Paris, THÉÂTRE DU CHÂTELET, PEER GYNT- Henrik Ibsen, IOCO
PARIS: Peer Gynt ist ein Lesedrama, ein Text, der zum Lesen gedacht war. Es ist ein einzigartiges Stück, das Anleihen bei William Shakespeare (1564-1616), der Romantik und den nordischen Legenden .....

11.03.2025 - Henrik Ibsen: PEER GYNT (1876), Drama in fünf Akten mit der Szenenmusik Peer Gynt, Op. 23 von Edvard Grieg
von Peter Michael Peters
EIN MANN IM LICHT DES STERNENGEWÖLBES…
Sei du selbst, was auch immer es kostet…
Peer Gynt ist ein Lesedrama, ein Text, der zum Lesen gedacht war. Es ist ein einzigartiges Stück, das Anleihen bei William Shakespeare (1564-1616), der Romantik und den nordischen Legenden sowie der Philosophie von François-Marie Arouet genannt Voltaire (1694-1778) nimmt und auch die Geschichte Norwegens durch seine Teilnahme an der Unabhängigkeit des Landes tief geprägt hat. Der Ehrgeiz dieses Werks geht weit über den des europäischen Theaters seiner Zeit hinaus, das von den historischen Stücken von Eugène Scribe (1791-1861) dominiert wurde: Henrik Ibsen (1828-1906) erfindet ein modernen Theaters und legt gleichzeitig auch den Grundstein für eine Nation: Norwegen.
Als Ibsen 1874 beschloss, Peer Gynt auf die Bühne zu bringen, nahm er Kontakt zu Edvard Grieg (1843-1907) auf, einem jungen Komponisten. Grieg ist sehr von Ibsens Meisterwerk inspiriert und verdoppelt das Meiserwerk mit einem weiteren Meisterwerk: Dieses Mal musikalisch! Auch die Musik von Grieg für Peer Gynt eroberte die Welt und wurde zum „Klassik-Schlager“. Und dann trennen sich die beiden Meisterwerke mehr oder weniger… Die Symphonieorchester nehmen Grieg in ihr Repertoire auf, ohne das Stück von Ibsen, das übersetzt und produziert wird, aber ohne das Werk von Grieg. Sie hatten sich jedoch am Anfang gemeinsam eine Art gesprochenes Gedicht ausgedacht von musikalischer Magie, von absolutem Spektakel, das mit der großen französischen Oper konkurriert.
Die Adaptation folgt Ibsens Empfehlungen in seinem Brief an Grieg: Streichung des Anfangs von Akt IV, Aufhellung bestimmter Szenen usw. Es stimmt auch, dass die Übersetzung des französischen Regisseurs Olivier Py aus dem englischen stammt – mit den bewundernswert tiefen gesetzten Worten des englischen Poeten Geoffray Hill (1932-2016), das die Sprache beschleunigt. Genauer gesagt ist es das Französisch dass das Norwegisch verlangsamt, näher am Original ist sie in englischer und deutscher Sprache: Die Partitur wird also auf Deutsch und Norwegisch veröffentlicht! Getreu bestimmten Übersetzungsprinzipien, die der Übersetzer schon für Shakespeare verwendet hatte, bemühte er sich Prägnanz zu einem Argument für Klarheit, aber auch Poesie zu machen
Weil Peer Gynt über seine formale Einzigartigkeit hinaus eine universelle Frage stellt: „Was bedeutet es, man selbst zu sein?“ Der erste Teil von Peer Gynt kann als biografisch gelesen werden. Beispielsweise hat die Anekdote vom unehelichen Kind mit der Troll-Frau ihren Ursprung in einem Missgeschick Ibsens, der eine zufällige und illegitime erste Vaterschaft nicht annahm. Doch der zweite Teil des Werkes ist eine nach Süden gerichtete Projektion seiner Zukunft, in der Hoffnung, dass eines Tages alle Konflikte seiner Jugend eine harmonische Lösung finden werden. Obwohl manchmal sehr düster, ist dieses Stück vielleicht das fröhlichste und am wenigsten pessimistische Werk des Autors Die Wildente (1885).

Essenz und Existenz stehen sich immer wieder gegenüber in einem Leben, das als gigantischer Umweg angesehen wird, bevor es in seinen letzten Augenblicken zur Weisheit gelangt.
