Prag, National Theater, SCHWANDA, DER DUDELSACKPFEIFER - Jaromir Weinberger, IOCO Kritik, 19.10.2022
ZYKLUS MUSICA NON GRATA
SCHWANDA, DER DUDELSACKPFEIFER (1927/1933) - Jaromir Weinberger
oder Die Reue des besiegten Teufels – Märchenoper in zwei Akten für die ganze Familie
von Peter Michael Peters
EINE PATRIOTISCHE KOMÖDIE
- Auf unserem Hof
- alles krächzt,
- der Hahn kräht.
- Ich kann dich nicht
- vergessen, meine Geliebte.
- Wenn ich dich vergesse sollte,
- werde ich dafür sehr leiden.
- Meine Geliebte, mein Herz
- Schmerzt mir sehr. (Ein tschechisches Volkslied)
Eine kreative Dreifaltigkeit…
Unser Hauptaugenmerk lag immer auf Schwanda und seinem Freund Babinsky, ihren mythischen, literarischen und dramatischen Darstellungen, während die Schöpfer dieses Ausnahmewerks immer relativ nebensächlich behandelt wurden. Nun wollen wir mehr als ein paar Worte zu den Künstlern verlieren!
Drei jüdische Schicksale
Jaromir Weinberger (1896-1967) wurde in Prag, im Kaiserreich Österreich-Ungarn, geboren. Seinen ersten Musikunterricht erhielt er bei Jaroslav Kricka (1882-1969), später schrieb er sich am Prager Konservatorium ein, wo er Komposition bei Vitezslav Nowak (1870-1049) und Klavier bei Karel Hoffmeister (1868-1952) studierte. Er hat auch in Leipzig bei Max Reger (1873-1916) Musikkurse belegt. Mit seinen frühen Kammer- und Orchesterwerken machte er erstmals auf sich aufmerksam. Ab 1920 wurden seine Partituren von der renommierten Universal Edition in Wien herausgeben. In den frühen 1920er Jahren komponierte er Bühnenmusik für das National Theater Prag und das Vinohrady Theater Prag, wobei er mit Karel Hugo Hilar (1885-1935), Jaroslav Kvapil (1892-1958) und anderen Regisseuren zusammen arbeitete. 1922/23 unterrichtete er Komposition am Ithaca Conservatory New York, danach war er kurzzeitig als Operndramaturg am Slowakischen National Theater Bratislava engagiert und wirkte als Lehrer an der Musikschule in Cheb.
Weinbergers bedeutendes und gefeiertes und heute auch praktisch einziges allgemein bekanntes Werk ist seine Oper Schwanda, der Dudelsackpfeifer, an der er 1924 zu arbeiten begann. Aus diesem Jahr stammt auch der sehr beliebte Klavierzyklus Rytiny (Gravüren), Fünf Präludien und Fugen zu Themen der tschechischen Kulturgeschichte, wobei die Fünfte Präludie der Figur des Dudelsackpfeifers Schwanda gewidmet ist und das anonyme Volkslied Auf unserem Hofe zitiert, das Weinberger in seiner späteren Oper verwenden wird. Die Uraufführung von Schwanda, der Dudelsackpfeifer im Jahre 1927 am National Theater Prag stieß auf viele gemischte Reaktionen: Während die Kritiker Weinbergers Kompositionskunst, die polyphone Technik und Instrumentation sehr lobten, bemängelten sie jedoch das Bestreben der Schöpfer das Genre der tschechischen Volksoper offensichtlich zu imitieren. Unter dem Hinweis, dass es zu viele Referenzen auf die tschechische Musiktradition gab und insbesondere auf die Nachlässe der beiden großen National-Komponisten Bedrich Smetana (1824-1884) und Antonin Dvorak (1841-1904). Doch die überarbeitete Fassung von Schwanda, der Dudelsackpfeifer wurde bald zu einer unerwarteten Sensation an ausländischen Opernhäusern. Zwischen 1929 und 1934 wurde sie in Leipzig und Ljubljana inszeniert, an den Staatsopern von München, Berlin und Wien aufgeführt, am Neuen Deutschen Theater Prag, sowie in Budapest, Helsinki, Riga, Sofia und in zahlreichen anderen europäischen Städten, an der Covent Garden Opera London und sogar an der berühmten Metropolitan Opera New York. Nach Die verkaufte Braut (1866) von Smetana und Jenufa (1904) von Leos Janacek (1854-1928) war es die wohl meistgespielte tschechische Oper in diesen Jahren! In der Spielzeit 1929/30 soll sie in der deutschen Übersetzung die meistgespielte Oper in Deutschland gewesen sein. Kein anderes Werk von Weinberger wird so hoch gelobt und erfreut sich so großer Beliebtheit.
