Paris, Opéra National - AMPHITHÉÂTRE - OLIVIER MESSIAEN, IOCO
Eszterháza war der Ort Joseph Haydns (1732-1809), Wirkungsstätte seiner wichtigsten Lebensjahre, ein Ort, den er gleichermaßen als Zentrum seines Schaffens und als Zwangsaufenthalt betrachtete. Eszterháza war aber auch die Wirklichkeit gewordene Utopie ....

14.3.2025 -- Joseph Haydn: L’ISOLA DISABITATA (1779) Azione teatrale in zwei Teilen mit einem Libretto von Pietro Metastasio: Artistes en Résidence à l’Académie de l’Opéra National de Paris et l’Orchestre Ostinat.

VARIATIONEN ZUM THEMA HAYDN…
Eszterháza oder die wüste Trauminsel in der Einöde…
Eszterháza war der Ort Joseph Haydns (1732-1809), Wirkungsstätte seiner wichtigsten Lebensjahre, ein Ort, den er gleichermaßen als Zentrum seines Schaffens und als Zwangsaufenthalt betrachtete. Eszterháza war aber auch die Wirklichkeit gewordene Utopie eines Fürsten, die Symbiose von Repräsentation und Kunst, eine Insel höfischer Kultur in ländlicher Einöde.
Die Eszterházys waren von einer Familie relativ wenig bemittelter Landadliger innerhalb weniger Generationen zu einem der überaus mächtigsten und reichsten Adelsgeschlechter aufgestiegen. Vermögensgewinne durch eine geschickte Heiratspolitik, reiche Erbschaften, vor allem aber die mehrfach bewiesene Treue zum Hause Habsburg bewirkten diesen Aufstieg. Zum Dank für die Unterstützung im Kampf gegen ungarische Rebellen erhielt Joseph Paul von Eszterházy I. (1614-1635) von Kaiser Ferdinand II. (1578-1637) 1622 die Herrschaft über Forchtenstein und Eisenstadt übertragen, 1625 wurde er zum Palatin (Stellvertreter des Königs) von Ungarn ernannt und wenig später in den Grafenstand erhoben. Einem seiner Nachfahren Nikolaus von Eszterházy I. (1714-1790) – gleichfalls Palatin von Ungarn – verlieh das Kaiserhaus 1687 die Reichsfürstenwürde. Seiner erfolgreichen Teilnahme an den Türkenkriegen hatte er zudem beträchtliche Schenkungen zu verdanken. 1696 erfolgte die Festlegung, dass der gesamte Familienbesitz künftig nur mehr ungeteilt an den jeweils ältesten Sohn vererbt werden durfte. „Spätestens ab diesem Zeitpunkt lebten die Fürsten Eszterházy nicht nur königlich, sondern regierten auch wie Souveräne über ihr „Fürstentum“, das einem Staat im Staate gleichkam: Die Eszterházy hatten das Münzrecht, eigenes Militär und die Blutgerichtsbarkeit (allein drei Scharfrichter in Ödenburg!). Die fürstliche Verwaltung führte die Grundbücher, stellte Tauf-, Geburts- und Heiratsurkunden aus und kassierte Steuern und Strafen. Die fürstliche „Generalkassa“ in Eisenstadt, dem Zentralsitz der Verwaltung, fungierte als Bank, die Geldeinlagen verzinste und Kredite verlieh.“ (Manfred Huss: Joseph Haydn, 1984).
[INTERVIEW] SIMON VALASTRO about L'ISOLA DISABITATA
Einige Zahlen mögen Macht und Reichtum der Eszterházys verdeutlichen: Unter Nikolaus I., genannt „der Prachtliebende“, der 28 Jahre Haydns Dienstherr war, betrug der Eszterházysche Landbesitz 700 000 Joch, das sind etwa 4000 Quadratkilometer, eine Fläche beinahe doppelt so groß wie das Saarland: Das 2569 Quadratkilometer umfasst! 1780 hatte der Fürst Gesamteinnahmen von 714 000 Rheinischen Gulden (fl.), wovon er 80 000 fl. als Betriebskosten für seine Schlösser aufwendete. Die Fürstin erhielt ein Taschengeld von jährlich 8000 fl. Die fürstliche Garderobe ließ man sich in Paris anfertigen. Der dortige Schneider besaß Puppen mit den genauen Maßen der Herrschaften, so dass er ohne Anproben jederzeit die gewünschte maßgerechte Kleidung liefern konnte. Allein im Jahre 1759 betrug die Rechnung des französischen Schneiders 4500 fl. Für Musik und Theater wendete der Fürst 28 000 fl. Auf, also 3,9 % seiner Gesamteinnahmen, eine Summe, die prozentual deutlich über dem Kulturetat heutiger Länder liegt. Zum Eszterházyschen Hofstaat zählte auch eine eigene Leibwache von 150 Grenadieren, von denen jeder 1,90 m groß sein musste. Zu ihren Aufgaben gehörte unter anderem das mit Pauken und Trompeten absolvierte Zeremoniell der Wachablösung vor den Schlössern, in denen der Fürst sich gerade aufhielt. An der Spitze der Dienerschaft standen die „Hausoffiziere“ – auch Haydn war ein „Offizier“ - , ihnen unterstanden die livrierten bedienten. Die für grobe Arbeiten herangezogenen nicht livrierten Arbeitskräfte hatten darauf zu achten, dass sie niemals unter die Augen der fürstlichen Herrschaften traten.
Fürst Paul Anton I. (1738-1794), von dem Haydn als Kapellmeister eingestellt wurde und sein Bruder Nikolaus I. waren Feldmarschälle in der österreichischen Armee. Nikolaus I. hatte in der Schlacht bei Kolin 1757 mit der von ihm befehligten und besoldeten Kavallerie wesentlichen Anteil am Sieg der Österreicher über König Friedrich II. den Großen (1712-1786). Nach dem Krieg zog er sich – nach dem Tode seines Bruders 1762 als Majoratsherr und damit also regierender Fürst geworden – auf seine Besitzungen zurück und begann mit Verwirklichung seines Traumes: Schloss Eszterháza.