Ohne jeden leichtfertigen Idealismus fragt uns Ibsen, was es heißt, vollkommen menschlich zu sein und macht seinen Helden zu einem umgekehrten spirituellen Abenteurer, aber auch zu einem Charakter von völliger Menschlichkeit.
Es wird daher notwendig sein, in diesem reichhaltigen Werk die größtmögliche Genremischung zu bewahren, denn es ist der Text, bei dem sich Ibsen die meisten komischen, aber auch lyrischen Abschweifungen erlaubte. Es gibt vielleicht kein anderes Äquivalent als Le Soulier de Satin (1929) von Paul Claudel (1868-1955), um in diesem großen Ausmaß alle Theater dieser Welt zu vermischen. Aber die phantastische und allegorische Dimension ist im Werk des norwegischen Meisters ohne Gegenstück! Ibsen erschafft eine totale Theatermaschinerie – wir tanzen, wir singen! Wir ändern den Stil in jeder Szene, wir ändern das Theater in jedem Akt!
Peer Gynt: Träume dein Leben, erfinde dein Land…
Als Peer Gynt im Jahre 1867 erschien, war Ibsen noch nicht der Dramatiker von überwältigender Berühmtheit, um dessen Werke die Regisseure der gesamten europäischen Avantgarde konkurrieren würden. Er bereitet sich darauf vor, seinen vierzigjährigen Geburtstag in Italien zu feiern, hatte er doch in Norwegen eine Enttäuschung nach der anderen erlitten und erwiess sich als armer unwissender Direktor in einem Vorstadttheater in Christiania nähe Oslo, der an Depressionen und Alkoholismus leidet und darum kämpfte: Als der Dichter anerkannt zu werden, der er zu sein erhoffte. Er will es glauben: Poesie ist die große, ernstzunehmende Kunst, während das Theater bisher nur Sorge um Verantwortung und Konflikte mit dem Publikum und den Kritikern hervorgebracht hatte.
Ibsen nach Ibsen…
Allerdings erlangte er durch den Bruch einerseits mit der Poesie und andererseits mit Norwegen den Ruhm, den wir heute kennen. Indem er mit diesem Teil seiner selbst bricht, der an der Poesie und auch an der Darstellung seiner selbst als Dichter: Bei seinen Werken handelte es sich ab 1877 etwa alle zwei Jahre um ein gut durchdachtes Theaterstück, das sich mit gesellschaftlichen Themen wie Vererbung, Klassenkampf und der Lage der Frauen befasste. Sie werden hauptsächlich von weiblichen Charakteren getragen, gespielt von den größten Schauspielerinnen ihrer Zeit: Nora aus Ein Puppenhaus (1879), Frau Alving aus Gespenster (1882), Rebecca aus Rosmersholm (1887), Hedda Gabler (1891) bilden eine weibliche Galerie, die jetzt mit seinem Namen verbunden sind. Die weiblichen Charaktere unterstreichen die Wegkreuzungen der Peer Gynt-Welten und auch mit Solveig, mit der er endlich Frieden findet.
Ibsen und Grieg…
Peer Gynt war vom Autor nicht zum Spielen gedacht sondern als Lesedrama. Ibsen hielt es erst zehn Jahre nach seiner Veröffentlichung im Jahre 1976 für möglich, es auf die Bühne zu bringen und zwar mit der Intervention eines talentierten jungen Landsmann, Komponisten und Harmonisten. Grieg, dessen Partitur die wesentlichen Phasen der Handlung begleiten wird und die fruchtbare Eingebung haben wird, das Stück mit populären Melodien nach Norwegen zurückzubringen: Besonders Solveigs Lied begeistert das Publikum! Mit Peer Gynt erfindet Ibsen die Figur eines prahlerischen Philosophen neu, während Grieg ein kulturelles Erbe erfindet: Norwegen findet dort seinen Platzt! Die symphonische Musik drückt die Paradoxe Nostalgie eines Landes aus, das auf der internationalen geopolitischen Bühne noch nicht existiert und erst 1905 seine Unabhängigkeit erlangen wird. Dennoch existiert Norwegen auf der Bühne, es ist dieser schmerzhafte und schwerfällige ursprüngliche Ort, zu dem Peer flieht, um dorthin zurückzukehren, ihn zu verspotten und zu kritisieren, ihn zu lieben.

