Paris, Opéra National - Salle Bastille, DAS RHEINGOLD - R. Wagner, IOCO

PARIS - Das Rheingold: Den Stoff zu seinem Der Ring des Nibelungen (1876) bezog Richard Wagner (1813-1883) aus der germanischen und skandinavischen Mythenwelt. Dramen entstanden daraus jedoch erst vor dem Hintergrund der Tragödien des Altertums.

Paris, Opéra National - Salle Bastille, DAS RHEINGOLD - R. Wagner, IOCO
Opéra National - Salle Bastille, Paris © Uschi Reifenberg

5.02.2025 - OPÉRA NATIONAL DE PARIS, SALLE BASTILLE - Richard Wagner: DAS RHEINGOLD (1869), Vorabend in vier Szenen zum Bühnenfestspiel mit dem Libretto des Komponisten: DER RING DES NIBELUNGEN

 von Peter Michael Peters

DER RHEIN: MYTHOS, POLITIK, MUSIK…

Nur wer der Minne Macht entsagt,

nur wer der Liebe Lust verjagt,

nur der erzielt sich den Zauber,

zum Reif zu zwingen das Gold.

 

Griechische Ahnen

Richard Wagner, Berlin @ IOCO

Den Stoff zu seinem Der Ring des Nibelungen (1876) bezog Richard Wagner (1813-1883) aus der germanischen und skandinavischen Mythenwelt. Dramen entstanden daraus jedoch erst vor dem Hintergrund der Tragödien des Altertums.

Es ist kein Zufall, dass die Beschäftigung  mit den altnordischen Versionen der Siegfried-Sage (etwa 1182), die Wagner über das Nibelungenlied ( 1203/05) hinaus auf die Edda (etwa 1220) zurückgreifen ließ, sich verbindet mit dem Studium der griechischen Tragödie. Der Gedanke, mythische Überlieferung als materiale Basis für einen Zyklus von Bühnenfestspieldramen zugrunde zu legen und im Medium der Musik zu gestalten, steht in unmittelbarer Beziehung zu Wagners Entdeckung des Aischylos (525-456 a. Chr.). Dabei zeigt sich auch im Umgang mit den germanischen Mythologemen das Streben zur ursprünglichen Gestalt. In der Mitteilung an meine Freunde (1851) sagt Wagner: „Meine Studien trugen mich so durch die Dichtungen des Mittelalters hindurch bis auf den Grund des alten urdeutschen Mythos, ein Gewand nach dem anderen, das die spätere Dichtung entstellend umgeworfen hatte, vermochte ich von ihm abzulösen“. Was hier letztlich freigelegt wird, heißt der „wirkliche“ als der „wahre Mensch“. Eben darauf zielten die Studien, die Wagner zur Entdeckung der griechischen Tragödie und des ihr zugrunde liegenden Mythos hinführten. So heißt es weiter: „Um auf den Grund dieser Verhältnisse zu kommen…, betrat ich von neuem den Boden des hellenischen Altertumes, und ward auch hier endlich wiederum nur auf den Mythos hingewiesen, in welchem ich den Grund auch dieser Verhältnisse erkannte: nur waren in diesem Mythos jene sozialen Verhältnisse in ebenso einfachen, bestimmten und plastischen Zügen kundgegeben, als ich zuvor in ihm schon die menschliche Gestalt selbst erkannt hatte; und auch von dieser Seite her leitete mich der Mythos gerade wieder einzig auf diesen Menschen als den unwillkürlichen Schöpfer der Verhältnisse hin, die in ihrer dokument-monomentalen Entstellung als Geschichtsmomente, als überlieferte irrtümliche Vorstellungen und Rechtsverhältnisse, endlich den Menschen zwang voll beherrschten, und seine Freiheit vernichteten. Hatte mich nun schon längst die herrliche Gestalt des Siegfried angezogen, so entzückte sie mich doch vollends erst, als es mir gelungen war, sie, von aller späteren Umkleidung befreit, in ihrer reinsten menschlichen Erscheinung vor mir zu sehen. Erst jetzt auch erkannte ich die Möglichkeit, ihn zum Helden eines Dramas zu machen, was mir nie eingefallen war, so lange ich ihn nur aus dem mittelalterlichen Nibelungenlied kannte“. Die griechische Tragödie wird Wagner zum Modell, nach dem er den germanischen Mythos deutet und gestaltet.

