Osnabrück, Theater Am Domhof, Elektra: Leben für den Augenblick der Rache, IOCO Kritik, 10.06.2016
Elektra von Richard Strauss, konzertant
Ein Leben für den Augenblick der Rache
Die konzertante Strauss-Oper „Elektra“ ist von musikalisch-emotionaler Wucht. Von Hanns Butterhof.
Strauss’ „Elektra“ ist wie für eine konzertante Aufführung geschaffen. Das Libretto Hugo von Hofmannsthals um Elektra, die Tochter des griechischen Fürsten Agamemnon, ist von solcher Dichte, dass man an den Lippen der drei die Oper tragenden Sängerinnen hängt und nur Strauss’ kongeniale Musik wichtig wird.
Richard Strauss’ „Elektra“ ist die letzte, die erschütterndste Oper der laufenden Spielzeit. In der konzertanten Aufführung im Theater am Domhof schaffen Orchester und Sängerensemble eine derart fesselnde Dramatik, dass ein einziger Stuhl als Requisit ausreicht.
Es ist vor allem Rachael Tovey, deren Elektra das Publikum mit ihrer kräftezehrenden Partie durch eine ganze Gefühlswelt mitreißt. Mit strähnigem Haar und schwarzem kittelartigem Gewand (Kostüme: Linda Schnabel) hat sie auf alle Fraulichkeit verzichtet. Aus ihrer unendlich tiefen Trauer um den Vater Agamemnon zieht sie den unstillbaren Rachedurst gegen dessen Mörder, ihre Mutter Klytämnestra und deren Liebhaber Ägisth. Mit kalter Bosheit begegnet sie ihrer Mutter, kann aber auch süß schmeichelnd um ihre Schwester werben. Erschütternd ist ihr Bekenntnis, dass ihr Leben auf den Tag der Rache hin sie selber zerstört hat. Wie viel authentischer ist ihre fundamentale Ablehnung der dekadenten Umwelt als die junger Männer, die fahnenschwingend mit testosteronbasiertem Lachen auf Pickups durch die Wüste brettern! Dass die Regie (Szenische Einrichtung: Ralf Waldschmidt) sie nach dem von ihrem Bruder Orest vollbrachten Mord nicht im triumphalen Tanz sterben, sondern wie ausgebrannt verlöschen lässt, ist eine zu Recht gnädige Humanisierung Elektras.
Ihr positives Gegenstück ist ihre jüngere Schwester Chrysothemis. In Weiß gekleidet ist Lina Liu mit ihrem jugendlichen Sopran ganz unreflektierte Lebenslust und liebesbedürftige Fraulichkeit, die vom Orchester mit den Klangfarben des Frühlings geziert wird.
In ihrer edlen Robe ist die Klytämnestra Martina Dikes eine durch Furcht vor Bestrafung zerrüttete Frau. Fahl klagt sie, nicht mehr schlafen und an der höfischen Spaßgesellschaft keine Freude mehr finden zu können. Sie ist lebend schon tot.
Neben den drei Frauen ist für Orest (Rhys Jenkins) kaum Raum für eine ausgeprägtere Charakterzeichnung. Sein Mord an Klytämnestra und Ägisth (Mark Hamman) vollzieht sich hinter den Kulissen und ist nur in der Musik grausig hörbar.
Das auf der Bühne plazierte Osnabrücker Symphonieorchester unter Andreas Hotz zeichnet die überhitzte Psychologie der Figuren häufig mit dramatisch schreienden Dissonanzen, aber auch lyrisch sinnlichem Wohlklang. Es macht eindrucksvoll hörbar, was an Handlung nicht zu sehen ist – ein vollendetes musikdramatisches Ereignis, das nach knapp zwei Stunden forderndsten Gesangs alle stehend dargebrachten Ovationen verdient hat. IOCO / Von Hanns Butterhof / 10.06.2016
Theater am Domhof, Elektra von Richard Strauss, die nächsten Vorstellungen: 14. und, zum letzten Mal, 17.6., jeweils 19.30 Uhr.
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