Perpignan, Musée d'Art, Auguste Rodin - Aristide Maillol, IOCO Aktuell, 10.09.2019
Musée d'Art Hyacinthe Rigaud de Perpignan
Musée d'Art de Perpignan - Auguste Rodin - Aristide Maillol
- Antipoden der Skulptur - Auf Augenhöhe -
von Hanns Butterhof
Mit seiner Ausstellung Rodin - Maillol, face à face ist dem Musée d'Art Hyacinthe Rigaud in Perpignan wieder eine großartige, im besten Sinne spannende Ausstellung gelungen. Sie stellt die beiden grundverschiedenen französischen Skulptur-Großmeister der frühen Moderne, Auguste Rodin (1840 -1917) und Aristide Maillol (1861 – 1944), einander auf Augenhöhe gegenüber. Ohne selbst Partei zu ergreifen, provoziert die Ausstellung mit der Anmutung eines Vergleichs der beiden Künstler ein Urteil der Besucher.
In seiner zweiten, den Wechselausstellungen vorbehaltenen Etage stellt das Musée d'Art Hyacinthe Rigaud in neun Kabinetten Skulpturen unterschiedlicher Größe und einige Zeichnungen Auguste Rodins ebensolchen von Aristide Maillol gegenüber. Die thematischen Schwerpunkte: Der Mann, Der Torso, Die Gruppe, Das öffentliche Monument, Die Zeichnungen und in beispielloser Breite Die Frau bilden das Spektrum des Schaffens beider Künstler umfangreich ab. Dabei gelingt es der Ausstellung, das Gefühl zu vermitteln, dass sich hier nicht nur Kunstwerke, sondern gegensätzliche Persönlichkeiten Auge in Auge gegenüberstehen.
Der 1840 nahe bei Paris in Meudon geborene Auguste Rodin ist, wohl selbst im französischen Katalonien, wo Aristide Maillol 1861 unweit von Perpignan in Banyuls-sur-Mer geboren wurde, der berühmtere von beiden. Und mit dem Gips-Modell seines populärsten Werkes, dem 180 cm großen Le Penseur monumental (Der Denker) von 1904, beginnt die Ausstellung spektakulär. Nur ganze 18 cm misst dagegen die dem Denker konfrontierte weibliche Tonfigur La Douleur (Das Leid) von 1921, deren ausgeführte Skulptur auf dem Marktplatz des nahen Städtchens Céret das Kriegerdenkmal ziert. Beide Figuren verbindet ihre nachdenkliche Haltung mit dem auf die Hand gestützten Kopf. Gleichzeitig trennt sie ihr Ausdruck fundamental. Er ist beim Denker gespannt, nach außen auf das Ergebnis und die darauffolgende Handlung gerichtet, während La Douleur völlig nach innen gerichtet, leidend am Ende jeglichen Handelns angekommen ist.
Expression bei Rodin und Impression bei Maillol, Dynamik und Gesammeltsein stehen sich in der ganzen Ausstellung gegenüber. Überdeutlich bestätigen das die beherrschenden Skulpturen des nächsten Kabinetts, Rodins bronzene Iris, messagère des dieux (Botin der Götter) von 1890, und Maillols Gips-Modell der Méditerranée (Mittelmeer) von 1905. Die Iris, ein kopfloser, jede klassische Form sprengender Torso, stellt mit gespreizten Beinen provokant Geschlechtlichkeit und Lebenskraft aus und springt die Betrachter nahezu an. Die Méditerranée, deren ausgeführte Form den Patio des Rathauses von Perpignan beherrscht, ist dagegen eine auf der Erde sitzende Frauenfigur, die völlig in sich ruht, die kräftigen Glieder entspannt und von einem Gleichmaß bestimmt, das wie aus der Natur übernommen scheint.
Bei den männlichen Einzel-Figuren kommen sich beide Bildhauer scheinbar am nächsten, Maillols Bronze Le Cycliste (Der Radfahrer) von 1907 könnte fast eine Hommage an Rodins daneben stehendes bronzenes L'Age d'airain (Das eherne Zeitalter) von 1903-04 sein. Aber auch hier weichen die exakt nach ihren jeweiligen Modellen gearbeiteten Figuren in Haltung und Ausdruck deutlich von einander ab, diejenige Rodins in dramatischer Pose, die Maillols in nachdenklicher Entspanntheit.
