Paris, Théâtre de l'Athénée, GABRIEL FAURÉ - Sternstunden französischer Melodie…, IOCO Kritik, 24.12.2022
GABRIEL FAURÉ - Sternstunden der französischen Melodie…
- Marc Mauillon, Baritenor - Anne Le Bozec, Klavier -
von Peter Michael Peters
GABRIEL FAURÉ UND SEINE DICHTER…
Clair de lune
- Votre âme est un paysage choisi
- Que vont charmant masques et
- bergamasques
- Jouant du luth et dansant et quasi
- Tristes sous leurs déguisements fantasques. Paul Verlaine (Auszug)
Von der Romanze zur Melodie
Als sich Gabriel Fauré (1845-1924) in den frühen 1860er Jahren der Komposition von Melodien mit Klavier näherte, war die Gattung in Frankreich eher durch Werke mit Romanzen vertreten, die fast naturgemäß mit dem Musikleben der Salons verbunden waren. Auch wenn die von dem Komponisten gewählten Dichter oft sehr großartig sind, insbesondere Victor Hugo (1802-1885), folgt die Art der Vertonung einem wirkungsvollen, aber relativ ungewagten und sittsamen Modell: Folge regelmäßiger Strophen, musikalisches Thema im Allgemeinen leicht erkennbar (Strophen, Refrains, Wiederkehr eines wohldefinierten Hauptthemas, relativ einheitliche Begleitung für dieselbe Melodie, usw.). Der einzige Komponist vor Fauré, der ein viel breiteres Feld eröffnete, ist Hector Berlioz (1803-1869) mit Les Nuits d’été (1842) nach Gedichten von Théophile Gautier (1811-1872). Aber er hatte keine unmittelbaren musikalischen Erben…
Insgesamt offenbart Faurés melodisches Werk eine allmähliche, aber letztlich starke radikale Infragestaltung der Konventionen der Salonmusik. Das Programm dieses Abends bietet eine gute Synthese, da es über vierzig Jahre die Produktion des Komponisten abdeckt, von der extremen Jugend (Le Papillon et la Fleur, Op. 1/1 (1861) bis Ende der 1890er Jahre und durchläuft den ersten großen Zyklus von Paul Verlaine (1844-1896) (z.B. Cinq Mélodies de Venise, Op. 58 (1891). Die letzte Periode , die der großen kunstvollen Zyklen, werden hier nicht interpretiert (La chanson d’Eve, Op. 95 (1904); Mirages, Op. 113 (1919); l’Horizon chimérique, Op.118 (1921).
Wie die anderen musikalischen Gattungen, in denen Fauré sich auszeichnete, spiegeln alle Melodien ganz natürlich die Entwicklung seines Stils wider. Natürlich zeigen seine Melodien auch die unterschiedlichen ästhetischen Strömungen, die das poetische Schaffen seiner Zeit belebten und mit ihm auch seine eigenen Affinitäten und Vorbehalte:
„Die Form ist sehr wichtig, aber die Substanz ist noch wichtiger! Reine parnassische Poesie habe ich zum Beispiel nie vertonen können, weil ihre elegante, hübsche, klangvolle Form ganz im Wort enthalten ist: Somit hat auch das Wort keine eigentlichen Gedanken zu verbergen. Ich habe es auch nie richtig geschafft, Hugo in Musik zu setzen und selten auch De Lisle, weil ihre Strophen zu voll, zu reich, zu vollständig sind, als dass die Musik noch sinnvoll an sie angepasst werden könnte. Die Epitheta sind zahlreich und wenn die Musik sie vertont, nehmen die Epitheta ein enormes Ausmaß an (…). Es wäre falsch zu glauben, die poetische Form sei gleichgültig! Die musikalische Form rundet es glücklich ab, das ist alles! Der Essay besteht darin, seinen Dichter zu verstehen, ihn zu fühlen. Aber man sollte niemals eine mittelmäßige Dichtung angreifen, denn es braucht nur ein Wort zu viel, ein Adjektiv an der falschen Stelle um die schönste Seite hinken zu lassen. Während eine rhythmische Prosa, wenn sie flüssig und harmonisch ist, für immer als Thema dienen kann“
Diese für alle Melodie- und Lied-Komponisten wesentliche Frage nach der Notwendigkeit oder Unnötigkeit der Vertonung von Gedichten mittelmäßiger Qualität bleibt mit Fauré offen. Wir sehen zum Beispiel, dass bestimmte relativ konventionelle Gedichte in ihrem Stil, aber jedoch von konstanter „Fließfähigkeit“, einige seiner schönsten Kompositionen inspirieren werden ( Au bord de l’eau, Op. 8/1 (1875) nach einem Gedicht von Prudhomme). Das Programm des Abends gibt einen guten Eindruck von Faurés Stil und seinen verschiedenen Facetten. So könnten wir neben den beiden Melodien aus der Jugendzeit Le Papillon et la Fleur, Op. 1/1 (1861), dem allerersten Beitrag dieses sechzehnjährigen Komponisten zu diesem Genre und auch desgleichen Mai, Op.1/2 (1862) diejenigen zusammenfassen, die vom Stil des Robert Schumann (1810-1856) inspiriert sind: Toujours, Op.21/5 (1878), das Duett Puisqu’ici bas toute âme, Op.10/1 (1862), Automne, Op. 18/3 (1878) und die mit dem Geist des deutschen romantischen Liedes im Allgemeinen in Verbindung gebracht werden können, das gilt auch für Fleur jetée, Op. 39/2 (1884).