Das RHEINGOLD youtube Opéra National de Paris

Die Orientierung an der griechischen Tragödie und ihrem mythischen Horizont bei der Konstitution des Musikdramas ist geleitet von der Idee der Tragödie als einer religiösen Feier und der Konzeption eines Gesamtkunstwerks, in dem dichterische, musikalische und gestische Darstellung eine ursprüngliche Einheit bilden. Diese Konzeption fand Wagner in der Orestie (458 v. Chr.) vorgeprägt! Aischylos ist es, der die griechische Tragödie in ihren sprachlichen, musikalischen uns szenischen Möglichkeiten zu der ersten uns fassbaren und zugleich vollkommensten Gestalt ausgebildet hat. Die Form der Tragödie als eine thematisch einheitliche Trilogie, zu der als viertes Stück das abschließende Satyrspiel hinzutrat, hat Wagner im Der Ring des Nibelungen als eine Tetralogie aufgenommen, in der die dreiteilige dramatische Handlung nicht von einem Satyr-Nachspiel beendet, sondern mit einem Rheintöchter-Vorspiel eröffnet wird.

Wagners Der Ring des Nibelungen ist als Musikdrama zugleich Ideendrama! Es kommt der Konflikt zweier Prinzipien zum Austrag, sie heißen Liebe und Macht. Am eindeutigsten ist die Entscheidung Alberichs: Er verflucht die Liebe und gewinnt Macht. Die übrigen Gestalten stehen im Dilemma und begehen Kompromisse zwischen Liebes- und Machtstreben, Liebes- und Machtverzicht. Alberichs Verzicht auf Liebe ist unfreiwillig, er begehrt Liebe, wird aber nicht geliebt. Dem „Liebelosen“ erscheinen Gold und Macht als begehrenswert. In den Notizen zu seiner Unzeitgemäßen Betrachtung (1875/76) über Richard Wagner in Bayreuth spricht Friedrich Nietzsche (1844-1900) mit Blick auf die widerstreitenden Kräfte in Wagners Der Ring des Nibelungen von der Möglichkeit eines „freiwilligen Verzichtens der bisherigen Weltmächte“. Nietzsche denkt dabei an „Gegensätze von Weltperioden – mit Umwandlung der Richtung und der Ziele“: Wagners Tetralogie erscheint als ein Bild geschichtlicher Prozesse, in denen Weltperioden in ihrer Gegensätzlichkeit hervortreten und in ihrer Ausrichtung umgewandelt werden. Die mythologische Figur dieses geschichtlichen Prozesses ist der verzichtende Gott, der den Weg freigibt für eine neue Welt und einen neuen Menschen, befreit vom Fluch des Goldes und der Macht. Der freiwillige Verzicht des Gottes, der sein eigenes Ende will, zielt auf dasselbe, was der später von Nietzsche ausgerufene „Tod Gottes“ leisten soll: Die Eröffnung neuer geschichtlicher Horizonte und die Befreiung des Menschen!

