Paris, Théâtre de l'Athénée, CROSSOVER - LIEDERABEND, IOCO
Théâtre de l'Athénée: Es ist eine Geschichte von Musik und Freundschaft: Die französische Sopranistin Julie Fuchs kehrt auf Einladung des französischen Pianisten Alphonse Cemin in das Théâtre de l’Athénée .........
von Peter Michael Peters
C R O S S O V E R - L I E D E R A B E N D - Julie Fuchs, Sopran, Alphonse Cemin, Klavier
Lieder, Songs und Klavier-Musik von Wolf, Holmes, Ravel, Faure, Purcell, Sondheim, Mitchell…
EINE ROMANTISCHE REISE VON WOLF BIS MITCHELL…
Dann ist der gut gelaunte Sänger
Mitunter auch ein Kinderfänger,
Der selbst die wildesten bezwingt,
Wenn er die goldnen Märchen singt.
Und wären Knaben noch so trutzig,
Und wären Mädchen noch so stutzig,
In meine Saiten greif in ein,
Sie müssen alle hinterdrein.
(Auszug aus Der Rattenfänger nach einem Gedicht von Goethe)
Die Welt aus einer fremden Sicht…
Es ist eine Geschichte von Musik und Freundschaft: Die französische Sopranistin Julie Fuchs kehrt auf Einladung des französischen Pianisten Alphonse Cemin nach einem Aufenthalt auf den größten Opernbühnen der Welt in das Théâtre de l’Athénée zurück. Dem Pariser Publikum sind vor allem die denkwürdigen Aufführungen von Die Zauberflöte (1791) von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und von Platée (1745) von Jean-Philippe Rameau (1683-1764) an der Opéra National de Paris in Erinnerung geblieben. Der heutige Abend ist vor allem im Zeichen von Märchen und Sagen.
Ein gemeinsames Universum: Goethe und Wolf…
In der Breite und Vielfalt seines Universums ist Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) für einen Musiker ein Himalaya: Den es zu erobern gilt! So sehr auch die Berücksichtigung aller Facetten von Eduard Möricke (1804-1875) immer noch ein machbares Projekt ist, aber das Äquivalent von Goethe ist einfach unmöglich. Ein Musiker wie Hugo Wolf (1860-1903) ist sich mehr als andere über den historischen Platz des Weimarer Dichters bewusst. Er kollidiert frontal mit der Vergangenheit seiner Kunst und ist gezwungen zuzustimmen, dass von Goethes schönsten Gedichten und Balladen schon vor ihm von vielen Musikern vertont wurden, allen voran: Franz Schubert (1797-1828). Nach dem Gesetz, das er sich selbst gesetzt hat, darf der Komponist seine Musik nur dann auf diese Verse vertonen, wenn er sicher ist, dass er es besser kann. Er kann das Verbot nur übertreten! Zwischen den beiden obligatorischen Höhepunkten, den Gedichten von Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795), mit denen er am 27.Oktober 1888 in „Goethe einsteigt“ und der Trilogie der Göttlichkeit (1891), untersucht der wesentliche Teil des Zyklus (G. 11 bis G. 48) verschiedene Texte, die ausgewählt wurden, weil diese in der Musik noch am wenigsten behandelt wurden. Die Quelle, aus der er am meisten schöpfte, ist der West-Östliche Divan (1819), das Herzstück der reichhaltigen lyrischen Produktion des letzten Goethe. Mit Ausnahme eines Liedes: Die Spröde, G. 26 ist die Sammlung in sechs Wochen fertiggestellt: Am 12. Februar 1889.
