Paris, Théàtre des Champs-Élysées, Der Messias - Georg F. Händel - Wolfgang A. Mozart 26.09.2020
DER MESSIAS - Georg Friedrich Händel / Wolfgang Amadeus Mozart
Die Heilsbotschaft mit Weltuntergangsstimmung
von Peter M. Peters
Ein religiöser Mensch in der Zeit des Covid 19-Trauma sieht wahrscheinlich den Virus auch schon als Untergangsbotschaft. Heute Abend hier im Théâtre des Champs-Élysées waren wir nur einfach überglücklich endlich wieder ein Theater zu betreten und in Kultur zu schwelgen. Nach vielen Wochen des Schweigens eine kleine Kostprobe menschlichen Streben und Können, die jedoch verdunkelt wurde von einem mehr als leeren Saal und einer Besucherschar mit Masken verdeckten Gesichtern. Diese traurige Atmosphäre hat doch schon einen gewaltigen bitteren Nachgeschmack. Aber die Wahl des Werkes war sehr eindrucksvoll und wahrheitsgebunden: Der von Mozart überarbeitete The Messie von Händel brachte die richtige Stimmung für eine Saison-Eröffnung unter dem Zeichen einer weltweiten Epidemie.
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Ein energiegeladener Marmorblock
The Messie von George Friedrich Händel (1685-1759) hatte am 12. Februar 1742 in Dublin / Irland in englischer Sprache Premiere. Das Libretto in drei Partien ist von Charles Jennens (1700-1773) und bezieht sich auf den Text des alten und neuen Testament (1. Präfiguration und Krippenanbetung / 2. Leidenspassion und Tod / 3. Auferstehung und Glaubensverkündigung) und zeigt die Auferstehung eines Menschen im wahrsten Sinne des Wortes, denn fünf Jahre zuvor am 13. April 1737 war Händel aus Überarbeitung zusammengebrochen, Opfer eines schweren Herzanfall. Seine Anbeter befürchteten, dass er sich nicht mehr erheben würde und seine Rivalen beteten für seinen Tod. Dieser Zusammenbruch unterbrach eine energiegeladene Karriere ohne Gleichen. Drei Jahrzehnte lang befand sich der Importeur der italienischen Oper in London im Zentrum der politischen Wirbelstürme, aufgeteilt zwischen rivalisierenden Clans, die die lyrische Kunst für ihre Intrigen verwendeten. Fast dreißig Opern stammen aus seiner Feder, aber die Hälfte ist schon zu seinen Lebzeiten in Vergessenheit gefallen. Jetzt war er ein korpulenter Bürger und saß auf seiner Orgel, umgeben mit einem Heiligenschein aus Schinken und Biertöpfen, wie er an der Schwelle seiner sechzig Jahre karikiert wurde.
Aber diese Art von Mensch gibt niemals auf. Händel, der im April 1737 für tot erklärt wurde, gewinnt nach einer intensiven Heilung in den Dampfbädern von Aachen alle seine Fähigkeiten zurück. Im Oktober kehrte er nach London zurück und komponiert Faramondo HWV 39 (1738), dann Israel in Ägypten HWV 54 (1739) und Saul HWV 53 (1739), während er die Veröffentlichung der Sechs Konzerte für Orgel op.4 HWV 289-294 (1738) und Zwölf neue Concerti Grossi op.6 HWV 319-330 (1741) vorbereitete. Die italienische Oper ist in ihren letzten Atemzügen, jedoch der Unternehmer liefert und komponiert weiterhin: Imeneo HWV 41 (1740) und Deidamia HWV 42 (1741). Neuer Misserfolg! Egal was auch passiert, das Beste kommt noch. 1741, entwirft und komponiert er in einem großen Wurf The Messie, wie aus einer Autogrammpartitur hervorgeht, die in der British Library aufbewahrt wird. Das ist auch das Jahr des ebenso schillernden Samson HWV 57 (1741).
