Paris, Théâtre des Champs-Élysées, LA DAMNATION DE FAUST - H. Berlioz, IOCO
Hector Berlioz: LA DAMNATION DE FAUST, Op. 24, H 111 (1846/1893), Eine dramatische Legende in vier Partien. Gedicht vom Kompositeur und Almire Gandonnière nach Faust von Johann Wolfgang von Goethe in der Übersetzung von Gérard de Nerval.
Hector Berlioz: LA DAMNATION DE FAUST, Op. 24, H 111 (1846/1893), Eine dramatische Legende in vier Partien. Gedicht vom Kompositeur und Almire Gandonnière nach Faust von Johann Wolfgang von Goethe in der Übersetzung von Gérard de Nerval.
von Peter Michael Peters
K O N Z E R T - V E R S I O N: COPRODUKTION RADIO FRANCE / THÉÂTRE DES CHAMPS-ÉLYSÉES
DIABOLUS IN MUSICA…
FAUST:
Qui donc es-tu, toi dont l’ardent regard
Pénètre ainsi que l’éclat d’un poignard,
Et qui, comme la flamme,
Brûle et dévore l’âme ?
MÉPHISTOPHÉLÈS:
Vraiment, pour un docteur, la demande est frivole !
Je suis l’esprit de vie, et c’est moi qui console.
Je te donnerai tout, le bonheur, le plaisir,
Tout ce que peut rêver le plus ardent désir.
(Auszug / 2. Partie, Szene V)
Goethe und sein Faust und die diversen anderen Adaptionen…
Faust ist für Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) das Werk seines Lebens! Es beginnt in den Jahren des Sturm und Drang, um 1770 und endet erst mit dem Tod des Dichters. Der Urfaust, das Fragment von 1790, der Faust I von 1808, der Faust II von 1832 markieren somit die gesamte Karriere von Goethe. Warum diese Konsistenz? Was bedeutet es? Sollten wir besonderen Wert darauf legen, dass es sich jedes Mal um ein dramatisches Werk handelte? Diese Fragen, deren Wichtigkeit selbstverständlich sind, müssen jedoch durch eine große Präzisierung relativiert werden: Es gibt einen Faust vor und nach Goethe, genauso wie es viele andere Faust-Versionen gleichzeitig auch mit dem seinen gibt. Schließlich könnte es auch sein, dass wir vielleicht vor einer gewaltigen Umschreibungs-Aufgabe stehen! Für dieses Argument dürfen wir uns keine anderen Geschichten vorstellen als die, die wir von den vielen Elektra-Versionen oder von allen den Iphigenien, von allen den Medeas schon kennen.
aust vor Goethe: Wahre historische Fakten und Legenden…
Es gab ungefähr um 1480 bis 1540, wenn wir einigen dürftigen historischen Dokumenten glauben dürfen, einen echten Sir Faust, Georg mit seinem Vornamen, es sein denn, es war vielleicht auch Jean. Wir können nicht bestätigen, dass er tatsächlich den Doktor-Titel einer germanischen Universität hatte! Aber ein schlechtes Subjekt, Scharlatan? Nein, er war wirklich ein geschätzter Astrologe! Obwohl die Humanisten im Kreis von Philippe Melanchthon (1497-1560) und die Anfänge des protestantischen Martin Luther (1483-1546) - Glaubens genau diesen Zug einer mittelalterlichen Mentalität verspotteten. Wie so oft in dieser Epoche – denken wir an François Rabelais (1483-1553) oder Erasmus Reinhold (1511-1553) – führte Sir Georg Faust ein rastloses Wander-Leben: In Süddeutschland, im Rheinland. Vielleicht ging er bis nach Krakau, wo man Astronomen und Astrologen sehr schätzte, erinnern wir uns nur an Nicolas Kopernikus (1473-1543). Aber der Besuch von Faust in Rom oder Paris, ist sicherlich reine Fantasie! Er muss einen gewaltsamen Tod gestorben sein, denn sein Ende traf die Menschen sehr und es wurde schnell dem Teufel zugeschrieben. Auf jeden Fall unterscheiden wir aus diesen Jahren in den literarischen Werken zwei Aspekte des Faust-Themas. Auf der einen Seite gibt es die Zaubertricks, die mit Gutmütigkeit und Bewunderung erzählt wurden, die aber keineswegs unserem lieben Doktor vorbehalten waren. Siehe aber auch das klassische Griechenland: Mit den vielen Gift-Mischerinnen wie Medea, Medusa und Helena die Ägypterin. Andererseits gibt es auch äußerst viele gewaltsame Todesfälle: Deren Ursprung musste aber daher unbedingt teuflisch sein! Um 1580 verwendet eine Chronik erstmals den entscheidenden Begriff: Faust hatte einen Pakt mit einem Dämon gemacht, namens Mephostophiles. Daher auch die bemerkenswerten Kräfte, daher auch zugleich das unheimliche und das nicht sehr erbauliche Ende!
Erste Schriften und erste Stücke…
Alle diese verstreuten Fakten und Daten wurden erstmals 1587 von einem anonymen Schreiber transkribiert. Es ist die Historia von Johann Fausten, dem weltbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler. Diese populäre Geschichte entspricht etwa dem, was der holländische Autor André Jolles (1874-1946) in Simple Forms (1930) einen Fall nennt, indem er in der französischen Übersetzung (1972) ausdrücklich Faust mit Don Juan und dem ewigen umherirrenden Juden zitiert, die zwischen den Illustrationen der Formel umherwandern. In Mittel-Europa nannte man diese Geschichte sehr schnell ein Volksbuch, was die rudimentäre Seite dieses ersten Textes unterstreicht.
