüchen aus der Hölle. Peter Bortfeldt spielte sie mit farbenfroher Präsenz. Da er keine Abstimmung mit seinem Partner mehr zu finden hatte, konnte er auch hier seinen solistischen Fähigkeiten virtuos freien Lauf lassen.
Als Ausnahme im Reigen der bösen Charaktere darf man den Posa in Giuseppe Verdis Don Carlos betrachten. Posa opfert sich scheinbar gerne im Rahmen seiner brüderlichen Freundschaft zu Don Carlos in seinen letzten Worten "O Carlo ascolta… Io morrò". Ganz besonders feinfühlend und sparsam dosierte der Bariton die liebevollen Momente sowie kräftig aufbrausend die Leidenschaft und das nahende Ende seines Todes.
Aris Argiris bereits vielfach gesungene Paraderolle dürfte der Rigoletto in Giuseppe Verdis gleichnamiger Oper sein. Eigentlich ist er nicht böse, eher ein dunkler Typ, Narr, Vater, der vom Schicksal getroffen durch den Verlust seiner Tochter zu allen Mitteln greift, um sie zu finden und zurückzubekommen. In der Arie "Cortigiani, vil razza dannato" versucht er verzweifelt und unterwürfig mit allen Facetten seines Charakters zum Erfolg zu kommen. Dürften es die Zuhörer entscheiden, so hätte man ihm seine Tochter sofort zurückgegeben. Im Anschluss noch einmal Peter Bortfeldt mit der dazu passenden Rigoletto-Paraphrase von Franz Liszt.
Zum Ende des Programms folgte Giuseppe Verdis Arie des Ford aus Falstaff: "E sogno o realtà L‘onore! Ladri!". Ist Falstaff lustig? Böse ist er jedenfalls nicht. Eher ein dicker, alter Alkoholiker, der sich hoffnungslos überschätzt. Hätten die an der Oper beteiligten Protagonisten miteinander geredet, so wäre auch hier fast nichts passiert. Daher nimmt das Drama stattdessen seinen Lauf und führt dazu, dass man Falstaff die Hörner auf den Kopf setzt. Aris Argiris singt die Arie des rachesuchenden Kontrahenten Ford mit allem Können seiner prachtvollen Stimme und verzaubert sein Publikum, das ihm und seinem Begleiter mit Bravostürmen dankt.
Die beiden Künstler revanchierten sich beim begeisterten Publikum mit zwei Cantonetten (Ideale und L `Ultima Canzone) von Francesco Paolo Tosti.
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