Paris, Théâtre de l‘Athénée, George Dandin oder der verwirrte Ehemann - Molière, IOCO Kritik, 16.05.2022

Paris, Théâtre de l‘Athénée, George Dandin oder der verwirrte Ehemann - Molière, IOCO Kritik, 16.05.2022
Théâtre de l'Athénée, Paris © Wikimedia Commons
Théâtre de l'Athénée, Paris © Wikimedia Commons

Théâtre de l'Athénée

George Dandin oder der verwirrte Ehemann - George Dandin ou le mari confondu

- Ballett-Komödie von Jean-Baptiste Molière (1668) - Musik Jean-Baptiste Lully -

von Peter Michael Peters

Von der Posse zur Tragödie…

„L’art du clown va bien au-delà de ce qu’on pense. Il n’est ni tragique ni comique. Il est le miroir comique de la tragédie, et le miroir tragique de la comédie. La grande farce de Molière est l’excès de la comédie. » (André Suarès / 1868-1948)

Im Auftrag von Louis XIV (1638-1715) entstand George Dandin ou le mari confondu (George Dandin oder der verwirrte Ehemann) und wurde 1668 im Heckentheater des Kleinen Park in Versailles uraufführt. Für diese in Prosa geschriebene Komödie, die in einem von Jean-Baptiste Lully (1632-1687) komponierten Hirtengedicht spielt, lässt sich Jean-Baptiste Molière (1622-1673) von einer Fabel aus dem Mittelalter inspirieren: „Ein Bauer, der die Tochter eines adligen Herrn heiratet“ ist eine groteske Situation, weil sie völlig unglaubwürdig für diese Epoche ist, mit der Molière nur den Königlichen Hof unterhalten konnte. Im selben Jahr im Palais-Royal ohne die Musik wieder aufgenommen, erzielte das Stück nicht den gleichen Erfolg. Das Fehlen von lustigen Witzen bringt den tragischen Charakter der Figur zum Vorschein und das Werk verliert gleichzeitig den Kontrast, das es charakterisiert.

Von der großen königlichen Unterhaltung bis zur Beerdigung der Republik

Jean Baptiste Molière - hier als Schauspieler / Gemälde von Nicolas Mignard (1606 - !668) © Wikimedia Commons
Jean Baptiste Molière - hier als Schauspieler / Gemälde von Nicolas Mignard (1606 - !668) © Wikimedia Commons

Hinter Molières Posse, inspiriert von einer mittelalterlichen Erzählung, verbirgt sich die Darstellung einer Gesellschaft im Wandel. Mit George Dandin stellt Molière Klassengegensätze dar, die ein Jahrhundert später den revolutionären Bewegungen von 1789-1793 zugrunde liegen werden. 1668 half Molière König Louis XIV bei der Abrechnung mit einem Teil des Schwertadels, der zunehmend seine Vorrechte auf finanzielle Machtbefugnisse verlor und sich gezwungen sah, sich mit dem reichen Handels-Bürgertum anzuschließen.

Wir spüren hinter dem Gelächter, hinter der Posse des betrogenen und gedemütigten Ehemanns, dass eine Gesellschaftsordnung bröckelt und eine neue Welt in Bewegung ist. Diese Versammlung, dieser Kampf der sozialen Klassen wird bis zum Ende der zweiten Republik andauern. Deshalb ist diese Geschichte von George Dandin auch sehr lange in Frankreich aktuell und das bis in die Jahre 1850 und auch weiter bis in unsere Zeit. Als Beispiel können wir das Gemälde Un enterrement à Ornans (1849/1850 Eine Beerdigung in Ornans) von Gustave Courbet (1819-1877) nennen – eine „Realistische Allegorie“ auf das Ende der Republik.

Durch eine eventuelle Verortung der Handlung in die Zeit von Kaiser Napoléon III (1808-1873) findet eine Distanzierung und gleichzeitig eine Perspektive auf das Stück statt: Denn auch heute noch begraben wir unsere Illusionen!