Nach der enthusiastischen Resonanz in München für Schwanda, der Dudelsackpfeifer gab der bekannte deutsche Dirigent Hans Knappersbusch (1888-1965) bei Weinberger eine neue Oper in Auftrag, die Die geliebte Stimme, 1931, die viele Elemente der Balkan-Volksmusik verwendete. Weinberger schrieb darauf noch zwei weitere Opern zu Kares‘ Librettos: Lidé z Poker-Flatu (Die Ausgestoßenen von Poker Flat, uraufgeführt in Brünn, 1932), angesiedelt inmitten des kalifornischen Goldrauschs und Valdstejn (Wallenstein, uraufgeführt in Wien, 1937), basierend auf dem historischen Drama Wallensteins Lager (1799) von Friedrich von Schiller (1759-1805). Neben vier Opern schuf Weinberger auch noch genau vier Operetten, wobei die bekannteste die 1933 in Berlin uraufgeführte Frühlingsstürme war, vor allem dank der großen einmaligen Besetzung mit zwei herausragenden Starsängern: Die tschechische Sopranistin Jarmila Novotna (1907-1994) und der österreichische Tenor Richard Tauber (1891-1948). Es war auch die letzte Operetten-Premiere der Weimarer Republik, denn zehn Tage danach war Adolf Hitlers (1889-1945) Machtübernahme. Als Komponist jüdischer Abstammung wurde Weinberger sofort von den Nazis auf die schwarze Liste gesetzt. Fünf Jahre später, 1939 floh er aus der Tschechoslowakei und übersiedelte sich nach einem kurzen Aufenthalt in Paris in den USA nieder, wo er auch bis an sein Lebensende blieb.
Bemerkenswert unter den Instrumentalwerken von Weinberger vor der Emigration ist die Suite Vanoce (Weihnachten, 1929), die jährlich vor der Rundfunkansprache des ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomas Garrigu Masaryk (1850-1937) ausgestrahlt wurde. Der Zyklus Ceske pisne a tance (Tschechische Lieder und Tänze, 1930) und die Passacaglia für Orgel und Orchester, uraufgeführt 1931 in der Carnegie Hall New York unter der Leitung von Erich Kleiber (1890-1956), der auch die Berliner Uraufführung von Schwanda, der Dudelsackpfeifer dirigierte. Während seines Aufenthalts in den USA war Weinbergers Musik zunächst sehr gefragt und wurde von führenden Orchestern wie die New York Philharmonic und dem Washington Symphony Orchestra aufgeführt, darunter die Instrumentalstücke Under the Spreading Chestnut Tree (1939), Lincoln Symphony and Czech Rhapsody, desgleichen das Ballett Saratoga (Alle drei Werke aus dem Jahre 1941). Aber im Kontext der Nachkriegszeit-Musik wurde seine auf traditionellen Formen und Techniken basierende Musiksprache jedoch zunehmend als unoriginell und übermäßig konservativ wahrgenommen. In seiner Spätzeit griff vor allem auf die Bearbeitung geistlicher Themen zurück, etwa in dem Choral Ecclesiastes (1946) und die Orgelstücke Six Religious Preludes (1946). Dedications (1954) und auch kammermusikalische Formate, darunter Five Songs from Des Knaben Wunderhorn (1962). Weinberger nahm sich 1967 in Florida das Leben!
