Paris, Théâtre de l'Athénée, LES LUNDIS MUSICAUX, IOCO
PARIS: William Shakespeare (1564-1616) lässt uns eine unendliche Musik hören: Die Musik der Freiheit in The Storm (1610/11), der Liebe in Romeo and Juliet (1597) ......
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10.02.2025 - THÉÂTRE DE L’ATHÉNÉE - L e s L u n d i s M u s i c a u x - Marie Oppert, Sopran - Benoît Urbain, Klavier & Akkordeon
von Peter Michael Peters
SHAKESPEARE UND DIE MUSIK…
Music for a while
Shall all your cares beguile.
Wond’ring how your pains were eas’d
And disdaining to be pleas’d
Till Alecto free the dead
From their eternal bands,
Till the snakes drop from her head,
And the whip from out her hands.
Music for a while
Shall all your cares beguile.
Die Arie von Henry Purcell (1659-1695) basiert auf einem sich Wiederholenden Bassmuster und ist die zweite von vier Sätzen aus seiner Schauspielmusik (Z 583) zu Ödipus, einer Version nach Sophokles (495 v. JC. - in 406 v. JC.) Stück von John Dryden (1631-1700) und Nathaniel Lee (1653-1692), die 1679 veröffentlicht wurde. Es wurde für eine Wiederaufführung des Werks im Jahr 1692 komponiert. Die Arie wird posthum im Orpheus Britannicus, Buch 2 (1702) veröffentlicht. „Come to these golden sandy beaches and then take each other’s hands…!"
William Shakespeare (1564-1616) lässt uns eine unendliche Musik hören: Die Musik der Freiheit in The Storm (1610/11), der Liebe in Romeo and Juliet (1597) und der Verwandlung in A Midsummer Night’s Dream (1592). Die französische Schauspielerin Marie Oppert, Mitglied der berühmten Comédie-Française in Paris, glänzt auch als Sängerin, widmet sich hier diesen zeitlosen Texten und ihrer Interpretation durch Komponisten von Purcell über Francis Poulenc (1899-1963) bis zu Leonard Bernstein (1918-1990). Der französische Pianist und Akkordeonist Benoît Urbain begleitet sie durch einen zauberhaften Abend im Kerzenlicht
If music be the food of love, play on…! Aus Twelfth Night (1602)…
Man muss kein Spezialist für elisabethanisches Theater sein, um zu erkennen, welch überragenden Stellenwert die Musik in Shakespeares Theater einnimmt. Seine Verse haben in allen Epochen, auch in der unseren, viele Komponisten inspiriert. Ein bescheidener Überblick über ein außergewöhnliches musikalisches Testament.
Skakespeare wurde in Stradford-upon-Avon in Warwickshire geboren, zwei Namen, deren Aussprache allein schon Musik für sich ist! Er lebte in einer entscheidenden Zeit der englischen Geschichte, einer Zeit religiöser Konflikte und sozialer Umwälzungen. In diesem expandierenden Universum, in dem sich fröhliche Bordelle und strenge Paläste, große politische Geschichte und kleine intime Melodramen vermischen, ist die Bühnenmusik vor allem das ideale metaphorische Mittel, um anzuprangern, zu unterstützen und zu veranschaulichen.
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Vergessen wir nicht, dass der Dramatiker der Erbe einer alten englischen Tradition ist: Des mittelalterlichen Theaters, in dem die Musik einen Ehrenplatz einnimmt. Im Shakespeare-Korpus finden sich nahezu zweitausend Verweise auf die Musik, sei es auf rein diskursiver Ebene – das Vokabular der Musiktheorie und des Solfeggio eignet sich wunderbar für freche und anzügliche Wortspiele – oder durch die Verwendung von Balladen oder Melodien, deren oft respektloser oder satirischer Text leicht zu merken ist, oder durch die Einführung von „Masken“ nach 1600 theatralische Transpositionen der damals sehr beliebten Hof-Maske.