Einige sind ganz offensichtlich „Harmonisten-Melodien“, mit ihren ruhigen Klavierakkorden, ihrer allgemeinen Nüchternheit, ihrem nachdenklichen Charakter, als ob sich die ganze Intensität der Komposition in der reinen Harmonisierung konzentriert: Le parfum impérissable, Op. 76/1 (1897) und Le Secret, Op.23/3 (1880). Andere offenbaren einen Manierismus, der ziemlich repräsentativ für eine „ Jahrhundertsende“- Atmosphäre ist: Dies ist der Fall von Soir, 83/2 (1894). Andere schließlich präsentieren einen ausgewogenen Rahmen, eine Art von ruhiger Trance: Après un rêve, Op. 7/1 (1878). Die drei Melodien von Cinq Mélodies de Venise, Op. 58 (1891) die in diesem Konzert präsentiert werden (En sourdine, Mandoline, C’est l‘extase ), offenbaren, jedes auf seine Art, einen Traum von Italien fein entrollte pizzicato auf dem Klavier für Mandoline, Barkarolen-Effekt für En sourdine, usw.
Aber es ist mit La Bonne Chanson, Op. 61 (1892/94) dass Fauré die Poesie von Verlaine am subtilsten erforscht. Er behält nur neun der einundzwanzig Gedichte bei, die von dem Dichter unter demselben Titel gruppiert wurden und organisiert sie als eine Art Liebesgeschichte, ähnlich wie der Zyklus Frauenliebe und Leben, Op. 42 (1830) oder auch Dichterliebe, Op. 48 (1840) von Schumann. Wir haben uns bereits in Cinq Mélodies de Venise in einer gewissen thematischen Einheit befunden, die sich noch verstärkt zeigt, in den fünf Themen, die sich tatsächlich kreuzen in La Bonne Chanson etwa wie ein Leitmotiv. Was den dramatischen und „verliebten“ Verlauf betrifft wird er wie folgt dargestellt: Une sainte en son auréole, Op. 61/1 erscheint wie ein Porträt der Geliebten mit einem seltsam modalen und medialen Charakter. Pusque l’aube grandit, Op. 61/2, mit seinem erhabenen Lyrismus erinnert es stark an die Kunst von Schumann, sowohl auf der pianistischen Ebene als auch in den jubelnden Wirbeln der Stimme. Et la lune blanche luit dans le bois, Op. 61/3 ist eine geschmeidige und friedliche Beschwörung der nächtlichen Ruhe und des Geheimnis der Gefühle. J’allais par des chemins perfides, Op. 61/4 belebt das romantische Szenario mit einer harmonischen Unruhe, die in ihren harmonischen Rauheiten und der Linienführung ein wenig an die Musik von Hugo Wolf (1860-1903) erinnert. J’ai presque peur en vérité, Op.61/5 vollendet mit seinen atemlosen Rückschlägen am Klavier und seiner triumphalen Entschlossenheit in der Schlussbetonung den Übergang von der zaghaften Rührung zur Liebeserklärung. Avant que tu ne t’en ailles, Op. 61/6 ist im radikalen Gegensatz zur vorliegenden Melodie, es ist ein echter Sprung ins Innere. Die drei Schlussmelodien erscheinen als neues musikalisches Licht: Perlendes Klavier wie bei Maurice Ravel (1875-1937) und sehr ziselierte Schreibweise, die gleichzeitig einen Eindruck von südlicher Klarheit (mit all der schillernden Weite, die dies impliziert) und einer Welt geheimer Gärten und dezenten Farben, symbolisch für die Kunst von Fauré in ihrer reichsten Paradoxie.
