Paris, Opéra-Comique, MÉDÉE - Luigi Cherubini, IOCO
Médée - PARIS: Von Anfang an hört sich die Musik von Luigi Cherubini (1760-1842) gequält romantisch an, um dann einen gewaltigen Orchestersturm zu entfesseln. Der Stil beschwört sowohl den Sturm und Drang eines Carl Philip Emanuel Bach
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12.02.2025 - Luigi Cherubini: MÉDÉE (1797), Oper in drei Akten. Libretto von François-Benoît Hoffman.
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von Peter Michael Peters
MÉDÉE, EIN MEISTERWERK VON GROSSER LYRISCHER GEWALT…
Du trouble affreux qui me dévore,
Rien ne peut égaler l’horreur, non:
O chers enfant! O chers enfants! Je vous adore,
Et j’allais vous percer le cœur.
Dieux immortels, saine justice,
Vous avez désarmé mon bras.
Sauvez-moi; ne permettez pas
Ce détestable sacrifice.
Périsse le parjure auteur de mes souffrances!
Que sa mort, que son sang suffise à mes vengeances!
Le traître! Ah! Son nom seul réveille mon courroux!
Du trouble affreux qui me dévore,
Rien ne peut égaler l’horreur:
O chers enfants! Chers enfants je vous adore,
Et malgré moi je sens encore,
Je sens en vous voyant renaître mes fureurs. (3. Akt / Szene 1 /Arie von Médée / N° 14)
Einführung - Marie-Eve Signeyrole | Médée voutube Opéra Comique
An der Schwelle zur Romantik…
Von Anfang an hört sich die Musik von Luigi Cherubini (1760-1842) gequält romantisch an, um dann einen gewaltigen Orchestersturm zu entfesseln. Der Stil beschwört sowohl den Sturm und Drang eines Carl Philip Emanuel Bach (1714-1788) als auch den Adel von Christoph Willibald von Gluck (1714-1787), den letzten Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) des Requiems, KV 626 (1793) und die Vorahnungen eines Hector Berlioz (1803-1869) an. Die gesamte in Paris entstandene Oper wird in dieser Vision sein: Eine Synthese vergangener Stile, die eine zukünftige Kunst vorwegnimmt! Während der erste Akte mit seinen blumigen Melodien und Da Capos Elementen mit einem Fuß im 18. Jahrhundert steht, eröffnen der zweite und dritte Akt dieses durch die Reform von Gluck schon eingeleitete Werk im 19. Jahrhundert stehende Werk: Dunkle tiefschwarze Harmonien, Aufmerksamkeit für eine besonders brutale Diktion und die edle hochmütige Haltung, die das tragische Sakrileg vorschreibt. Médées Gesangslinie ist wie eine griechische Stola, die zu einer herrisch-arroganten Haltung und zu einem in ein Stirnband geflochtene Haare aufruft, die nur im Moment des Wahnsinns losgelassen werden. Auch wiederum gehört ihr diese menschliche Schwäche ganz und gar nicht! Ihr Charakter ist anders, fester, eingefrorener. Keine mythologische Figur erreicht einen solchen Höhepunkt an Brutalität, weder Phaedra noch Elektra. Dies ist einer der Gründe für ihren Erfolg an der Oper, denn sie hängt so sehr an dieser mörderischen Figur und dass seit Pier Francesco Caletti-Bruni Cavalli (1602-1676) und seiner Oper Il Giasone (1649). Médée fasziniert, weil sie diese Gabe besitzt, die das Theater liebt: Magie, die Kunst der Illusion und die perfekte kaltblütige Ausrede, das Besondere in wirren Effekten zu nutzen. Eben die, die der Barock besonders liebte!