An der Stelle des bisherigen am südöstlichen Ufer des Neusiedlersees gelegenen Jagdschlosses ließ er nach dem Vorbild von Versailles eine Residenz errichten: Ein Schloss mit Nebengebäuden und großer Parkanlage. Gesamtkosten: 12 Millionen Gulden, nach heutigem Geldwert eine Milliardensumme! Zum Vergleich: Ein Herrschaftshaus kostete damals in Wien 100 000 Gulden! Die hohen Kosten entstanden nicht nur durch den großen Umfang der Anlage, sondern nicht zuletzt durch die besondere Vorbereitung, die für den Bau getroffen werden mussten. So waren Sümpfe des Neusiedlersees trockenzulegen, Kanäle zur Entwässerung auszuheben sowie ein 10 km langer Damm als Zufahrt zum Schloss zu bauen. Das Außerordentliche und Ungewöhnliche dieses Prachtschlosses, das 1766 den Namen Eszterháza erhielt, kommt deutlich in der folgenden Schilderung aus Cramers Magazin der Musik (1784) zum Ausdruck: „Vielleicht ist außer Versailles in ganz Frankreich kein Ort, der sich in Rücksicht auf Pracht mit diesem vergleichen ließe. Das Schloss ist ungeheuer groß und bis zur Verschwendung mit allem Geräthe der Pracht angefüllt. Der Garten enthält alles, was die menschliche Einbildungskraft zur Verschönerung, oder wenn du willst, zur Verunstaltung der Natur ersonnen hat. Pavillons von allen Arten sehen wie die Wohnungen wollüstiger Feen aus, und alles ist so weit über dem gewöhnlichen Menschlichen, dass man beym Anblick desselben einen schönen Traum zu träumen glaubte. […] Aber das muss ich im Vorbeygehen doch bemerken, dass […] hie und da das Auge sehr beleidigt wird, weil die Kunst zu viel getan hat. Ich erinnere mich, die Wände einer Sala Terrena mit Figuren bemalt gesehen zu haben, die wenigstens 12 Schuhe hoch waren und da die Sala nicht geräumig genug war, sie nach menschlichen Verhältnis ins Auge zu fassen, ein Erdensöhnchen meiner Art seine Kleinheit gar zu sehr fühlen ließen. […] Was die Pracht des Ortes sich’s nicht denken. Der Neusiedler See, wovon das Schloss nicht weit entfernt ist, macht meilenlang Morräste, und droht alles Land , bis an die Wohnung des Fürsten hin, mit der Zeit zu verschlingen. […] Die Bewohner dieses angrenzenden Landes sehen größtenteils wie Gespenster aus, und werden fast alle Frühjahr von kalten Fiebern geplagt. Man will berechnet haben, dass der Fürst mit der Hälfte des Geldes, welches er auf seinen Garten verwendet, nicht nur die Morräste hätte austrocknen, sondern auch in den Augen gewisser Leute mehr Ehre machen würde, als sein prächtiger Garten. Auf der anderen Seite des Schlosses braucht man keine Tagesreise zu machen, um Kalmücken, Hottentotten, Iroken und Leute von Terra del Funego und ihren verschiedenen Beschäftigungen und Situationen beysammen zu sehen.
So gesund auch die Gegend, besonders im Frühling und Herbst ist und so oft auch der Fürst selbst vom kalten Fieber befallen wird, so ist er doch fest überzeugt, dass es in der ganzen Welt keine gesundere und angenehmere Gegend gäbe. Sein Schloss steht ganz einsam und er sieht niemand um sich als seine Bedienten, und die Fremden, welche seine schönen Sachen beschauen wollen“.
Das neben dem Schloss erbaute Opern- und Schauspielhaus war für 400 Zuschauer eingerichtet. Für die fürstlichen Herrschaften und hohe Besucher bot es – wie aus der Beschreibung in Cramers Musikmagazin hervorgeht – über den Kunstgenuss hinaus noch weitere Annehmlichkeiten: „Vorn an dem Theater befinden sich noch beyderseits runde Logen, hinter denselben aber sehr artig ausgezierte Kabineter, mit Kaminen, Ruhebetten, Spiegeln, Uhren und anderen Nothwendigkeiten überaus kostbar eingerichtet. Die Hauptloge wird durch roth marmorierte Römische Säulen, die bis auf den dritten Teil mit vergoldeten Stäben verziert, deren Schäfte und Kapitäler aber ganz vergoldet sind, gestützt“.
Eine Attraktion besonderer Art stellte das Marionettentheater dar. Es ähnelte einer Grotte. Wände und Nischen waren mit Muscheln und Schnecken verkleidet, die durch die Art der Beleuchtung eine eigenartige Atmosphäre ausstrahlten. Haydn komponierte mehrere Marionettenopern, deren Partituren allerdings fast alle verlorengingen. Das Marionettentheater war über Eszterháza hinaus berühmt. Auf Wunsch von Kaiserin Maria Theresia de Habsburg (1717-1780) gastierte es 1777 anlässlich des Besuches des Kurfürsten von Trier in Wien.
Der Fürst hielt sich den größten Teil des Jahres in Eszterháza auf, nur die Monate Dezember und Januar verbrachte er gewöhnlich am Kaiserhofe. Im August 1790 wurden die Theateraufführungen und Konzerte in Eszterháza abrupt eingestellt. Fürst Nikolaus I. war schwer erkrankt und musste sich in ärztliche Behandlung nach Wien begeben. Wenig später, am 28. September starb er. Sein Sohn und Nachfolger, Fürst Paul Anton, entließ von einem Tag auf den anderen alle Sänger und Musiker, ausgenommen die Bläser der Militärmusik. Nur Haydn und Konzertmeister Luigi Tomasini (1741-1808) blieben formal im fürstlichen Dienst. Fürst Nikolaus hatte Haydn überdies testamentarisch eine lebenslängliche Jahrespension von 1000 Gulden vermacht. Haydn bezog außerdem ein Gehalt von 400 fl., mit der Verpflichtung, weiterhin den Titel eines fürstlich Eszterházyschen Kapellmeisters zu führen. Haydn war inzwischen eine Weltberühmtheit geworden und sein Name trug bei, das Renommee des Hauses Eszterházy zu heben. Die Nachkommen von Fürst Nikolaus dem „Prachtliebenden“ waren an Schloss Eszterháza nicht interessiert. Von späteren Generationen der Familie wurde das Schloss nicht mehr bewohnt. Das „Eszterházysche Feenreich“, wie es Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) genannt hat, war nur wenige Jahrzehnte zum Leben erwacht, um bald wieder zu verfallen. Um 1870 besuchte der Haydn-Biograph Anton Carl Ferdinand Pohl den Besitz Eszterháza (1819-1887). Er berichtet: „Der Besucher von heutzutage wird kaum noch durch irgend ein Zeichen daran erinnert, dass hier in einer Reihe von Jahren Fest an Fest sich reihte, dass der glänzendste Adel hier einem der kunstsinnigsten und reichsten Fürsten huldigte; dass nicht nur die Tonkunst, sondern die Künste überhaupt mitten in einer flachen, eintönigen Gegend gepflegt wurden. Wohl steht noch das reizende Palais, aber seine Kunstschätze von ehedem wanderten nach Wien, Eisenstadt und dem Bergschlosse Forchtenstein. Die kostbar ausgestatteten Räume stehen theils leer, theils sind sie zu Kanzleien verwendet. Das Schauspielhaus wurde 1870 abgetragen, die zierlichen Pfeiler und Gesimse wurden von Spekulanten zu profanen Zwecken verwendet. Das Marionetten-Theater wurde zu einer Fabrik umgewandelt, die Marionetten-Figuren sowie die Garderobe der Oper kaufte 1798 um 1000 Gulden die Gräfin von Klutscheszky (1748-1815). Das Musikgebäude diente einige Zeit zur Aufstellung von Webstühlen und später zu Beamten-Wohnungen. Der kunstvoll angelegte Garten ist jeden Schmuckes beraubt; die Springbrunnen sind versiegt, die Treibhäuser verschwunden; die Lustgebäude sind der Erde gleichgemacht und der baumreiche; weit ausgedehnte Park wurde Stück um Stück gelichtet und zum Anbau von Feldfrüchten verwendet und selbst die weit umfassende Mauer erleichtert in ihrem Verfall jedem Anwohner den Eintritt. […] Das Leben ringsum spiegelt die Einförmigkeit eines abgelegenen Stück Landes und selbst der See, der einst fast bis zu den Thoren des Schlosses reichte, ist in seinen Ufern weit zurückgetreten, als wolle er andeuten, dass er hier nichts mehr zu suchen habe“.
