Reichenau an der Rax, Schloss Wartholz, I Pagliacci - Ruggero Leoncavallo, IOCO Kritik, 18.08.2020
I Pagliacci - Literatursalon von Schloss Wartholz
Klassikfestival - SommerSalon Wartholz 2020
von Marcus Haimerl
Auf Schloss Wartholz wurde nicht nur der letzte Kronprinz von Österreich-Ungarn, Otto von Habsburg-Lothringen, 1912 geboren, sondern 2020, rund 100 Jahre später, ein neues Musikfestival aus der Taufe gehoben.
Weder er noch seine Eltern, das letzte österreichische Kaiserpaar Karl und Zita, hätten es sich – als sie kurz vor Ausbruch des I. Weltkriegs hier in Reichenau an der Rax im Schwarzatal in Österreich, in dem 1872 von Erzherzog Karl Ludwig, dem Bruder von Kaiser Franz Josef, erbauten Schloss lebten – träumen lassen, dass man auf ihrem Anwesen dereinst zu einem der wenigen niederösterreichischen Klassikfestivals im Juli und August 2020 laden würde.
Selbstverständlich weniger hart als in Kriegszeiten, aber im dennoch durch Corona deutlich beeinträchtigten Sommer 2020, gelang es dem neuen Intendantenteam, in ihrem SommerSalon Wartholz 2020 ein vielseitiges Programm mit Liederabenden, Klavierkonzerten (Leonskaja, Lehrbaumer, Kutrowatz), Musical (My fair Lady) und schließlich Oper auf die Beine zu stellen.
Der an den Musikuniversitäten Graz und Wien ausgebildete österreichische Bariton Peter Doss, der seit 2002 an der Wiener Privatmusikuniversität MUK lehrt, und seine Gattin, die Sopranistin Ekaterina Doss-Hayetskaya schafften mehr als das.
Um den Coronabestimmungen gerecht zu werden, musste eine Oper von kurzer Spieldauer gewählt werden. Damit bot sich Ruggero Leoncavallos größter Erfolg und sein einziges Werk, das noch heute Teil des Standard-Opernrepertoires ist, an: Die zweiaktige Oper I Pagliacci (deutscher Titel: Der Bajazzo, wörtlich: ‚Die Bajazzos’). Das durch eine Intrige zum tödlichen Ende geschürte Eifersuchtsdrama in einer Theatertruppe wurde 1892 unter Arturo Toscanini in Mailand uraufgeführt. Da Pagliacci in Kalabrien am Himmelfahrtstag 1865 spielt, konnte auch ein Bezug zum diesjährigen Premierendatum hergestellt werden, nämlich der 14.8.2020, also nur einen Tag vor Mariä Himmelfahrt und 155 Jahre später.
Das Künstlerehepaar Doss, das bereits mit seinem 2015 gegründeten Musikverein „Dream Opera“ mehrere Produktionen (Der Wildschütz, Die lustigen Weiber von Windsor, Le nozze di Figaro, Kiss Me Kate) im südlichen Niederösterreich verwirklichte, wirkt nicht nur hinter, sondern auch auf der Bühne mit.
So fungierte Ekaterina Doss-Hayetskaya als Regisseurin, Kostümausstatterin und Organisatorin; in der Leoncavallo-Oper I Pagliacci (Der Bajazzo) übernahm sie die Rolle der Nedda.
Intendant Peter Doss gab den Tonio und straft sich mit den laut Originalmanuskript letzten Worten seiner Rolle „La comedia è finita“ (Das Spiel ist aus), selbst Lügen, denn nach der Premiere vom 14.8.2020 gibt es mehr als Anlass zu hoffen, dass das 2020 begonnene Spiel im Sommer 2021 seine Fortsetzung findet und der Kartenverkauf für die restlichen Vorstellungen diesen Sommer, trotz der vom Veranstalter, der Gärtnerei Blazek geforderten, sehr hohen Eintrittspreise (bis zu EUR 85,00), nach der Premiere nicht abnehmen möge.
So könnte es gelingen, dass Reichenau, das sich seit der 1842 erfolgten Eröffnung der Südbahnstrecke zu einer mondänen Sommerfrische der Wiener Gesellschaft entwickelt hatte, in dem sich damals die Kaiserfamilie, der Adel, das Bürgertum, Künstler und Gelehrte trafen, neben Grafenegg, Altenburg, Gutenstein, Gaming, den Siften Melk und Zwettel sowie Langenlois zu einem weiteren niederösterreichischen Brennpunkt klassischer Musik entwickeln kann.
An den künstlerischen Voraussetzungen mangelt es jedenfalls nicht: Der griechische Dirigent Pantelis Kogiamis, der seit zehn Jahren in Österreich lebt und an der Athener und der Wiener Musikuniversität sein Handwerk ganz offenkundig hervorragend gelernt hatte, dirigiert das beachtlich musizierende und hoch motivierte zehnköpfige Bajazzo-Instrumentalensemble (Aleksander Dvorin und Patrik Zigmund – 1. und 2. Violine, Jose Gabriel Pina - Viola, Fiorentina Harsako – Cello, Ruben Sanches – Kontrabass, Christopher Schauer – Flöte, Ludovico Asnaghi – Oboe, Emir Radisevic – Klarinette, Sergio Ginestar Ivars – Trompete und Victoria Choi – Klavier) sowie das einwandfrei singende achtköpfige Vokalensemble (Ayaka Ishizaka, Irina Seisl – Sopran, Ursula Brandstätter, Tatiana Gonzales – Mezzosopran, Yuta Kimura, Harald Rella – Tenor, Bertfried Salem, Denis Iuros – Bass) mehr als souverän. Er bewies, dass es bei derart minutiöser Einstudierung des Werkes weder einen großen Chor noch ein großes Orchester braucht, um authentisch zu klingen.
Zu den herausragenden Protagonisten des Abends zählen zweifelsfrei der in Bayern geborene Tenor mit mazedonischen Wurzeln, Miki Stojanov, der nicht nur bei „Ridi, pagliaccio“ seine große tenorale Kraft mühelos einsetzt und das herzzerreißende Schicksal des betrogenen Ehemanns Canio musikalisch erstklassig und glaubhaft über die Rampe bringt. Assistiert wird ihm dabei gekonnt vom jungen österreichischen Tenor Thomas Reisinger als Beppe.
Im Eifersuchtsrausch ersticht Canio bekanntermaßen seinen Rivalen Silvio. „Eigentlich viel zu früh!“, denkt man. Denn man wünscht sich als Zuhörer, vom Niederösterreicher Thomas Weinhappel, der mit seinem wunderbar strahlenden Bariton sowohl die dramatischen wie die zarten lyrischen Momente stimmtechnisch wie schauspielerisch meisterhaft beherrscht, nicht nur das von ihm beeindruckend gestaltete Duett zu hören, sondern wenigstens noch eine Arie, die Leoncavallo aber leider nie komponiert hat.
Das im Literatursalon der Wartholzer Liegenschaft vor dem Regen und durch bedeutende Abstände der Sitzplätze auch vor Corona geschützte Publikum goutierte die künstlerischen Leistungen zu Recht bereits nach dem ersten Akt mit viel Applaus und Bravo-Rufen. Es entließ die Künstlerinnen und Künstler erst nach mehreren „Vorhängen“ mit größter Anerkennung für den gelungenen Abend. Man darf den weiteren Vorstellungen besseres Wetter wünschen, damit sie unter freiem Himmel auf der Wartholzer Blumenterrasse im Schlosspark stattfinden können.
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