Am Ende der Welt…
Aber kehren wir zu den Ursprüngen des Mythos von Médée zurück. In Kolchis, dem heutigen Georgien, regierte Aietes in der Stadt Aea im Kaukasus-Massiv. Der Herrscher hatte zwei Kinder: Médée und Apsyrtos. Sein Königreich enthält einen unangemessenen Schatz: Das mit Gold gewebte Vlies von einem Widder, dem Sohn Poseidons. Es hängt an einer Eiche in einem Wald, der dem Gott Mars gewidmet ist und von einem Drachen bewacht wird, der niemals schläft. Jasons Mission ist es, im Namen seines Bruders Pelias die Trophäe zu erobern. Unter dieser Bedingung kann Jason dann den Thron von Iolcos, seiner Heimatstadt in Thessalien besteigen. Weil Jason, der älteste, in den Wäldern von Pilion vom Zentauren Chiron, dem Lehrer von Achilles erzogen wurde, wird er von seinem eifersüchtigen jüngeren Bruder von der Macht ferngehalten. Der junge Mann ahnt nicht, dass sein Bruder, indem er ihn ans Ende der Welt schickt, beabsichtigt ihn nie wieder zurückkommen zu sehen. Jason hat für seine Expedition die notwendigen Gefährten zusammengestellt. Fünfzig Helden, darunter Orpheus und Herakles, Theseus und Pirithoos bauen das Schiff Argo, dessen aus einem Stück dordonischer Eiche geschnitzter Bug von Athena mit Sprache ausgestattet wird.
Jason der andere Odysseus…
Nach vielen turbulenten Irrfahrten und gefährlichen Initiationen, die Jason zu einem literarischen Cousin von Odysseus machen, nähern sich die Argonauten schließlich Kolchis. Médée verliebte sich sofort in Jason. Apollonius von Rhodos (etwa 295-215 v. J.C.), der im 3. Jahrhundert v. J. C. seine Argonauten schrieb, erzählt uns wie die Menschen im Gegensatz zu Homers (8. Jahrhundert v. J. (?) Helden, damals nur Marionetten der Götter waren und in diesem Fall: Hera, Athena, Aphrodite und Poseidon! Diese großartigen unsichtbaren Wesen haben beschlossen, mit Jason zu spielen und es bleibt unsicher ob er verliert oder gewinnt. Als Verbündete bitten Hera und Athena ihre Schwester Aphrodite, Médée zu nutzen, um ihren Helden zu begünstigen.
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Die Georgierin verpflichtet sich durch einen ersten Eid an Jason und widmet sich seinem Dienst. Als Expertin für Balsame, Pflanzen, Duftstoffe und Gifte überzieht sie ihren geliebten mit einer Creme, die ihn unverwundbar macht. Denn der Held muss sich vielen Prüfungen stellen, bevor er das Goldene Vlies gewinnt. Zuerst zwei Stiere bezwingen, dann mit ihrem Gespann ein Feld pflügen und die Zähne des Drachen von Kadmos zu säen, aus denen sofort eine Schar von Kriegern hervorgehen wird. Er muss sie schnellstens töten, bevor sie ihn töten! Danach muss er noch das Monster zähmen, das über das Goldene Vlies wacht. Médée schläft das Biest ein, indem sie es mit frischem Wacholder betreut.
Médée, Circes Nichte…
Das Goldene Vlies ist schließlich in den Händen der Griechen. In diesem Moment der Legende begibt sich die Liebhaberin auf den Weg des Verbrechens. Um den Zorn ihres Vaters abzulenken, der Zeuge des Diebstahls seines Schatzes und der Entführung seiner Tochter wird, tötet Médée ihren Bruder Apsyrtos und schneidet ihn in viele Stücke. Aeetes, der damit beschäftigt ist, die im Meer verschütteten Teile seines Sohnes einzusammeln: Ist dadurch mit seiner Jagd nach Jason viel zu spät!