Wenn Peer Gynt mit der historischen Ader bricht, die Ibsen mit Kongs-Emnerne (1863) einen seltenen kleinen Erfolg beschert hatte, bleibt er jedoch in der norwegischen Folklore verankert: Der Autor ist sich der sehr beliebten Volksmärchen bewusst, die er seit den 1830er Jahren an sammelt und veröffentlichte. Er sieht das dramatische Gedicht als den Dialog von Situationen und Charakteren aus diesen populären Geschichten. Grieg, der 1867 die Gründung der Norwegischen Musikakademie initiierte, damals Direktor des Oslo Philharmonic Orchestra, ein Patriot mit großer Leidenschaft für populäre Kultur, ist eine offensichtliche ideale Wahl für die Bühnenmusik Peer Gynt. Ihr gemeinsamer Erfolg wird einzigartig sein! Die Orchestersuiten von Peer Gynt, die der Komponist unter seiner Leitung spielt, werden ihm in seiner Karriere beispiellosen Applaus bescheren. Andererseits wird es in Ibsens späteren Stücken keine Trolle mehr geben und in Titeln wie Die Wildente oder Klein Eyolf (1895) kaum mehr als bittere Anspielungen auf eine Welt des Wunderbaren sein. Im Moment träumt er groß, poetisch und chaotisch…
Kaiser Julian und die Galiläer, Brand, Peer Gynt… und Henrik…
Als Ibsen Peer Gynt schrieb, sah er sich selbst als einen in seinem Stolz verletzten Mann, der weder die Gunst der Kritiker noch die Unterstützung des Publikums hatte, die sein Freund und Rivale Bjørnstjerne Bjørnson (1832-1910) aber ausreichend kannte. Er war immer noch auf der Suche nach seinem Schreibstil, lebte im Ausland – er kehrte erst 1891 nach Norwegen zurück, nachdem er 25 Jahre in Italien und Deutschland verbracht hatte -, sehr isoliert von jeglichem Künstlerkreise. Zweifellos steckt in diesem missverstandenen Selbstporträt ein wenig Selbstgefälligkeit von Seiten eines Mannes, der keinen Beruf ausübt und auf Kosten seiner Freunde und der Krone reist. Wie Peer Gynt: Der Mann der lügt, der ausgerastete Angeber, der Verantwortungslosigkeit annimmt, ist Ibsen vom Gefühl des Hochstaplers geprägt. Seine Figur folgt geschwungenen Linien, will von Trollen bewundert werden, ohne blind zu werden und lässt einen Mann ertrinken, um sein eigenes Leben zu retten. Gequälter Anti-Held, laut seiner Mutter „dreckig, erbärmlich“, auch Clown, geborener Schauspieler und erbitterter Lügner, Peer Gynt im Jahr 1867, vorausgegangen von Brand im Jahr 1866, ein weiteres Lesedrama, das erst 1885 aufgeführt wurde: In Brand weigert sich ein unnachgiebiger Pfarrer, seine sterbende Mutter zu besuchen, bis sie ihr ganzes Geld den Armen gegeben hat. Die Mutter stirbt, auch die Frau und ihr Kind, ohne dass Brand nachgegeben hat. Da wo Brand sich nie beugt, beugt Peer Gynt sich ständig, aber auch er gibt nicht nach: Ein Charakter des Kompromisses, der aus allen Situationen herauskommt! Abwechselnd Krimineller auf der Flucht, nachdem er ein junges Mädchen an ihrem Hochzeitstag in Norwegen entführt hat, selbsternannter Philosoph in Ägypten, Sklavenhändler in Afrika, Kaiser der Verrückten in einer Anstalt, der sich gegen den König der Trolle stellt, Peer Gynt, der prahlerische Schläger, der keine Selbstbeherrschung hat und den Anspruch erhebt, die Welt und die Menschen zu beherrschen und auch der Maßstab dafür zu sein. Als Mann in Eile, als Reisender, der niemals stehen bleibt, geht er sogar so weit, zu behaupten, er hätte seine Mutter selbst ins Paradies gebracht. Die Illusion ist seine Realität: Wie Brand, unfähig, andere zu verstehen, wie Kaiser Julian und die Galiläer (1873), der Kaiser, dem Ibsen ein Stück widmet, verlassen die männlichen Figuren von Ibsen ihre Gefährten, lassen ihre fidelen Freunde sterben, aus einem Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit, der stärker ist als alle Versprechen an andere. „Sich selbst genügen“ oder „Sei du selbst“, erfülle die Welt mit dir, brauche niemals andere, das ist die Maxime von Peer und seinem Autor, Leser von Sören Kierkegaard (1813-1855). Aber zwischen „Diesem oder Jenem“ zu wählen, bedeutet das Risiko einzugehen, nichts weiter als ein Troll zu sein, was ein alternder Peer Gynt zustimmt, der am Ende des Stücks nach Hause zurückkehrt.