DAS RHEINGOLD - hier Brian Mulligan (Alberich) und die Rheintöchter © Herwig Prammer)

 Ähnliches geschieht in der Orestie, wenn auch unter einem anderen geschichtlichen Horizont und ohne Aufhebung der theologischen Dimension. Das Endspiel der Orestie ist das Geschehen einer Umwandlung, vor allem der Erinnyen in den Tragödien Die Eumeniden (458 a. Chr.). Die Mächte der Vergeltung, Hass und Ressentiment werden verwandelt in Kräfte des Segens und der Verbundenheit. Verwandelt werden aber auch die Olympier, von denen in Gestalt des Apollon die Rachegeister der Erinnyen sich zunächst äußerst „niedergeritten“ fühlen. Die Macht und Gewalt als unbedingter Herrschaftsanspruch der Herren des Lichts über die Töchter der Nacht müssen sich wandeln in Zuwendung und Verstehen. Wenn die Welt nicht in zwei disparate Hemisphären geteilt bleiben soll und zwischen deren widerstreitenden Ansprüchen der Menschen zerrissen wird. Aus persönlichem Umgang mit Wagner und Einblick in seine künstlerischen Intentionen und Inspirationen hat Nietzsche das Zentrum der Beziehung zur griechischen Tragödie erkannt, wenn er die unvergleichliche Wirkung der Orestie auf Wagner immer wieder hervorhebt. Neben diesem Werk ist es die Prometheus-Trilogie (5. Jahrhundert v. Chr.), die bei der Konzeption der Nibelungen-Tetralogie eine Quelle der Inspiration gewesen ist. Wagner hat die Trilogie, von der nur der Gefesselte Prometheus erhalten ist, in Johann Gustav Droysens (1808-1884) Übersetzung kennengelernt. Die Rekonstruktion der verlorenen Stücke der Promethie durch Droysen, der diese Trilogie als „das tiefsinnigste Werk des Aischylos und vielleicht der gesamten griechischen Poesie“ bezeichnet hat, war Wagner wohlbekannt. Beziehungen und Analogien zwischen der Promethie des Aischylos und  seinem Der Ring des Nibelungen sind seit langem beobachtet worden. Demnach hat Wagner die Abfolge von Das Rheingold, das ursprünglich den Titel Der Raub trug, Die Walküre,(1870) und Siegfried (1876) analog zu der Konzeption Droysens entworfen, der die thematische Abfolge der Promethie als Feuerraub, Fesselung und Lösung ansetzte. Die Rheintöchter haben ihre Entsprechung in den Okeaniden, die Riesen in den Titanen, Wala-Erda in Gaia-Themis, der als Weltherrscher gefährdete Wotan in Zeus. Das musikalische Vorspiel zum Das Rheingold erscheint inspiriert durch Droysens Vorstellung des Beginns der Promethie in einer „Dämmerung des Werdens“.

Zu den zukunftsweisenden Momenten von Wagners mythisch-musikalischem Drama gehört eine Verbindung von archaischer Mythologie und moderner Psychologie, deren Spuren über Nietzsche z. B. zu Thomas Mann (1875-1955) oder in die französische Literatur führen. Das mythische Musikdrama ist in seinen modernen Perspektiven als psychologisches Exempel und politisch-soziale Parabel, wie Dieter Borchmeyer (*1941) am Beispiel des Ödipus-Mythos gezeigt hat, durch eine Zusammenschau von antikem und germanischem Mythos ermöglicht worden.

DAS RHEINGOLD - Szenenphoto © Herwig Prammer)

 DAS RHEINGOLD - l’Opéra National de Paris / Salle Bastille - 5. Februar 2025

Es ist nicht alles Gold was glänzt….

Ein wahrhaft vielversprechender Abend: L‘Opéra National de Paris unternimmt den ersten Schritt zu ihrem neuen Der Ring des Nibelungen unter Regie des katalanische Regisseurs Calixto Bieito – einem der wohl aufregendsten Künstler seines Fachs und seiner Zeit – und dazu mit einer vielversprechenden Besetzung. Besonders viel steht auf dem Spiel für den Intendanten der Oper, dem deutschen Alexander Neef, der seine Amtszeit mit einem Wagner-Ring in Europas größtem Opernsaal krönen möchte. Das Problem ist aber: Der neue Prolog Das Rheingold an l‘Opéra National de Paris ist bestenfalls enttäuschend und dass besonders von der musikalischen Seite (Wir kommen später darauf zurück!). Es ist bestenfalls mehr als enttäuschend und bringt die großen Managementprobleme der Oper im allgemeinen ans das Licht der Welt!