Was von dem Inventar noch übriggeblieben war – darunter Bilder und Musikinstrumente aus der Zeit Haydns – wurde 1945 von sowjetischen Soldaten verbrannt. Das Feuer soll man bis Preßburg (Bratislava) gesehen haben.

Kapellmeister des Fürsten…
Haydns Anstellungsvertrag datiert vom 1. Mai 1761. Vermutlich aber war Haydn schon vor dem Vertragsabschluß eine Zeitlang am Eszterházyschen Hofe tätig, gleichsam als Probeanstellung, um seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Seinem Biographen Georg August Griesinger (1769-1845) gegenüber nannte er den 19. März 1760 als Datum seines Dienstantritts. Die Anstellung erfolgte noch unter Fürst Paul Anton, der aber schon am 18. März 1762 verstarb. Danach wurde Fürst Nikolaus I. sein Dienstherr. Haydn galt laut Anstellungsvertrag als „Hausoffizier“, hatte Livree zu tragen und sich täglich zweimal in der Antichambre einzufinden, um die Befehle des Fürsten entgegenzunehmen. Das war der Lakaienstatus, wie wir ihn auch von anderen an Fürstenhöfen angestellten Musikern kennen, ein sozialer Status, von dem sich Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) zu befreien versuchte, von dem sich aber erst Ludwig van Beethoven (1770-1827) emanzipieren konnte. Da der bisherige Hofkapellmeister Gregor Joseph Werner (1693-1766) noch amtierte, wurde Haydn zunächst als Vizekapellmeister angestellt. Werners Wirkungskreis schränkte der Fürst allerdings auf die Kirchenmusik ein, alle anderen Verpflichtungen hatte Haydn wahrzunehmen. Nach dem Tode Werners 1766 wurde er schließlich auch offiziell 1. Kapellmeister. Griesinger, der seine Angaben aus erster Hand, nämlich aus des Komponisten Munde hatte, schrieb: „Haydn hatte die Hände voll zu tun; er komponierte, er musste alle Musiken dirigieren, alles einstudieren helfen, Unterricht geben, sogar sein Klavier im Orchester selbst stimmen, er verwunderte sich öfters, wie es ihm möglich gewesen sei, so vieles zu schreiben, da er so manche Stunden durch mechanische Arbeiten verlieren musste“. Zu all diesen Verpflichtungen – zu denen unter anderem gehörte, dass er als Geiger gemeinsam mit seinen Musikern der Hofgesellschaft zum Tanz aufzuspielen hatte – kam 1776 noch die Tätigkeit als Opernkapellmeister hinzu. Von diesem Zeitpunkt an fand nämlich in Eszterháza ein regelmäßiger Opernbetrieb statt! Vorher wurden Opern nur zu besonderen Anlässen gespielt. Ausgenommen die Monate Dezember und Januar wurde in der Regel in der Woche zweimal Oper gegeben, in manchen Jahren sogar dreimal. In dem Zeitraum von 1776 bis 1790 brachte Haydn in Eszterháza 88 Opern zur Aufführung. In Wien hatten im gleichen Zeitraum dagegen 79 Opern Premiere. Gespielt wurden Werke der damals bekanntesten Opernkomponisten, so von Giovanni Paisiello (1740-1816), Pasquale Anfossi (1727-1797), Vincenzo Righini (1756-1812), Niccolò Vito Piccinni (1728-1800), Antonio Maria Gasparo Sacchini (1730-1786), Karl Ditters von Dittersdorf (1739-1799), Giuseppe Sarti (1729-1802), Niccolo Antoniò Zingarelli (1752-1837), Antonio Salieri (1750-1825), Tommaso Traetta (1727-1779), Domenico Cimarosa (1749-1801), Ferdinando Giuseppe Bertoni (1725-1813) und Florian Leopold Gaßmann (1729-1774). Haydn ablag nicht nur die Leitung der Aufführungen, sondern er hatte auch für die Einstudierung der Sänger sowie für die Beschaffung und Herstellung des Notenmaterials zu sorgen, ja er war, bevor ein Bühnenbildner eingestellt wurde, sogar zur Mitarbeit an Bühnenbild- und Kostümentwürfen verpflichtet. Die Größe des Haydn zur Verfügung stehenden Orchesters schwankte in den Jahren 1776 zwischen 19 und 24 Musikern, das Gesangsensemble bestand in der Regel aus etwa 8 Solisten.