Wir unterscheiden deutlich drei Schichten: Im Zentrum steht die Geschichte des unvorsichtigen Mannes und seines satanischen Pakts. Nach vierundzwanzig Jahren voller Magie und Vergnügen ist er natürlich dem ewigen Feuer der Verdamnis verdammt. Zweitens gibt es die Aufzählung aller Scharlatan-Reisen, die Faust unternimmt: Von Wittenberg nach Polen, über Konstantinopel, dem Vatikan und dem Kaiserlichen Hof des Heiligen Römischen Reiches. Schließlich ist da noch eine Liebes-Geschichte, genauer gesagt die Suche nach einer Frau und der Wunsch zu heiraten, was beispielsweise zu einem Treffen mit der schönen Helena führt. Dieses Volksbuch hatte großen Erfolg: 1589 erhielt es verschiedene Fortsetzungen und Folgen, zum Beispiel erscheint Das Leben von Christoph Wagner (1593), wo wir erfahren, das sein Famulus Wagner durch die Magie seines Meisters in die Neue Welt geschickt wurde! Kommen wir nun zu den verschiedenen Übersetzungen, Neuauflagen und Liedern! Sie werden weit bis ins 19. Jahrhundert reichen und sogar Stoff für Marionetten-Theater liefern, genau dieses Puppen-Theater, dass Goethe nach eigener Aussage in seiner Frankfurter Kindheit sehr geliebt hatte und das er auch seinem Romanhelden Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/1796) leiht. Erinnern wir uns daran, dass das Faust-ische Thema zu einer reinen Schelmen-Geschichte geworden ist. Von seinen mittelalterlichen Ursprüngen an behält es jedoch, wie auch Don Juan: Die Idee der Bestrafung des Gottlosen bei!
Andererseits werden wir zwei sehr berühmte Bühnen-Adaptationen hervorheben. Aus der englischen Version des Volksbuch übernimmt der elisabethanische Dichter Christopher Marlowe (1564-1593) The Tragical History of Doctor Faust (1589), das in London uraufgeführt wurde. In einer Struktur, in der sich tragische und absurde Szenen abwechseln, wird Faust zu einem Renaissance-Menschen. Am Ende ist er der Vergnügen dieser Welt ebenso überdrüssig wie enttäuscht darüber, dass er kein absolutes Wissen erlangt hatte. Wenig später im Jahr 1636 schrieb der große Calderón de la Barca (1600-1681) seinerseits in Spanien El Magio Prodigioso, gewissermaßen ein Selbst-Sakramental: Wo der Hauptheld jetzt Cypriano heißt. Wie Faust schließt er einen Pakt mit dem Teufel als Gegenleistung für das Versprechen, Zugang zum absoluten Wissen und auch zur Liebe der schönen Justina zu erhalten. Aber diese hält fest an ihrem Glauben, gibt also nicht nach! Der hartnäckige Teufel täuscht Cypriano, indem er eine höllische Larve erscheinen lässt. Cypriano wirft sich in ihre Arme, umarmt aber nur ein Skelett!
Diese Enttäuschung erweckt seine Seele, er erinnert sich an eine rätselhafte Passage aus Plinius der Ältere (23 – 79 n. J.C.), die von einem großen Licht der Wahrheit sprach, von einem einzigen Gott, vor dem das Böse machtlos bleibt. Von nun an verkündet Cypriano diese himmlische Offenbarung und hofft, dem höllischen Pakt durch eine Mission zu entkommen. Als Christ in Antiochia verhaftet, wird er gefoltert: Gleichzeitig erscheint auch Justina! Der Teufel erscheint auf einem Drachen reitend über dem Schafott, aber er wird dem verängstigten Volk verkünden, das die göttliche Barmherzigkeit den schrecklichen Pakt gebrochen hat. Die Seelen der Märtyrer steigen in den Himmel auf! Die in den lutherischen Ländern entstandene Faust-Legende, die durch den Glauben der Volks-Religion aufblühte, ist zum Drama der Menschheit und der Gegen-Reform geworden. Nicht so wie die Historiker des Spektakels: Sollten wir uns lieber daran erinnern, dass für unseren Faust II oder auch für die Opern des 19. Jahrhunderts nur noch ein Symphonie-Orchester und etwas romantische Chöre fehlen! Hat Goethe diese interessanten Bühnen-Experimente erlebt, diese Tendenz zum Maschinen-Theater ebenso wie zur Philosophie? Dies ist wahrscheinlich, insbesondere da die Rolle der Vermittler noch nicht abgeschlossen ist. In der Zeit zwischen 1760 und 1780, wird das Deutschland der Aufklärung und des Sturm und Drang wieder erneut das Faust-ische Thema aufgreifen. Zum Beispiel skizziert Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) ein Szenario Faust und sieben Geister (1759), in dem Faust zum Helden des Wissens und der Vernunft befördert wird und dem Dämon entkommen muss: „Die Göttlichkeit hat dem Menschen nicht die edelsten Instinkte gegeben, die ihn für immer unglücklich machen würden!“ Ebenso führt der Wiener Paul Weidmann (1744-1801) in einer Art bürgerlichem Drama zur Bekehrung und Rettung des Über-Menschen vor der Zeit in seinem Johann Faust, ein allegorisches Drama (1775). Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) dagegen, gewissermaßen der „Erfinder“ von Wozzeck (1837), ein Drama von Georg Büchner (1813-1837), beginnt seinerseits mit Die Höllenrichter (1777), in der er die Idee zum Ausdruck bringt, dass die wahre höllische Strafe in der Einsamkeit liegt, der Existenz: Die keine Liebe erfährt! Was Friedrich Maximilian Klinger (1752-1831) betrifft, so erklärt er in seinem Roman Fausts Leben, Taten und Höllenfahrt (1791), dass der Staat, die Kirche und die Gesellschaft die Bildung verstümmelt und das Aufblühen echter Menschlichkeit verhindert. Sicherlich fragen wir uns angesichts all dieser Versuche, all dieser Präzedenz-Fälle, welchen Verdienst, welche Originalität Goethe noch bieten könnte? Oder besser gesagt wir verstehen recht gut, dass unser Dichter seinen eigenen Faust betastet, begonnen hat und wieder neu begonnen hat!