Ein immer umfangreicheres Instrumentarium…
Das meiste Tonmaterial aus Shakespeares Stücken ist heute verloren. Wir kennen jedoch das verwendete Instrumentarium ziemlich genau: Verfügte der Dramatiker zu Beginn seiner Karriere nur über eine Trompete und eine Trommel die dafür zuständig waren, Schlachten darzustellen und Rückzüge anzukündigen, so konkretisierten die Musiker den musikalischen Diskurs nach und nach und jedes Instrument hatte eine ganz bestimmte Funktion: Die Bassflöte symbolisiert Trauer, die Altflöte Kindheit und Reinheit. Die Oboe ist vielseitig einsetzbar, da sie sowohl eine Ausgangssperre signalisieren als auch die Infanterie der Schlachtfelder und der Nacht symbolisieren kann. Das Kornett – damals ein direkter Konkurrent der Violine – ersetzt die Trompete, die Harfe ist das Balladeninstrument schlechthin. Schließlich sind die Laute und die Viola da Gamba, beide ausgesprochen aristokratisch, die Königsinstrumente der elisabethanischen Ära.
Die ersten, die Shakespeares Verse vertonten, waren Zeitgenossen wie Thomas Morley (1557-1602), Robert Johnson (1583-1633), John Dowland (1563-1626) und William Byrd (1540-1623), dem wir unter anderem großartige Stücke für Violen-Consort verdanken, eine emblematische Formation jener Zeit.
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Die Universalität Shakespeares und seiner Vertonung im Laufe der Zeit…
Es scheint, als hätten Musiker im Laufe der Jahrhunderte immer wieder aus Shakespeares Quelle geschöpft: Im Jahr 1692, einhundert Jahre nach der Entstehung von A Midsummer Night‘s Dream, komponierte Purcell The Fairy Queen, ein Maskenspiel, das von der Komödie des „Barden von Stratford“ inspiriert war und dem Benjamin Britten (1913-1976) 1960 die ganze drollige Poesie seines Bühnenvorbildes wieder verlieh. Romeo and Juliet und The Storm sind zweifellos die Meisterwerke, die die meisten Komponisten inspiriert haben: Nennen wir unter anderem Vincenzo Belleni (1801-1835), Piotr Ilitch Tschaikowsky (1840-1893), Charles Gounod (1818-1893), Sergei Sergejewitsch Prokofjew (1891-1953) oder Pascal Dusapin (*1955) für das erste und Purcell, Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847), Ernest Chausson (1855-1899), Jean Sibelius (1864-1957), Frank Martin (1890-1974) oder Thomas Ades (*1971) für das zweite. Giuseppe Verdi (1813-1901) wiederum vollendete drei Shakespeare-Opern: Macbeth (1847), Otello (1887) und Falstaff (1893). Zu den weitaus weniger bekannten Stücken zählen Darius Milhaud (1892-1974) und sein Julius Caesar (1937) oder Florent Schmitt (1870-1958) und Antoine et Cléopâtre (1920), bis hin zu Duke Ellington (1899-1974), der mit Such Sweet Thunder (1957) dem großen Shakespeare eine stimmungsvolle Hommage zollte.
Diese Shakespeare-Nähe ist nicht überraschend: Er nutzte die Bühne als Raum für Debatten und behandelte eine Fülle von Themen, deren erstaunliche Relevanz auch heute noch im immensen kollektiven Brennpunkt menschlicher Fragen nachhallt.
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P R O G R A M M :
Jonathan Dove (*1959): Come Unto These Yellow Sands (1998)
Henry Purcell: Music For A While (1692)
Leonard Bernstein: I Feel Pretty (1957)
Francis Poulenc: Fancy (1961)
Ivor Gurney (1890-1937): Under The Greenwood Tree (1912)
Henry Purcell: If Love’s A Sweet Passion (1692)
Leonard Bernstein: Tonight (1957)
Anonyme: O Death Rock Me Asleep
Roger Quilter (1877-1953): Heigh Ho, The Wind And The Rain (1931)
Cole Porter (1891-1964): So In Love (1948)
Roger Quilter: How Should I Your True Love Know? (1933)
Anonyme: Willow, Willow
Patrick Doyle (*1953): Sigh No More (1978)
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LES LUNDIS MUSICAUX - Liederabend im Théâtre de l’Athénée - 10. Februar 2025
Eine virtuose und reizvolle Stilübung…
Marie Oppert verfügt über mehrere Talente, die wir nur selten auf ein und derselben Bühne sehen. Sie ist Film- und Theaterschauspielerin seit 2022 ist sie auch Residentin an der Comédie-Française und außerdem Musical- und Liedsängerin. Das Format von Les Lundis Musicaux bietet ihr einen traumhaften Rahmen, alle Saiten ihres Könnens auszuspielen: Und die junge Frau trifft voll ins Schwarze…!