„Ich habe nie so etwas spontanes geschrieben wie La Bonne Chanson. Ich muss dann aber auch hinzufügen, dass mir eine mindestens ebenso spontane Verständnisfähigkeit derjenigen geholfen hat, die die bewegendste Interpretin meines Zyklus geblieben ist: Emma Bardac (1862-1934). Das Vergnügen, diese kleinen Seiten lebendig zu fühlen und auch lebendig werden zu sehen, wenn ich sie nach und nach zu ihr brachte, das habe ich nie wieder erlebt“.
Dieser Charakter des reichen vollen Überflusses, den der Zyklus einnimmt, erklärt vielleicht die verschiedenen Orchestrationen-Versuche des Werks. Darunter von Maurice Le Boucher (1882-1964), einer seiner Schüler, der im Jahre 1933 nach dem Tode des Komponisten eine Orchester-Version vorstellte. Aber es ist Fauré selbst, der zu Lebzeiten eine Version für Streichquintett und Klavier als Begleitung für die Singstimme komponierte. Aber es scheint jedoch, dass er immer die Originalversion für Singstimme und Klavier bevorzugt hatte. Information: Der Zyklus La Bonne Chanson wird an diesem Abend nicht interpretiert, aber für das bessere Verständnis der Melodie-Interpretation von Fauré haben wir bewusst diese äußerst wichtige Komposition in unsere kurze Werk-Analyse integriert.
Die letzten Jahre in stiller Einsamkeit…
Ab 1903 war Fauré von ersten Taubheits- Symptomen betroffen, die sich verschlimmerten. Wie bei einem Ludwig van Beethoven (1770-1827) sind die Werke seines letzten Lebensabschnitts mit ihrer Strenge, ihrer ganz verinnerlichten Lyrik vielleicht geprägt von dieser für einen Musiker so unerhört schrecklichen Taubheitsprobe und dem Versuch, noch weiter und tiefer zu suchen: Inspiration und Ausdruck! Wir überlassen dem Musikwissenschaftler Jean-Michel Nectoux (*1946), dem großen Exegeten der Musik von Fauré das Wort, um dieses reiche musikalische Universum zu definieren: „Die Flexibilität, die Schönheit der melodischen Inspiration, das Funkeln der Harmonien erklären zum Teil die Faszination, die von der Musik des Komponisten Fauré ausgeht. Oft unerwartet entwickeln sich seine Phrasen geheimnisvoll, scheinen sich in Nachbartönen zu verlieren, um uns sicherer zur Tonalität zurückzubringen, diese äußerst subtilen Spiele haben jedoch nichts Esoterisches. Faurés Musik ist nicht spekulativ, ein Systemgeist sucht man vergebens. Es pocht, schreit, singt oder murmelt, es ist vor allem lebendig. Sein Eifer ist nicht faktisch, er lässt uns die Pausen langsamer Sätze wie weite Strecken der Stille schmecken. Fauré liegt Henri Matisse (1869-1954) genau nahe wie Johannes Vermeer (1632-1675)! Seine Kunst besteht aus Erhabenheit und Raffinesse wie die von Marcel Proust (1871-1922), der sich von dieser Musik „betrank“ wie er eines Tages an Fauré schrieb. Proust und Fauré gehören beide zur „Art Nouveau“! Ihre langen, verschlungenen und gewundenen Sätze, die Konstanz der floralen Motive sind in der Tat Kunst des „Fin de Siècle“.
Paul Dukas (1865-1935) vervollständigt schließlich dieses Porträt: „Diejenigen, die das Glück hatten, in der Intimität von Fauré zu leben, wissen wie getreu seine Kunst sein Wesen widerspiegelte. So sehr, dass seine Musik ihnen manchmal wie die harmonische Verklärung des exquisiten Charmes seiner Person erschien. Andere strebten und arbeiteten daran, über sich hinauszuwachsen oder wenn sie mit einem Dichter zusammenarbeiteten, ihn zu übertreffen. Fauré bringt ohne Zwang zu seiner inneren Harmonie, mit einer einzigartigen Anmut jeden Eindruck von außen wieder zurück. Gedichte, Landschaften, Empfindungen, die dem Blitz des Augenblicks oder der flüchtigen Flut von Erinnerungen entspringen, aus welcher Quelle sie sich auch immer verbreiten, seine Musik übersetzt vor allem ihn selbst trotz der vielen verschiedenen Moden in eine bewundernswerte Sensibilität.