Auf dem Weg zum ersten Faust…
Alle Kommentatoren – angefangen bei Goethe selbst – waren der Meinung, dass Faust zunächst einmal durch eine enge Verbindung zum deutschen Dichter verbunden sei. In den 1770er Jahren, denen von Sturm und Drang, von Die Leiden des jungen Werthers (1774), von Prometheus (1774), von Götz von Berlichingen (1773), drückt das Thema von Faust die eigene dämonische Neigung seines Autors aus. Friedrich Nietzsche (1844-1900) hätte zweifellos zu Recht dionysisch gesagt! Im Deutschen gibt es einen Begriff, der diese Art von Persönlichkeit bezeichnet: Das Kraft-Genie, also denjenigen, dessen innere Stärke, Originalität, Abscheu vor Zwängen dazu bestimmt ist, ein Held oder ein Verbrecher zu werden: Auf jeden Fall außergewöhnlich zu sein! Goethe zeichnete damals ein Porträt von Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) – dem Dichter Der Messias, ein Helden-Gedicht (1748) – das sich genauso gut auf Goethe selbst oder auf seinen Faust übertragen lässt: „Nachdem er eine umfassende und ernsthafte Ausbildung erhalten hatte, legte er seit seiner Jugend grossen Wert auf sich selbst und auf alles, was er unternahm. Er dachte im Voraus über alle Schritte seines Lebens und griff mit der Vorahnung seiner ganzen Kraft, die in ihm steckte: Das höchste Ziel an das man sich vorstellen konnte.“ Das Gleiche gilt für Faust: Er ist gebildet, er ist abgestumpft, aber er fühlt und möchte stark sein! Er möchte weiterkommen, ein lebendigeres Leben führen! „Bedecke deinen Himmel, Zeus“, ruft Prometheus! Die gleiche Idee steckt im Motiv des Paktes und der dämonischen Versuchung. Alles andere ist für diese Skizzen zweitrangig, sogar die mittelalterlichen Bilder, sogar die Liebes-Geschichte, obwohl wir dort eine Art Umkehrung der „Wertherschen“ Werte lesen können.
Mit dem Schreiben begann der Dichter um 1768, als er von der Universität Leipzig nach Frankfurt am Main zurückkehrte und von einem seltsamen kabbalistischen Arzt von einer mysteriösen Krankheit geheilt wurde. Da er bereits von der Frage des Glaubens beschäftigt war, lernte er unter dem Einfluss der Dichterin Susanne von Klettenberg (1723-1774), einer Freundin seiner Mutter: Auch den Pietismus und die Alchemie kennen! Spuren all dessen finden sich in den ersten Szenen von Faust, doch das Werk befindet sich noch im Entwurfs-Stadium, das bis 1774 ständig überarbeitet wurde und den gesamten Anfang des Stücks bildet. Dort finden wir den Pakt, dort treffen wir Gretchen, dort lesen wir vor allem das Porträt dieses rastlosen Genies, das alles wissen will: Auch wenn es bedeutet sein Bestes zu entfremden! Das erste darauffolgende Werk stammt aus einer ganz anderen Zeit: Der Zeit von Weimar, als der Klassizismus geboren wurde. Seit 1775 hatte Goethe eine ministerielle Verantwortung und den Rest seiner künstlerischen Laufbahn inne. 1795 wurden Goethe und Johann Christoph Friedrich von Schiller (1759-1805) Freunde! Dies ist der erste große Moment des deutschen Theaters: Goethe gab uns also Egmont (1788), aber auch Torquato Tasso (1790) und Iphigenie auf Tauris (1779). Schiller gab uns Don Carlos (1787), Wilhelm Tell (1804) und Wallenstein (1799/1799), der schnell internationalen Erfolg haben wird. In all dem gibt es viele dialektische Zusammenhänge. Noch spezieller über die Nostalgie von Italien, wo Goethe sich 1786 für längere Zeit aufhielt. Italien bedeutet ihm große innere Ruhe und Ausgeglichenheit! Was Egmont in seiner Beziehung zu seinem geliebten Klärchen anstrebt, ist auf eine Art Gretchen! Was Iphigenie anstrebt, fehlt gänzlich bei Tasso, der verrückte Dichter, verrückt vor Krankheit! Nicht als Ergebnis eines Pakts mit dem Teufel: Aber ist das Ergebnis nicht dasselbe? Wie durch eine Katharsis greift Goethe die zwischen 1768 und 1774 skizzierten Szenen auf, er korrigiert, er widersetzt sich, denn auch wenn sein Gleichgewicht fragil ist: Iphigenie ist die Antipode von Faust.