Die Opernaufführungen waren oft Teil gigantischer Repräsentation-Veranstaltungen. Haydns Festa theatrale Acide wurde am 11. Januar 1763 anlässlich der Hochzeit des ältesten Sohnes des Fürsten in einem Glashaus des Schlossparks zu Eisenstadt aufgeführt. Das Wiener Diarium vom 20. Januar 1763 berichtet: „Nach der glücklichen Ankunft des Hochgräfl. Braut-paares […] wurde in der Schlosskapelle das Te Deum gehalten und dann an 3 Tafeln, jede von mehr denn 60 Couverts, das Abendessen eingenommen. […] des folgenden Tages […] ließen Se. Hochfürstl. Gnaden […] gebratene Schunken, Würste, geräuchertes Fleisch und Brod unter das in sehr großer Zahl davor versammelte Volk auswerfen und aus 2 großen Fässern Wein rinnen […] nach dem Spiele wurde eine schöne wälsche Opera, betitelt: Acide […] ausgeführet: Die Fürstl. Musicanten waren alle in gleicher dunkelrother und herrlich verbrämter Kleidung. Darauf folgte in dem unvergleichlichen und zu diesem fest herrlich gezierten Schloss-saale ein masqirter Ball. […] Den 12ten war die Tafelcompagnie zu Mittag noch viel zahlreicher: der Abend wurde theils mit einem angenehmen Schauspiel von Seil-tänzern, Springern, Gauklern, und Balancir-künstlern; theils mit dem Ball zugebracht, welcher bis fruhe Morgen dauerte: Man zählete dabey 600 Masquen, worunter viele sich verschiedene male umkleideten“.
Der Fürst ließ Haydn als Zeichen der Anerkennung für die Opernaufführung 12 Dukaten (etwa 50 Gulden) auszahlen. In den folgenden Jahren erhielt Haydn noch mehrfach solche Gratifikationen, die den Zweck verfolgten, ihn an das Fürstenhaus zu binden. Fürst Nikolaus I. wusste vermutlich, dass er einen Musiker dieses Ranges nicht wieder bekommen konnte. Haydns Jahresgehalt betrug anfangs 400 fl., freie Kost am Offizierstisch, freies Quartier und jährlich eine Gratisuniform. Nach mehreren Aufbesserungen in Geld oder Naturalien kam er ab 1779 auf jährlich 782 Gulden und 30 Kreuzer und allerlei Naturalien. Außerdem erhielt er 100 Gulden als Organist in Eisenstadt, musste aber von diesem Geld bei Abwesenheit von diesem Ort einen Aushilfeorganisten bezahlen. Zum Vergleich: Der Leibarzt des Fürsten erhielt 2200, der Oberförster 900, der höchste Richter der Eszterházyschen Herrschaft 800 und ein Diener 150 Gulden im Jahr, ein Speckschwein kostete 12 Gulden, ein Eimer Bier 1 Gulden, 30 Kreuzer.
Für Haydn bedeuteten die Jahre im fürstlichen Dienst eine Zeit härtester Arbeit. Seine Kompositionen entstanden neben seinen vielen Verpflichtungen. Allein in den letzten fünfzehn, meist in Eszterháza verbrachten Dienstjahren schrieb er unter anderem 6 Opern, 30 Sinfonien, 2 Dutzend Streichquartette, Klaviersonaten und Lieder. Gegenüber seinem Biographen Griesinger hob er die positive Seite seiner Tätigkeit am Hofe Eszterháza hervor: „Mein Fürst war mit allen meinen Arbeiten zufrieden, ich erhielt Beifall, ich konnte als Chef eines Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen; ich war von der Welt abgesondert. Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen, und quälen, und so musste ich original werden“. Ansonsten schwieg sich Haydn über die Jahre als Eszterházyscher Kapellmeister aus. Nur in wenigen Äußerungen kommt sein wirkliches Denken über sein Dienstverhältnis zum Vorschein. So in einigen Briefen an die befreundete Maria Anna von Genzinger (1754-1793) in Wien. Am 30. Mai 1790 schreibt er ihr: „ […] lassen sich demnach Ihro Gnaden nicht abschröcken, mich zu zeiten mit dero So angenehmen Briefwechsel zu trösten, indem mir dieser zur aufmunterung in meiner Einöde, meines öfteren sehr tief gekränckten Hertzen höchst Nothwendig ist; o körnt ich nur eine viertl stund bey Ihro Gnaden Trost einzuhauchen, ich unterliege bey unser dermahligen Regierung vielen Verdriesslichkeiten, welche ich aber mit stillschweigen übergehen muss: der einzige Trost, so mit noch übrig bleibt, ist, dass ich gottlob, gesund, und thätige lust zur arbeith habe; nur bedaure ich bey dieser lust, dass Euer Gnaden so lang auf die versprochene Sinfonie warten müssen […] seund Euer Gnaden derohalben nicht böse auf Ihren Haydn, der, so oft sich sein Fürst von Estoras [=Eszterháza] absentirt, nie die Erlaubnuß erhalten kann, nur auf 24 Stund nach wienn gehen zu darfen; es ist kaum noch glauben, und doch geschieht diese weigerung auf feinste arth, und zwar auf solche, dass ich außer stand gesetzt werde die Erlaubnuß zu begehren […] nu in gottes Nahmen: es wird auch diese zeit vorüber gehen, und jene wider komen, in welcher ich das unschätzbahre vergnügen haben werde, neben Euer Gnaden am Clavier zu sitzen, Mozarts Meister stücke spiellen zu hören“.

Die folgende Darstellung der in London erschienenen Zeitung The Gazetter & Daily Adventiser vom 17. Januar 1785 dürfte trotz ihrer unverkennbar polemischen Tendenz von der Wahrheit nicht weit entfernt gewesen zu sein: „Für einen freien Geist gibt es in der Geschichte um Haydn etwas sehr Beschämendes: Dieser wunderbare Mann, ein William Shakespeare (1564-1616) der Musik und Triumph unseres Zeitalters, ist verurteilt, am Hofe eines miesen deutschen Fürsten zu leben, der diese Ehre weder verdient noch zu würdigen imstande ist. Haydn, der bescheidenste und größte Mensch zugleich, hat sich mit seiner Lage abgefunden, indem er sein Leben den Riten und Zeremonien der Katholischen Kirche widmet, was er bis zum Aberglauben treibt: Er findet sich damit ab, in einem winzigen Ort, nicht viel besser als ein Verließ, eingekerkert als Opfer des ihn unterdrückenden Geistes dieses kleinlichen Fürsten zu leben, und dem marktschreierischen Wesen seines zänkischen Weibes ausgeliefert zu sein. Wäre es nicht für einige strebsame junge Männer eine kreuzzugähnliche Aufgabe, ihn von diesem Schicksal zu befreien und nach Großbritannien zu versetzen, in das Land, für das seine Musik geschaffen zu sein scheint?“.