Wir sehen bereits das Erscheinen dieser beiden pastoralen Pastiche in einer Oper von Domenico Cimarosa (1749-1801) L’impresario in angustie (1786), nachdem in dem Lied, Die Spröde, G. 26 (1881) ein Mädchen erfolgreich die Annäherungsversuche von drei aufeinanderfolgenden Galanten abgelehnt hatte und somit mit sich selbst sehr zufrieden war. Aber in dem Lied: Die Bekehrte, G. 27 (1889) lässt sich eine Schäferin von einem Flötenspieler verführen. Sie verliert aber jegliche Ruhe und Unbeschwertheit! Das Lied Der Rattenfänger, G. 11 (1891) ist ohne jegliche Abenteuer oder kontrastierende Episoden. Dieses Gedicht ist in keinem Fall eine Ballade. Als bekannter Sänger in Stadt und Land bezaubert der legendäre Charakter Ratten und Wiesel, dann auch Kinder und vor allem junge Mädchen: Seine Worte verraten einen sehr hohes Selbstwert-Gefühl und unermessliche Verachtung für seine Opfer. Viel verstörender als sein Auftritt als Sohn der Musen, Schubert hatte seinen Der Rattenfänger, D. 255 (1815) zu einem Papageno aus Der Zauberflöte gemacht! Um den zugrunde liegenden Dämonismus der Figur zu vermitteln, behandelte aber Wolf ihn wie den Bruder seines Der Feuerreiter, M. 44 (1880) nach einem Gedicht von Möricke. Wie sein Feuerreiter kann er nicht stillsitzen: „Sing so flink“, wenn er ein Serenaden-artiges Begleit-Instrument in der Hand hält, ist es wie eine Peitsche, die Wolf ihm in einem anderen Vorspiel zu Franz Liszts (1811-1886) schriller Musik aufgesetzt hat. Der Klavierpart wirft dem Publikum seinen sehr heftig wiederholten und akzentuierten Dur-Sept-Akkord ins Gesicht und beginnt mit einer Reihe von Elektro-Schocks! Dann entfaltet sich die Serenade im Niccolò Paganini (1782-1840) -Stil in einem rasanten Tempo, das durch die regelmäßige Rückkehr der sogenannten Peitschenhiebe noch mehr belebt wird. Hier und da sind es freilich nie etwas anderes als Totentänze! Diese drei Lieder sind aus dem Zyklus 21 Balladen und Gedichte (1891).
Von Holmès bis Fauré…
Wir verstehen, dass Augusta Holmès (1847-1903) für viele das Symbol einer Theaterkunst bleibt! Der französische Komponist Charles Koechlin (1867-1950) präzisierte: „Aufgrund einer etwas theatralischen Erweiterung, die manchmal bis zu einer gewissen naiven Betonung geht, könnte man glauben dass in den heute von Holmès sehr vergessenen Melodien etwas zu viel Jules Massenet (1842-1912) steckt. Eher Zufall und darüber hinaus eine oberflächliche Ähnlichkeit: Aber nicht real! Diese leidenschaftliche Komponistin war auf keinen Fall gewöhnlich! Hohe Ziele, umso höher, weil sie von Richard Wagner (1813-1883) dem Hohepriester der neuen Religion, verzaubert war. Eine unbestreitbare melodische Begabung, aber eine ungleichmäßige Technik, die Unmöglichkeit sich mit Kraft und mit wünschenswerter Tiefe auszudrücken, kurz gesagt: Das Gegenteil einer griechischen Kunst!“ Einige ihrer Lieder wurden in einen Zyklus vereint: Vingt Mélodies (1895). Das Lied La Guerrière (1891) ist eine heroische Ballade mit einer Trauermarsch-Bewegung und verbirgt die epischen und mythologischen Inspirationen: Die Holmès am Herzen liegen! Ein langes Präludium im archaischem Stil, belebt durch einige kriegerische Rhythmen, bereitet den Einsatz der Stimme vor, schließt und öffnet in einem schnellen Muster aus Octo-Silben. Drei Strophen erzählen vom Schlaf, dann vom Tod und enden mit der Verletzung durch den Bruder. Das Lied La Princesse sans coeur (1889) wurde von der Komponistin wie immer nach ihren eigenen Gedicht geschrieben. Es ist eines der bekanntesten Lieder von Holmès. Hier erzählt sie ein „modernes“ Märchen von einer nicht sehr liebenswerten Dame! Das kommt leider vor und ist auch nichts Neues, nicht wahr meinen Herren?