Doch auf der Argo gibt es nun einen weiteren Passagier: Diese wilde und liebestolle Frau, die für die Liebe zu ihrem Griechen alles geopfert hat. Die Anwesenheit von Médée an Bord ist mörderisch und unrein und zwingt die Argonauten zu langen Umwegen, um einen Ort zu finden, an dem sie vom Makel ihres Brudermordes gereinigt werden kann. Nur eine Person kann die rettende Geste vollbringen: Die Zauberin Circe, eine Tante von Médée. Die Legende legt ihr Herrschaftsgebiet im Herzen von Latiums an. Dort, in einem verzauberten Palast empfängt Circe ihre männlichen Besucher, um sie zu bewirten, zu verführen und dann in Tiere zu verwandeln. Viele Jahrhunderte später übernahm die Zauberin Alcina in Ludovico Niccolo Ariostos (1474-1533) Barock-Gedicht mit ihren Tier-Verzauberungs-Tricks von Circe die alte Geschichte wieder auf. In den Opern sind alle diese Zauberinnen Cousinen und Tanten, egal ob sie die Gefährten von Odysseus oder die Gefährten von Roger oder sogar die Gefährten von Renaud verzaubern, die in den Netzen von der muslemischen Armide gefangen sind.
Von der Hexe zur Tragödien…
Die Feen können nicht sterben und von Jahrhundert zu Jahrhundert, von Libretto zu Libretto widerhallen ihre Rufe. Circe reinigt das Paar und warnt sie vor den vielen Hindernissen auf ihrem Rückweg. Médée wird nie aufhören, ihrem Geliebten und seinen Freunden zu helfen. Jason heiratet sie und erfüllt so das in Kolchis gegebene Versprechen. Als sie nach Iolcos zurückkehrten, stellt Médée dem Pelias eine grausame Falle, um die Thronbesteigung seines älteren Bruders zu begünstigen. Nachdem sie Pelias überredet hatte, sich in Stücke zu zerschneiden lassen und in einer magischen Soße kochen zu lassen, um sich zu regenerieren. So servierte sie diese monströse Mahlzeit auch an ihre eigenen Töchter… Inzwischen hat Médée einen Nachkommen dem Jason gegeben. Hier könnte alles gut enden, doch der ehrgeizige Jason wollte sich politisch mit Corinth vereinen. So beschließt er, Glauce, die Tochter des örtlichen Königs zu heiraten. Als „L’oublieux Jason“, („der vergessliche Jason“) wie das 17. Jahrhundert ihn beschrieb, leugnete er alles ab: Das Goldene Vlies, die besiegten Stiere, die zerschnittenen Körper von Apsyrtos und Pelias, den wütenden Zauber seiner Frau und ihrer beiden Jugendschwüre. Jason ist nichts anderes mehr als die Personifikation seines egoistischen ehrgeizigen brutalen Machtbedürfnisses!
Aber Médée hat nichts vergessen. Ihre Rache ist verheerend. Sie vergiftet Glauce mit einem Hochzeitsschleier, der ihren Körper verbrennt und den König tötet. Die Korinther rächen sich entsetzt an den Kindern von Jason und Médée. Die Zauberin flieht auf einem Drachen und Jason erhängt sich am Bogen der Argo. Von da an wird Médée ihr unsterbliches Schicksal fortsetzen. Den Versionen zufolge heiratete sie Egee in Trezene und verliebt sich in Thesee, seinen Sohn, der Auftakt zu einer neuen Tragödie voller Gifte und Kannibalismus. Andere Versionen sehen sie die Hölle hinabsteigen, um sich mit Achilles zu vereinen. Oder sie kehrt nach Kolchis zurück und gründet das Königreich der Meder, der Vorfahren der Iraner.
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Die Reisen einer Partitur…
Die Oper Médée von Cherubini ist die fünfzehnte seiner Komischen Opern. Sie steht im Mittelpunkt einer lyrischen Produktion, die rund dreißig Werke umfasst. Der aus Florenz stammende Komponist konnte eine von großen Erfolgen und Ehren geprägte Karriere führen. Sie wurde kurz vor der Revolution ins Leben gerufen, gekrönt durch einen Posten am neuen Konservatorium und dann durch die Ernennung als Kapellen-Musiker von König Louis XVIII. (1755-1824) im Jahr 1816. Sie endete mit einem nationalen Begräbnis und einer pompösen Beerdigung auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris, wo sein Grabmal sichtbar ist: Abteilung 11, Abschnitt VI.