Die Verlassene auf der wüsten Insel oder eine andere Ariadne…
Haydn äußerste zuweilen – so kann man bei Griesinger lesen -, er hätte anstatt der vielen Quartetten, Sonaten und Sinfonien mehr Musik für den Gesang schreiben sollen, denn er hätte können einer der ersten Opernschreiber werden, und es sey auch weit leichter, nach Anleitung eines Textes, als ohne denselben zu komponieren“. In der Tat, verglichen mit der großen Zahl seiner Sinfonien und Kammermusiken nimmt Haydns Opernschaffen einen eher bescheidenen Platz ein. Immerhin aber schrieb er 12 abendfüllende Opern, nicht gezählt die einaktige Festa teatrale Acide und die größtenteils nicht erhaltenen Singspiele sowie die Musiken für das Eszterházysche Marionettentheater. Die meisten Werke wurden in Eszterháza zum ersten Mal aufgeführt und waren für das dort zur Verfügung stehende Ensemble bestimmt. In Eszterháza wurden die Opern in ihrer originalen italienischen Fassung gespielt, während sie an anderen Theatern in deutscher Sprache übersetzt gegeben wurden. So hatte zum Beispiel das Preßburger Theater des Grafen Sandor II. Erdödy (1779-1837) vier Opern Haydns mehrere Jahre hindurch in deutscher Sprache auf dem Spielplan. Im deutschen Repertoire der Prager Oper wurde 1790 bis 1792 Haydns Orlando Paladino (1782) aufgeführt. Das selbe Werk lief unter dem Titel Ritter Roland zwischen 1792 und 1795 zehnmal in Mannheim. 1798 kam es im Berliner Nationaltheater heraus. Gerbers Neues Historisch-Biographisches Lexikon der Tonkunst (1812/14) enthält über Haydns Opern die Bemerkung: „Jedes seiner Stücke ist ein schönes Kunstwerk in seiner Art, und zeigt das Gepräge des Originalgenies auf jeder Seite“. Während also Haydns Opern von seinen Zeitgenossen durchaus geschätzt wurden, mehren sich im 19. Jahrhundert die Stimmen, die glauben, bei ihnen mangelnde Dramatik und fehlendes Gespür fürs Theater konstatieren zu müssen. Erst in den letzten Jahrzehnten beginnt man, Haydns Opern stärkere Beachtung zu schenken und die Eigenart dieser Werke zu erkennen.
L’Isola Disabitata (Die wüste Insel) wurde am 6. Dezember 1779 anlässlich des Namenstages von Fürst Nikolaus I. Eszterházy zum ersten Mal aufgeführt, allerdings nicht im Opernhaus, sondern im Redoutensaal des Schlosses. Das Theatergebäude war wenige Wochen zuvor, am 18. November, einem verheerenden Brand zum Opfer gefallen, bei dem – wie wir dem Bericht der Preßburger Zeitung entnehmen – „ein Schaden von 100 000 Gulden angerichtet wurde und zwo schöne Uhren; die prächtige Theaterkleidung; alle Musikalien, an welchen lange und mit viel Kosten gesammelt wurde; die musikalischen Instrumente, worunter der schöne Flieg (Flügel) des berühmten Kapellmeisters „Haiden“ und die Konzertvioline des Virtuosen Lotschi [des Konzertmeisters Luigi Tamasini] alles ist ein Raub der Flamme […] geworden“.
Haydn hatte einen Text von Pietro Trapassi Metastasio (1698-1782) komponiert, der schon vor ihm von anderen Komponisten – so u. a. von Giuseppe Bonno (1711-1788) in Wien 1752, Ignaz Jacob Holzbauer (1711-1783) in Mannheim 1754, Traetta in St. Petersburg 1769 und Johann Gottlieb Naumann (1741-1801) in Venedig 1773 – vertont worden war. Auch nach Haydns Komposition entstanden noch weitere Vertonungen des Metastasio-Textes, so u. a. von Niccolò Jomelli (1714-1774) in Queluz 1780, Gaspare Spontini (1774-1851) in Florenz 1798 und Paisiello in Lissabon 1799. L’Isola Disabitata gehört zu den wenigen Opern Haydns mit ernstem Stoff. Der Fürst Eszterházy liebte die Opera seria nicht, außerdem war diese in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gleichsam ein Auslaufmodell. Die Opera buffa hatte ihren Siegeszug bereits begonnen. Die Opera seria galt als erstarrte, reformbedürftige Gattung und nicht nur Christoph Willibald, Ritter von Gluck (1714-1787), sondern auch Komponisten wie Jomelli und Traetta bemühten sich um ihre Erneuerung. So wird verständlich, dass Haydn hauptsächlich Buffo-Opern schrieb, zumal Werke dieses Genres mit den begrenzten Mitteln des Theaters in Eszterháza leichter zu realisieren waren. Bemerkenswert ist, dass Haydn sich in seinem späteren Schaffen mit der Armida (1784) in Eszterháza aufgeführt und der für London geschriebene L’Anima del Filosofo von 1791 nochmals der Opera seria zuwandte. Allerdings ist auch und gerade in L’Isola Disabitata sein Bemühen erkennbar, eine hergebrachte Form mit neuem Inhalt zu erfüllen. Mit dem Begriff Opera seria verbindet man einen Operntypus mit Secco-Rezitativen und der Dominanz von reflektierenden Arien meist in Dacapo-Form. Beides findet man hier nicht! An die Stelle des Secco-Rezitativs tritt durchgehend das vom Orchester begleitete Accompagnato. Die Arien sind relativ knapp gehalten, sie reflektieren nicht nur, sondern setzen teilweise auch die Handlung fort. Insbesondere dir Figur der Silvia passt nicht ins seria-Schema! Sie ist keine komische Nebenfigur, sondern steht durchaus gleichwertig Costanza gegenüber. Ihr unbeschwerteres Verhältnis zum Leben bildet einen Gegenpol zu den Klagegesängen der Schwester.
