Paris, Opéra Comique, FANTASIO (1872) - Jacques Offenbach
FANTASIO - Die Romantik hat verfluchte Dichter hervorgebracht, aber auch Werke die ebenso verflucht wurden: Dies ist der Fall in Alfred de Musset (1810-1857) und Jacques Offenbachs (1819-1880) Werk Fantasio, die das gleiche Schicksal erlitten.
Komische Oper in drei Akten mit einem Libretto von Paul de Musset, nach dem gleichnamigen Drama von Alfred de Musset.
von Peter Michael Peters
FANTASIO - in der Presse von 1872: CHAUVINISMUS UND SCHLECHTE ABSICHTEN…
Sous ta bannière on se rallie
Et tes amis avec bonheur
Vont célèbrer en ton honneur
Le triomphe de la folie.
Chacun te proclame en ce jour
Roi des fous, et voici tes sujets et ta cour. (3. Akt / Szene 21 / Finale)
Das grausame Scheitern von Fantasio…
Die Romantik hat verfluchte Dichter und Werke hervorgebracht, die ebenso verflucht sind: Dies ist der Fall von Alfred de Musset (1810-1857) und Jacques Offenbachs (1819-1880) Werk Fantasio, die im Abstand von vierzig Jahren das gleiche Schicksal erlitten.
Das Komödie-Drama, das von einem 22-jährigen Musset geschrieben wurde, der von der großen „Menagerie“ des Theaters angewidert war, sollte „in einem Sessel“ gelesen zu werden und erschien 1833, „zu einer Zeit, als er von dieser Welt nur lachende Ideen hatte und er glaubte fest, das er glücklichste Mensch zu sein schien“, so erzählte der ältere Bruder Paul de Musset (1804-1880) über den verstorbenen Autoren. Allerdings war Alfred von dieser lauten und unsteten Epoche, die von vielen persönlichen literarischen Misserfolgen, von politischen Desillusionierungen und dem Tod seines Vaters in der grossen Cholera-Epidemie äußerst geprägt… Ihm wurde wahnsinnig schwindelig vor zu viel bewusst gesuchtem, allzu leichtem Vergnügen, nur um vergessen zu können und in seiner plötzlichen Ernüchterung wird Fantasio völlig von ihm durchdrungen. Das Stück hatte Uraufführung am 18. August 1866 in der Comédie Française. Diese Geschichte eines fantasievollen Studenten, der zum Hof-Narren wird, um einer Prinzessin zu helfen, gibt seinem Leben wieder einen Sinn, wurde von Paul – wie er behauptet – nach einer Idee von Alfred überarbeitet: Hier verliebt sich Fantasio in Elsbeth, was in dem Stück von Alfred nicht der Fall ist. Diese dreißig Aufführungen entschieden nicht über einen großen Erfolg und die berühmte Institution wird bis 1925 warten, um Fantasio mit Pierre Fresnay (1897-1975) in der Titelrolle wieder aufzunehmen.
Gehen wir zurück in das Jahr 1850, als Musset unseren Komponisten in der Comédie Française traf. Mit vierzig Jahren wurde er ein offizieller Autor und seine am Théâtre Historique d’Alexandre Dumas in Paris aufgeführte Komödie Le Chandelier (1835) gelangte später in das Repertoire der berühmten Institution. Mit einunddreißig Jahren hatte Offenbach gerade die Leitung des Orchesters der Comédie Française übernommen, wo in der Regel vom Chefdirigenten die „Szenen mit Musik“ komponiert wurde, um die jeweiligen Repräsentationen musikalisch zu unterstreichen. Auch für die Komödie Le Chandelier komponierte Offenbach ein Chanson de Fortunio (1860), das dank einiger begeisterter Sänger, wie zum Beispiel der Tenor Gustave-Hippolyte Roger (1815-1879) von der Opéra Comique Paris, bald in den Pariser Konzert-Sälen sehr beliebt wurde. So sehr beliebt! Dass Offenbach nach dem Tod des Dichters eine Fortsetzung gab: Und zwar die komische Oper La Chanson de Fortunio, die er 1861 am Théâtre Bouffes Parisiens uraufführte.
Auf dem Höhepunkt seines Ruhmes blieb der Komponist ein frustrierter Romantiker. Deshalb nahm er das Fantasio-Projekt bei den Proben zu seiner komischen Oper Vert-Vert (1869) an der Opéra Comique im Jahr 1869 bereitwillig an. Die Direktoren kündigten also die Premiere für die folgende Saison mit dem berühmten Tenor Victor Capoul (1839-1924) an. Paul arrangiert das Libretto mit Charles Nuitter (1828-1899), Camille Du Locle (1832-1903) und vielleicht auch Alexandre Dumas der Jüngere (1824-1895). Ihr Fantasio ist weniger fantasievoll als das Original, aber romantischer, sogar heroischer und weniger egoistisch: Weil der Titelheld sehr verliebt ist! Kurz gesagt, das Libretto ist äußerst sentimental und endet gut, wie es sich an der Opéra Comique gehörte. Der Gesang erforderte Verse, so entnimmt man schöne Texte aus anderen Werken von Alfred: La Ballade à la Lune (1829) für die 1. Arie des Fantasio und À quoi rêvent les jeunes filles? (1829) für Elsbeths Romanze und das 1. Duett von Fantasio - Elsbeth.
Die szenische Uraufführung wurde durch den Französischen-Preußischen Krieg unterbrochen. Die Opéra Comique musste zwischen der französischen Kapitalisation von Sedan und dem Ende der Pariser Kommune, von September 1870 bis Juni 1971 schließen. Nach diesen vielen Prüfungen waren noch dazu die Presse, die öffentliche Meinung und selbst auch Du Locle, der inzwischen zum Co-Direktor der Opéra Comique wurde: Äußerst deutschfeindlich! Man fragte sich betroffen und auch sehr ärgerlich: Die Handlung von Fantasio spielt in Bayern, Offenbach ist preußischer Herkunft… Hatte die Opéra Bouffes dieses zynischen deutschen Spötters im Laufe des Zweiten Kaiserreichs nicht ernsthaft die nationalen Werte untergraben? (sic).