Von der Londoner Mode gekreuzigt, wird der alte Sachse in Dublin wiederbelebt. The Messie wurde dort unter einem anderen sozialen Kontext geboren. Wenn der Komponist von Giulio Cesare HWV 17 (1724) bisher die egozentrischen Tugenden der Aristokratie gepriesen hatte, beachtsichtigte er hier sein Opus der neuen freien Bürgerschaft zu widmen. Die pompöse Kunst, die von Johann Christoph Pepusch (1667-1752) / John Gay (1685-1732) mit viel geistreichem Witz sehr böse in ihrer The Beggar's Opera (1728) karikiert wurde, will nun ein anderes Publikum erreichen, wie der Artikel im Dublin Journal hinweist. Hier heißt es: „Ein Konzert wird für die Insassen mehrerer Gefängnisse und für die Unterstützung des Mercer's Hospital in der Stephens Street sowie der Wohltätigkeitsstation des Inn's Quay veranstaltet. Desgleichen wird am Montag, dem 12.April im Musiksaal der Fishamble Street das neue Oratorium von Mr. Haendel unter der Beteiligung der Chöre der beiden Kathedralen aufgeführt. Auch wird Mr. Haendel mehrere seiner Orgelkonzerte selbst spielen“
The Messie markiert den Beginn einer neuen Karriere, die dem Oratorium gewidmet ist, einer eher gemeinschaftlichen Gattung mit seinen Chören, dessen Geschichten, die als Predigen in Musik behandelt werden und für ein neues Publikum von jüdischen und protestantischen Händlern besser zugänglich war. Man identifiziert sich leicht mit der liebenswerten Theodora HWV 68 (1750) oder Susannah HWV 66 (1749). Man hält fest an den heiligen Revolten von Joshua HWV 64 (1748) und Judas Maccabaeus HWV 63 (1747). Von allen wird der großzügige The Messias dem Komponisten am liebsten bleiben. Ab 1750 war die Aufführung nur noch für Wohltätigkeitskonzerte vorgesehen. Nachdem er blind geworden ist, wird er seinem Willen treu bleiben und das Aufführungsrecht des The Messie nur noch gemeinnützigen Einrichtungen vorbehalten, z.B. für das Waisenhaus – das Foundling Hospital. Acht Tage vor seinem Tod dirigierte Georg Friedrich Händel das letzte Mal sein Lieblingsoratorium.
Das englische Volk oder vielmehr die Völker waren ihm dankbar und nach dem Pluralgebrauch, den die Barockzeit von diesem Begriff machte, war auch er ihnen dankbar. Durch seine Oratorien hat sich Händel definitiv in die englische Landschaft eingeschrieben und sie für immer markiert. 1743 hatten ihm seine Freunde bereits ein Standbild in den Gärten von Vauxhall errichtet, das war eine außerordentliche Ehrung an noch einem lebendigen adoptierten Engländer. Das englische Königsreich wird noch mehr tun, indem sie ihm ein reiches Grabmal in Westminster Abbey (Foto oben) errichten, der britischen Ruhmeshalle.
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One touch of Mozart
Als außergewöhnliches Importprodukt wurde Händel nach seinem Tod von aufgeklärten Amateuren exportiert, wie z.B. der Baron Gottfried von Swieten (1733-1803), der eine wesentliche Figur im Wiener Kunstleben war. Der Baron, Sohn des Arztes der Kaiserin Marie Therese von Habsburg (1717-1780), war für die Bibliothek des Hofes verantwortlich. In London, in Berlin hat dieser leidenschaftliche Gönner zahlreiche Partituren erworben. 1786 gründete er die Musikvereinigung der , eine Akademie aus Mitgliedern des Wiener Adels, die sich der Interpretation von Chorwerken alter Meister wie Antonio Caldara (1670-1736) und Johann Sebastian Bach (1685-1750) widmeten. Unter seiner Leitung wird Joseph Haydn (1732-1809) seine Die Schöpfung Hob.XXI:2 (1798) komponieren und Ludwig van Beethoven (1770-1827) wird Das Wohltemperierte Klavier BWV 846-893 (1722-1750) spielen.
1788 ernannte der aufgeklärte Aristokrat Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) zum musikalischen Leiter des Vereins. Dieser hat Zugang zu den Schätzen der kaiserlichen Bibliothek. Er wird mit viel Freuden vier Werke von Händel aussuchen und sie für den Wiener Zeitgeschmack neu zu beleben, indem er die Partituren teilweise umkomponiert, ohne jedoch das händelsche Werk zu verfälschen: Alexander's Feast HWV 75 (1736), Acis and Galatea HWV 49 (1718), Ode for St .Cecilia's Day HWV 76 (1739) und The Messie. In Bezug auf letzteren hatte Mozart die Randall and Abel Edition von 1767 zu Verfügung. Ein Kopist wurde speziell damit beauftragt, eine Partitur vorzubereiten, die die ursprünglichen Instrumental- und Gesangsteile sowie die Tempi-Angaben enthält und Leerzeichen bereitstellt, damit Mozart nach eigenem Ermessen arbeiten kann.