Michel Fau in 'George Dandin oder der verwirrte Ehemann' - Ballett-Komödie von Molière youtube Athénée Théâtre Louis-Jouvet [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Ein überaus menschliches Charakterbild

George Dandin ist ein grausamer und erbärmlicher Schwank. Er war Anfangs der Mittelpunkt eines großen Schäferspiels, das Louis XIV bei Molière und Lully in Auftrag gegeben hatte. Wir sehen Personen hin- und hergerissen zwischen einer Welt, die von Lullys komponiertem Hirtengedicht idealisiert wurde und dem Theaterstück von Molière, wo es um arrangierte Ehe, um Begehren und werdender Liebe, um soziale Reife und möglichst viele Gelegenheiten zum Lachen (oder Weinen) geht, und das alles am Verhalten ihrer Zeitgenossen!

Heute stehen wir vor dem Gegensatz zwischen dem Traum einer Gesellschaft, die unseren Wünschen entspricht und der Realität einer Welt, wie sie ist und mit der wir uns abfinden müssen. Unter diesem Gesichtspunkt erschien es uns auch hier interessant, das Stück von Molière in einen historischen Kontext des 19. Jahrhunderts zu sehen, das sowohl von der Erfindung von Utopien, idealisierten Welten als auch von einer erbitterten politischen und sozialen Realität geprägt war. Traum und Realität haben sich nicht geändert!

Eine Offenheit für die Natur

George Dandin befindet sich innerhalb einer Dorfgemeinschaft. In Un enterrement à Ornans versammelt sie sich um ein Grab und wie in den meisten Gemälden von Courbet ist die Natur sehr präsent. Dasselbe gilt für George Dandin. Die Natur ist dort das Fundament, wie es auch die Basis der Sehnsucht und ein Schock der Kulturen ist: An „diesem Ort“ zu leben und Clitandre ankommen zu sehen, das kann für Angélique nur beeindruckend sein! Die Natur muss da sein, in all ihrer natürlichen Gewalt… Sie müssen sich vom nahen Grün umgeben fühlen, die Bäume erraten, den Schlamm auf dem Boden spüren. Der Ort muss sich verändern, verspielt sein, er muss sich öffnen und schließen können.

Weder Gewinner noch Verlierer

Es gibt eine tiefe Menschlichkeit in George Dandin. Historisch gesehen sind wir von der Posse zur dramatischen Komödie übergegangen. Wir denken, dass wir viel Empathie für jeden der Charaktere haben müssen. Sicherlich kann man Dandin dafür verurteilen, Angélique nur gesellschaftlich besitzen zu wollen. Aber er wird grausam manipuliert und wir sind bewegt von dem wahren Albtraum, den er durchlebt. Angélique will ihrerseits nicht die Gesellschaft verändern, sondern ihre Jugend leben und sich frei an dem erfreuen, was ihr das Leben bietet. Um ihre Wut und dieses Unrecht das sie erleidet auszudrücken, zeigt Angélique schreckliche Grausamkeit gegenüber Dandin und wir können sie nur verstehen. Dasselbe gilt auch für die anderen Charaktere: Dass wir sie alle verstehen! Wichtig erscheint uns, dass die Rollen von Angélique, Claudine, Clitandre und Lubin von jungen Schauspielern interpretiert werden, dass wir die Vitalität der Jugend im Gegensatz zu einer alten Welt sehen, die der Sotenville und Dandin. Da ist noch die Rolle von Colin, dem alten Diener, der immer der Familie Sotenville gedient hat. Er ist ein wenig wie Firs im Kirschgarten (1904) von Anton Tschechow (1860-1904), Zeuge der großen Umwälzungen, die das Haus und die Gesellschaft erschütterten. In der Tat ist es reiner Zufall, dass diese drei Generationen auf der Bühne erscheinen und dass die sich ändernden Sitten, Hoffnungen und Ambitionen der Gesellschaft durch sie manifestiert werden können. Morgen werden andere junge Menschen neue Ideen, andere Formen des Zusammenlebens einbringen. Es ist eine ewige Lebenserneuerung!