Lügen und Träumen…
Wenn die Peer Gynt-Figur ein Träumer ist, ist das Stück Peer Gynt ein Theatertraum: Es gilt zu Recht als kompliziert mit seiner Vielzahl an Charakteren und Schauplätzen, seinen widersprüchlichen Registern vom Philosophischen bis zum Farcierten, dem verbalen und körperlichen Fieber seiner Hauptfigur, die nicht stillhalten kann. Peer nimmt sein Publikum mit auf eine groteske Initiationsreise, um schließlich zu erkennen, dass es für eine Person keine eindeutige Erklärung gibt, so wie es kein Herz in einer Zwiebel gibt, wenn man alle Schichten geschält hat. Das Traumleben des geschmeidigen Redners ist ein Spektakel verstärkt durch die Bühnenmusik.

PEER GYNT - Aufführung - Théâtre du Châtelet - 11. Mars 2025
„Sei du selbst!“: Peer Gynt, endlich…
„Ja, endlich!“ Denn Ibsens Stück kann ebenso wie Griegs Partitur nicht ohne das andere gehört werden. Und dort, auf der Bühne des Théâtre du Châtelet in Paris, kommentiert vom gesamten Orchestre de Chambre de Paris unter der zügigen und spirituellen Leitung der estländischen Dirigentin Anu Tali, das im hinteren Teil der Bühne und nicht im Orchestergraben sitzt. Das Geschehen – es sei denn, es ist andersherum und die Musik beleuchtet den Text! Nein, vielmehr passt alles zusammen, denn Musik und Text sind eins bei dem, was die Plakate als „Musikspektakel“ ankündigen, genauer wäre jedoch die Bezeichnung „Melodrama“, im Sinne der Kompositionen von Ludwig van Beethoven (1770-1827) oder eines gewissen Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847). Grieg wusste dies, da er seine musikalische Ausbildung in Leipzig am von Mendelssohn-Bartholdy gegründeten Konservatorium abgeschlossen hatte. In diesem Genre unternahm Grieg mit Sigurd Jorsalfar, Op. 56 im Jahr 1872 seinen zweiten Versuch für das Stück von Bjørnson, dem jedoch nicht das gleiche Schicksal widerfuhr.
Die französische Adaption von Py, der als Regisseur und Schauspieler allgegenwärtig ist, bietet eine aktualisierte kohärente und gestraffte französische Version – einschließlich der Gesangspassagen – eines dreieinhalbstündigen Stücks, in dem die Musik ihren Platz hat, d. h. eine Partitur von einer ganzen Stunde – es fehlt nur eine halbe Stunde – die nicht aufhört, die wahnsinnige groteske und zugleich tragische Handlung zu unterstreichen.

Die Wut des Lebens…
Unter der musikalischen Leitung von Tali versteht es das Orchestre de Chambre de Paris, die Farben und Stimmungen zu variieren und diesen berühmten Musikstücken ihren rechtmäßigen Platz zurückzugeben. Der verträumte Morgen, der bewegende Tod der Aase, der durchscheinende und träge Tanz der Anitra, des Königs des Berges – alle diese Seiten, die seit der Uraufführung im Jahre 1876 viel zu Griegs Bekanntheit beigetragen haben, gewinnen ihren Reiz zurück. Was vielleicht manchmal fehlte, war eine durchsetzungsstärkere Gewalt und ein größerer orchestraler Wahnsinn, die der Text und die Interpretation von dem hochbegabten und talentierten französischen Schauspieler Bertrand de Roffignacs entfesseltem Peer Gynt erforderten.