In Rom kehrt seltsamerweise der mittelalterliche Geist, die germanische Phantasmagorie zum Dichter zurück! Er schrieb die berühmte Walpurgis-Nacht, die Szene des Hexen-Sabbat und einen dunklen geheimnisvoller Monolog Wälder und Grotten… Sollen wir glauben, dass der milde Winter im Süden diese Wirkung auf romantische Temperamente hat? Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) verfolgt genau den gleichen Ansatz mit seiner eigenen Die erste Walpurgisnacht, Op. 60 (1833), geboren 1831 in Neapel und auf den Borromäischen Inseln, Hector Berlioz (1803-1869) mit seiner La Reine Mab, ou la fée des songes, Op. 17 (1839) und den Fragmenten von Lélio ou le Retour à la vie, Op. 14b (1832)! Nach seiner Rückkehr aus Italien im Jahr 1790 veröffentliche er eine erste Fassung des Faust: Das Fragment, teils in Versen, teils in Prosa! Dieses unvollendete Drama unterscheidet sich vor allem durch seine Form grundlegend von den neo-antiken Stücken: Iphigenie und Tasso. Es zeigt, dass Goethe weiter eine große Anziehungskraft für die irrationale mittelalterliche Welt hat! Faust bildet die Schattenseite des Goethe-Temperaments, es widersetzt sich der immer siegreicheren klassischen Tendenz: Aber ergänzt sie auch gleichzeitig!
Anschließend greift Goethe unter dem Einfluss von Schiller, dem dieses Fragment sehr gefallen hatte, das Drama auf und überarbeitet es. Er machte daraus in der 1808 veröffentlichten Fassung ein großes Stück, das mit symbolischen Charakteren bevölkert ist und den Geist der Herren des Mittelalters wieder auferstehen zu lassen scheint. Dort werden die größten philosophischen Probleme diskutiert, es gibt so viele Farb-Kontraste, die alle die berühmte Liebes-Geschichte zwischen Faust und Gretchen gewissermaßen aufspießen. Wie Schiller sich auch sehr positiv über den Faust ausdrückt: „Die Doppel-Natur des Menschen und den unglücklichen Versuch aus Himmel und Erde in sich zu vereinen“. Durch das Stück von 1808 wurde Goethe noch mehr als Schiller zum großen deutschen National-Dichter!
Faust und Deutschland...
Dies ist auch die Version, auf die Madame Anne-Louise-Germaine de Staël (1766-1817) aufmerksam wurde. Sie präsentierte diesen Faust in ihrem berühmten Roman De l’Allemagne (1813), den Kaiser Napoléon I. Bonaparte (1769-1821) nicht als französisch betrachtete und dessen Veröffentlichung er 1810 gewaltsam verbot. Sicherlich ist Goethe in diesem Werk nicht der einzige gekrönte Auteur! Er grenzt natürlich an Schiller neben Christoph Martin Wieland (1733-1813), Klopstock, Lessing, Gottfried August Bürger (1748-1794). Aus theatralischer Sicht steht das Drama von Goethe neben Die Räuber (1782) von Schiller, neben Don Carlos, neben Walstein, wie es geschrieben steht (sic), neben Wilhelm Tell, neben Götz von Berlichingen, neben Egmont. Das heißt, Madame de Staël möchte es als ein romantisches Drama sehen, dessen Dramaturgie vollkommen mit den Regeln der klassischen Tragödie bricht. „Es scheint mit nicht zu leugnen, dass die Franzosen die geschickteste Nation der Welt sind, wenn es darum geht die Wirkung des Theaters zu kombinieren. Sie überwiegen auch alle anderen durch die Würde der Situationen und den tragischen Stil. Aber während wir diese doppelte Überlegenheit anerkennen, können wir durch in weniger wohlgeordnete Werke tiefere Emotionen erleben. Die Konzeptionen ausländischer Stücke ist manchmal auffälliger und kühner und oft enthält sie eine Kraft, die tiefer zu unserem Herzen spricht und die Gefühle, die uns persönlich bewegt haben, stärker berührt.“ (De l’Allemagne, Teil II., Kapitel XV Die dramatische Kunst.) Mit anderen Worten: Madame de Staël beginnt eine Unterscheidung zwischen dem französischen tragischen Theater und allen ausländischen Theatern zu skizzieren, die für sie das Drama darstellten. In diese Kategorie müssen wir sowohl die Deutschen als auch die Spanier des Siglo de Oro, sowie das elizabethanischen Theaters einordnen. Dies ist auch die Meinung, die August Wilhelm Schlegel (1767-1845) in seinem für die Genese der Romantik wichtigen Cours de littérature dramatique (1814) oder auch Benjamin Constant (1767-1830) in seiner Adaptation des Walstein (sic), der mit einem Vorwort beginnt, indem ein gewaltiger Meilenstein im Kampf zwischen den Alten und der Moderne darstellt wurde. Dies war auch immer noch die Perspektive des Pariser Buchhändlers Pierre-François Ladvocat (1791-1854), als er im Zuge der Restauration die berühmte Sammlung Chefs-d’Oeuvre des Théâtres Étrangers (1821) veröffentliche. In diesem Zusammenhang und über diese Kanäle werden auch die ersten Franzosen auf William Shakespeare (1564-1616) oder auf deutsche Dramen aufmerksam. Wir verstehen dann viel besser die wahre Bedeutung eines solchen Vertrauens von Théophile Gautier (1811-1872) der in seinen Erinnerungen: „À la Villa Médicis, sous le pins en ombrelle…“ (1838) an Skakespeare, an Goethe, an Sir Walter Scott (1771-1832) dachte und gleichzeitig die Literature of the Romantic Period (1801) lass. Desgleichen nachgedruckt im Journal Officiel À propos Berlioz, den 16.3.1870 von Gérard de Nerval (1808-1855) oder Berlioz „Nous lirons ensemble Hamlet (1603) et Faust… Shakespeare et Goethe“ in Correspondance générale, am 16. Septembre 1828 an Humbert Ferrand (1800-1868).