Bei den Aufführungen in Eszterháza – es fanden nur zwei statt – sangen Barbara Ripamonti (1750-1786) die Costanza, Andrea Totti (1750-1784) den Gernando, Benedetto Bianchi (1742-1799) den Enrico. Die Partie der Silvia wurde von Luigia Polzelli (1760-1830) gesungen, von der wir wissen, dass sie Haydns Geliebte war. Als 29jährige war sie 1779 gemeinsam mit ihrem wesentlich älteren Mann, einem Violinisten; nach Eszterháza gekommen. Der Fürst wollte dem Ehepaar schon nach der zweijährigen Probezeit kündigen, er zog aber – vermutlich auf Haydns Einspruch hin – die Kündigung wieder zurück. Die Polzelli blieb bis zur Auflösung des Ensembles im Jahre 1790. Haydn gab ihr nach dem Tod seiner Frau ein schriftliches Heiratsversprechen, das aber dann doch nicht eingelöst wurde. Die Polzelli hatte zwei Söhne, einer unbestätigten Überlieferung zufolge soll der jüngere Haydns Sohn gewesen sein. Die Silvia ist die einzige Partie, die Haydn der Polzelli, neben der Lisetta in La Vera Costanza (1779), in einer seiner Opern gegeben hat. In den italienischen Opern, die in Eszterháza aufgeführt wurden, sang sie nur kleinere Partien. Einigermaßen amüsant ist es, wie einige Haydn-Biographen ein Negativbild der Polzelli entwerfen. Die Liaison zwischen ihr und dem Komponisten passte nicht in ihr moralisch gereinigtes Haydn-Bild, folglich lassen sie der Sängerin nur die Rolle einer raffinierten Verführerin zuteil werden.
Die beiden Schwestern Costanza und Silvia werden in Haydns Oper musikalisch deutlich voneinander unterschieden: Costanza als ernste, zu Schwermut und Verzweiflung neigende Frau, Silvia dagegen als unbeschwertes, naives Mädchen. Eine ähnliche, wenn auch nicht so deutliche Differenzierung erfahren Gernando und Enrico. Eine Charakterisierung der Personen erfolgt auch in den Ritornellen des Schlussquartetts. Instrumentalsoli bereiten jeweils auf den Gesangseinsatz vor: Violinsolo für Costanza, Violoncello für Gernando, Flöte für Silvia und Fagott für Enrico. Das Finale sprengt nicht nur den Rahmen einer Kammeroper, es verdeutlicht vor allem, in welchem Maße Haydn in diesem Werk die Klischees der Opera seria verlässt. In Metastasios Originallibretto steht am Schluss ein Coro, der das Resümee der Handlung gibt, bei Haydn finden wir an dieser Stelle einen ganz neuen Text, der die individuellen Gefühle der handelnden Personen wiedergibt und schließlich im Zusammenwirken aller Stimmen zu einer Apotheose von Liebe und Gattentreue von nahezu oratorischer Dimension gesteigert wird.

Einziger Handlungsort von L’Isolo Disabitata ist eine „wüste Insel“, wie auch der Titel bei deutschsprachigen Aufführungen lautete. Bei einer Seereise nach Westindien wurden Gernando mit seiner Frau Costanza und deren Schwester Silvia, die noch ein Kind war, durch einen Sturm gezwungen, auf einer unbewohnten Insel zu landen. Während Costanza und Silvia in einer Grotte erschöpft schliefen, entführten Seeräuber Gernando und einige seiner Gefährten. Costanza fand sich mit Silvia, als beide erwachten, allein auf der Insel und glaubte sich von ihrem Gatten schmählich verraten und verlassen. Wenn die Opernhandlung beginnt, sind seitdem viele Jahre vergangen. Ihren Hass auf die Männer versucht Costanza auf die inzwischen zu einer jungen Frau herangewachsene Silvia zu übertragen. Sie will ihrem Leben selbst ein Ende setzen und meißelt ihren Entschluss als Inschrift in einen Felsen. Gernando ist es gelungen, aus der Sklaverei, in die ihn die Seeräuber verkauften, freizukommen. Mit seinem Gefährten Enrico kehrt er auf die Insel zurück, um Costanza zu suchen. Als er ihre Inschrift entdeckt, glaubt er, sie sei nicht mehr am Leben. Jetzt will er selbst auf der Insel den Tod finden. Silvia hat aus einem Versteck die Ankunft der beiden Männer beobachtet. Aber sind es denn Männer? Sie kann bei ihnen nicht die Züge von Grausamkeit entdecken, die Costanza stehts als männliche Merkmale bezeichnet hat. Zu dem einen, zu Enrico, fühlt sie sich sogar seltsam hingezogen, ein Gefühl der Sympathie , das sich bei der ersten Begegnung mit ihm noch verstärkt. Costanza dagegen begegnet Gernando bei ihrem Wiedersehen voller Abwehr. Erst Enrico kann aufklären, dass ihr Gatte sie nicht schuldhaft verließ, sondern all die Jahre seiner Freiheit beraubt war. Am Schluss finden sich zwei liebende Paare.
Schon im Altertum galt die Insel als Ort der Verbannung oder der Zuflucht, als Ort, wo die Zauberinnen und Dämonen wohnen oder sich das irdische Paradies befindet. Im 18. Jahrhundert sind Inseln Stätten, an denen der Mensch seine Selbstbehauptung und seinen Erfindungsreichtum beweisen kann – Daniel Defoes (1660-1731): Robinson Crusoe (1719) oder an denen sich menschliche Gemeinschaften bilden, die Alternativen zu bestehenden Staatsformen darstellen: Johann Gottfried Schnabels (1692-1758): Insel Felsenburg (1731) und andere Insel-Utopien -. Ein Topos der zeitgenössischen Literatur und des Theaters, bekanntestes Beispiel: Mozarts Die Entführung aus dem Serail, K. 384 (1782) ist auch der Menschenraub durch Seeräuber und der Verkauf der geraubten Reisenden in die Sklaverei. Das Theater der Zeit kennt auch schon das Motiv der Liebe zwischen Menschen, die – wie Silvia, die fern der Männerwelt aufwuchs – bisher in ihrem Leben keine Begegnung mit dem anderen Geschlecht hatten. In Pierre Carlet Marrivaux‘ (1688-1763) Stück La Dispute (1744) wird in einem Experiment das Verhalten von drei jungen Frauen und Männern, von denen jeder in völliger Isolation erzogen wurde, getestet. Nur ein Paar findet sich in wirklicher Zuneigung, während die anderen beiden Paare sehr bald zum Partnertausch bereit sind. Was bei Marrivaux auf einer Menschen-Versuchsstation vorgenommen wird, ergibt sich in Haydns Oper aus der Handlung: In Silvia, die zuvor keinen Mann gesehen hat, wächst sehr rasch die Liebe zu Enrico.