Es gibt jedoch noch zwei weitere Punkte zu bedauern, einer davon hängt mit der Wahl der Inszenierung zusammen: Das Orchester ist im hinteren Teil der Bühne platziert und somit schallisoliert, ebenso wie alle Schauspieler-Sänger. Der Vorteil liegt darin, die Musiker zu eigenständigen Akteuren zu machen – verborgen, wenn das Theater im Vordergrund steht, sichtbar durch das Spiel von Licht, Vorhängen und schattenartigen Hintergründen. Der Nachteil besteht darin, dass sich dadurch die musikalische Perspektive und der Klangpegel ändern. Darüber hinaus bedauern wir auch das Fehlen einer Hardingfele, dieser traditionellen norwegischen Violine mit Resonanz-Saiten, die hier durch eine Orchestervioline ersetzt wurde.
Die portugiesische Sopranistin Raquel Camarinha interpretiert eine geheimnisvolle Solveig. Ihre Lieder offenbaren eine geschmeidige klare Stimme mit kristallklaren Höhen und das lang erwartete Lied der Solveig berührt uns zutiefst. Die dreizehn Schauspieler werden auch zu Sängern und Tänzern und bilden den Chor der Trolle oder des arabischen Tanzes, alle perfekt in ihren verschiedenen Rollen mit einer besonderen Erwähnung für die schelmische und kristallklare Stimme von Anitra der französischen Sopranistin Clémentine Bourgoin und vielleicht noch mehr für die französische Schauspielerin Céline Chéenne, die Aase, Peers Mutter eine herzzerreißende Menschlichkeit verleiht. Die männliche Besetzung ist unübertroffen mit dem französischen Schauspieler Damien Bigourdan als unbeschreiblicher König der Trolle, bevor er einen verrückten Arzt spielt, bis hin zu seinen anderen Kumpanen.
Der französische Bühnen -und Kostümbildner Pierre-André Weitz wählte ein ebenso düsteres Setting wie die Geschichte und die Kostüme, die perfekt zur Atmosphäre passten. Besonders gelungen sind die Trolle und die geheimnisvolle Kurve, ganz in Schwarz. Die Hochzeitsszene im ersten Akt und die schaurige Szene in der verrückten-Anstalt im vierten Akt werden durch die Verwendung der steigenden Bühne verstärkt, während der vermeintliche kitschige Orientalismus des afrikanischen Teils von Peers Reise in Licht getaucht wird, das um eine Palme herum angeordnet ist, auf deren Spitze der Held, eine Affe nicht zögert zu klettern. Alles in dieser Aufführung spiegelt eine dramatische Kohärenz und eine durchdachte Vision des Werkes eines Ibsen wider, der zum Symbol jenes Norwegens erhoben wurde, das er so schlecht duldete, dass er es vorzog, den Großteil seines Lebens in Italien und Deutschland zu verbringen. Tatsächlich schrieb er auch dort in Rom ein Stück!
Und dann im Mittelpunkt vor allem, ist da noch Peer und de Roffignacs epische Leistung ist einfach atemberaubend. Er ist diese phantastische halluzinatorische mythomanische Figur, abwechselnd Träumer, Abgehalfterter, Antiheld, Versager, Prophet, Fabulist, Verrückter, Dichter, Kaiser der Welt und der Verrückten… Er brüllt und ruft, er schreit und prahlt, er gerät in Panik und treibt Unzucht, er rülpst und spuckt, er tanzt und singt, er lacht und weint, er genießt und stirbt. Ohne Glauben oder Gesetzt – die Religionen nehmen ihren Anteil – ist Peer, der nach Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821-1881)-Maßstäben ein Unschuldiger, das Zentrum und die treibende Kraft der Show. De Roffignac ist seine erhabene Seele! Peer missbraucht eine Braut, schwängert die Tochter des Troll-Königs, wird durch Sklavenhandel reich, erleidet Schiffbruch und kehrt nach all den Jahren des Umherirrens seiner verfehlten Existenz, in seine Heimat zurück, um dort zu sterben. Nicht ohne im Stile von Kierkegaards philosophiert zu haben: „Sei du selbst!“ Und wir tauchen schockiert aus unseren Träumen auf und werden von einer unergründlichen metaphysischen Frage erfasst… PMP/16.03.2025)