Maurice Ravel (1875-1937): Ondine, 1. Satz aus Gaspard de la nuit (1909) Suite für Klavier inspiriert nach Gedichten von Aloysius Bertrand (1807-1841). „Höre! Höre! Ich bin es, Ondine, die die Wassertropfen gegen deine klangvollen diamantenen Fenster streicht, die von den trüben Strahlen des Mondes beleuchtet werden.“ Das Lied der Verführerin der Gewässer, das der Dichter, der eine Sterbliche liebt, nicht hört. Dann weinte sie schmollend und enttäuscht ein paar Tränen, brach dann in schallendes Gelächter aus und verschwand im Regen… Ondines Gesang ist zart, „sehr weich und ausdrucksstark“ in einer klanglichen Unentschlossenheit des erzeugenden Zaubers. Es beharrt auf einem vehementen und leidenschaftlichen crescendo, bettelt gewissermaßen im Grollen des lebhaften Tempo-Bass. Dann, wie ein plötzliches decressondo: Die Vision der Verzauberung verschwindet in einem Schauer von arpeggien. „Es grenzt an ein wahres Wunder, dass es Ravel nach den vorherigen Klavier-Suiten von Jeux d’eau (1901) und Une barque sur l’océan (1902) wieder gelungen ist, die pianistischen Effekte zu erneuern, die die Fata Morgana des Wassers und seiner Bewegungen wieder hervorrufen sollen.“ (Alfred Cortot / 1877-1962).
Shéhérazade (1911), zu den Texten von Tristan Klingsor (1874-1966) existieren diese drei Melodien: Asie, La Flûte enchantée, L‘Indifférent seit ihrem Entstehungs-Datum in einer Fassung für Orchester oder für Klavier. Der Dichter, ein Freund von Ravel, stellte in diesem Zyklus eine privilegierte Beziehung zur Musik fest. „Der Trick dieser Gedichte amüsierte Ravel“ schrieb er. „Sie hatten auch den Vorteil, dass sie dem musikalischen Maß-Gefühl unterworfen waren. Indem ich mich der freien Poesie widmete, war ich mir bewusst, dass es dort mehr als anderswo notwendig war den Rhythmus gekonnt durchzusetzen. Ich glaube, dass man die Verse sagen kann, ich sage nicht mit dem Metronom, sondern durch Angabe der Zeit. Mehr als einmal habe ich meine Gedichte beim Gehen geschrieben! Es ist hier nicht der Ort, auf technische Details einzugehen oder zu zeigen, wie unverzichtbar das Studium der Musik für den Dichter, insbesondere für den Vers-Bibliothekar ist, wenn er mit unterschiedlichen Werten, Akzenten, Stillen und sogar Synkopen spielen möchte. Das ist sicherlich der Grund, warum ich so oft die gefügige Beute von Komponisten war. Der Rhythmus trug sie einfach mit!“ Dieser Zyklus steht unter dem großen Einfluss des orientalisierenden Russlands und eines Nikolaj Andrejewitsch Rimskij-Korsakow (1844-1908) - Orchesters-Stils und wendet winzige Elemente eines Opern-Projekts an, das Ravel dem Thema der Tausendundeine Nacht veranschaulichen wollte und dessen Ouvertüre bereits im Jahr 1899 uraufgeführt wurde. 1. Asie ist bemerkenswert für seine Appelle an den unbekannten Kontinent und seine raffinierten Klangfarben. In Sequenzen zerschnitten, die durch die wiederholte Rückkehr eines zunehmend drängenden „Je voudrais voir“ eingeleitet werden, wird Asie in Strophen oder auf einander folgenden Teilen der Blumen-Inseln „plus vite et plus clair“, der dunklen Augen „lent et plein de mystère“, der Kaufleute und erwähnt ihre Pfeifen, China und die dickbäuchigen Mandarine „rythmique sautillante“, der verzauberten Paläste „très lent“, die Mörder und der Henker „moderne“, die im letzten Wunsch des Dichtes gipfeln, „Je voudrais voir mourir d’amour ou bien de haine“, in einem Zugang von sehr morbider Sensibilität des Fin de Siècle. Wir denken an die Atmosphäre von Jardin des supplies (1899), ein Roman von Octave Mirbeau (1848-1917) aus den Jahren 1898/1899. Die Rückkehr des Anfangs-Teils bringt diesen beunruhigen und faszinierenden Vorschlag zurück in die Dimension des Traums. 2. La Flûte enchantée malt eine Harems-Szene: Der Herr schläft, während die Geliebte die geheimnissenvollen Küsse genießt, die durch die verliebten Klänge der Flöte übermittelt werden, die ihr Geliebter spielt. Die Flöte entlarvt und verwebt die Deklamation mit einem rustikalen Motiv, das an das Solo der Oboe von Asie erinnert oder an den späteren Ziegenhirten in Daphnis et Chloé (1912). 3. L’Indifférent erinnert an die Passage eines Jungen, den der Dichter von der Schwelle aus sieht, wie er sich entfernt. Die Geheimnisse dieses androgynen Charmes „Tes yeux sont doux comme ceux d’une fille“ bleiben intakt, der junge Mann geht seinen Weg „chantant une langue inconnu et charmante comme une musique fausse“. Der Komponist Jean Joseph Emile Vuillermoz (1878-1960) spürt einen durchdringenden lyrischen und penetranten Erguss, wie das Bekenntnis einer ganz persönlichen Anziehungskraft. Die musikalische Struktur des Liedes basiert auf der Entfaltung des Textes: Von der verträumten Erinnerung bis zur in der Realität verankerten Auflösung.