Ursprünglich wurde Médée ohne Rezitative, aber mit gesprochenen Dialogen gesungen, d. h. in einer Form, die eher dem Melodrama als der Oper ähnelt. Die Titelrolle wurde an Julie-Angélique Scio (1778-1807) übertragen. Als Beweis für ihren Erfolg wurde das Werk sofort in vielen Parodien aufgeführt, darunter La Sorcière (1797) von Charles-Augustin Bassompierre genannt Sewrin (1771-1853) und Bébée et Jargon (1797) von Pierre Antoine Jean-Baptist Villiers (1760-1849) und Pierre Adolphe Capelle (1770-1851). Aber es war Deutschland, das Médée mit einer deutschen Uraufführung in Berlin im Jahr 1800 dauerhaft in die lyrische Landschaft einschrieb. Zwei Jahre später entstand in Wien eine überarbeitete Fassung! Diese Anhörung hinterließ bei Ludwig van Beethoven (1770-1827) einen bleibenden Eindruck. Und wie konnte man das auch nicht sein, wenn man dem kraftvollen Vorspiel zum dritten Akt lauschte… Für Frankfurt orchestrierte Franz Lachner (1803-1890) 1855 die gesprochenen Dialoge in gesungene Rezitative. Diese sind mittlerweile ein integraler Bestandteil der Oper, wie wir sie heute hören und verstehen.
Das ursprüngliche Libretto von François-Benoit Hoffman (1760-1728) wurde nach der Tragödie Médée (1635) von Pierre Corneille (1606-1684) inspiriert. Es wurde zunächst ins Deutsche übersetzt und dann von Carlo Zangarini (1874-1943) ins Italienische umgefasst. Es ist diese Version, die die Heimat von Cherubini zum ersten Mal an der Scala de Milan im Jahr 1909, mehr als ein Jahrhundert nach ihrer Pariser Entstehung entdeckte, ohne dass das Meisterwerk des französischsten aller Italiener dort noch nie gehört wurde. Inzwischen wurde Médée in die großen Geister der deutschen Musik gesät: Louis Spohr (1784-1859), Carl Maria von Weber (1786-1826), der junge Richard Wagner (1813-1883) und vor allem Johannes Brahms (1833-1897), der in Médée den Gipfel der lyrischen Kunst sah. Schließlich stellte das jährliche Festival Maggio Musicale de Florence 1953 mit Maria Callas (1923-1977) als Médée die Popularität des Werks auf ein unbestreitbares hohes Niveau zurück und hat es auch niemals mehr verlassen. Dort haben sich seitdem die größten lyrischen Tragödinnen hervorgetan: Leyla Gencer (1928-2008), Leonie Rysanek (1926-1998), Anna Catarina Antonacci (*1961), Véronique Gens (*1966), Nadja Michael (*1969) und heute Abend: Joyce El-Khoury …
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Das Glück im Verbrechen…
Wir dürfen den größten Malern ihre Berufung als Seher und noch besser, als große Geister nicht absprechen. Im Jahr 1842, wenige Wochen nach Cherubinis Tod, malte Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780-1867) sein Porträt. Er hatte die Genialität, kein Grabmal für ihn zu errichten: Cherubini hatte selbst dafür gesorgt und auch für seine Beerdigung ein eigenes Requiem in R-Moll, N° 2 (1836) komponiert. Auch legte er ihm keinen Lorbeerkranz auf die Stirn, dem ihm dann die Nachwelt immer wieder streitig machen würde! Nein, Ingres hat Cherubini zu einem wahren Porträt des Lebens gemacht, dem Porträt des letzten Moments, in dem ein ganzes Leben zusammengefasst und ausgedrückt wird. Die Karriere des Komponisten war lang und in solchen schwierigen Zeiten spektakulär stabil. Es ist mehr als fünfzig Jahre her, seit dieser Florentiner in Paris ankam. Er hatte die letzten Regierungsjahre von König