Paris, Théâtre de l‘Athénée, George Dandin oder der verwirrte Ehemann © Marcel Hartmann
Paris, Théâtre de l‘Athénée, George Dandin oder der verwirrte Ehemann © Marcel Hartmann

Eine barocke und albtraumhafte Ästhetik…

Molière sagt uns hier, dass die Ehe ein Geschäft ist, bei dem die Liebe keine Rolle spielt – da Dandin mit der Heirat der Angélique de Sotenville einen Titel gegen sein Vermögen eingetauscht hat – und doch beharrt der Bräutigam darauf, die Liebe und Treue seiner Frau zu beanspruchen. Dandin vertritt das vom ruinierten Adel, aber auch von dessen grotesken Dienern und vor allem von ihm selbst belächelte Handelsbürgertum! Weil er weiß, dass er für die Situation selbst verantwortlich ist, so ist er auch sein eigener Feind… Während des gesamten Stück quält er sich in einer langen tragischen Klage an, die die Zuschauer zum Lachen bringen muss.

Der Zuschauer kommt, um zu sehen wie ein eifersüchtiger und betrogener Ehemann gedemütigt wird! Die Situation des geschmähten Mannes wiederholt sich dreimal wie eine wiederkehrende Tortur und die raffinierten Verse von Molière für die musikalischen Zwischenspiele geschrieben, verlängern diesen Schwindel nur: Sie sind keine Illustration der Posse, sondern ihr Kontrapunkt! Wenn die Komödie von Untreue spricht, sagt das Hirtenspiel Treue. Wenn sich der eine über den Provinzadel lustig macht, idealisiert der andere den durch Hirten vertretenen Hofadel. Diese musikalischen Unterhaltungen beginnen immer damit Dandin anzusprechen, der von seiner selbstsüchtigen Verzweiflung so geblendet ist, um daraus zu lernen… Der gemeinsame Punkt des Stücks und seiner Zwischenmusiken ist, dass Angélique und Dandin, sowie die Hirten mit Selbstmord drohen. Die Zwischenspiele verändern das Ende der Handlung insgesamt, denn anstatt zu ertrinken, zieht es Dandin vor, seine Sorgen während des Finales zu Ehren von Bacchus in Alkohol zu ertränken.

Auch wenn das Stück unmoralisch bleibt, weil das Böse triumphiert, sagt es doch vor allem, dass man alles kaufen kann, außer Liebe: Da bleibt es zeitlos! Um diese gleichzeitig schmerzhafte, burleske und obsessive Fabel in den Abgrund zu stürzen, werden wir uns dafür entscheiden: Eine barocke und albtraumhafte Ästhetik anzunehmen…

Hommage à Molière 2022 – 400. Geburtstag!

Jean-Baptiste Molière - La Fontaine in Pere Lachaise © IOCO
Jean-Baptiste Molière - La Fontaine in Père Lachaise © IOCO

In diesem Jahr feiern wir in der ganzen Welt einen der berühmtesten Söhne Frankreichs, den großen Geist und das Genie von Jean-Baptiste Poquelin Molière: Schauspieler, Dichter, Dramaturg und Theaterdirektor. Er wurde am 15. Januar 1622 in Paris (Rue Saint-Honoré) geboren und starb wenige Stunden nach der vierten Aufführung, indem er selbst die Titelrolle spielte, in seinem letzten Theaterstück Le malade imaginaire (Der eingebildete Kranke) am 17. Februar 1673 in Paris (rue de Richelieu) im Alter von 51 Jahren an einer entzündeten Brustschwellung.

