Osnabrück, Theater am Domhof, Lohengrin von Richard Wagner - Entromantisiert, IOCO Kritik, 17.4.2016
Lohengrin - Mit Plastikschwänen abgespeist
Yona Kim entromantisiert Wagners Oper Lohengrin im Osnabrücker Theater am Domhof. Von Hanns Butterhof
Viel ist in Wagners romantischer Oper Lohengrin von Wundern und blindem Vertrauen die Rede. Im Theater am Domhof fragt Regisseurin Yona Kim realistisch aufgeklärt, wohin blindes Vertrauen und einfältiger Wunderglaube führen.
Kim siedelt die Handlung, die im Mittelalter um 900 herum in Brabant spielt, in einer durch die Bühne und Kostüme Margit Flagners und Hugo Holger Schneiders nicht genauer definierten Gegend und Jetztzeit an.
Zur Ouvertüre scheinen reglose Brabanter zu den sirrenden Geigen des Orchesters, das mit Andreas Hotz am Pult auf der Hinterbühne zu sehen ist, von Rettung aus ihrer verfahrenen Situation zu träumen: Brabant ist ohne Führung und zerstritten. Nach dem Tod des Herzogs ist seine Tochter Elsa (Lina Liu) von Graf Telramund (Rhys Jenkins) angeklagt worden, ihren Bruder ermordet zu haben. Von seiner ehrgeizigen Frau Ortrud (Andrea Baker) angestachelt, strebt Telramund selbst nach der Herrschaft.
Ein Wunder käme da vielen recht. Neben der hilflosen Elsa vor allem dem deutschen König Heinrich (José Gallisa), der dringend einen Führer für die störrischen Brabanter zu seinem Krieg gegen die Ungarn braucht. Als zu dem von Heinrich angeordneten Gotteskampf um Elsas Unschuld wundersam ein unbekannter Mann erscheint, erklärt ihn der König auch sogleich als von Gott gesandt.
Kim befragt Lohengrins Herkunft nicht näher, obwohl der wenig heldenhafte, verhalten lyrische Tenor Chris Lysacks allen Anlass dazu böte. Ins Zentrum rückt vielmehr den Kampf zwischen der wunderwilligen Elsa und der kritischen Ortrud, der zunehmend wie ein inneres Ringen Elsas um ein vollsinniges, erwachsenes Verhältnis gegenüber Lohengrin erscheint. Nicht nur bewegen sich Elsa und Ortrud oft parallel, Lina Lius ätherisch reiner Sopran ergänzt sich mit Andrea Bakers kraftvoll erdigem Mezzo. Wenn Elsa in der Hochzeitsnacht Lohengrin die verbotene Frage nach seiner Herkunft stellt, integriert sie überzeugend ihren Ortrud-Anteil.
Ist das recht schlüssig und von beachtlicher Bühnenwirklichkeit, so sind Kims Umgang mit Lohengrin als Projektionsfläche und vor allem das Ende recht kopfig. Lohengrin präsentiert bei seinem Abgang den Brabantern einen halbwüchsigen, schwächlichen Jungen in kurzen Hosen und Zwangsjacke (Christian Gerling) als Ersatz für sich. Der soll Elsas aus einem Schwan zurückverwandelter Bruder sein. Während die Wunderbedürftigen, allen voran König Heinrich, diesem Jungen zujubeln, werden Plastikschwäne ausgeteilt: Wer blind einem Führer vertraut und von ihm Wunder erwartet, wird mit Talmi abgespeist.
Nach viereinhalb Stunden großer Beifall, vor allem für Andreas Hotz und das überzeugend wagnertaugliche Symphonieorchester, Andrea Baker, Lina Liu und den von Markus Lafleur einstudierten Chor. Von Hanns Butterhof / 15.4.2016
Lohengrin im Theater am Domhof, Osnabrück: Weitere Vorstellungen 17.4.2016 um 15.00 Uhr, 23.4. und 5.5.2016 um 17.00 Uhr, 3.6.2016 um 18.00 Uhr
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