Dieser Prolog Das Rheingold ist völlig unvollendet, nicht weil es ein Teil des Zyklus und per Definition unvollständig ist, sondern weil die ganze Aufführung unzureichend geprobt zu sein scheint. Es handelt sich noch um ein „Work-in-Progress“. Obwohl alle beteiligten Künstler oft außergewöhnlich sind, ist das Ganze viel kleiner als die Summe des Ganzen! Außerdem hat selten ein großes Opernorchester so schlecht gespielt wie  das  l‘Opéra Nationel de Paris in dieser Produktion.

DAS RHEINGOLD 6 Simon O'Neill (Loge), Eve-Maud Hubeaux (Fricka), Iain Paterson (Wotan), Florent Mbia (Donner), Matthew Cairns (Froh) © Herwig Prammer

Bieito war im Haus, entschied aber, dass er sich erst am Ende der Götterdämmerung (1876) verabschieden würde. Trotz aller Sünden, die Bieito vielleicht in der Vergangenheit begangen haben mag, war er nie ein schlechter Erzähler. Seine Inszenierungen mit strengen Szenarien greifen oft effizient Symbolik auf und legen großen Wert auf das Orchester. Mit den Szenarien, die hässlicher als üblich sind und dem Orchester in weniger als idealer Verfassung, ergibt sein Prolog Das Rheingold weniger Sinn als alles, was er jemals im Haus produziert hat. Insgesamt ist dieses Projekt eindeutig noch nicht fertig

Bieitos Hauptidee war es, die Handlung der Tetralogie Der Ring des Nibelungen mit der gegenwärtigen Revolution der künstlichen Intelligenz zu verknüpfen, insbesondere mit ihrer potenziellen Unterwerfung des erotischen Körpers durch Android-Maschinen. Obwohl diese Idee eine aufwendige Schlussfolgerung aus den offenkundigen Anliegen der Oper ist, ist sie gar nicht so schlecht. Seit Patrice Chéreaus (1944-2013)  „Jahrhundertring“ sind Regisseure besonders darauf erpicht, die Tetralogie Der Ring des Nibelungen mit Überlegungen zu Revolution und Transformation zu verknüpfen. Die Spannungen zwischen dem Neuen und Urbanen einerseits und einer atavistischen Rückkehr zu früheren Formen andererseits bilden zweifellos den Kern von Wagners Werk und seiner Romantik. In gewisser Weise ist die Tetralogie Der Ring des Nibelungen eine Geschichte über Urbanisierung und Verlangen, wenn man bedenkt, dass sich Das Rheingold genau um den Bau eines Schlosses für die Götter dreht. Diese Überlegungen auf unsere Revolution, den Aufstieg der künstlichen Intelligenz und das, was unsere eigene Menschlichkeit berührt, zu übertragen, scheint ein angemessener Schritt zu sein.

Alberich stiehlt also das Gold einer Bank – nichts Originelles daran – und verwendet es, um eine Reihe von Androiden zu erschaffen, darunter eine namens Gisela gespielt von der französischen Pantomimen Juliette Morel, mit der Absicht die Weltherrschaft zu erlangen, indem er den Körper der Maschine seinen Wünschen unterordnet. Sein Verzicht auf die Liebe führt nicht zu einer Anklage der Erotik, sondern vielmehr zu einer Hinwendung zur Pornografie in ihren surrealistischsten Formen. Und da Pornografie bekanntlich ein Genre der Illusionen ist, in dem echter Geschlechtsverkehr nie stattfindet, scheint die pornografische Faszination für den Androiden nun ein natürlicher Teil unseres Schicksals zu sein. Das Walhalla ist nichts weiter als eine riesige Metallbox mit Motherboard und Rechenzentrum, voller Drähte und Kabel, die die Götter gefangen halten und sie ebenso prächtig an die Macht führen. Nur ein Zusammenstoß zwischen fünf Lastwagen ist hässlicher als dieser!