Die Karriere von Gabriel Fauré (1845-1924) als Komponist nahm sehr langsam Gestalt an: Erst im Jahre 1878 wurde der erste Zyklus von Melodien fertiggestellt, obwohl die Société Nationale de la Musique jedem jungen Musiker die Gelegenheit gab, sein Werk öffentlich zu interpretieren. Das Lied La Fée aux chansons, Op. 27/2 (1882) nach einem Gedicht von Armand Silvestre (1837-1901) erzeugt eine unwirkliche und fantastische Atmosphäre: Geschwindigkeit, Leichtigkeit, gedämpfte Klänge kontrastieren mit dem starken Fall des immer noch Spektakulären und Eindringlichen. Man kann sagen, das dieses Lied auf jeden Fall indirekt zum vielmals bis zum Jahr 1906 umgestalteten Zyklus Poème d’un Jour, Op. 21 (1878) gehört. Als Zeuge des ersten Stils von Fauré wurde dieser Zyklus Vingt Mélodies, 1. Recueil (1879) im Jahre 1879 von der Éditions Choudens zusammengestellt und wurde in dieser Form weiterhin von Hamelle Editeurs veröffentlicht, trotz der fantasievollen Reihenfolge, die die Abfolge der Melodien regelt. Die Sérénade toscane, Op. 3/2 (1878) auf einem anonymen toskanischen Gedicht und übersetzt von Romain Bussine (1830-1899), kündigt den Italianismus der Mélodies de Venise (1891) durch seinen Barkarolen-Stil und sein kapriziöses Motiv, die zwischen der Stimme und dem Klavier geteilt wird. Geschrieben im selben Jahr wie Après un rêve, Op. 7/1 (1878), opfert es ebenfalls der Lyrik und der Wirkung von Oktav-Intervallen und hohen Tönen alles. Auch dieses Lied basiert auf eine anonyme toskanische Poesie, vom Dichter und Sänger Bussine in Verse übersetzt, ist diese Melodie ein wahres Meisterwerk der Gesangskunst. Auch sehr vielen Interpreten liegt dieses Werk sehr viel am Herzen! Sein Erfolg mag die Puristen bewegen, aber er ist nicht weniger real, sowohl bei Sängern als auch bei Instrumentisten. In c-Moll auf den Klavier-Trommeln und den kraftvollen Bässen können wir nur Ich grolle nicht, Op. 48 N° 6 (1840) aus dem Zyklus Dichterliebe, Op. 48 (1840) nach Gedichten von Heinrich Heine (1797-1856) von Robert Schumann (1810-1856) heraufbeschwören, das Lied erreicht wahre traumhafte Dimensionen, solange wir das recht langsame Tempo und die vielen Nuancen respektieren.