Andererseits stellt Madame de Staël den Faust in Beziehung zu Tasso, zu Iphigenie! In diesem Fall geht es darum, die Würde des Dramas im Vergleich zu anderen , vulgären, weniger künstlerischen Formen des Theaters besser hervorzuheben: „In Deutschland werden viele bürgerliche Dramen, Melodramen und spektakuläre Theaterstücke voller Pferde und Ritterlichkeit aufgeführt. Goethe wollte die Literatur in die Strenge der Antike zurückführen und verfasste seine Iphigenie auf Tauris, das Meisterwerk der klassischen deutschen Poesie“. (Teil II, Kapitel XXII) Madame de Staël erinnert sich besonders an den Moment, als Faust am Ostertag Selbstmord begehen will, dann an das Gespräch zwischen Faust und Margarete über Gott und den Glauben, an die Szene von Margarete in der Kirche und schließlich natürlich an den schmerzlichen Tod der jungen Frau. Sie glaubte, dass das Werk mit Faust einen sehr schwarzen Charakter zeichnet, der weit über einen klassischen Typus wie z. B. Le Méchant (1747) von Jean-Baptiste-Louis Gresset (1709-1777) hinausgeht. Sie findet auch die Ironie von Mephisto der Ironie von François-Marie Arouet, genannt Voltaire (1694-1778) weit überlegen. Schließlich betont sie mit Nachdruck die Originalität von Margarete, die keineswegs „eine Heldin des Melodramas ist, sondern eine Frau wie viele andere und auch gleichzeitig viel rührender. Das Ganze stellt ein völlig neues Stück dar: Goethe hat sich auf kein Genre beschränkt. Es ist weder eine Tragödie noch ein Roman. Der Autor wollte in dieser Komposition jeder nüchternen Denk- und Schreibweise abschwören: Wir würden dort einige Verbindungen zu Aristophanes (446-386 v. J. C.) finden, wenn sich nicht die Züge des Pathos von Shakespeare in Schönheiten ganz anderer Art mischen würden“ (Kapitel XXIII). Wir könnten die Moderne, die auf der Suche nach sich selbst ist, nicht besser beschreiben. Wir könnten nicht besser behaupten, dass Faust alles hatte, um andere Künstler zu verführen und die Konvergenz der künstlerischen Ausdrucksweisen zu provozieren
Der zweite Faust…
Die Geschichte von Goethes Faust ist jedoch noch nicht zu Ende! Unser Dichter fühlt sich weiterhin zu diesem Thema hingezogen, obwohl er insbesondere als Direktor des Hoftheaters in Weimar, nahezu alle Genres des Theaters praktiziert hat, darunter auch die Komische Oper! Er plant eine Fortsetzung, er träumt von etwas, das so etwas wie ein Gegenstück zu Die Zauberflöte (1791) von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) wäre! Von nun an nimmt er einen ganz anderen Stil an: Der Faust II. geht über persönliches Vertrauen, Anekdoten hinaus, er möchte den Menschen in der Gesamtheit seiner Geschichte, in der Gesamtheit seiner Tätigkeit zum Ausdruck bringen. Keine individualisierten Zeichen wie Gretchen mehr, kein germanisches Dekor mehr, keine urbane Realität mehr im Hintergrund. Goethe weigert sich, Gefühle zu malen, die das Kennzeichen einer bestimmten Epoche wären: Er gibt den Wunsch nach romantischen Absolutheiten auf! Die Figuren werden zu Allegorien, insbesondere die Helena von Troja! Die Situationen werden symbolisch: Also die Liebe, die die Magie jetzt für denjenigen empfindet, der - im Prinzip - ewige absolute Weiblichkeit repräsentiert. Wir verlieren natürlich viel Leben und Theatralik, selbst im Fall des Haupt-Helden, umso mehr noch im Fall von Mephisto! Jeder Akt übersetzt durch eine andere Variation das Leitmotiv, die Leit-Idee: Das Streben nach dem Universellen! Besonders deutlich wird dies im letzten Akt, indem Faust, der zu einer Art Übermensch geworden ist, ohne die geringste teuflische Hilfe seine Arbeit, sein Leben trotz seines Alters, seiner Gebrechen und seiner Reue weiterführt. Wir erleben seine gesamte Existenz noch einmal vom Abenteuer mit Gretchen bis zu seinem von philosophischen Zweifeln geprägten Tod.
Auch Zeit und Ort sind unbestimmt: Wir bewegen uns zwischen Deutschland und Hellas, zwischen dem Reich der Dunkelheit und dem Land der Lebenden; daher der phantasmagorische Charakter, den die nun klassische Walpurgisnacht jetzt einnimmt. Das Werden erscheint nur als Bewegung in der Sphäre des Seins! Der Fortschritt wiederholt sich ewig: Aber er kann auch eine ewige Illusion sein! Faust ist entfremdet, wie das Subjekt von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) in Phänomenologie des Geistes (1807) und unfähig den Schatten einer entkommenden Schönheit zu bewahren, unfähig die Natur zu erobern, um ihr eine Ordnung aufzuzwingen. In diesem Zusammenhang erscheint der Einsatz von Magie als einfache Allegorie, die den ständigen Kampf gegen die Materie und das Individuum widerspiegelt. Die Pläne des sterbenden Faust sind sowohl von einem zeitlosen Holländer als auch von Friedrich II. von Hohenstaufen (1194-1250) mit seinem totalen Traum inspiriert: Dem halb-verrückten alchemistischen Kaiser… Auf eine Weise, die die großen romantischen Utopisten nicht leugnen würden: Georg Philipp Friedrich von Hardenberg genannt Novalis (1772-1801), Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865), Alphonse de Lamartine (1790-1869), Franz Liszt (1811-1886), Goethe – durch seinen Faust – stellt sich eine ideale Menschheit vor, eine post-industrielle Gesellschaft, die in unmittelbarer Harmonie und Brüderlichkeit lebt.