Die Götter wiederum werden zu Stereotypen mächtiger Figuren degradiert, die oft auf bestimmte nordamerikanische Finanzklischees anspielen. In einem der sicherlich am schlechtesten durchdachten Kostümdesigns entworfen von dem deutschen Kostümbildner Ingo Krügler sehen wir einen als Larry Hagman (1931-2012) verkleideten Fafner, der in der Tele-Serie Dallas (1978) zum Rodeo geht. Froh als Hippie-Jesus in Martin Scorseses (*1942) Film The last Temptation of Christ (1988). Donner mit einer furchtbaren Baseballmütze in Demokraten-Blau und so weiter... Es ist nicht so, dass solche Lösungen bei besserer Darstellung nicht hätten funktionieren können, aber das taten sie einfach nicht, es waren nur Gimmicks ohne erzählerische Funktion. Am Ende sehen wir eine gedemütigte Freia, die sich mit Schlamm bedeckt, während Loge ein Licht trägt – was genau bedeutet das? Es muss einen Sinn gegeben haben, aber es war leider schwer zu begreifen! Das Ergebnis ist eines der gängigsten Klischee der zeitgenössischen Kunst – eine Schauspielerin, die sich mit Schlamm bedeckt. Wir haben das Video letztes Jahr bei der Esposizione internazionale d’arte di Venezia 2024 mindestens dreimal gesehen – es ist und war immer schlecht!

Das Hauptproblem ist jedoch, dass  für uns offensichtlich war, dass die mangelnde Klarheit des Konzepts teilweise auf offensichtliche Probenmängel zurückzuführen war. Dieser Mangel war während der gesamten Aufführung offensichtlich, von der mangelnden Synchronität der Rheintöchter bis hin zum völligen Mangel an Chemie zwischen Wotan, Fricka und Loge. Nie zuvor haben wir schrecklichere Videoprojektionen und Lichtdesigns, die von dem deutschen Lichtbildner Michal Bauer kreiert wurden, gesehen. Die Projektionen von der schweizerischen Videokünstlerin Sarah Derendinger waren bestenfalls gruselig und das auch ohne erkennbare Absicht, etwas zu bewirken. Am Ende der Aufführung sehen wir ein Kl-generiertes Baby (Siegmund, Sieglinde, Brünnhilde? Wer weiß? Das Bild hat die Auflösung eines Low-Data-YouTube-Video und das Grafikdesign eines Nebil-Tutorials.

 

Das Szenario, das gigantische Aluminium-Motherboard/Walhalla-Ding, entworfen von der deutschen Bühnenbildnerin Rebecca Ringst, könnte die Version der Maschine von l‘Opéra National de Paris sein, aber billiger  und weniger flexibel. Wir werden in der Bayreuther Kirche eine Kerze anzünden und beten, dass diese Metallbox für Die Walküre auf magische Weise verschwindet – oder mindestens minimal aufgewertet wird. Dramaturgisch könnte es nichts langweiliger sein! Vielleicht könnte ein bisschen Arbeit an der Beleuchtung, eine bessere Schauspielerdynamik und bessere Videoprojektionen die Sache zum Laufen bringen?  Bisher war es jedoch eindeutig unfertig, voller scharfer Kanten und einfach unfassbar. Das macht wahnsinnig Schmerzen!