Das Oratorium, das bereits als alte Musik galt, wurde nach dem Geschmack des Tages wiederhergestellt. Dies war z.B. in Frankreich der Fall, als die Opern von Jean-Baptiste Lully (1632-1687) an der Académie Royale wieder aufgeführt wurden. Die Worte von The Messie werden auf Deutsch von Christoph Daniel Ebeling (1741-1817) und Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) übersetzt und das Orchester spielt im Stil des Wiener Klassizismus mit seiner gedämpften Streicher- und Bläserbesetzung. Mozart produziert eine Version mit neuen Farben. Er versorgt es mit Klarinetten und Flöten, er verstärkt die Fagotten und die Hörner. Dieses Ensemble ersetzt die händelsche Orgel, die 1742 ein nüchternes Orchester aus Streichern, Oboen, Fagotten, Blechbläsern und Pauken unterstützte. Das Ergebnis bringt ein erneutes Drama hervor wie z.B. die grölende Menge in Idomeneo K. 366 (1781) oder die hieratische Religiosität von Thamos K.345/336a (1774). Mozart betont die Winkel und mildert die Übergänge. In der Neuorchestration der Arie: „Ev'ry vally…“. erblüht völlig neu das Solo der Flöte und setzt neue Akkorde in der Bass-Arie ein: „Why do the nations…“ Die Behandlung der Chöre lässt den händelschen Kontrapunkt unberührt, doch wird der Ton bei Mozart mehr erweitert und geöffnet behandelt. Lange vor seinem eigenen Requiem K.626 (1791) verfestigt Mozart mit Posaunen und Hörnern die Grundmauern von: „And he shall purify...“ Der Schatten von Don Giovanni K. 527 (1787) verfolgt die dunklen Blasinstrumente von: „Surely, he hath borne our griefs...“ Die Pifa klingt wie eine beethovensche Vor-Pastorale, auch wenn es manchmal bedeutet, die theatralischen Effekte des Originals zu beschweren, wie im Chor: „For unto us a child is born...“
Dieser neue Der Messias mit dreiviertel Händel und ein Viertel Mozart hat es verdient in den Köchel-Katalog unter diesem Titel und unter K.572 aufgenommen zu werden, um gegebenenfalls zu beweisen, dass das Genie des alten Meisters solch eine inspirierte Erhebung akzeptieren konnte. In dieser fruchtbaren Übung anhaltender Bewunderung ernährte sich Mozart von Händel. Die Orchestrierung und Dynamik seines Der Messias nehmen die schillernden Kontrapunkte von der Die Zauberflöte K.620 (1791) und die Orchesterpalette von La Clemenza di Tito K.621 (1791) voraus. Der Messias verkörpert wie in der Matthäus Passion BWV 244 (1736) von Bach in der Überarbeitung von Felix Mendelssohn (1809-1847) den anhaltenden Triumph der Kräfte des Geistes über Tod und Vergessen.
Aufführung 18.September 2020 - Théâtre des Champs-Élysées Paris
Die Idee ein Oratorium szenisch aufzuführen ist nicht neu, schon im Rom der Renaissance, sowie auch in London zur Zeit von Händel wurden teilweise Inszenierungen geboten. Aber auch in den letzten Jahren haben wir mehrere dieser Versuche selbst miterlebt. Der amerikanische Regisseur Robert Wilson hat sich in einer Gemeinschaftsproduktion mit den Salzburger Festspielen, dem Grand Théâtre de Genève und dem Théâtre des Champs-Élysées Paris an Der Messias gewagt. Wie immer, er ist kein Geschichtenerzähler und er zeigt uns in schönen Bildern mit überladener Ästhetik, mit zu viel Symbolen eine sogenannte Endstimmung. Eine Welt, die den Klimawechsel nicht ertragen kann und zugrunde gehen muss, trotz der messianischen Botschaft. Aber die Katastrophen-Bilder von Robert Wilson berühren uns nicht, denn sie zeigen keinesfalls die Ausmaße einer solchen Naturgewalt: Durch die Luft purzelnde abgehackte und verbrannte Baumstämme, schöne schillernde Feuerbrände, das schmelzende und abbröckelnde Eis oder die Atomversuche in der Antarktis, ein Engel, oder Todesengel (?) erwartet uns in einer Barke gleich dem griechischen Todesboten Caron, noch im Schlussfinal fliegt ein entwurzelter Baum durch die Luft. Was für ein Finale! Amen! All das wird wie immer auf meist blauen Hintergrund in einer überaus raffinierten Beleuchtung gezeigt. Auch die Sänger-Schauspieler zeigen in Marionetten- oder Robotbewegungen mit grellen clownhaften bemalten Gesichtern immer das gleiche Einmaleins von Mr. Wilson. Nichts neues bei Mr. Wilson! Seine Inszenierungen sind ein wohlbekanntes teures eingetragenes Markenzeichen geworden: Er hat uns überhaupt nichts mehr zu sagen.
