Plauen, Vogtlandtheater, Ballett der Feuervogel von Igor Strawinsky, IOCO Kritik, 09.07.2016
Ballett Der Feuervogel von Igor Strawinsky
Der Feuervogel, ein Ballettklassiker der Moderne mit Musik von Igor Strawinsky, feierte am Samstag in Plauen Premiere. Choreografin Annett Göhre inszenierte mit hohem Anspruch, dabei emotional und intellektuell überzeugend. Dieses Ballett wird Furore machen. Von Lutz Behrens
Zwei Wege führen, wie so oft, zum Glück. Ich kann mich einmal dem Ballett Der Feuervogel frei von aller Vorbelastung hingeben und es genießen. Hinschauen, hinhören, mich emotional berühren lassen, mit allen Sinnen offen sein. Für eine auf der Bühne faszinierend demonstrierte und jedem Anspruch standhaltende Tanzkunst. Mich dabei immer wieder fragen, welch großartige Talente eine junge Frau oder ein Mann mitbringen muss, um bei immensem, nie nachlassendem Trainingsaufwand derartige körperliche Höchstleistungen an Kraft, Beweglichkeit und Grazie zeigen zu können. Ich kann hören, was da an Strawinskys kongenialer Musik auf mich einwirkt. Synkopisch hart, in diatonischer Melodik oder dem musikalischen Impressionismus verpflichtet und chromatisch erweitert; hervorragend intoniert von den Damen und Herren des Philharmonischen Orchesters am Theater Plauen-Zwickau und dirigiert von Maxim Böckelmann. Diesem wiederum verdankt das Ballett die eigenständige Klangcollage „Spacevogel“, die die Eingangsszene erfüllt und in eine märchenhafte Welt hineinführt, über die noch zu reden sein wird.
Ich kann intuitiv und mit aller Kraft meiner Phantasie versuchen zu begreifen, was ich sehe. Ragt ein Thron im Zentrum des Bühnenbildes (Miriam Braunstein) auf? Oder ist das ein Baum? Von Gras umgeben und weißen Luftballons gekrönt. Wer aber wird sich auf die Schaukel schwingen, die lockend zwischen den Zweigen hängt? Eine herrisch auf hochhakigen Schuhen daherkommende Dame (Louisa Poletti) im schwarzen Mantel, dominiert den Auftakt. Dreimal umkreist sie den Baum. Aus dem Orchestergraben winden sich unwirkliche Gestalten. Ein junges Mädchen (Nicole Stroh) betritt die Szene, modern gekleidet, suchend. Dann, der Feuervogel (Federico Politano), in unterschiedlicher Verkleidung. Das Spiel kann beginnen. Es werden, auch wie so oft, die stets die Künstler inspirierenden, uralten Themen verhandelt: die Suche nach Liebe, der Kampf zwischen Gut und Böse, Tod und Erfüllung.
Oder ich nähere mich zum anderen dem Gegenstand mit wissenschaftlicher Akribie. Erfahre, dass Der Feuervogel bereits seit über 100 Jahren Furore macht, Ballettgeschichte geschrieben hat. Dass Strawinsky mit seiner Feuervogel-Musik zum weltbekannten Komponisten avancierte. Dass sich die Handlung speist aus russischen Märchenmotiven; dem des Feuervogels und des Märchenhelden Iwan Zarewitsch und dem vom unsterblichen Zauberer Kaschtschej, was schon verwirrend genug ist. Lese dann im schönen Programmheft (Ulrike Cordula Berger) nach, dass Ballettdirektorin Göhre dieses Ballett sehr heutig begreift und sein Wesen darin erkennt, „dass ein junger Mensch erwachsen werden muss und … sich zwischen der Traumwelt und der Realität entscheidet.“ Dass sie zudem einen Geschlechterwechsel riskiert hat. So wird der Feuervogel von einem Mann getanzt, und selbst ein knallrotes Tutu tut dem keinen Abbruch. Iwan hat sich in Iwanka verwandelt, die schöne Zarewna in einen Zarewitsch (Keigo Nozaki), und der Zauberer Kaschtschej betört – endlich des Lackledermantels ledig – als sehr erotische Dame im transparenten Ganzkörpergewand (Kostüme: Leah Lichtwitz). -
Einprägsame Bilder bestimmen die herausragende Inszenierung. Ein Glücksgefühl entsteht, wenn die Tänzerinnen und Tänzer, die mit eckigen Bewegungen als mechanisch reagierende Schaufensterpuppen zu Automaten mutiert sind, sich – nun auch bekleidet – in harmonische Menschen verwandeln und unbedingt genannt sein müssen: Maki Taketa, Ekaterina Tumanova, Elena Tumanova, Michele Ciacci, Sebastian Uske und Keigo Nozaki.
Viele theatralischen Register werden gezogen: So blitzt und donnert es gewaltig, Lichteffekte (Beleuchtung Jan Parthey) tun ein Übriges, die Kunstwelt wird zum sehr wirklichen Ort. Da in den russischen Volksmärchen, die ursprünglich das Ballett inhaltlich strukturieren, das Ei eine wichtige Rolle spielt (als Sitz der unsterblichen Seele Kaschtschejs), ermöglichen die zahllosen eiförmigen und hellen Luftballons, die wirkungsvoll auf die Bühne fallen, entsprechende Assoziationen. Schließlich haucht die böse Zauberin ihre Seele aus und endet in Ketten geschlagen. Die Liebenden finden sich.
Nach gut einer Stunde geht das furiose Ballett mit versöhnenden Szenen voller Hoffnung zu Ende. Ob ich es mit heiterem, naivem Herzen genieße oder mich vor allem in kunsttheoretische Überlegungen vertiefe, immer bleibt mir ein Kunsterlebnis, das alle meine Sinne anspricht und auf meine Ratio nicht verzichtet. Sehr empfehlenswert. IOCO / Lutz Behrens / 07.07.2016
Der Feuervogel: Weitere Vorstellungen in Plauen am 16.12.2016 und 26.3.2017; in der Lukaskirche Zwickau am 17.3.2017, 18.3.2017, 19.3.2017, 22.3.2017.
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