Aus einer Pariser Kaufmannsfamilie stammend, schloss er sich im Alter von 21 Jahren mit einem Dutzend Kameraden, darunter die spätere Starschauspielerin Madeleine Béjart (1618-1672), der Truppe des Illustre Théâtre an, das sich trotz der Mitwirkung renommierter Dramatiker in Paris nicht durchzusetzen vermochte. So wurde er Ostern 1646 in die prestigeträchtigste der Wandertruppen aufgenommen, die vom Duc d’Épernon (1592-1661), dem Gouverneur von Guyenne unterstützt wird. Molière und seine Freunde, die Schauspielerfamilie Béjart, werden zwölf Jahre lang (1646/1658) die südlichen Provinzen des Königsreichs bereisen und die Truppe wird von mehreren aufeinanderfolgenden Beschützern unterhalten. In dieser Zeit schrieb Molière einige Possen oder kleine Komödien und seine ersten beiden großen Komödien.

Als er 1658 nach Paris zurückkehrte, wurde er an die Spitze seiner Truppe schnell zum Lieblingsschauspieler und Autor des jungen König Louis XIV und seines Hofes, für die er zahlreiche große Ballett-Komödien in Zusammenarbeit mit den besten Bühnenarchitekten, Choreografen, Künstlern und Musikern seiner Zeit kreierte.

Als großer Schöpfer dramatischer Formen, Interpret der Hauptrollen der meisten seiner Stücke, hat Molière die verschiedenen Mittel der Komödie – verbal, gestisch und visuell in allen Situationen – voll ausgeschöpft und alle Genres der Komödie praktiziert: Von der Posse bis zur Komödie. Er schuf individualisierte Charaktere mit komplexer Psychologie, die schnell zu Archetypen wurden. Als hellsichtiger und scharfsinniger Beobachter malte er zur Freude seines Publikums bei Hofe und in der Stadt die Sitten und Verhaltensweisen seiner Mitmenschen, wobei er nicht die Geistlichen und die hohen Würdenträger der Monarchie verschonte. Weit davon entfernt, sich auf harmlose Unterhaltung zu beschränken, stellen seine großen Komödien etablierte Prinzipien der gesellschaftlichen Ordnung in Frage, erregen widerhallende Polemik und die anhaltende Feindseligkeit frommer Kreise.

Das Werk von Molière, etwa dreißig Komödien in Versen oder in Prosa, mit oder ohne Ballett- und Musikeinlagen, bildet eine der Säulen der literarischen Bildung in Frankreich. Sie sind weiterhin ein großer Erfolg in Frankreich und in der ganzen Welt und bleiben eine der Referenzen der universellen Weltliteratur. Sein ereignisreiches Leben und seine starke Persönlichkeit haben Dramatiker und Filmemacher inspiriert. Als Zeichen des emblematischen Platzes, den er in der französischen und frankophonen Kultur einnimmt, wird Französisch allgemein mit der Umschreibung „die Sprache von Molière“ bezeichnet.

Paris, Théâtre de l‘Athénée, George Dandin oder der verwirrte Ehemann © Marcel Hartmann
Paris, Théâtre de l‘Athénée, George Dandin oder der verwirrte Ehemann © Marcel Hartmann

Lullys Aufstieg und die Entstehung der Ballett-Komödie

1632 in Florenz geboren, kam er 1646 nach Paris, um in den Dienst der Grande Mademoiselle, der Kusine des Königs, zu treten. Bei der er sieben Jahre blieb: Im Ballet royal de la nuit (1653) als Tänzer erstmals offiziell auftrat und nebenbei als Komponist einiger „Entrées“. Tatsächlich war seine erste Karriere die eines Tänzers – im Allgemeinen im Bereich der Narrenspiele - eines Geigers und eines Ballettkomponisten. Ganz Italiener, der er war, greift er in das Lieblingsgenre der Franzosen ein. Seine choreografische Kunst scheint von der commedia dell’arte inspiriert zu sein, aber er praktiziert sie innerhalb des Hofballetts (Ballet de l’amour malade, 1657; Ballet d’Alcidiane, 1658; Ballet de la raillerie, 1659).

