Paris, Theatre des Champs-Élysées, Ludwig van Beethoven - Messe in C-Dur - Coriolan, IOCO Kritik, 09.02.2020
LUDWIG VAN BEETHOVEN oder DIE SPIRITUELLE ERHÖHUNG ZUR MENSCHLICHKEIT
Messe in C-Dur op.86 (1807) / Klavierkonzert Nr.4 in G-Dur op .58 (1808) / Coriolan-Ouvertüre op.62 (1808)
von Peter M. Peters
Wohl kein anderer Komponist hat in seiner Musik, in seinem gesamten Schaffen Humanität und Freiheitsgedanken, das Gute im Menschen verkörpert und integriert. Tatsächlich war Beethoven (1770-1827) ein musikalischer Moralist, der erste wirklich politische Komponist der Musikgeschichte. Schon während seiner Bonner Jugendjahre wurde er mit den Ideen der bürgerlichen Aufklärung, die schließlich – zumindest in Frankreich – zum Ausbruch der Revolution führten. Auch durch Vorlesungen des Franziskaners und Aufklärers Eulogius Schneider (1756-1794) konfrontiert, entwickelte er seine republikanische Weltanschauung, die sich später unter dem Einfluss Friedrich von Schillers (1759-1805) und besonders der Philosophie von Emmanuel Kants (1724-1804) noch erweiterte und verschärfte. Ein Bogen spannt sich von der frühen Kantate auf den Tod des Reformkaisers (Kantate auf den Tod Joseph II WoO 87 / 1790) bis hin zu der idealistischen Botschaft der „Freiheit“ unter dem Decknamen der „Freude“ in der Neunten Symphonie, einem Appell an die Menschheit inmitten der Metternichschen Unterdrückungspolitik. Bis zuletzt verweigerte Beethoven diese Repressionspolitik und äußerte frei und offen seine republikanischen Überzeugungen, wann und wo es ihm passte. Hätte man ihn in Wien nicht für einen Verrückten gehalten, dann wäre er von Metternichs (1773-1859) Spitzeln sicher verhaftet worden.
Die Zentrale Kategorie der Französischen Revolution – Freiheit – fand in Beethovens Musik ihren wohl wirksamsten Widerhall, und das bis in die innersten Zellen hinein: „Ist er schon der musikalische Prototyp des revolutionären Bürgertums, so ist er zugleich der einer ihrer gesellschaftlichen Bevormundung entronnenen, ästhetisch voll autonomen, nicht länger bediensteten Musik.“ (Th. W. Adorno / 1903-1969). Und es ist die voll erreichte künstlerische Autonomie, die dafür die Voraussetzung bot, das Thema „Freiheit“ verbindlich gestalten zu können. Erst Beethovens Musik hat sich selbst von den Konventionen befreit. Der „neue Weg“, den er programmatisch beschritt, war der Versuch, die überlieferte Musiksprache einer grundlegenden Reflexion zu unterziehen, um sie durchlässig machen zu können für moralisch-politische Botschaften, von denen man früher sich nicht hätte träumen lassen.
Das Jahr 2020 feiert in der ganzen Welt den 250jährigen Geburtstag eines musikalischen Genie, aber auch das eines großen Humanisten. Jedoch gedenken wir auch an den 75.Jahrestag der Befreiung von Auschwitz: Als Angehöriger einer großen Musik-und Kulturnation können wir die ewige Frage, die wir ein Leben lang als Ballast mit uns tragen ohne je eine Antwort gefunden zu haben, nicht verschweigen! Warum? Wie konnte Unfassbares geschehen?