Milos Kares (1891-1944), der Autor des Librettos von Schwanda, der Dudelsackpfeifer, war fünf Jahre älter als Weinberger. Heute fast völlig vergessen, war er während der ersten Tschechoslowakischen Republik eine ziemliche hochkarätige tschechische Kulturfigur, die hauptsächlich mit dem Rundfunk verbunden war. Von 1911 bis 1915 studierte er Pädagogik and Philosophie an der Fakultät für angewandte Kunst in Prag und promovierte 1922 mit einer Arbeit über die tschechische komische Oper und ebnete damit auch den Weg für seine spätere Tätigkeit als Librettist. 1919 begann er Theater- und Musik-Kritiken zu schreiben, vor allem für die neu gegründete Tageszeitung Tribuna und später dann für die Zeitung Lidové noviny. 1925 begann er mit der Company Radiojournal zusammenzuarbeiten, die seit 1923 den Rundfunk in der Tschechoslowakei betrieb. Dort arbeitete er als Redakteur, Dramaturg und Regisseur von 1927 bis 1942 und auch als Leiter der Literatur- und Schauspielabteilung, ab 1939 auch als Programmleiter. Kares war ein großer Pionier des tschechischen Hörspiels und anderer literarisch-dramatischen Formen (Sketche, Serien, Kabarett…). Als Autor konzentrierte er sich hauptsächlich auf die tschechische Geschichte und die kulturellen Traditionen der „alten Zeit“ z.B. in den Hörspielen und Sendungen: Alt-Prager Abend, Erzähl-Sitzungen, Tschechische Krippe, zu Krickas Musik. Sowie Spaziergänge durch das alte Prag, Schusterfest, Petrin, Wie in alten Zeiten Karneval gefeiert wurde, usw. Als Dramaturg hatte er eine Vorliebe für die große klassische Weltliteratur: Vaclav Kliment Klicpera (1792-1859), Josef Kajetan Tyl (1808-1856), Alois Jirasek (1851-1930), William Shakespeare (1564-1616), Jean-Baptiste Molière (1622-1673), Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), Charles Dickens (1812-1870) und besonders Jules Verne (1828-1905). Kares schrieb auch Theaterstücke, darunter für den berühmten Schauspieler Vlasta Burian (1891-1962) die Komödien Fisch und ein Gast am dritten Tag… (1935) und Hände hoch! (1936). Außerdem adaptierte er die Komödie des österreichischen Autor Gustav Davis (1856-1951) Die Katakomben (unter dem Titel: Die Musketiere aus den Katakomben, 1935), die als Grundlage für Martin Frics (1902-1968) gefeierten Film von 1940 diente. Außerdem verfasste er die Prosawerke Der Zauberspiegel und Die Dame aus dem Gemälde, inspiriert von Jakub Arbes‘ (1840-1914) mystischen Novellen. Auch hatte er 1941 die derzeit einzige Ausgabe einer gekürzten Fassung von Karel Sabinas (1813-1877) komischer Novelle Vecny zenich (Der ewige Bräutigam, 1863) herausgebracht, das seinem Autor als stilistische und gattungsmäßige Inspiration für sein Libretto zu Smetanas Die verkaufte Braut (1866) gedient hatte. In den frühen 1949er Jahren übersetzte Kares auch deutsche Gedichte, insbesondere von Goethe und dem Prager Rainer Maria Rilke (1875-1926). Als Librettist arbeitete er hauptsächlich mit Weinberger zusammen, für den er die Librettos zu den Opern Schwanda, der Dudelsackpfeifer, Die Ausgestoßenen von Poker Flat und Wallenstein schrieb. Gemeinsam mit dem Komponisten Rudolf Kubin (1909-1973) schuf er die allererste tschechische Rundfunkoper Letni noc (Sommernacht, 1931) und die Operette Cirkus zivota (Zirkus des Lebens, 1933). 1942 wurde Kares gezwungen, den Tschechoslowakischen Rundfunk zu verlassen. Zwei Jahre später starb er in Prag!
Der berühmteste von den drei Schöpfern des Schwanda, der Dudelsackpfeifer ist wohl Max Brod (1884-1968), paradoxerweise derjenige, dessen Beitrag zwar entscheidend für die endgültige Form der Oper war, aber jedoch von kleinstem Umfang. Er ist Älteste der drei Künstler und wie die beiden anderen auch in Prag geboren: Und zwar in eine altjüdische religiöse deutschsprachige Familie. Brod studierte Rechtswissenschaften an der Deutschen Universität Prag, wo er 1907 graduierte. Nach Abschluss seiner Ausbildung arbeitete er als Beamter bei der Prager Postdirektion. Ab 1924 schrieb er Rezensionen für die Tageszeitung Prager Tagblatt. Darüber hinaus war Brod ein produktiver Schriftsteller, wobei sein erster Roman Schloss Nornepygge (1908) sehr vom Expressionismus beeinflusst war und trotzdem als eigenständiges Meisterwerk gefeiert wurde. Weitere berühmte Prosawerke von ihm sind Wachposten (1915), Tycho Brahes Weg zu Gott (1916) und Reubeni, Fürst der Juden (1925). Zusammen mit Franz Kafka (1883-1924), Felix Weltsch (1884-1964), Franz Werfel (1890-1945) und Rilke war er