Louis XVI. (1754-1793) und Königin Marie-Antoinette (1755-1793) miterlebt und sich sofort an der Spitze der französischen Musikhierarchie etabliert. Dann erlebte er die Revolution und den brutalen Terror, das Kaiserreich und die Restauration. Während dieses Epos – und trotz Kaiser Napoleons Bonaparte I. (1769-1821) Feindschaft – hatte er sich auf der höchsten Ebene der Institutionen behauptet und war einer der Begründer dieses Konservatoriums, dessen Direktor er von 1822 bis zu seinem Tod war. In den 1810er Jahren brachten seine großen religiösen Werke einer Karriere als lyrischer Komponist, die am Ende stand, neuen Glanz und er hatte die gefährliche Ehre, die Krönung von König Charles-Philippe X. (1757-1836) in Reims im Jahr 1825 zu begleiten. Was blieb – ausgerechnet von allen diesen Männern im Jahr 1842? Napoleon I., Louis XVIII. und Charles X. waren tot und Frankreich hatte seit 1789 noch weitere Revolutionen erlebt! Wie hätte er diese Müdigkeit, die Ingres so gut zum Ausdruck gebracht hatte und sogar auch diese Trübsinnigkeit nicht spüren können? Es gibt nur wenige Farben auf der Leinwand: Das dichte Schwarz, absolut nicht düster, hat die Bekleidung und den gesamten Hintergrund des Gemäldes übernommen. Nur das Weiß des Kragens und das Rot der Ehrenlegion kommen zum Vorschein – Cherubini liebte diese offizielle Anerkennung sein Leben lang! Hinter ihm steht die Muse, ebenfalls ganz in Weiß und Elfenbein. Er sieht sie nicht an, ignoriert vielleicht ihre Anwesenheit und zeigt nur Gleichgültigkeit. Auf jeden Fall scheint das süße Lächeln der Poesie ihn in keiner Weise zu erhellen oder zu inspirieren. Der Blick geht geradeaus, aber ohne etwas zu fixieren. Das Gesicht ist ernst und wir können darin die Zeichen von Sorge und Traurigkeit lesen, diese Sorge, die bereits Berlioz, wie er selbst sagte: Dort ständig zu sehen war!
Cherubinis Charakter war überschattet, misstrauisch und übelnehmerisch! Sein ebenfalls in Paris ansässiger Landsmann Gioachino Rossini (1792-1868) machte sich oft darüber lustig. Und sicherlich stammten beide nicht aus demselben Italien. Nichts Südliches ist in Cherubinis Musik zu hören. Die Kantilenen von Vincenzo Bellini (1801-1835), ihre morbidezza und ihr obskures Mondlicht, das alles blieb ihm immer fremd. Cherubinis Geschmack führte ihn mehr nach Wien und Deutschland, zum großen Klassizismus: Er verehrte vor allem Mozart und Gluck. In Paris dirigierte er die Sinfonien von Franz Joseph Haydn (1732-1809) und fuhr nach Wien im Jahr 1805, um dem verehrten Musiker selbst die Ehrenmedaille des Pariser Konservatorium zu überreichen. Laut Berlioz, der sich über Ali Baba (1833), seine letzte Oper lustig machte, aber Médée und seine religiöse Musik mehr als bewunderte, aber Beethovens Musik machte Cherubini Angst. Er zweifelte nicht an seinem Genie, aber seine zügellose Gewalttätigkeit erschreckte ihn über alles! Dies wirft ein besonderes Licht auf seine Médée, ein einzigartiges Werk sowohl in seiner Karriere als auch in der Geschichte der Oper. Als Erbe der Tragödie bricht Médée dennoch alle Konventionen und überschreitet sogar deren Grenzen. Im Rahmen von Gluck, in seiner höheren Harmonie, führt er die Gewalt von Beethoven und mehr noch eine Brutalität, eine Wildheit ein, die Beethoven selbst erst viel später entdecken wird. Darin hat Médée etwas fast Experimentelles! Unter