Daher der Atem, der epische Rhythmus, über den Goethe mit Schiller sprach! Die Handlung ist in Episoden, in Zwischenspiele unterteilt, die jeweils ein gewisses Spektakel erzeugen, wie die Entrees in ein Opern-Ballett. Es gibt insbesondere den Karneval des ersten Akts, die klassische Walpurgisnacht, die Chöre mit denen die Hochzeit von Faust und Helena gefeiert wird und vor allem das umfangreiche Oratorium des himmlischen Epilogs. Die vielschichtige Form dieser Bühnen-Handlung sprengt sowohl das Kriterium des Sprechdramas als auch das des Mysteriums. Unter diesen Umständen verstehen wir besser die Behandlung in den dramatischen Szenen, die Berlioz spontan als großartiges Material sah, in den Huit Scènes de Faust (1829), lange vor La Damnation de Faust. Aber wir wissen auch, dass Gustav Mahler (1860-1911) nicht weniger leichtfertig einen großen Auszug aus dieser berühmten Schluss-Szene des alten Goethe im letzten Satz seiner Symphonie N° 8 „Symphonie der Tausend“ (1910) integrierte. Der Dichter seinerseits beschrieb sein Werk als klassisch-romantisch, der Ausdruck ist bezeichnend! Er passt genauso zum Stil des Stücks wie es zu seinem Helden. Am Ende stieg Faust auf die allerhöchste Höhe des Menschen! Hier kommt die „Liebe von oben“ um ihn zu holen in der Gestalt der barmherzigen Mutter, der Liebenden: Die zugleich Heilige, Maria und Gretchen wurde! Letztlich durch seine Bemühungen und durch die Liebe gerettet, fällt Faust nicht in die Hölle, ganz im Gegenteil, aber das Paradies bekommt er auch nicht: Er verdient mehr, es gelingt ihm besser in einem unendlichen Aufstieg durch immer spirituellere Formen verschmilzt er mit dem Schoss der Göttlichkeit!
Die Faust-Rezeption in Frankreich im Zuge der Restauration…
Anschließend werden wir bei der Betrachtung der Rezeption von Goethe in Frankreich zwei Merkmale hervorheben: Einerseits war Frankreich gegenüber Goethe bis etwa 1820 zurückhaltend wenn nicht sogar feindselig, andererseits ist dies jedoch nicht der Fall. Wie ist das zu erklären? Es gibt einen sogenannten romantischen Faustismus, dessen deutlichste Erscheinungs-Formen bei Lord George Gordon Byron (1788-1824) zum Beispiel in Manfred (1817), Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776-1822), aber auch Honoré de Balzac (1799-1850) in La Peau de chagrin (1831) sind. Die erste Übersetzung unseres Stücks ins Französisch war von Louis-Clair de Beaupoil de Sainte Aulaire (1778-1854) und wurde im Chefs-oeuvre des Théâtres étrangers (1823) von Ladvocat veröffentlicht. Diese Version war unvollständig und oft fehlerhaft! Superior war jedoch die Übersetzung des elsässisches Albert Stapfer (1802-1892): Goethe sprach am 3. Mai 1827 ohne übermäßige Begeisterung mit Johann Peter Eckermann (1792-1854) darüber. Kurz darauf gab Nerval seinerseits 1828 seine Version des Faust I. vor, dann nahm er das Ganze noch einmal auf, ergänzte es mit dem Faust II. und veröffentlichte das Ganze 1840, mit einer sehr ausführlichen Einleitung, wir lesen zum Beispiel folgendes: „Wir haben die Geschichte der sekundären Handlung wieder aufgenommen […] und die Szenen des Todes von Faust vollständig wiedergegeben, wobei der Autor offenbar wiederum von dem Gedicht Manfred von Lord Byron inspiriert worden zu sein scheint, das schon den ersten Faust offensichtlich inspiriert hatte. Unsere Arbeit ist damit abgeschlossen, es erklärt […] die Zwischenspiele und die episodischen Aktions-Szenen, die für die Deutschen selbst sehr diffus und sehr undurchsichtig sind.“ Faust et le second Faust suivis d’un choix de ballades et poésies, traductions par G. de Nerval, précédées d’une notice par Th. Gautier, Paris 1840.
Dies ist die endgültige Fassung, die Berlioz liest, die Goethe sehr schätzte für den ersten Teil, die André Gide (1869-1951) sogar für die Gesamt-Ausgabe von Goethes Dramen in der Bibliothèque da la Pléiade Paris im Jahr 1942 verwendete. Doch die Geschichte der Vermittler ist noch nicht zu Ende. Zwischen den beiden Übersetzungen von Nerval befinden sich die Artikel aus dem Globe. Die große liberale Zeitung von 1830 veröffentlichte zu fast allen ausländischen Themen, zu Hegel, zu Byron, zu Gioachino Rossini (1792-1868), zu Hoffmann usw. Berichte, die die französische Meinung prägten. Wir erfahren dort beispielsweise unter der Signatur von J. J. Ampère: „Wenn ich in seinen Werken nur nach Goethe suche, beschränke ich mich darauf, Faust als den vollständigsten Ausdruck darzustellen, den er von sich selbst gab. Ja, Faust, das er in seiner Jugend empfing, das er in seinem reifen Alter vollendete, dessen Gedanken er in allen Wirren seines Lebens in sich trug, Faust enthält ihn vollständig“, aus Le Thème de Faust dans la littérature européenne (III. Volumen, I. Teil / 1959).