in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der deutschsprachigen Prager Literaturszene. Brod ist vielleicht am bekanntesten als enger Freund unter Unterstützer von Kafka bekannt und nach dessen Tod sein Biograf und Herausgeber der Werke des gefeierten Autors. Aber er förderte auch andere Schriftsteller und Musiker, wobei seine Aktivitäten der tschechischen Literatur und Musik enorm zugutekamen. Brod übersetze und dramatisierte auch Jaroslav Haseks (1883-1923) Der brave Soldat Schwejk (1921/23), aus dem er eine Theaterproduktion schuf, die er in Deutschland präsentierte und ebnete damit den Weg zur weltweiten Anerkennung des Romans. Mehrere Jahre lang übersetzte, adaptierte er und förderte Janaceks Werk. Brod schrieb auch die allererste Janacek-Monographie (Leos Janacek: Leben und Werk, 1928). Seine Adaption und deutsche Übersetzung des Librettos von Weinbergers Schwanda, der Dudelsackpfeifer im Jahre 1928 spielte eine entscheidende Rolle für den durchschlagenden Erfolg der Oper, zunächst in Deutschland und später in Europa und den USA. Kurz bevor die Nazis im März 1939 Prag besetzten, flohen Brod und seine Frau nach Palästina. Sie ließen sich in Tel Aviv nieder, wo Brod in den nächsten Jahrzehnten für das berühmte hebräisch-sprachige Habima-Theater arbeitete, das später zum National Theater von Israel werden sollte. Gegen Ende seines Lebens veröffentlichte Brod seine Autobiografie Ein Leben im Kampf (1960) und mehrere andere Werke, darunter ein Buch mit einer interessanten Verbindung zur tschechischen Musik und Literatur Die verkaufte Braut – Ein Abenteuerroman über das Leben des Dichters Karel Sabina (1962). Brod war auch ein brillanter Pianist und er komponierte eine Reihe von Kammermusikstücken und Liederzyklen. Er starb 1968 in Israel.
Die Legende von Schwanda dem Dudelsackpfeifer…
… ein hervorragender Musiker von Weltruf. Jahrelang verstaubten Dudelsäcke hinter dem Altar in Strakonice. Wenn das größte Elend über Böhmen hereinbricht, werden die Dudelsäcke von selbst spielen und der ganzen Nation Freude bereiten. Sie werden Strakonice und Umgebung zum Tanzen bringen und das ganze Land, alle Kräfte, gute und schlechte, zum Jubeln bringen. Die Prophezeiung ist wahr geworden! Aus dem einfachen Volk sind Männer und Frauen hervorgegangen, die dank der Größe ihres Geistes und ihres schöpferischen Willens die Nation wiederbelebt haben. In der Musik sind es Bedrich Smetana, der unsterbliche Architekt unserer nationalen Musik und Antonin Dvorak, sein genialer Nachfolger, dem der Komponist von Schwanda, der Dudelsackpfeifer mit dieser bescheidenen Oper aus gebührender Distanz die Ehre erweist.
Jaromir Weinberger - Aus der eigenen Opern-Inhaltsangabe des Komponisten, die 1927 zur Uraufführung von Schwanda, der Dudelsackpfeifer am National Theater Prag veröffentlicht wurde.
SCHWANDA, DER DUDELSACKPFEIFER : am 9. Oktober 2022 - National Theater Prag
Eine glückliche Heimkehr nach Prag für eine vernachlässigte tschechische Legende
Ein anhaltendes Mysterium in den böhmischen Ländern umgibt Schwanda, der Dudelsackpfeifer (Svanda dudak), eine märchenhafte Volksoper von Weinberger. Als sie 1927 in Prag uraufgeführt wurde, war der Empfang des Publikums und der Kritik ausgesprochen lauwarm und die Zahl ihrer Aufführungen sehr gering. Das Werk war in seiner Heimat völlig in Vergessenheit geraten und wurde bis heutigen Tage nicht mehr gespielt!
Aber sobald Schwanda, der Dudelsackpfeifer im Ausland aufgeführt wurde, war er enorm populär, wurde in 17 Sprachen übersetzt und gelangte auf die berühmten Bühnen von der Covent Garden Opera London bis in die Metropolitan Opera New York. Warum also ein so zutiefst tschechisches Stück hatte in seiner Heimat keinen Halt und Anklang gefunden? Das wurde nie vollständig erklärt? Mit daran lag wohl auch das allgemeine „Vergessen“ dieser verfemten Musiker und ihren „degenerierten“ Werken: Denn sie wurden verboten… verbannt… für immer auf dem Scheiterhaufen der Geschichte verbrannt von den Nazis. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich auch die musikalische Geschichte völlig anders: Eine atonale Musik zog ein und verdrängte diese Neo-romantischen Melodien und verdammte sie als kitschige altmodische Werke. So wurden alle diese Komponisten noch eine zweites Mal verbannt und verbrannt! Jedoch in den letzten Jahren werden diese Werke zur großen Freude der Musikliebhaber an allen Bühnen wieder neu entdeckt und eine allgemeine Renaissance hat sich weltweit entwickelt.