Verzicht auf den Charme der Melodie wird das gesamte Spektrum der Deklamation ausprobiert und ausgeschöpft: Mit bewundernswerter Virtuosität und Vielfältigkeit bringt Cherubini alle Akzente der Wut hervor, von der Andeutung bis zum Schrei, von der Schmeichelei bis zur Verwünschung. Das Werk als Ganzes ist wie ein großes crescendo aufgebaut: Médée verlässt die Bühne, sobald sie erst einmal eingebrochen ist und den sehr fragilen Frieden mit dem Hofe von Korinth zerstört hat, bis hin zum Finale der Katastrophe fast nie mehr. Der dritte Akt konzentriert sich ausschließlich auf die Morde, wobei die von Glauce und Kreon nur eine Einleitung zur Mordserie an ihren Kindern darstellt. Sobald die Rache aufgebraucht ist, bleibt nichts mehr übrig und das gesamte Universum scheint eine Wüste zu sein. Auf der Suche nach dem Erhabenen kehrt Cherubini die Gleichung von Gluck völlig um, wo Schönheit nur innerhalb der Tugend vollständig gedeihen konnte. In Médée wird das Erhabene durch die unerbittliche Übertretung aller moralischen Gesetze erreicht. Das Glück liegt im Verbrechen, die Sublimierung liegt in der Apokalypse. Es besteht kein Zweifel daran, dass Cherubini die Arbeit eines Visionärs geleistet hat. Dieser Moment der Apokalypse, in dem die Oper alle Kräfte vereint, um die Implosion des Universums heraufzubeschwören, wird auch später die ultimative Suche von Wagner in der Götterdämmerung (1876) und Richard Strauss (1864-1949) in Elektra (1903) sein. Wenn die grosse Szene von Brünnhildes Selbstverbrennung eine Vorgeschichte hat, dann wie Wagner selbst zugibt, in Cherubinis Médée. Wie durch ein Wunder bleibt diese betrunkene Parole, dieses entfesselte Lied so faszinierend wie eh und je: Die Barbarei von Médée, die am meisten berührten sensiblen Punkte unserer Zivilisation haben sich in keiner Weise abgeschwächt und sind im Laufe der Zeit nicht akzeptabler geworden als zuvor. Aber woher kam diese Zauberin, diese definitive Fremde, dieser Teil von uns selbst unversöhnlich mit uns selbst zu bleiben? Sie muss noch von viel weiter her gekommen sein als von diesem Kolchis, wo Jason sie fand, diesem Georgien, woraufhin Alexander Puschkin (1799-1837) noch zur Zeit von Cherubini seufzte: „Singe nicht mehr für mich, Schöne, diese traurigen Lieder von Georgie: Sie wecken Sehnsucht nach einem anderen Leben, anderen Ufern.“ Als sie mit ihrem blutigen Trauerzug unter uns ankommt, mit diesen zerrissenen Körpern, die auf ihrem Weg verstreut sind, mit ihren Brandsegeln und ihren giftigen Kronen, fliegt Médée am Ende inmitten der Furien auf ihrem Flammenwagen davon und hinterlässt in uns das verletzende Licht, das immer das dunkelste der Dunkelheit verbirgt: Die ewige Finsternis…
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MÉDÉE - Aufführung - Opéra-Comique, Paris - 12. Februar 2025
Eine Oper des Terrors…
In der zeitgenössischen Inszenierung der französischen Regisseurin Marie-Ève Signeyrole, die auch beim Video Regie führte, erscheint Cherubinis Médée als Opfer einer langen Kette patriarchalischer Gewalt zu sein. Die amerikanisch-libanesische Sopranistin Joyce-El-Khoury verleiht der Figur der Kindesmörderin ihr großes Talent als Tragödien und ihre ungemein kraftvolle Stimme, umgeben von anderen talentierten Darstellern unter der Leitung der inspirierten französischen Dirigentin Laurence Equilbey.