Von Purcell bis Mitchell…
Die Arie One charming night aus der Semi-Oper The Fairy Queen, Z. 629 (1692) von Henry Purcell (1659-1695) ist unserer Meinung einer der besten Beispiele dieser so viel zitierten eleganten und gleichzeitig so „versteckten“ englischen Sprachform: Kurzum dieses so unerreichte britische „Understatement“! Diese charmante englische Nacht mit all ihren Umwegen und unerwarteten Begegnungen mit einem Libretto von Thomas Betterton (1635-1710) frei nach William Shakespeares (1564-1616) A Midsummer Night’s Dream (1600) zeigt gewissermaßen meisterhaft alle diese genannten Qualitäten. Die beiden Songs: The last midnight und No one is alone aus dem Musical Into the woods (1987) von Stephen Sondheim (1930-2021) mit einem Libretto von James Lapine (*1949) beweisen die große Kunst von Sondheim für diese wohl einmaligen sophistischen Werke mit einem quasi auf einer gleichen Niveau-Ebene wie die klassische Oper sind. Die Geschichte erzählt von wahllos ausgesuchten Figuren aus den Märchen der Gebrüder Grimm mit Jacob Grimm (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859), die in den Central-Parc geworfen werden: Man kann sich wohl vorstellen wie das alles poltern durcheinander geht mit bösen sowie guten Feen: Frei nach Grimm es war einmal! Von der weltberühmten kanadische Sängerin, Autorin und Komponistin Joni Mitchell (*1943) die man wohl nicht mehr vorstellen muss, interpretieren unsere Künstler an diesem Abend einen gewaltigen Hit und der auch zweifellos schon ein Mythe ist: Both sides now (1966). Ausser vielleicht für die sogenannten Musik-Liebhaber, die nicht die Brücken überqueren noch die Grenzen passieren wollen oder können: Um neue und andere musikalischen Horizonte zu erforschen! Sie wissen nicht was sie vermissen! „Crossover for ever“!
Der Liederabend im Théâtre de Athénée am 18. März 2024
P R O G R A M M —Wolf: Die Spröde *** Der Rattenfänger *** Die Bekehrte *** Holmès: La guerrière *** La princesse sans cœur *** Ravel: Ondine *** Asie *** La flûte enchantée *** L’indifférante *** Fauré: La fée aux chansons *** Sérénade toscane *** Après un rêve *** Purcell: One charming night *** Sondheim: The last midnight *** No one is alone *** Michell: Both sides now.
Fesselnde Geschichten und Legenden…
Ein besonderer raffinierter Lieder-Abend mit vielen erweiterten Musik-Horizonten in der schon mittlerweile berühmten Serie Les Lundis Musicaux im Théâtre de l’Athénée in Paris. Die junge hinreißende aus Avignon stammende Sopranistin Julie Fuchs wurde wieder einmal von ihrem langjährigen Freund und Komplizen, dem Pianisten Alphonse Cemin eingeladen. Wieder einmal bezauberten uns diese beiden Ausnahme-Künstler mit einem hinreißenden Programm, das keine Hindernisse in Form von Musik-Stilen oder Interpretations-Techniken kannte. Diesmal war das Motto unter dem Zeichen einer „nicht nur“ märchenhaften Welt: Mit vielen unerwarteten Begegnungen in der Realität, in Träumen, in Wünschen und Sehnsüchten…
Die Sängerin hat viele Facetten in ihrer Kunst und vernachlässigt keine davon: Erstens ist sie eine hervorragende Technikerin mit einer leichten Sopran-Stimme, die sich aber über Jahre immer weiter entwickelt hat und an viel Rundheit und Tiefgang gewonnen hat. Auch wenn das Vibrato sehr leicht und die Tonleiter etwas eingeschränkt bleibt, verleihen die Projektion und der Fokus ihren Phrasen eine auffallende angenehme Schärfe und eine stets erweiterte köstliche Erleichterung im Aufbau der jeweiligen Interpretation.
Fast an einer Meuterei grenzendem boshaftem Gesangs bei Wolf: Vor allem in Die Bekehrte wird sie besonders geheimnisvoll und äußerst sinnlich. In der Shéhérazade von Ravel versprüht sie ein schwerduftendes Parfüm und man denkt unweigerlich an Tausendundeine Nacht mit seinen mondüberflutenden Nächten ohne Ende. Sie wird entfesselt und beißend in Into the Woods von Sondheim. Die Diktion ist fast immer gelungen und auch die Artikulation ist sehr sorgfältig. Trotz allem sollte sie noch ein wenig mehr an der deutschen Aussprache arbeiten. Ihr Englisch ist ausgezeichnet, man kann fast sagen besser als ihre eigene Muttersprache! Auch bleibt ihre Genauigkeit tadellos, auch wenn in Après un rêve von Fauré zwei oder drei Mikrorisse in der Unterstützung auftauchen. Allerdings ist das leicht verständlich angesichts des Programm-Umfangs ohne Unterbrechung! Sie etabliert in Mitchells Both Sides Now, arrangiert von dem französischen Komponisten Arthur Lavandier, als Finale am Bühnenrand sitzend einen Moment intimer und kostbarer Gemeinschaft mit ihrem Publikum und verleiht diesem berühmten Hit perkussive Akzente: Die die Seele berühren!