Sowie auch eine extravagante und sehr reich ausgestattete Neuproduktion im National Theater Prag tut sein Bestes, um den verlorenen Status und Schaden wieder gut zu machen. Schwanda Ist eine bekannte Figur in der tschechischen Folklore, ein wandernder Minnesänger, der überall für Gelächter und Fröhlichkeit sorgte und in einigen Versionen der Geschichte mit der Musik seines verzauberten Dudelsacks für große Magie sorgte. Die Oper paart ihn mit Babinsky, einer legendären Robin-Hood-Figur mit einem leicht verrutschtem Herz in der Hosentasche, aber aus purem und reinem Gold. Schwanda ist erst seit einer Woche mit Dorotka verheiratet, als Babinsky ihn zu neuen Abenteuern in die weite Welt verlockt, wobei seine Musik eine Königin von ihrem bösen teuflischen Bann befreit. Aus Dankbarkeit macht die Königin im einen Heiratsantrag, ein verlockendes Angebot, bis Dorotka auftaucht und Schwanda wegen seiner Untreue in der Hölle landet. Es braucht eine dreiste Rettungsaktion von dem bauernschlauen Freund Babinsky, der ihre beiden Seelen in einem Kartenspiel mit dem Teufel verwettet und doch wieder gewinnt, um Schwanda zu befreien und ihn wieder mit Dorotka zu vereinen.
Der Regisseur Vladimir Moravek erzählt diese Geschichte mit einer großen Besetzung, die vor Beginn der Aufführung von der Bühne aus auf den Gängen, in die Logen und Fluren des National Theaters herumschwirrt und sogar nach draußen vor dem Theater herausschwappt. Die Bühnendekoration von Martin Chocholousek sind ebenso überdimensional und ständig in Bewegung, die Kostüme von Sylvia Zimula Hanakova sind fast zu übertrieben und sogar unverschämt schön und märchenhaft grässlich. Die Mitwirkenden mit ihren grell weiß geschminkten Gesichtern, das wirkt weniger wie ein Märchen den wie ein Zirkus. Besser gesagt wie eine grausame angsteinflößende Dr. Mabuse- oder Drakula-Geschichte aus einem der berühmten expressionistischen deutschen Filmen der 20er Jahre. Das ist mehr als ausgezeichnet: Denn Märchen sind immer ganz neben der unkontrollierten Grausamkeit! Angst und Gelächter sind wie siamesische Zwillinge mit zwei Köpfen… Was ist das? Ein Scheunenhof? Während des größten Teils des ersten Akts ist die Bühne mit Schauspielern in Hühnerkostümen vollgepackt: Das fast unerträgliche gackern und herumpicken ist ein amüsanter Hühnerhof. Eine verrückte und letztendlich eine besondere ablenkende Ergänzung! Der buntgefiederte stolze Haupthahn, einem äußerst beweglichen und elastischen Gummi-Schauspieler namens David Bosh, der die meiste Zeit vorne und in der Mitte steht und mehr Emotionen bietet als alle Sänger zusammen. Ja! Der erste Akt hatte für uns zu viele Schwächen, denn von dramatischer Sicht passiert überhaupt nichts, deshalb hatte wohl der Regisseur die witzige aber zu einfache Idee: Die Bühne und das ganze Opernhaus zu einem Hühnerhaus zu verwandeln und mit dem vielen gackernden, pickenden und kikeriki-schreiendem Federvolk vollzustopfen, so dass am Ende das Publikum vergackert war.