Wie sehr Maillol der beruhigten, nahezu klassischen Form verbunden bleibt, zeigt sich in der Gegenüberstellung zweier Paar-Motive, seiner mit 119 x 113 nahezu quadratischen Bronze Le Désir (Das Begehren) mit Rodins populärem Le Baiser (Der Kuss). Le Désir zeigt in einem klaren Aufbau ein unbekleidetes Paar, begehrlich fragend der Mann, in sanfter Abwehr, den Kopf abgewandt, die Frau. Auch das Paar in Rodins Le Baiser ist nackt, alle Bewegung zielt auf die Berührung der Lippen im Kuss. Doch hat die Skulptur etwas Arrangiertes, einen pathetischen Gestus, an dem in der Konfrontation mit Le Désir etwas leicht Süßliches aufleuchtet.
Ähnlich ist es mit den Frauen-Zeichnungen der beiden Künstler, die in getrennten Kabinetten gezeigt werden. Auch die 13 zum Teil leicht aquarellierten Zeichnungen Rodins wirken, obwohl schwungvoll skizziert, arrangiert und sind nicht ohne pornographische Anmutung. Den angehobenen Kleidern und gespreizten Beinen ihres Modells stehen zumeist nahezu unerotisch züchtig Rückenansichten der Maillolschen Frauen gegenüber. Nur bei genauer Betrachtung aller Exponate wird man in Maillols Dina, einer kleinen, mit gespreizten Beinen auf dem Rücken liegenden Frauen-Figur aus Ton von 1937, eine dem gestaltenden Zugriff Rodins ähnliche Figur finden.
Bei aller Verschiedenheit des Ausdrucks sind die ausgestellten Gruppen- wie der Einzel-Skulpturen vom gleichen künstlerischen Ernst geprägt. Maiolls bronzene, 163 cm hohe Frauenfigur Pomone, mit der er 1910 im Salon d'Automne seinen ersten großen Publikumserfolg erzielte, bietet aufrecht und in absoluter Ruhe ihre Äpfel dar, während sich neben ihr Rodins 173 cm hohe bronzene Ève von 1881 voller Scham und Reue über ihre Verführbarkeit in sich verkriechen zu wollen scheint. Und ebenso aufrecht und gelöst wie Pomone reichen sich Maillols Les Nymphes de la prairie (Die drei Wiesen-Nymphen) die Hand, wie Rodins Les Trois Ombres (Die drei Schatten), der Ève gleich, bedrückt und wie geschlagen in sich zusammensinken.
Von den beiden öffentlichen Monumenten, denen ein eigenes Kabinett gewidmet ist, geht nicht das Strahlen des Gelingens aus. Maillols 215 cm hohe Bronzeplastik L'Action enchaînée – monument à Auguste Blanqui (Die angekettete Aktion) für den Revolutionär und Kommunarden Blanqui ist ein männlich muskulöser Frauenakt mit auf dem Rücken gefesselten Händen. Rodins La Muse Whistler, eine 223,5 cm hohe Bronzestatue, ist ein weiblicher Torso der Muse des Malers James McNeill Whistler, wie sie den Gipfel des Ruhms erklimmt, ohne Arme und Hände. In der Gestaltung von Ideen wie Rebellion und Erfolg können beide Künstler kaum überzeugen.
Wo der direkte öffentliche Bezug fehlt, überzeugen die schließlich präsentierten weiblichen Torsi. In ihrem Unvollendetsein umgibt sie die Aura des Gelingens wie Rodins Méditation ou Voix intérieure (Meditation oder Innere Stimme) von 1886 und Maillols Harmonie von 1940, die den Schlusspunkt der begeisternden Ausstellung setzen, in der noch viele kleine Kostbarkeiten wie Maillols bezaubernde Tonfigur Leda von 1900 zu entdecken sind.
Die Ausstellung Rodin - Maillol, face à face stellt Rodin und Maillol auf Augenhöhe gegenüber, vielleicht nicht ganz ohne etwas mehr Sympathie für den Katalanen. Bei dem Urteil, das sie gleichwohl provoziert, mag es sehr auf den Betrachter ankommen. Jüngere mag die Dynamik und Expressivität Rodins besonders ansprechen, während sich Ältere durch sie eher bedrängt und durch die geerdete Ruhe Maillols erlöst und beglückt fühlen mögen. So verlässt niemand diese Ausstellung unberührt.
Die sehenswerte Ausstellung Rodin - Maillol, face à face ist bis 3.11.2019 im Musée d'Art Hyacinthe Rigaud, 21 rue Mailly, F 66000 Perpignan, zu sehen. Dreisprachige Beschilderung der Exponate in Französisch, Katalan und Englisch. Weitere Informationen unter www.musee-rigaud.fr Ein umfassend bebilderter, 215-seitiger französischsprachiger Katalog zur Ausstellung kostet im Museumsladen 25,00 €.
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