Sehr schnell assimilierte er die Merkmale des französischen Stils. Nachdem er nicht ohne Humor den Dialogue de la musique française et de la musique italienne komponiert hatte, das an die Stelle des Ballet de la raillerie trat, konzipierte er immer umfangreichere Ballette und fügte ihnen gesungene Stücke ein, deren Autor er ist (Ballet des saisons, 1661; Ballet des amours déguisés, 1664; Ballet de la naissance de Vénus, 1665; Ballet des Muses, 1666; Ballet de Flore, 1669).

1664 befahl Louis XIV, das Lully und Molière zusammen arbeiten sollen: Es ist ein entscheidender Moment, der das gemischte Genre Ballett-Komödie hervorbringen wird (Le Mariage forcé et La Princesse d’Élide, 1664; L’Amour médecin, 1665; La Pastorale comique, 1667; George Dandin, 1668; Monsieur de Pourceaugnac, 1669). Anzumerken ist dass Le Sicilien ou l’Amour peintre (1667) von Molière und Lully als Teil eines Hofballetts gedacht war, das Ballet des Muses. Eine unwiderstehliche Allianz aus Sprech-, Gesangs und Tanztheater schritt daher unmerklich voran. Diese Bewegung wird in Les Amants magnifiques (1670) kulminieren, einem Werk das zu einem vom König diktierten Thema geschrieben wurde und den Anspruch erhebt, alle erdenklichen Formen der Unterhaltung zu bieten.

Jedoch der absolute Höhepunkt in der Zusammenarbeit von den „deux Baptiste“, wie Mme Marie de Sévigné (1626-1696) Molière und Lully nannte, war die Uraufführung von Le Bourgeois gentilhomme (1670). Dieses Werk stellt ein außergewöhnliches Phänomen in der Geschichte des Theaters dar, durch die Allianz zweier komplementärer komischer Genies, die sich gegenseitig halfen und beeinflussten, beide leidenschaftliche Liebhaber für italienische Komödien und in der Lage auf der Bühne diese zu spielen: Molière war M. Jourdan, gegenüber Lully als Großmufti.

George Dandin ou le mari confondu - 7. Mai 2022 - Théâtre de l‘Athénée

Der bekannte französische Regisseur und Schauspieler Michel Fau bietet eine farbenfrohe und schonungslose Vision des Stücks von Molière und Lully. Er spielt selbst die Titelrolle in einer äußerst brillanten Form, umgeben von einem exzellenten jungen Schauspielerteam (Alka Balbir: Angélique, Armel Cazedepats: Clitandre, Philippe Girard: Monsieur de Sotenville, Florent Hu: Lubin, Anne-Guersande Ledoux: Madame de Sottenville und Nathalie Savary: Claudine) und dem erstklassigen Ensemble Marguerite Louise unter der Leitung des sehr talentierten französischen Dirigenten und Cembalisten Gaétan Jarry mit acht Musikern: Liv Heym, Emmanuel Resche-Caserta, Geige; Sandrine Dupé, 2. Geige; Patrick Oliva, Maialen Loth, Bratsche; Ondine Lacorne-Herbrard, Gambe, Évolène Kiener, Fagott; Marco Horvat, Theorbe. Die an der Opéra Royal de Versailles kreierte Produktion ist bis Ende Mai in Paris, im Théâtre de l’Athénée und dann in Avignon und Pau zu sehen.