Der Liederabend wechselt geschickt zwischen Musik und Shakespeares Versen: Wir hören mehrmals Texte aus The Storm und natürlich Romeo and Juliet, Hamlet (1603), Twelfth Night, Richard III (1597), harsche Beleidigungen aus Henri IV (1597) und King Lear (1606) bis hin zu Pucks letztem Monolog aus A Midsummer Night‘s Dream. Das ebenfalls vielseitige Musikprogramm mit Purcell, Quilter, Porter, Bernstein, aber auch Gurney, Doyle und Dove reicht von den Liedformen, wie sie oft in den Stücken des Barden vorkommen, bis hin zu zeitgenössischeren und jazzigeren Formen. Manchmal stoßen wir auf die Grenzen der Übung, wenn die plötzlichen Stimmungswechsel nicht ausreichend begründet erscheinen und Shakespeare hinter der virtuosen Übung zurückbleibt. Zum Abschied hoffen wir, dass Oppert doch noch eine vollständige und nuancierte Interpretation einer Figur bietet, dass ihr die Comédie-Française bald eine große Shakespeare-Rolle anvertrauen wird.
Noch mehr als ihre unbestreitbaren stimmlichen Qualitäten ist es die ausgelassene Begabung und das Charisma, mit denen sie das Publikum mitreißt, die Oppert prägen. Die helle Sopranstimme hat ein sehr angenehmes, klares Timbre, es fehlt ihr vielleicht an Volumen und Nuancen sowie an einer echten Linie, um eine voll lyrische Stimme zu sein. Egal: Selbst mit ihrer lyrischen Unbeholfenheit und ihren Exzessen mit ein paar etwas zu hefigen Schluchzern am Ende von Gertruds Monolog über Ophelias Tod in Hamlet stiehlt die Schauspielerin allen die Schau. Sie wechselt nahtlos vom Gesang zur Deklamation, trägt Verse zur Musik wie Rezitative vor und baut Parlato-Texte in ihre Lieder ein, wodurch die Grenzen zwischen Schauspiel und Gesang verschwimmen, was stimmlich sehr anspruchsvoll ist. Sie würzt das Konzert mit einigen gesponnenen Klängen und zarten Melismen und greift dabei manchmal in ihrer Modulation und in einem für das Musical typischen breiten Vibrato auf amerikanische Einflüsse zurück. Sie eröffnet die Show schlicht a cappella und beendet sie mit einer echten Show, bei der sie das Publikum zum Singen bringt, als Reaktion auf ihre Gesangseinlagen. Ihre Diktion ist wunderbar, ohne die geringsten Aussetzer, ohne die Übertreibungen und Schreie, die Shakespeare oft anhaften. Die Größe des Theater-Raumes kommt ihr dabei zugute, dass sie den ganzen Abend ohne Mikrofon singt, auch wenn sie manchmal von Urbains Akkordeon ein wenig überdeckt wird. Die lyrischsten Seiten entgleiten ihr manchmal ein wenig, insbesondere die Rolle der Maria scheint ihr stimmlich ein wenig zu viel zuzumuten und wir bemerken auch einen charmanten französischen Akzent, den sie den ganzen Abend über beibehält. Doch diese wenigen Vorbehalte dürfen nicht täuschen: Oppert bot an diesem Abend einen bemerkenswerten und vor allem vielversprechenden Liederabend. Die Songs O Death Rock Me Asleep und Willow, Willow sowie So In Love von Porter sind Höhepunkte und auch große Genuss-Momente, die ihr lauten Applaus einbrachten. Und dass mit Recht! Brava!
Urbain begleitet den Abend mit dem Akkordeon und dem Klavier und versucht sich sogar auf humorvolle Weise im Deklamieren einiger Verse. Besonders schätzen wir ihn am Akkordeon, wenn er sich als Ein-Mann-Orchester mit seiner Partnerin unterhält und seine Szenen mit einigen Soundeffekten auf bewertet. (PMP/17.02.2025)