Die Insel in L‘Isola Disabitata ist zwar ein freundliches Eiland, auf dem man, umgeben von Pflanzen und Tieren, leben kann. Für Costanza, die sich verlassen fühlt, bedeutet sie aber keine Insel der Seligen, sondern einen Zwangsaufenthalt, wo sie alles an die vermeintliche Untreue und Grausamkeit des Gatten erinnert. Für sie ist die Insel ein durch den Sündenfall des Mannes entweihtes Paradies, ein Ort des Ausgestoßenseins aus der menschlichen Gesellschaft. Sie befindet sich in der selben Situation oder glaubt das jedenfalls wie Ariadne in der griechischen Sage, wie die kretische Königstochter, die von ihrem Geliebten Theseus – dem sie zuvor das Leben gerettet hatte, indem sie ihm durch den mitgegebenen Faden zur Rückkehr aus dem Labyrinth des Minotaurus verhalf – auf einer einsamen Insel ausgesetzt wurde. Viel unbefangener steht Silvia der Inselwelt gegenüber! Sie, die nicht wie ihre Schwester von der Zivilisation und ihren gesellschaftlichen Normen geprägt wurde, vermag sich an der Natur zu erfreuen und hier glücklich zu sein.
Der Ariadne-Mythos ist seit Claudio Monteverdis (1567-1643) Arianna (1608) einer der am häufigsten gestalteten Opernstoffe des 17. Und 18. Jahrhunderts und zeigt seine Nachwirkung noch in Richard Strauss‘ (1864-1949) Ariadne auf Naxos (1912/16). Costanzas Schicksal ähnelt zwar dem der Ariadne, der Stoff erfährt aber in Metastasios Libretto gleichsam eine Umkehrung: Der Geliebte und Ehemann hat Costanza nicht verlassen, sondern wurde selbst ein Opfer widriger Umstände. Das Ethos der Aufklärungszeit forderte eine andere Schlusslösung als in der griechischen Sage und in den Opern des Barock. Nicht der Gott Dionysos erscheint am Schluss, um die Frau zu erretten, sondern der liebende Gatte. Nicht ein Deus ex machina führt das glückliche Ende herbei, sondern die Treue des Gatten, der gleich einem männlichen Fidelio (1805) von Ludwig van Beethoven (1770-1827) die Gattin aus dem Inselgefängnisbefreit…

Aufführung im Amphithéâtre - Olivier Messiaen - Opéra National de Paris - 14. Mars 2025
Die Tugenden der Demut…
Der italienische Tänzer und Choreograf Simon Valastro kehrt an die Opéra National de Paris zurück und inszeniert die sehr selten gespielte Oper L’Isola Disabitata von Haydn mit den jungen Sängern und Musikern der Academie de l’Opéra National de Paris. Unter der musikalischen Leitung des spanisch-amerikanischen Dirigenten François López-Ferrer musizieren die jungen Musiker des Orchestre Ostinato. Die allgegenwärtige und unbestreitbare Welt des Tanzes bereichert diese raffinierte von einem Hauch Humor geprägte Vision auf natürliche Weise.
Wie können wir unserem Wesen nicht treu bleiben…?
Die Absicht des Regisseurs ist klar: Es geht weder darum, das Werk in einen neuen Kontext zu stellen, noch das Image dieser Azione Teatrale – eine Gattung der populären Oper in Italien, im Allgemeinen kurz, mit maximal zwei Akten, wenigen Sängern und ohne Chor - zu revolutionieren. Die angesprochenen menschlichen Dynamiken wie Vorurteile, Entfremdung oder Ignoranz behalten eine Zeitlosigkeit, die weiterhin relevant bleibt. Valastro verleiht Haydns Werk einen Hauch zeitgenössischer Poesie und integriert eine Tanzpartitur für den französischen Tänzer Nicolas Fayol. Letzterer verkörpert eine Hirschkuh, die Silvia verzweifelt versucht zu zähmen. Noch bevor das Werk richtig beginnt und das Publikum seine Plätze eingenommen hat, steht der Tänzer bereits auf der Bühne. Er trägt ein einfaches hautfarbenes Kostüm und seine Haare sind so frisiert, dass sie das Geweih einer Hirschkuh imitieren. In der Klangkulisse erwacht die tropische Natur, begleitet von Vogelgesang, dessen Rhythmus zum Auftakt eines wirbelnden, tierischen Tanzes wird. Fayols Ausbildung als Breakdancer verleiht ihm eine Geschicklichkeit und Leichtigkeit, die beinahe der Schwerkraft trotzt.
Trotz der Einschränkungen durch den begrenzten Platz im Amphithéâtre Olivier Messiaen fängt die Szenografie der französischen Bühnenbildnerin Lucie Mazières die Essenz der einsamen wüsten Insel ein. Dieser einfache, imposante Felsen, der in der Mitte der Bühne steht, verwandelt sich im Laufe der Handlung: Manchmal ist er ein Zufluchtsort, manchmal ein Symbol für die Vorurteile, die die Charaktere überwinden müssen. Auf einer Drehscheibe konzipiert, ist er von allen Seiten nutzbar. Jede Bewegung macht ihn gewissermaßen zu einem vollwertigen „Schauspieler“.
Die „künstlichen“ Kieselsteine, die die gesamte Bühne bedecken, rascheln unter den Schritten der Künstler wie tote Blätter. Mit jeder Bewegung des Tänzers wird dieser Klang zu einer Erweiterung seiner Bewegung, als ob das normalerweise träge Material durch ein Eigenleben belebt würde. Die Atmosphäre der geschlossenen Tür, unterstützt durch den vollen Klang, lässt den Zuschauer völlig in die Geschichte eintauchen. Das Murmeln der Wellen, die an der Küste der Insel schlagen, verbindet den ersten und zweiten Akt und stellt eine Verbindung zwischen diesen beiden Welten her. Das Land ist während der gesamten Aufführung präsent, während das Meer erst am Ende des letzten Quartetts erscheint. Der Rauch, der von allen Seiten des Plateaus austritt, nimmt die Form von Schaum an und markiert augenblicklich die Verwandlung des Felsens in ein Schiff. Dieses wird zu einem Eroberungsschiff, geschmückt mit einem blauen Segel, das zu neuen Horizonten segelt.
Die Handlung ist sehr einfach und dreht sich um den inneren Kampf eines Menschen, der versucht die Widrigkeiten, Entbehrungen oder Versuchungen zu überwinden. Jedes sorgfältig verwobene Detail gewinnt in dieser Produktion von Valastro mit der äußerst nützlichen Unterstützung des deutschen Regie-Assistant Raphaël Jacobs an großer Bedeutung.
