Osnabrück, Theater am Domhof, San Paolo - Uraufführung - Sidney Corbett, IOCO Kritik, 02.06.2018
SAN PAOLO - Uraufführung von Sidney Corbetts Oper
- Der Ruf des Herrn macht einsam -
Von Hanns Butterhof
Sidney Corbetts Oper San Paolo über den Apostel Paulus ist eine Auftragsarbeit des Theaters Osnabrück. Drei Jahre hat der 1960 in Chikago geborene Komponist an der 325 Seiten starken Partitur gearbeitet. Als Grundlage diente Corbett und seinem Librettisten Ralf Waldschmidt ein nie realisiertes Projekt des italienischen Filmemachers und Autors Pier Paolo Pasolini (1922 - 1975). Die Oper zeichnet Paulus in Parallelität mit Pasolini szenisch wie musikalisch als einen Zerrissenen, einen Rebellen, den der Ruf des Herrn einsam gemacht hat.
Regisseur Alexander May lässt alle Stationen im Leben des Apostels als Metapher für die Kälte der Moderne in einem zweistöckigen, weißen Bauhaus-Kubus mit verschieden großen Räumen spielen (Bühne: Wolf Gutjahr). Die vielen Szenenwechsel bewältigt die häufig kreiselnde Drehbühne problemlos.
Pasolini sah in Paulus eine Figur von heute. Die Oper lässt daher die Stationen im Leben Paulus' unvermittelt in entsprechende Situationen der Gegenwart übergehen. So findet sich Paulus (Jan Friedrich Eggers), der eben noch die Tötung des Stefanus (Daniel Wagner) im Jahr 35 in Jerusalem als harter Christenverfolger überwacht hat, bei die Erschießung eines Widerstandskämpfers im besetzten Frankreich 1941 wieder, an der er im langen SS-Ledermantel teilnimmt (Kostüme: Katharina Weissenborn).
Ohne die Kenntnis von Bibel und Programmheft ist allerdings kaum zu verstehen, dass Paulus, nachdem die Stimme des Herrn (Lina Liu und Kinderchor) ihn berufen hat, Petrus (Rhys Jenkins) im Kreis von antifaschistischen Widerstandskämpfern antrifft (Choreinstudierung: Markus Lafleur), dann im Jahr 49 in Philippi und 1952 in Bonn Wirtschaftswunder-Deutschen von der Keuschheit, später von der Rolle der Frau als Dienerin des Mannes kündet, die in der Versammlung zu schweigen habe. Sein Ende findet er im Jahr 60 in Rom und 1968 in New York, wo er den darüber nicht amüsierten Außenseitern der Gesellschaft predigt, dass die Gesetze des Staates zu befolgen sind.
Zu den theologischen Positionen Paulus' nimmt die Oper kaum szenisch, musikalisch nur sehr dezent Stellung; im Gespräch mit IOCO betont Corbett, theologische Fragen zwar zu präsentieren, aber nicht zu beantworten. Es gehe ihm darum, Menschen wie Paulus im Musiktheater plausibel zu machen.
Jan Friedrich Eggers zeigt den Paulus nach seiner dramatischen Damaskus-Bekehrung durch die Stimme des Herrn erst in sich ruhend, dann zunehmend fahrig. Mit ausdrucksstarkem Bariton trumpft Eggers autoritär auf, um dann, am inneren Zwiespalt von jüdischer Orthodoxie und christlicher Botschaft leidend, immer fanatischer zu monologisieren, zunehmend einsam nach dem Ruf des Herrn; seine Schlussworte werden nicht einmal mehr vom Orchester begleitet.
Trotz Eggers' beeindruckender Charakterzeichnung berührt die Figur des Paulus nur wenig. Auch seine und Pasolinis Gesellschafts- und Kirchen-Kritik, so zutreffend sie entfremdete Egozentrik und institutionelle Abgehobenheit thematisieren, rütteln kaum auf. Innere Entwicklung, an der teilzunehmen wäre, wird der äußerlich bleibenden Lebensgeschichte geopfert.
Corbetts Musik erlaubt Daniel Inbal mit dem präzisen Osnabrücker Symphonieorchester nur Spannung auf kleinstem Raum. Er schichtet Klang-Cluster übereinander, die sich dissonant reiben und keine großen Spannungsbögen ermöglichen. Soli und Chorisches stehen sich meistenteils gegenüber, nur äußerst selten schiebt sich ein harmonisches Duett dazwischen. Der Rhythmus spielt eine große Rolle; lautes Unisono von Chor und Orchester mit starkem Schlagwerk-Einsatz steht hart neben diffizil individuellen Gesten. Ohne deutliche situative Wertung, mehr dissonant das Zerrissenheits-Motiv sowohl in Paulus wie zwischen ihm und der Welt wiederholend, läuft die Musik in epischer Breite neben Handlung und Gesang her.
Der hat einiges zu bieten. Neben dem großartigen Jan Friedrich Eggers besticht Lina Liu als Stimme Jesu mit autoritär geschärftem Sopran, vom Kinderchor lyrisch getragen, und Susann Vent-Wunderlich überzeugt mit dramatisch überwältigendem Sopran als Johannes.
Die sperrige, in der strengen Tonsprache Corbetts verfasste Oper bekam nach neunzig Minuten unnötigerweise auf Italienisch gesungener, deutsch übertitelter Musik anerkennenden, Jan Friedrich Eggers, Daniel Inbal und sein Osnabrücker Symphonieorchester kräftigen Beifall.
San Paolo - Uraufführung am Theater Osnabrück: Die nächsten Termine: 1., 5. und 20.6.2018 jeweils um 19.30 Uhr
---| IOCO Kritik Theater Osnabrück |---