Was wäre, wenn Médée die verbannte „Barbarenprinzessin“ aus dem fernen Kolchis, die aus tollwütiger heißer Liebe zu ihrem geliebten Jason, ihren Vater verrät und ihren Bruder grausam tötet und als dieser endlich im Besitz des Goldenen Vlieses war, ließ er auch sie kaltblütig zurück um eine jüngere Frau, die reiche Tochter von König Créon zu heiraten, nicht diejenige wäre: Die im traditionellen Mythos von einer Eifersüchtigen und kindermörderischen Frau dargestellt wird? Was wäre, wenn diese mächtige Zauberin, die gezwungen ist, ihre eigenen Kinder zu töten, nachdem man sie ihr brutal weggenommen hatte und sie auch ihre Rivalin mit einem tödlichen Fluch zu belegen? Was wäre, wenn das Produkt dieser patriarchalischen und rassistischen Gesellschaft die Frauen vergewaltigt und manipuliert um sie dann in ihr Land zurückschickt, obwohl sie Ausländerinnen sind? Signeyrole ergreift Partei für das Verständnis der Monstrosität der betrogenen Médée, indem sie diese in die lange Kette kindesmordender Mütter unter dem Einfluss männlicher Herrschaft einordnet! In dieser Inszenierung sind sich Jason, der berechnende Ehemann und Créon, der Vater der neuen Frau, wie neidische Männer einig über den Reichtum und die Macht, die sie schließlich auch erlangen werden. Auf der Bühne sitzt unsere erste Médée uns gegenüber, gespielt von der französischen Schauspielerin Caroline Frossard. Hinter ihr stellen die großen und hohen Gefängnismauern und die grauen Schießscharten-Löcher ein Gefängnis-Universum für diejenige dar, die wie so viele andere verurteilt ist, ihre Strafe abzusitzen. Um die Geschichte dichter zu machen und den Plot zu rechtfertigen, fügte die Regisseurin Texte, Auszüge aus journalistischen Recherchen und Passagen der französischen Journalistin Prune Antoine (*1981) La mère diabolique (2024) hinzu. Diese zusätzlichen Texte werden sowohl von der Schauspielerin als auch von den beiden bemerkenswerten talentierten Kindern – Inès Emara und Félix Lavoix Donadieu, beide Mitglieder des Kinderchors der Opéra-Comique - auf der Bühne gesprochen, die wie heimliche und privilegierte Zeugen dieses Dramas und auch vorbereitet für eine gewisse Komplizenschaft mit dem Zuschauer sind.