Konzert am 3. Fevrier 2020 - Théâtre des Champs-Elysées
Musikalische Leitung Thomas Hengelbrock
Sopran: Heike Heilmann, Agnes Kovacs, Mezzosopran: Anne Bierwirth, Natalia Kawalek, Tenor: Mirko Ludwig, Jan Petryka, Jakob Pilgram, Bass: Reinhard Mayr, André Morsch
Kristian Bezuidenhout: Hammerklavier, Balthasar Neumann Chor, Balthasar Neumann Ensemble
„Ich schreibe nicht für die Menge, ich schreibe für Kulturmenschen“
Die Messe in C-Dur ist ein Auftragswerk des Prinzen Nikolaus II Esterhazy (1714-1790) an Beethoven und wurde in Baden und später in Eisenstadt komponiert. Treu seiner humanistischen Divise wurde das Werk ein Manifest seiner „politischen und musikalischen Spiritualität“, indem jeder das Recht hatte erbauliche Übungen und geistige Erhöhung zu empfangen. Im Sinne der religiösen Aufklärung waren alle Menschen gleich und die konfessionelle Richtung wurde unwichtig. Das individuelle Denken und die humanistische Handlung eines jeden Menschen war das spirituelle Leitmotiv. Dass die Modernität und Zukunftsvision dieser Messe den Prinzen Esterhazy empörte, ist nicht verwunderlich, denn dieser erwartete ein Werk nach traditionellen und akademischen Muster. Thomas Hengelbrock hatte die geniale Idee den Chor vor das Orchester an die Bühnenrampe zu stellen ganz im Sinne Beethovens und der Epoche. Mitglieder des Chores übernahmen die normalerweise von Solisten vorgetragenen Solos, sodass eine musikalische Integration und Einheit geschaffen wurde ohne jedoch das Individuelle zu vergessen. Die fünf liturgischen Partien sind als Symphoniestücke konzipiert und staffeln sich autonom übereinander und nebeneinander und vereint mit der menschlichen Stimme bilden sie ein Ganzes angeführt von der C-Dur Tonalität. Diese jubelnde und aufbrausende Interpretation hat uns zum ersten Mal die ganze Schönheit und Besonderheit dieses selten aufgeführten Werkes nahe gebracht. Nach dem Misserfolg verließ der Komponist schwer verärgert Eisenstadt! Wir dagegen stimmen in den Jubel ein und mit Standing-ovation feiern wir Thomas Hengelbrock mit seinem Chor und Orchester ohne jedoch das Genie Beethovens zu vergessen.
Wie die Messe in C-Dur sowie auch die Coriolan-Ouvertüre gehört das 4. Klavierkonzert in die zweite Schaffensperiode des Komponisten. Auch das Konzert ist gewissermaßen eine Neuigkeit, komponiert in drei Sätzen und jeder Satz wird als symphonisches Stück vom Orchester behandelt, indem das Klavier gleichzeitig die Rolle des verbindenden Gliedes übernimmt. Die zwei Kadenzen befinden sich jeweils am Ende des ersten Satz sowie im Letzten. In allen drei Sätzen glaubt man Anklänge von Leonore und Orpheus (Gluck /1714-1787) zu hören, ein immer wiederkehrendes Wunschthema des Komponisten: „Freiheit und Liebe“. Der südafrikanische Pianist Kristian Bezuidenhout spielte auf einem Hammerklavier mit großer Sensibilität und sehr diskret reihte er sich in den Orchesterklang ein ohne virtuose Manier. Der Musiker ist wohl im Moment der gefragteste Hammerklavierspieler und alle Konzertsäle der Welt reißen sich um ihn. Und so war es denn auch eine Trauminterpretation, die vereint mit dem ausgezeichneten Orchester wahre Klangwunder vollbrachte.
Thomas Hengelbrock zur Bedeutung von Ludwig van Beethoven youtube Trailer Théatre des Champs-Élysées, Paris [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Die Coriolan-Ouvertüre beginnt mit einem aufbrausenden wilden Takt, die mit vierzehn geballten Frequenzen dreimal kurz aufeinander erklingen, danach „komponierte“ Stille, bevor das Drama des römischen Helden beginnt. Man denkt an die Worte Goethes (1749-1832) gerichtet an den jungen Mendelssohn (1809-1847): “Ach der Beethoven, der mit seiner Musik Häuser und Paläste einreißt!“
Für den alternden Weimarer Dichterfürsten war das zu viel gefährliche Revolution. Zum Trotz spielte Thomas Hengelbrock mit dem Balthasar Neumann Ensemble diese Musik im Revolutionstakt, sodass man glaubte die Wände des Theaters erbebten. Ein großer musikalischer Abend: nicht nur ein Ohrenschmaus, sondern auch eine Ermahnung zum Denken.
Kleines Hammerklavier-Latein:
Hammerklavier ist der Oberbegriff für besaitete Tasteninstrumente, deren Saiten durch Hämmer angeschlagen und zum Klingen gebracht werden. Diese Hämmer bestehen in der Regel aus Holz und sind meist mit Filz oder Leder bespannt. Heutzutage wird die Bezeichnung „Hammerklavier“ zur deutlichen Abgrenzung historischer Instrumente von modernen Klavieren benutzt. Auch „Pianoforte“ und „Fortepiano“ bezeichnete man zunächst ein Tasteninstrument, auf dem man im Gegensatz zum Cembalo stufenlos leise (piano) und laut (forte) spielen kann. Als Erfinder des Hammerklavier (italienisch Gravicembalo col piano e forte) gilt Bartolomeo Cristofori (1655-1731), der um 1698 erste Exemplare fertigte. Für die Verbreitung in Deutschland war vor allem Gottfried Silbermann (1683-1753) bedeutend, der nicht nur einer der berühmtesten Orgelbauer seiner Zeit, sondern auch innovativ im Bau besaiteter Tasteninstrumente wie Cembalo, Clavichord und Hammerklavier war. Seine Hammermechaniken sind bis in Details hinein sehr stark von Cristoforis Entwürfen beeinflusst.
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