Wir lesen immer noch, aber aus anonymer Feder: „Dies ist die Geschichte der Welt in gekürzter Form. Der Idealismus verkörpert sich in diesem besorgten und unglücklichen Philosophen, der wie er sagt, gerne in den Wellen des himmlischen Lichts baden möchte und der ständig sieht, wie die Wellen von ihm verschwinden. Der Materialismus könnte keinen würdigeren Interpreten finden als den Teufel!“ Es sind nicht nur die Journalisten und Dichter! Auch viele Maler und Musiker beschäftigen sich leidenschaftlich mit dem Thema. Laut Victor Hugo (1802-1885), der in dem Préface de Cromwell (1827) folgendes erklärt, das Eugène Delacroix (1798-1863) von einer englischen Adaptation sehr beeindruckt gewesen wäre, die er 1825 in London gesehen hatte. Außerdem fertigte er zwischen 1826 und 1827 siebzehn Lithographien an, die 1828 in einer quarto-Ausgabe veröffentlicht wurden in der Version von Stapfer. Goethe weiß das auch, genauso wie Berlioz! Neben plastischer Kunst gibt es auch Theater-Adaptionen. Die erste scheint die von Emmanuel Théaulon (1787-1841) und Jean-Baptiste Gondelier (1792-1878) zu sein, mit der Musik von Michel-Nicolas Béaucourt (1791-1859) die im Oktober 1827 im Théâtre des Nouveautés in Paris gegeben wurde. Im April 1830 ist es der Faust (1816) von Louis Spohr (1784-1859), 1831 der Fausto (1831) von Mademoiselle Louise Bertin (1805-1877), indem die berühmte Diva Maria-Felicia Garcia genannt Malibran (1808-1836) die Marguerite singt. Im Jahre 1832 veröffentlichte Jean-Charles-Emmanuel Nodier (1780-1844), der zu einem schwer zu bestimmenden Zeitpunkt bereits eine Adaption des Faust I. in drei Akten konzipiert hatte unter dem eigenartigen Titel Le nouveau Faust et la nouvelle Marguerite. Die berühmteste ist zweifellos nicht die Komische Oper Faust, die im März, April, September 1829 und Januar 1830 im Théâtre de la Gaîté in Paris aufgeführt wurde, sondern ein anderer Faust der am Théâtre de la Porte Saint-Martin in Paris, ein unwürdiges Melo-Drama, das 20. Oktober 1828 zu einer Musik von Louis Alexandre Piccinni (1779-1850), mit phantastischen Ballett-Einlagen und luxuriösen Bühnenbildern uraufgeführt wurde. Den Méphisto spielte der berühmte Schauspieler Frédérick Lemaître (1800-1876) und Marie Dorval (1798-1849) interpretierte die Marguerite. Goethe war mit dem, was er als Karikatur ansah, überhaupt nicht zufrieden! Berlioz auch nicht: „Mein geliebter Faust wird entweiht, um ihn in ein unwürdiges Melo-Drama zu verulken…!“ Das schrieb er am 1. November 1828 an seine Schwester Nanci. Wir verstehen, dass er es besser machen wollte! Aber das ist eine andere Geschichte…
DAMNATION DE FAUST - Konzert - Théâtre des Champs-Elysées in Paris - 21. März 2024
Verdammt nochmal Faust! Verdammter geht es nicht…
Die großartige Ankündigung der Jubiläums-Feier zum 90. Geburtstag des Orchestre National de France war verdammt vor der eigentlichen Verdammung! Wir waren leider mehr als enttäuscht! Beginnend mit der ersten Note wussten wir schon gefühlsmäßig: Das geht daneben! Wir glauben einfach das der derzeitige rumänische Chef-Dirigent Christian Măcelaru nicht im Stande war diese großen Orchester-Massen von Berlioz zu bewältigen. Denn außer einigen wenigen schönen Passagen, ging wirklich alles daneben! Natürlich wissen wir das dieses Werk äußerst komplex und schwierig zu dirigieren ist, außerdem hilft auch nicht die trockene Akustik des Theaters und dieser wahnsinnige enge geschlossene Orchester-Kasten, indem das Orchester und der Chor mit sehr wenig Raum auskommen muss. Wie auch immer: Wir waren fast beschämt für unsere Wahlheimat über eine derartige Berlioz-Interpretation! In diesem Zusammenhang erinnern wir uns an eine überwältigende Interpretation von La Damnation de Faust vor einigen Jahren im National-Theater Weimar mit der Staatskapelle Weimar und nur mit den Solisten des Theater-Ensembles. Also keine internationalen Star-Sänger und auch nur ein mehr oder weniger ein kleines Theater in der Provinz, wie man hier zu Lande sagen würde! Aber lassen wir die Polemik: Wir mussten nur ein wenig unser äußerst empörtes und beleidigtes Musik-Liebhaber-Herz ausschütteln!