Die Schlichtheit des Stückes spiegelt sich insbesondere in den Kostümen wider, die von der russischen Kostümbildnerin Angelina Uliashova entworfen wurden. Ein kurzes fließendes weißes Kleid, das an ein Kinderkleid erinnert: Für Silvia. Ein langes wallendes weißes Kleid, das einer griechischen Tragödien würdig wäre: Für Costanza. Die Männer tragen beige Hosen oder Capri-Hosen und weiße Hemden. Die Füße sind nackt!
Die Beleuchtung des französischen Lichtbildners James Angot wechseln zwischen bläulichen Farbtönen, die das Mondlicht widerspiegeln und wärmeren Farbtönen und erzeugen so einen Kontrast, der an den Übergang vom Tag zur Nacht erinnern könnte. Licht spielt hier eine Schlüsselrolle in der Zeitlichkeit, nicht nur indem es den Wechsel von Tag zu Nacht hervorhebt, sondern auch indem es den Felsen hervorhebt, der sich bewegt und so eine Bewegung auf der Insel suggeriert. Manchmal beleuchtet ein Scheinwerfer einen Teil des Felsen oder einen Solisten und lässt den Rest der Szene im Schatten, wodurch die Spannung und Tiefe verstärkt wird. Diese Lichter schaffen eine Atmosphäre, die sowohl intim als auch geheimnisvoll ist.
Unter der Leitung von López-Ferrer und der Unterstützung des jungen talentierten französischen Dirigenten Paul Coispeau als Assistent nähert sich das Orchestre Ostinato dieser dichten Instrumentierung mit einer reichen und unverwechselbaren Klangfarbe. Der Dirigent sorgt mit großer Amplitude dafür, dass die Solisten nicht in Eile geraten. Diese Anforderung wird noch komplexer, da sich das Orchester auf einer Seite der Bühne befindet und die Sänger dadurch keine direkte und vollständige Sicht auf den Dirigenten haben – trotz der Weiterübertragung seines Bildes auf Bildschirme über dem Publikum. Von da an muss er seine Anstrengungen in der Gestik verstärken, um die Koordination zwischen Orchester und Solisten sicherzustellen. Die Tempi sind nicht extravagant, was dem Stück einen Hauch von Zärtlichkeit und Definition verleiht.
Die Arien und ihre Variationen ermöglichen es den Solisten, die Dualität und Komplexität ihres Charakters zu erkunden. Die ukrainische Mezzo-Sopranistin Sofia Anisimova spielt und singt die Rolle der Costanza mit Emotion und Präzision. Ihre Konzentration ist so groß, dass selbst ein langes und lautes technisches Problem bei ihren ersten Schritten auf der Bühne sie nicht aus der Ruhe bringen kann. Ihre agile Stimme strahlt und erfüllt den Raum mit ihrem sanften Vibrato. Die Arie „Se non Piange Un’Infelice“, die der Dirigent in einem bewusst langsamen Tempo begleitet, ermöglicht es ihr, ihren Atem einzusetzen und gleichzeitig die Enden ihrer Phrasen intakt zu halten. Ihre elegante Statur unterstreicht die Verkörperung ihres Charakters, einer desillusionierten Frau, deren Groll und Sturheit jedoch immer noch spürbar ist. Die innige Beziehung zwischen den beiden Schwestern und ihren gegensätzlichen Charakteren ist fein ausgearbeitet, spürbar und real, etwa wenn die Jüngere hinter dem Rücken der Älteren ihre bitteren Worte gegenüber Männern nachahmt.
Die strahlende französische Sopranistin mit irano-marocaine Herkunft, Sima Ouahman haucht der Rolle der unschuldigen und neugierigen Silvia großzügig eine feurige Dimension ein. Ihr warmes und zartes Timbre sowie ihre tiefe Mittellage vermischen sich so sehr mit denen ihrer grossen Schwester, dass man sie fast als Mezzo-Sopran durchgehen lassen könnte. Ihre kraftvollen und brillanten hohen Töne erinnern bei aller Flexibilität gewissenhaft an ihren ursprünglichen Tonumfang. Die Inszenierung dieser Figur ist während der gesamten Oper dynamisch – sie rennt, springt, tanzt, zittert vor Aufregung – ihre für eine Tänzerin typischen Bewegungen sind von beeindruckender Ausdauer. Sie scheint nie außer Atem zu sein.
Diese Lebensfreude wird natürlich mit der schelmischen Interpretation von Enrico, Gernandos Reisegefährte, kombiniert und interpretiert von dem brasilianischen Bariton Luis-Felipe Sousa. Sein perfekt beherrschtes Vibrato zeugt von großem technischen können. er singt wahrhaftig für und zum Publikum und zeigt dabei eine offene und einnehmende Bühnenpräsenz und auch einen strahlenden Blick. Seine hohen Töne sind fest verankert und sehr ausdrucksstark, sein Gesang klingt jedoch manchmal etwas schwer und es fehlt ihm wohl ein wenig an musikalischer Flüssigkeit.
Die volle und klare Stimme des amerikanisch-norwegischen Tenor Bergsvein Toverud passt perfekt zum sensiblen Aspekt des verzweifelten Liebhabers, den Gernando spielt. Auch er ist aufgeregt, seine Bewegungen sind lebhaft und ängstlich, bis er wieder mit seiner Geliebten vereint ist. In jeder sorgfältigen Verbindung zwischen den Noten wird der von der Figur erlebte Schmerz wahrgenommen. Die wunderbare Freundschaft, die sich zwischen den beiden Gefährten auf der Bühne entwickelt, ist ebenso spürbar wie die der beiden Schwestern. Jeder der Sänger-Schauspieler offenbart die Verletzlichkeit seiner Figur dank einer aufrichtigen Theateraufführung und zeigt die emotionale Reise auf lebendige und ungeschönte Weise. Darüber hinaus ist die italienische Diktion der vier Solisten vorbildlich.
So wird das Publikum von der Poesie und den leichten Eindrücken mitgerissen, die auf der Bühne zum Leben erwachen. Das Zeitgefühl verschwindet, das Publikum ist gefesselt und bleibt bis zum Ende aufmerksam. Als das letzte Quartett komplett ist und das Happy End erreicht ist, brandet eine Jubelwelle im Saal auf: Lauter Applaus, Bravorufe von allen Seiten, begleitet von willkürlich eingestreuten Komplimenten. Sichtlich gerührt dankten die vier Solisten dem herzlichen Empfang des Publikums. Der anhaltende Applaus, als könne das Werk von vorne beginnen, sowie die in den Gesichtern der Künstler sichtbare Emotion zeugen von der Intensität der Aufführung… (PMP/22.03.2025)
Paris, Opéra National - AMPHITHÉÂTRE - OLIVIER MESSIAEN, link HIER!