Sie ist auch eine überzeugende Schauspielerin, die jedes Stück zu einer lebendigen und vollendeten Theater-Szene macht. Ihr selbstbewusster Blick verrät dem Publikum noch tausend weitere Dinge, während ihre stolze Statur ihr die Dimension einer Tragödien und eine faszinierenden Präsenz verleiht.
Darüber hinaus spielt sie jeden Stil mit Spaß und Leichtigkeit, indem sie Belting einsetzt, eine musikalische Comedy-Technik, bei der die Noten in der Bruststimme und auch in den hohen Tönen gehalten werden. Diese Technik wird in musikalischen Comédies und Musicals verwendet! Mit diesen sehr geradlinigen Klängen z. B. bei Purcell, aber auch mit der Phrasierung spielt und singt sie praktisch alles mit einer bewundernswerten Leichtigkeit und viel Spiellust!
Auch Alphonse Cemin ist nicht zu übertreffen! Sein sehr flexibles und ausdrucksstarkes Spiel steht immer im Dienste der Stimme und vereint die Vorschläge der Sopranistin wie ein treuer und beruhigender Schatten. Aber er vervielfacht auch die dynamischsten und einfallsreichsten musikalischen Vorschläge, um das Thema in jedem Stück zu erneuern und so die Atmosphären zu vervielfachen, die Welten eines Programms: Das an sich schon sehr vielfältig ist! Während die Komplizenschaft zwischen den beiden Künstlern offensichtlich ist und im kleinsten Blickwechsel durchscheinbar ist, bietet er aber auch mit dem Klavier-Solo von Ravels Ondine aus Gaspard la nuit eine bemerkenswerte Virtuosität und Feinheit seiner eigenen Welt.
So werden den ganzen Abend über die mitreißenden Geschichten und Legenden präsentiert, alle mit einem sehr einfachen und raffinierten Aufbau, aber dennoch mit einer scharfen Ästhetik dank eines Spiels aus vertraulichen Lichtern installiert von der französischen Lichtbildnerin Catherine Verheyde. Eine Atmosphäre, die sowohl intim als auch subtil nächtlich ist, verleiht diesem sehr gelungenen Lieder-Abend einen mysteriösen unvergesslichen Eindruck, der mit lautem frenetischem und enthusiastischem Applaus begrüßt wird.
Mit zwei im Stil total verschiedenen Zugaben im Sinne des abendlichen Mottos: „Crossover for ever“ wurde diese musikalische Reise um zwei Stationen verlängert: Das nostalgische und sehnsuchtsvolle Chanson Youkali (1934/35) von Kurt Weill (1900-1950) mit dem Text von Roger Fernay (1905-1983) sang die junge Sopranisten mit der totalen traurigen Inbrunst einer hoffnungslosen gequälten umherirrenden Seele. Das kann man wohl Interpretation nennen! Brava! Weill wie wir alle wissen, musste dann auch Frankreich und Europa schnellstens verlassen und auf eigenen Wunsch kehrte er nie mehr nach Deutschland zurück! Als zweite Zugabe unserer sympathischen und talentierten Künstlerin werden in der Arie der Suzanna „Deh vieni non tardar“ aus Le nozze di Figaro (1786) von Mozart gewissermaßen einige veristische Glissandi eingeflößt und wie eine zarte Blume auf einem Gourmet-Gericht angeboten.
(PMP/22.03.2024)
Der nächste Lieder-Abend: 15. April 2024 Elsa Dreisig, Sopran * Romain Louveau, Violine * Nikola Nikolov, Klavier Dichterliebe und Große Sonate für Violine und Klavier von Robert Schumann.