Bosh verwandelt sich auf rätselhafte Weise! Am Hof der Königin wird er zu einem Dudelsackpfeifer im schottischen Rock, der die Musik spielt um den Teufelsbann zu brechen. Dann aber bricht er vor Verzweiflung zusammen, denn Schwanda hat beim Spielen mit dem Teufel eine schlechte Karte erwischt. In der Hölle wird er zu einem ulkigen Spaßvogel aus einem Kartenspiel und vor jeder Szene kommt er mit einem Korb vor den Bühnenvorhang und scherzt und lacht mit dem Publikum. All dies lenkt von der Geschichte ab, wie auch die Dutzenden von Statisten, die ständig in Zeitlupen-Choreografien über die Bühne flitzen. Oder durch die Luft fliegen! Und was ist mit den blauen Hasen direkt von Walt Disney (1901-1966) geschickt? Es ist als würde man sich zwei verschiedene Produktion ansehen, die ineinander geprallt sind und versuchen sich verzweifelt selbst aus dem Dilemma zu befreien.
Bis zum zweiten Akt, wenn die Aktion in der Hölle spielt und die Sänger endlich Gelegenheit zum Singen haben. Der Bariton-Bass Frantisek Zahradnicek spielte den schroffen Teufel zum Lachen, einen umgänglichen nicht sehr klugen Gegner, der sich als großzügiger Verlierer entpuppte. Nach einer schwachen Leistung im ersten Akt, fand der Tenor Jaroslav Brezina als Babinsky seine Stimme wieder und entwickelte etwas Prahlerei, was entscheidend für die Handlung ist, denn ungeachtet des Titels ist er die treibende Kraft der Oper. Der Bariton Svatopluk Sem als Schwanda war sehr schwach und erscheinungslos in seinem Spiel und Gesang, aber um gerecht zu sein, war das wohl größtenteils eine Fehlentscheidung von der Regie. In dieser Produktion kann er nicht einmal seinen Dudelsack aufheben geschweige spielen, nur als er endlich die Hölle verlässt. Seine innige Arie der Sehnsucht nach Dorotka zu Beginn des zweiten Akts zog anerkennende Applaus nach sich. Die Sängerinnen waren besser! Als Dorotka füllte die Sopranistin Alzbeta Polackova ihre Szene mit voller und sanfter Vokalität und bot eine perfekte Darstellung einer verletzten und verwundeten Frau. Die Mezzo-Sopranistin Katerina Jalovcova war eine abweisende eisherzige Königin, manchmal etwas zu steif, aber warm und einladend in einem Duett mit Schwanda, nachdem der Bann gebrochen war, dann aber einige Minuten später sehr furchterregend, nachdem sie erfahren hat, dass er bereits verheiratet ist. Die wohl stärkste Gesangsleistung des Abends kam von dem National Theater Chor unter der großartigen Leitung des Chordirektors Pavel Vanek, der aufgeteilt war mit einigen Sängern auf der Bühne und andere in den Logen auf beiden Seiten des Parketts. Ihre Positionierung fügte eine sehr scharfe detailtreue Darbietung aus reich schattierten Bitten und Kommentaren im Stil eines griechischen Chors und erzielte noch mehr Intensität dazu. Unter der Leitung des Dirigenten Zbynek Müller bot das National Theater Orchester eine lebendige und einfühlsame Begleitung. Es gibt in der gesamten Oper keine Emotion oder Begebenheit, die nicht musikalisch untermalt, moderner, fast mit einem filmischen Touch anschaulich umgesetzt wird. Manchmal vielleicht zu viel! Lautstarke Explosionen für kleine Wendungen in der Handlung machten sie tendenziell absurd.
Aber das macht nichts! Schwanda ist zurück, wo er hingehört, wenn auch in einer extravaganten und auch verworrenen Produktion, die aber vom tschechischen Publikum begeistert angenommen wurde. Und damit niemand denkt, sein pelziger Dudelsack, eine mitteleuropäische Version des Instruments namens Bock, sei nur ein Requisit: Kam sogar ein Musiker in den Pausen, um einige charmante Volkslieder zu spielen und zu singen. Das nennen wir Unterhaltung! (MPM/18.10.2022)
Der Zyklus MUSICA NON GRATA wird bis Ende 2023 fortgesetzt! Wenn sie neugierig sein sollten und an vergessenen Meisterwerken interessiert sind, fliegen sie einfach nach Prag. Es lohnt sich auf jeden Fall! Auskunft und Kartenverkauf: info@narodni-divadlo.cz. www.narodni-divadlo.cz. Tel. 420 224 901 448.
Anmerkung: Aus dem Zyklus MUSICA NON GRATA sind schon folgende Artikel bei IOCO -Kultur im Netz erschienen: FLAMMEN Oper von Erwin Schulhoff, 25.06.2022, link HIER!, BALL IM SAVOY , link HIER, Operette von Paul Abraham / IOCO Kritik, 15.10.2022
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