In dem Orchester sind ohne Frage viele von Berlioz gewünschte Musiker, aber wie schon erwähnt auf einer derartigen kleinen Bühne können sie sich nicht entfalten, geschweige ihr verdientes Jubiläum mit Glanz zu feiern. Berlioz‘ Opulenz und seine für die damalige Zeit beispiellose Orchestrierung traten nicht in den Vordergrund! Der Klang schien auf engstem Raum zerquetscht zu sein, die prächtigen donnernden Blechbläser verschlangen oft kleinere Blasinstrumente und natürlich auch die delikaten Streicher, letztere manchmal brillant in ihren Solo-Ausbrüchen und auch oft ziemlich grob vom Boden verschlungen. Den Musikern und dem Chor fehlte der nötige Raum, damit die Klänge den Farben des musikalischen Fresko gerecht werden konnte. Daraus ergab sich eine derartige bodenlastende und erdrückende Schwere des Orchesterklangs, aus der manchmal die Soli zu unserer Freude entkommen konnten: Unter anderem das Englischhorn oder die Oboe! Was den Einzug von Mephisto als eine Offenbarung aus der unglücklichen Geschichte von Faust, dieser moralischen sentimentalen und intellektuellen Geschichte signalisieren wollte und ganz nahe an den Fantasien seines Schöpfers, eines romantischen Demiurgen war: Der eher die Nähe Byrons suchte als die von Lamartine, das will heißen Berlioz!
Der Faust wurde von dem amerikanischen Tenor John Irvin interpretiert, der den erkrankten französischen Tenor Stanislas de Babeyrac ersetzte. Es war ein nicht anwesender Faust, er war eher ein Lehrling des verteufelten Gelehrten: Er war genau das erwünschte Gegenteil seines Komponisten! Sein Faust stellte leider die größte Schwäche des schon sehr schwachen Abends dar. Obwohl der Tenor über die erforderliche Projektion und auch halbwegs über den Stimm-Umfang verfügte, jedoch fehlte leider völlig die sehr wichtige baritonale Lage für diese Rolle. Aber es sah so aus, das ihm der Text völlig gleichgültig war und er lieferte eine einheitliche platte farblose Interpretation ohne jeglichen dramatischen Aufschwung. Auch die Klangfarbe war sehr nasal, die Aussprache mehr oder weniger zufällig und die Gesangslinie genau das Gegenteil von großzügig, die berühmte Invocation à la nature hatte ihre ganze Erhabenheit verloren, das Liebes-Duett mit Marguerite (Stéphanie d´Oustrac) verlor seine ganze grosse Expressivität!
An seiner Seite ist der französische Bass Paul Gay ein spöttischer Mephisto mit einer schwarzen verstopften Stimme, der es an größerer Subtilität im Gesang und in der Charakterisierung mangelte. Wenn wir es brutal ausdrücken dürfen, es ist ein mit viel humorvoller Vulgarität versehener Mephisto ohne die sprichwörtliche arrogante teuflische Arroganz! Der Schauspieler, der sich sehr wohl fühlt und über eine stets wiederkehrende Großzügigkeit verfügt, bevorzugt die eher einvernehmliche, groteske Dimension der Figur auf Kosten seiner verführerischen Zweideutigkeit. Der Ton wird zu oft laut ausgegeben, wodurch die Phrasierung nicht weicher wird. Auch die Klangfarbe sollte normalerweise über den gesamten Bereich rund bleiben. In der hohen Lage wird besonders in dem: La Chanson de la Puce ein zu starkes Legato unangenehm auffallen!
Die französische Mezzo-Sopranistin Stéphanie d’Oustrac porträtiert eine wunderbare zarte und nuancierte Marguerite, sehr verträumt, fast einem Flüstern nahe in der Ballade Le roi de Thulé, eingeleitet von einer Solo-Bratsche, deren hervorragende Farben aus demselben Geist stammt. Mit ihrem unmittelbarem Charisma, deren schimmernde Samt-Stimme den Raum mühelos erfüllt, sobald sie eintritt. Die Energie und die Größe der Ideen, die Berlioz an die Musik forderte, findet sich auch besonders in der Figur der Marguerite wieder, die von der engagierten Sängerin mit viel Freude und künstlerischem Geschmack gesungen wurde. Ihr raffiniertes Instrument hat die erwartete Vornehmheit und Sinnlichkeit. Besonders ergreifend ist sie in ihrer großen Arie mit den exquisiten Zeilen D’amour, l’ardente flamme, die Melodie wird uns noch lange in Erinnerung bleiben!
Der französische Bass Frédéric Caton singt mit viel überschäumender Begeisterung den Brander und mit seinem Chanson du rat ist er auch sehr übermütig und lustig. Beide erinnern uns an die beiden Pole der französischen Romantik, wie Hugo theoretisierte: Das Erhabene und das Groteske!
Der Chor von Radio France unter der Leitung des spanischen Chorleiters Josep Vila I Casañas machte seinem Ruf bei dieser Veranstaltung alle Ehre. Er verkörperte mit seinem gewohnten Talent die passenden Bauern, Hirten, Soldaten und natürlich auch die himmlische Armee.
Trotz der wenigen beschriebenen großen Momente: Diese La Damnation de Faust war für uns eine sehr schmerzhafte Folter und eine fast endlose schlaflose Nacht… Auf dem Heimweg dachten wir an die kritischen Äußerungen um uns herum von diversen Music-Lovers: Äußerungen, die schon an grobe Beschimpfungen, Beleidigungen und Verunglimpfungen gingen! (PMP/26.032024)
Für eventuelle Auskünfte oder Kartenbestellungen: www.francemusique.fr