DAS RHEINGOLD - Gerhard Siegel (Mime) und Simon O'Neill (Loge) © Herwig Prammer

Musikalisch war es offensichtlich , dass der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado eine anspruchsvolle Interpretation der Tetralogie Der Ring des Nibelungen und auch von Wagners Musik hat. Aber es war auch offensichtlich, dass das Orchester nicht annähernd so gut war, wie es sein müsste, um seinen Anordnungen nachzukommen. Heras-Casado war also gut daran, die Lautstärke des Orchesters zu kontrollieren – was im Salle Bastille an sich schon ein Problem sein kann – und jedes der betreffenden Leitmotive in einer Interpretation, die er im Grunde sehr gut kannte und auch wie man die Orchesterdynamik diktiert und sehr gut hervorhebt. Das Problem war, dass sich das Orchester in diesem Werk enorm auf die Blechbläser verlassen muss und gerade da gab es zu viele  Fehler, dass sie die Aufführung in vielen Schlüsselmomenten daran hinderten, Freude zu bereiten. Wir hatten auf jeden Fall keine Freude: Es war vom musikalischen Standpunkt eine der langweiligsten Aufführungen, die wir jemals hörten. Der Dirigent und das Orchester haben höchstwahrscheinlich nicht genügend geprobt. Oder was sonst?

Wir haben in allen Wagnerschen Höhepunkten viele Probleme mit der Stimmung und mit den Atempausen gehört! Nehmen wir als Beispiel den für uns schönsten Moment der Partitur: Donners „Heda! Heda! Hedo! Der afro-französische Bariton Florent Mbia war – aus irgendeinem Grund – mit nacktem Oberkörper und strahlend, und seine Stimme von der Proszeniumsspitze beherrschte den Raum. Dann erreicht Heras-Casado mit dem Orchester endlich ein wahres Fortissimo – etwas, das er sich eindeutig für diesen Moment des Abends aufgespart hatte und wir hören Hörner, die das Motiv (eine Quarte, eine sexte, eine Quarte) in äußerst schlechtem Zustand wiederholen. Wobei die Tuben, als ihnen das Motiv weitergegeben wird, so schlecht zusammenbrechen, dass die Trompeten dann gewissermaßen völlig unter Wasser kamen [sic]. Wir verstehen, dass das sehr schwer zu spielende Instrumente sind – und wir haben nichts als Respekt für die Musiker, die sich trauen sie zu spielen! Wir verstehen auch, dass Das Rheingold wohl eines der am schwersten zu spielenden Werke ist, aber es gibt einige Dinge, die ein Orchester wie das l‘Opéra National de Paris nicht verpassen darf, wenn es die von ihm behauptete Exzellenz erreichen will: Große Fehler bei den Blechbläsern sind für uns normalerweise Anzeichen für eine unzureichende Vorbereitung. Denn der Mangel an Präzision war ein Problem, das sich durch alle Blechbläsersektionen zog – bis zu einem gewissen Grad aber auch die Streicher. Vielleicht wird für Die Walküre eine längere Probenzeit eingeräumt? Wir hoffen es auf jeden Fall!

Trotz der Fehler und des Mangels an zusammenhängenden Farben ist Heras-Casados Interpretation angemessen, mit Momenten, die viel Eleganz versprechen. Die kultiviertesten Momente des Abends kamen genau dann, wenn der Dirigent den Sängern erlaubte, so zu klingen, als würden sie nicht singen, als wäre es nur so passiert, dass ihre Sprechstimme so klang. Dies gilt insbesondere für jene, deren Interpretation der Partitur von einer spezifisch Wagnerschen Qualität der Darbietung geprägt ist.

Der Protagonist des Abends, der britische Bass-Bariton Iain Paterson musste in schwere Fußstapfen treten. Als Ersatz für das mit Spannung erwartete Debüt des französischen Bass-Bariton Ludovic Tézier als Wotan. Aber sein Göttervater hatte sich auch schon am zweiten Abend krank gemeldet! In aller letzter Minute für den 5. Februar hat der gleichsam britische Bass-Bariton Nicolas Brownlee die schwierige  Rolle übernommen. Dieser sang  den Anführer der Götter unter anderem schon an der Dallas Opera! Er ist für uns ohne Zweifel die eigentliche Entdeckung des Abends und er sticht in einer homogenen Gesangsbesetzung ohne nennenswerte Individualität brillant aus der Masse hervor. Sobald er die Bühne betritt, werden wir vom strahlenden Timbre seines Bass-Baritons, von seiner maßvollen und nuancierten Projektion sowie seiner engagierten Bühnenperformance ungemein verführt. Bravo!