Fauré bringt die Dichter zum Singen…
VICTOR HUGO (1802-1885): 1.) Le Papillon et la Fleur, Op. 1/1 (1861). * 2.) Rêve d’amour, Op. 5/2 (1862). CHARLES BAUDELAIRE (1821-1867): 3.) Chant d’Automne, Op. 5/1 (1871/72). THÉOPHILE GAUTIER (1811-1872): 4.) La Chanson du Pêcheur (Lamento), Op. 4/1 (1887). * 5.) Tristesse, Op. 6/2 (1876). LOUIS POMEY (1831-1991): 6.) Aubade, Op. 6/1 (1887). MARC MONNIER (1827-1885): 7.) Barcarolle, Op. 7/3 (1875). SULLY PRUDHOMME (1839-1907): 8.) Au bord de l’eau, Op. 8/1 (1875). * 9.) Les Berceaux, Op. 23/1 (1881). ROMAINE BUSSINE (1850-1899): 10.) Après un rêve, Op. 7/1 (1878). * 11.) Sérénade toscane, Op. 3/2 (1878). PAUL DE CHOUDENS (1850-1925): 12.) Sylvie, Op. 6/3 (1879). ARMAND SILVESTRE (1837-1901): 13.) Notre amour, Op. 23/2 (1879). * 14.) Aurore, Op. 39/1 (1884). * 15.) Le Secret, Op. 23/3 (1882). LECONTE DE LISLE (1818-1894) : 16.) Les Roses d’Ispahan, Op. 39/4 (1884). * 17.) La Rose, Op. 51/4 (1890). AUGUST DE VILLIERS DE L‘ISLE-ADAM (1838-1889) : 18.) Nocturne, Op. 43/2 (1886). * 19.) Les Présents, Op. 46/1 (1887). PAUL VERLAINE (1844-1896): 20.) Clair de lune, Op. 46/2 (1887). * 21.) Mandoline, Op. 58/1 (1891) * 22.) En sourdine, Op. 58/2 (1891). JEAN RICHEPIN (1849-1926): 23.) Larmes, Op. 51/1 (1888). * 24.) Au cimetière, Op. 51/2 (1888). JEAN-BAPTISTE MOLIÈRE (1622-1673): 25.) Sérénade du Bourgeois gentilhomme, Op. posthume (1893). ALBERT SAMAIN (1858-1900): 26.) Soir, Op. 83/2 (1894). * 27.) Accompagnement, Op. 85/3 (1902). CATULLE MENDÈS (1841-1909): 28.) La fleur qui va sur l’eau, Op. 85/2 (1902). * 29.) Dans la forêt de septembre, Op. 85/1 (1902). JEAN DOMINIQUE / MARIE CLOSSET (1873-1952): 30.) Le Don silencieux, Op. 92/1 (1905). HENRI DE REGNIER (1864-1936): 31.) Chanson, Op. 94/2 (1904).
Melodien-Abend - 19. Dezember 2022 - Théâtre de l’Athénée Paris
Sternstunden der französischen Melodie…
Die französische Melodie hat im Moment großes Glück, dank mehrerer Sänger – eher aus der neuen Generation, aber nicht nur ausschließlich -, die der Gattung neues Leben einhauchen. Eine Atmosphäre, die oft zu sehr den Geruch vermischt von abgestandenem Staub auf alten Lampenschirmen! So etwa wie eine alte Dame, die allzu oft mit stickiger Ausdrucksweise dieses Repertoire in den Köpfen der Menschen erklärt und auch darum fürchten so viele Musikliebhaber diese reinen Wunder unseres Kultur-Erbes so sehr und ignorieren es sogar.
Öffnen wir die Fenster weit und atmen wir die frische Luft ein! Marc Mauillon und Anne Le Bozec erzählen uns in dem wunderbaren Fauré und seine Dichter, dass sie für Harmonia Mundi aufgenommen haben. Eine CD, die wir wie eine leckere Frucht zerknacken. Die man mit viel Genuss schmeckt, ohne auch nur eine Sekunde lang müde oder gelangweilt zu sein.
Eine Anthologie von etwa dreißig Einzelstücken, die Faurés Karriere von 1861 bis 1906 abdecken, wird das Programm der Aufnahme ohne die geringste Änderung für das Konzert wiederholt, das die Künstler trotz der Unannehmlichkeiten des Pariser Transportsystems vor einem großen begeistertem Publikum im Théâtre de l’Athénée gaben. Es macht es möglich, die Entwicklung von Fauré zu verstehen und zu fühlen, seine Vorbereitung auf die bewundernswerten Zyklen, die am Ende seiner langen Existenz geboren wurden.