Die farbenfrohen Kostüme des berühmten französischen Modeschöpfer Christian Lacroix träumen vom 17. Jahrhundert und das Bühnenbild von dem Franzosen Emmanuel Charles haben offensichtliche Konditor-Ambitionen. Das von Pflanzen und Lianen eingepackte und umschlungene Haus des Dandin im Stil des „Zurück zur Natur“ sah eher wie eine reife schmackhafte große Buttercremetorte aus. Guten Appetit! Die Farbe ist festlich, aber das Herz ist nicht dabei! Fau, der die Titelrolle übernimmt und die Inszenierung signiert, hat die Ambivalenz dieses bissigen Stücks von Molière, verschönert mit musikalischen Allüren von Lully, perfekt erfasst und bietet eine barocke und albtraumhafte Ästhetik. Barock, sowohl als Vorweis auf die Vergangenheit, inklusive Gestik  skurril und fremdartig, wie das Auftreten von verstörten Clowns. Hinter der Posse, diese ewige Geschichte eines Blaubarts, der von seiner jungen Frau getäuscht wird, liest sich die heftige soziale Beobachtung und die unüberwindliche Hierarchie der Klassen. Der Abstieg in die Hölle von George Dandin, der hofft Zugang zur Großen Gesellschaft zu erhalten, indem er sein Vermögen nutzt, um Angélique, die Tochter der Sotenville, einem verarmten mittellosen Adelspaar, zu heiraten.

Wie in den Opern dieser Zeit sprechen Adlige und Diener nicht die gleiche Sprache und die Aufführung versucht nicht, diese Unterschiede abzuschwächen. Auch Lubin (unwiderstehlich Florent Hu), der raue Bauer, der Clitandre hilft Angélique zu umwerben, scheint direkt aus der commedia dell’arte zu kommen. Auch Claudine (tadellose Nathalie Savary), die Dienerin der jungen Braut, spart nicht an komischen Effekten und unterstützt die Handlung ausreichend. Die Hauptdekoration, eine von holzigen Fadennudeln umgebene turmartige Tür, wird geschickt eingesetzt, damit die Sotenville ihren Schwiegersohn von oben betrachten und verspotten können. Sowohl in der Aussprache als auch in der Karikatur zeigen sich Philippe Girard und Anne-Guersande Ledoux vorbildlich.

Der George Dandin von Michel Fau – dem verwirrten Ehemann, der durch den vollständigen Titel von Molière angekündigt wird – bleibt aus gutem Grund schwer fassbar. Der Schauspieler-Regisseur verkörpert ihn mit verstörender Intensität. Der häusliche Tyrann, denunziert in langen Tiraden von erstaunlicher Aktualität und interpretiert mit einem derartigen ehrgeizigen Unglück den Gegenstand seines ständigen Spottes.

Darin liegt die ganze Duplizität dieses Meisterwerks, das vor, nach und zwischen den Akten Musik einfügt und andere Charaktere, in diesem Fall Hirten und sie in eine unbeschwerte Atmosphäre wiegt. Auch wenn bei anderen Ballett-Komödien (Molière und Lully werden davon ein gutes Dutzend schreiben), die Nähte zwischen Theater und musikalischen Zwischenspielen manchmal grob erscheinen, vereinen sie hier zwei Welten. Der Schlusschor bekräftigt somit „Qu’il n’est rien de plus doux que Bacchus et l’Amour und es ist eine glückliche Alternative zu Dandins Plan „s’aller jeter dans l’eau la tête la première“. Lassen aber den Zuschauer mit einem Fragezeichen zurück! Lully mit seiner kammermusikalischen Komposition profitiert von dem exzellenten Ensemble Marguerite Louise, das leider aus Platzgründen in den Hintergrund der Bühne verbannt wurde und einem ausgezeichneten Sängerquartett (Cécile Achille, Juliette Perret, Soprane; David Ghilardi, Tenor und Virgile Ancely, Bariton) mit variabler Projektion und Verständlichkeit. Dasselbe Team hat gerade die Musik von George Dandin für das Plattenlabel Château de Versailles Spectacles als Teil eines verlockenden Molière-Zyklus aufgenommen.  (PMP/14.05.2022)

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