Die schweizerische Mezzo-Sopranistin Eve-Maud Hubeaux war in einer der vielleicht fadesten Rollen der gesamten Wagner-Opern zweifellos überzeugend. In einem Vamp-artigen Gewand mit Tiermuster wandeln auf der Bühne, machte Hubeaux‘ Fricka eine menschliche Frau, die den Saal eindeutig beherrschte. Auch ihre wunderschöne Stimme ist erwähnenswert! Wir mussten übrigens gestehen, dass alle Mezzo- und Altstimmen an diesem Abend himmlische Stimmen hatten. Wir waren ziemlich beeindruckt, wie Hubeaux es schaffte, alles mit einer Mischung aus Hass und stimmlicher Schönheit zu singen, besonders in der zweiten Szene: Ihre Verachtung für die Rheintöchter war perfekt umgesetzt!

Wir mögen normalerweise einen Loge mit einer Mime-Herodes-ähnlicher Stimme, aber die Stimme des britischen Tenor Simon O’Neill mit seinem an Tristan denkenden Ansatz für die Rolle hat uns sehr zufriedengestellt. O’Neill ist eindeutig nicht in der Lage, in die Rolle eines Tricksters zu schlüpfen und hat in manchen Momenten ein wenig mit der Stimmprojektion zu kämpfen. Seine besten Momente hatte er seltsamerweise nicht in der dritten Szene, in der er Alberich in die Irre führt, sondern in seinen Konfrontationen mit den kranken Göttern.

 Der einzige Sänger, der die Gelegenheit hatte, seine stimmliche und schauspielerische Bandbreite voll zur Schau zu stellen, war der britische Bariton Brian Mulligan als Alberich. Die Figur, die oft auf eine bloße Verkörperung der Lächerlichkeit durch zurückgewiesener Liebe reduziert wird, klang in seiner Fluch-Szene „Bin ich nun frei“ tatsächlich wie der tragischste aller Helden, mit Wagnerschen Tonalität, in der Textverständlichkeit und stimmliche Phrasierung mühelos ineinander übergehen. Es gibt in einer Generation immer nur sehr wenige Sänger, die das können! Verstehen wir uns nicht falsch, Mulligans Alberich ist tragisch, aber dennoch ziemlich gewalttätig – und in seiner Wirkung auf andere eindeutig schädlicher als jeder der Götter. Gleichzeitig klingt und verhält er sich jedoch so, als wäre er der menschlichste aller Charaktere und ist die einzige Figur in der gesamten Oper, deren Psychologie für das Publikum auch vollständig verständlich ist.

Die neuseeländische Sopranistin Eliza Boom bewegte sich von der erotischen Negation zur Schönheit selbst und sang eine  Freia  mit den Qualitäten, die alle blonden Wagner-Rollen erfordern. Mit ihrer lyrischen Stimme, reich an schnellem Vibrato, war sie in der Lage, wunderschön und leicht zu Phrasieren. Bieitos Herangehensweise an die Rolle – die Betonung der Belästigung der Figur durch die Götter – war angesichts von Booms Bühnenpersönlichkeit vielleicht ein wenig zu passiv, aber dennoch waren wir mit ihrer Leistung zufrieden.