Zwischen Oper und Theater…
Dieses Projekt verdient besondere Erwähnung in seiner Version einer komischen Oper, in der die gesprochenen Dialoge in Alexandrinern von Hoffman im Mittelpunkt stehen. Es handelt sich um die Originalversion, die 1797 im Théâtre Feydeau in Paris uraufgeführt wurde. Mit Ausnahme der Schauspielerin, die ein Double von Médée spielt, meistern alle Sänger lange Passagen im Alexandriner-Takt, die sie wie im Theater mit perfekter Leichtigkeit und lexikalischer Gewandtheit vortragen. In einer düsteren Szenografie von dem französischen Bühnenbildner Fabien Teigné entworfen, die die Blickwinkel durch versteckte Kameras vervielfacht, um uns die in Nahaufnahme auf eine Leinwand projizierten Emotionen der Figuren greifbar zu machen, werden wir Zeugen des vorläufigen, heftigen Liebesspiels zwischen Jason und seiner neuen Frau Dircé: Aber auch mit einer furchtbaren Vorahnung der schwarzen Wut der Zauberin! Auf dem Bildschirm sind in einem schwarz-weißen Garten zwei Schaukeln zu sehen, die mit einem schrillen Geräusch ins Leere schwingen. In einer Küche stehen geisterhaft zwei Schüsseln auf dem Tisch und warten auf die Kinder zu einem Frühstück, das es nie wieder geben wird. El-Khoury ist eine großartige Médée, brennend vor Sinnlichkeit und Kraft, deren einhüllende Stimme uns königlich mitreißt, meisterhaft ausbalanciert zwischen den samtigen Mitteltönen und den schrillen angsteinflößenden Obertönen in einem konstanten und imperialen Atemzug. Sowohl im Gesang als auch in den Sprechpassagen weiß der französische Tenor Julien Behr den arroganten Jason ganz zu überzeugen. Sein zuerst nasales Timbre entwickelt sich allmählich zu einer schönen Majestät, während dieser Charakter gleichzeitig das Aussehen eines ausgesprochen unangenehmen und prahlerischen Emporkömmlings erhält. In der Rolle des Créon ist der französische Bass-Bariton Edwin Crossley-Mercer mit seiner präzisen Stimme und der passenden Diktion mehr als perfekt. Er ist so trocken wie ein scharfes Messer, das in Liebe und Zärtlichkeit schneidet!
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Wie eine Heldin unserer Zeit…
Bei den Frauen ist Néris von der französischen Mezzo-Sopranistin Marie-Andrée Bouchard-Lesieur großartig interpretiert in ihrer Hingabe und ihrem Mitgefühl, eine warme Stimme mit großzügigen und kostbaren Schwingungen. Mehr Mühe hat die französische Sopranistin Lila Dufy in der Rolle der Dircé, von der man sich mehr Redegewandtheit und eine klarere Gesangslinie gewünscht hätte. Während die Verlobung zwischen Jason und Dircé die Form einer kollektiven Szene mit gezückten Messern, scharfen Blicken und der Anwesenheit des gesamten Chors inmitten eines echten Banketts annimmt, versetzt uns der Rest der Aufführung in eine Kirche, wo verbannte und vertriebene Frauen von Wächtern misshandelt und vergewaltigt werden. Wie bei rechtlosen armen Einwandern ohne jegliche Aufenthaltspapiere, die an heiligen Orten Zuflucht gesucht haben, ist in der Dekoration ein Stapel herunterhängender Kleider zu sehen, die wie Lumpenfetzen herabhängen. Auch hier belastet der zusätzliche Text, der an Kindermorde und die Verurteilung von Müttern erinnert, die Kinder brutal und mörderisch töten, an die Vergewaltigung von Frauen und die Schwierigkeiten, die Mutterschaft unter unhygienischen Bedingungen zu vollbringen hat. Das ursprüngliche Libretto wird unschön überladen mit Bedeutungen und Worten und schmälert die Einfachheit der ursprünglichen Bedeutung. Und es ist schade, dass man einem so klaren und gut geschriebenen Libretto, das für sich genommen vollkommen ausreicht, nicht volles Vertrauen entgegenbringen konnte.
Equilbey, an der Spitze des Insula-Orchester, nutzt ihre Energie und präzise Leitung, um uns den vorromantischen und so melancholischen musikalischen Genuss dieser Oper von Cherubini zu bieten, die wie wir schon sagten von fast allen deutschen Komponisten des 19. Jahrhunderts so geschätzt wurde und auch die Diva Callas nahm im Jahr 1953 in einer italienischen Fassung unter der Leitung von Leonard Bernstein (1918-1990) dieses einmalige Meisterwerk in ihr Repertoire und verewigte es so. Also, nehmen sie Platzt, meine Damen und Herren… (PMP/20.02.2025)