Von der musikalischen Seite war es ein voller Erfolg, denn das Orchester Les Musiciens du Louvre (link HIER!) mit seinem langjährigen musikalischen Direktor, Marc Minkowski haben Händel und Mozart geradezu unter der Haut. Minkowski leitete seine Musiker mit viel Empfindung und Gefühl über die delikaten Klippen des händelschen Marmorblock, indem er die scharfen Ecken sehr klar in mozartischer Manier abschliff und rundete und so einen musikalischen Diamanten mit klassizistischer Dimension gestaltete. In seiner Vision hörte man hier und da die kleinen mozartischen Tüpfelchen, die uns wie ein heller Lichtblick die ganze Schönheit der Zwitterpartition offenbarten. Ein voller und verdienter Erfolg!
Der Philharmonia Chor Wien unter seinem Leiter Walter Zeh zeigte uns in idealer Weise die einzigartige Verschmelzung von zwei Musikformen, und die freundschaftliche Umarmung zweier Genies der Musikgeschichte.
Die russische Sopranistin Elena Tsallagova brachte mit ihrer kristallklaren und in allen Lagen lupenreinen Stimme eine stimmungsvolle Interpretation und wurde dem Engel mehr als gerecht. Die Sängerin kommt aus dem Atelier Lyrique de l'Opéra de Paris und hat inzwischen eine große Weltkarriere hinter sich. Wir kennen sie aus ihrem Beginn in Rollen wie z.B.: die mystische Mélisande, oder Das schlaue Füchslein hier an der Bastille Opéra.
Die Partie der Altstimme wurde von der Holländerin Helena Rasker mit viel Schönheit und Raffinesse vorgetragen. In ihrer Arie: „O du, die Wonne verkündet in Zion…“ wurde geradezu in inbrünstiger Offenbarung mit tiefsten Registern gesungen. Auch sie ist auf allen großen Bühnen der Welt zu Hause mit einem Repertoire von Händel, Mozart, Rossini über Strauss und Wagner bis hin zu Benjamin.
Der Messias - Tenor Stanislas de Barbeyrac beschreibt seine vielfältige Partie youtube Trailer Théàrtre des Champs Elysées [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Der junge französische Tenor Stanislas de Barbeyrac zeigte einmal mehr, dass er zu den großen Hoffnungen in der lyrischen Branche zählt. Seine besonders an Mozart geschulte lyrische Stimme bot in allen Höhen den nötigen maskulinen Ausdruck und wirkte niemals geziert, affektiert und zeigte keinerlei fade Effekthascherei. Mit Recht fängt er eine internationale Karriere mit viel Erfolg an. Dazu hatte er als Schauspieler eine Paraderolle vom Regisseur erhalten: Als ein Stimmungsmacher oder Drahtzieher, als ein Conférencier in einem Berliner Kabarett der dreißiger Jahre steppte und tanzte er mit viel Humor durch die Bilder. Unweigerlich denkt man an Der blaue Engel oder an Cabaret. Wie schon gesagt, der Sänger bietet eine unwahrscheinlich stimmungsvolle Leistung, jedoch der Gedankengang des Robert Wilson bleibt uns verschlossen. Was macht die Person eines Emcee im Der Messias? Soll es ein Vorbote für zukünftige Rassengesetzte sein… soll es der schrullige Musikprodukteur und Komponist Händel selbst sein... oder der Messias selbst? Wir wissen es nicht!
Der aus Bolivien stammende Bass José Coca Loza war für uns eine besondere Entdeckung. Sein großes vollrundes Organ produziert wahre Stimmtönungen von unsagbarer Schönheit. In der Arie: „Blick auf! Nacht bedecket das Erdreich...“ kann er besonders eindrucksvoll seine tiefschwarze Stimme einsetzen. Seine junge Karriere führte u.a. schon an die Covent Garden London, desgleichen sang er in Zürich, Amsterdam, Barcelona, Madrid und Salzburg.
Noch zu nennen sind der griechische Tänzer Alexis Fousekis und der englische Schauspieler Max Harris die mit viel Talent den Anweisungen von Robert Wilson folgsam folgten.
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