Ein weiteres Beispiel stimmlicher Schönheit war die der kanadischen Mezzo-Sopranistin Marie-Nicole Lemieux‘ Erda. Kürzlich sang die großartige Altistin einen unserer Meinung nach höchsten Höhepunkt unseren Lebens, Gustav Mahlers (1860-1911) nahezu unfehlbare Kindertotenlieder (1905) unter der Leitung des finnischen Dirigenten Mikko Franck. Jetzt stellt sie auch endgültig  unseren Glauben an die lyrische Kunst wieder her, indem sie die bezauberndste aller Erdas singt. Natürlich ist ihre Stimme nicht unbedingt von der einfachen Art, auf die Wagner-Opern oft zurückgreifen, aber ihr wunderschöner Ton, ihre bezaubernde Phrasierung und ihre beeindruckende Bühnenpersönlichkeit  - eine wahre Diva im besten Sinne des Wortes – verleihen ihr eine Würde, die sich nur schwer in Worte fassen lässt. Ihre Stimme klingt komplex: Extrem reich in allen Registern mit wunderschönen Obertönen und macht sie so rätselhaft wie die Rolle selbst, die sie spielt. Wie viele andere Sänger können bei einem so kurzen Auftritt einen solchen Eindruck hinterlassen? Nur sie! Brava

Was die anderen großartigen Eindrücke betrifft, so haben sowohl der südkoreanische Bass Kwangchul Youn als auch der finnische Bass Mika Kares als Giganten Fasolt und Fafner, wenn auch in unterschiedlicher Manier, sehr gute Leistungen gezeigt. Youns Fasolt war raffiniert, aber mit einem mühsamen Klang, der seine stimmliche Arbeit in den Vordergrund stellte. Kares hingegen klang mit seiner durchdringenden tiefen Stimme, die einen Sinn für Lyrik und Textualität bewahrte, auf eine Art und Weise, die unserer Meinung nach nur er heutzutage kann. Wir können uns wünschen ihn noch öfter zu hören!

Wie bereits erwähnt, sang Mbia den Donner mit großer Geschicklichkeit in „Heda! Heda! Hedo!“, einem der unserer Meinung nach besten Moment des Werks – und bewies damit, dass die Operntruppe von l‘Opéra National de Paris Sänger hat, die offensichtlich auch größere Rollen übernehmen können. Der kanadische Tenor Matthew Cairns war ein charmanter Froh, trotz der musikalischen Kargheit seiner Rolle.

Der deutsche Charakter-Tenor und Wagner-Veteran Gerhard Siegel spielte einen Mime, wie man Mime eben erwartet – er erleidet all die schrecklichen Misshandlungen Alberichs. Die drei Rheintöchter waren perfekt besetzt, jede von ihnen zeigte große stimmliche Beherrschung und Projektion, auch wenn sie mit Bieitos Bühnenchoreographie ein wenig zu kämpfen hatten. Obwohl die portorikanische Mezzo-Sopranisten Isabel Signoret (Wellgunde) und die russische Sopranistin Margarita Polonskaya (Woglinde) wunderschöne Darbietungen lieferten, war es nicht schwer, nicht von der besonderen stimmlichen Schönheit der deutschen Altistin  Katharina Magiera (Flosshilde) überwältigt zu sein.

Bieitos Das Rheingold ist sicherlich die mit größter Spannung erwartete Oper der Pariser Saison und ein mehr oder weniger frustrierendes Erlebnis. Frustrierend wegen des enttäuschenden Aspekts  des Theaters, das Bieitos früheren Werken deutlich unterlegen ist. Frustrierend wegen des Mangels an Genauigkeit und Großartigkeit des Orchesterklangs. Aber vor allem frustrierend, weil es fast alle notwendigen Elemente hatte, um gut zu sein! Das Orchester von l‘Opéra National de Paris hat in den letzten Jahren bereits Musik von Wagner und Richard Strauss (1864-1949) mit viel Präzision und musikalischer Qualität gespielt und Heras-Casado ist eindeutig ein Dirigent, der außerordentlich gut weiß, wie man Oper macht. Wir hoffen, denn er wird wohl als Musik-Direktor an das Haus gebunden! (PMP/10.02.2025)

Auskünfte und Kartenbestellung: www.operadeparis.fr