Le Papillon et la Fleur, Rêve d’amour, Notre amour, usw. : Viele Stücke könnten, wenn sie weniger inspirierten Interpreten anvertraut werden, zu Süßen oder zu albernen Sentimentalitäten werden. Nichts davon bei den beiden jungen und talentierten Künstlern: Alles Takt, alles Geschmack, alles Leben, aber auch eine gewisse „Grünheit“ der jugendlichen Gefühle – wir erinnern uns an späte Fotografien von Fauré, aber bevor er alt wurde, war er auch ein ziemlich großer Verführer! – die seiner Musik eine unwiderstehliche Tiefe verleihen. Der Baritenor lotet die Charaktere mit großer Flexibilität in der Linie und auch einer tiefen Liebe zu den Texten aus, ohne jemals das Gefühl zu geben „einer wirklichen Verzauberung“. Einfachheit, Eleganz und der Geist der Romanze – eine Gattung, die so eng mit der französischen Kultur verbunden ist – stehen an erster Stelle. Von Melodien aus den damaligen Salons? Überhaupt keine Frage, aber vom Salon zum Caf’con war der Weg viel kürzer, als manch einer sich vorstellt: Eine Anthologie aus altem Wachs mit „Proust & Reynaldo Hahn (1874-1947) beim Café-Konzert“ könnte uns daran erinnern und auch unsere Interpreten verstehen das natürlich sehr wohl!
Marc natürlich, aber auch eine ganz große Pianistin wie Anne, die den Sänger nicht „begleitet“, sondern vielmehr inspiriert sie ihn und man ist erstaunt über die vielen Noten und Farben, die sie in ihren Händen hält. Ihre teils banalen vorgeschrieben Klavier-Akkorde z.B.: Le Papillon et la Fleur, Tristesse), werden unter ihrer Hand in pures Gold verwandelt, dazu oft mit einer derartigen Kunst des farbigen Timbres und einer verwirrend und sehr subtilen Pedaltechnik (Schlankheit in Roses d‘Ispahan, unmerkliche Flüssigkeit in Accompagnement…) und sie ist auch für eine derartige visuelle Dimension fähig und das von äußerst auffallender suggestiver Kraft (La fleur qui va sur l’eau…).
Ernste, schmerzhafte, bittere Momente voller Zweifel unterstreichen den Vortrag: La Chanson du pêcheur, Larmes, Au cimetière und Dans la fôret de septembre ist nicht weniger rührend die herzzerreißende Bescheidenheit, mit dem das „erste tote Blatt“ fällt. Was die vertonten Gedichte von Verlaine betrifft, so sind stark vertreten: Claire de lune, Mandoline und Sourdine übersetzten mit einer melancholischen und verträumten Zartheit die überlegene Kunst der beiden Interpreten.
Angesichts dieser poetischen und musikalischen Qualität und des besonderen Timbre von Marc mit einer verwirrenden Natürlichkeit, einer Flexibilität der Gesangslinie ohne Gleichen. Seine tadellose Diktion, sein erweiterter Tonumfang in den Höhen, sein erhabenes Legato unterstützt von dem sehr poetischen Klavier, reich an Farben und großartigen melodischen Einsätzen, machen diesen Abend zu einem seltenen Moment und es ist wohl ein unverzichtbares Ereignis für alle Liebhaber französischer Melodien. Der jubelnde Applaus hat es bewiesen! Es war eine atemberaubende Sternstunde… (PMP/21.12.2022)
Das Théâtre de l‘Athénée Paris bringt in der Saison 2022/23 weitere Lieder / Melodien-Abende : immer an einem Montag-Abend : hier die kommenden Termine:
- 30.01.23 Sandrine Piau / David Kadouch
- 27.02.23 Christoph Prégardien / Julius Drake
- 06.03.23 Stéphane Degout / Alain Planès / Roger Germser / Marielou Jacquard
- 27.03.23 Alphonse Cemin / Bruno Delepelaire / Petteri Iivonen
- 17.04.23 Judith Chemla / Alphonse Cemin
- 15.05.23 Fleur Barron / Julius Drake
- 05.06.23 Dame Sarah Connolly / Malcom Martineau
- 03.07.23 Konstantin Krimmel / Malcom Martineau
Auskünfte und Reservation - athenee-theatre.com - +33/1 53 05 19 19 - link HIER !
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