Osnabrück, Theater am Domhof, Die Nacht von Lissabon - Erich Maria Remarque, IOCO Kritik, 25.09.2020
Die Nacht von Lissabon - zum 50. Todestag von Erich Maria Remarque
- Innenansicht eines Flüchtlings -
von Hanns Butterhof
Der Westfälische Frieden, der 1648 in den Osnabrücker und Münsteraner Rathäusern den Dreißigjährigen Krieg beendete, ist das herausragende Ereignis der Stadtgeschichte. Osnabrück identifiziert sich damit heute als „Friedensstadt“ mit dem Auftrag, sich friedenspolitisch nach außen und innerhalb der Stadtgesellschaft zu engagieren. Diesem Auftrag kommt es unter vielem anderen mit der besonderen Pflege der Erinnerung an Erich Maria Remarque nach, der am 22. 6. 1898 in Osnabrück geboren wurde und am 25.9. 1970 in Locarno starb; mit seinem Anti-Kriegs-Roman Im Westen nichts Neues von 1929 erzielte er einen Welterfolg.
Die Nacht von Lissabon - Erich Maria Remarque youtube Trailer Theater Osnabrück [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Auch das Theater Osnabrück und vor allem sein Schauspiel verstehen sich ausdrücklich als politisch in diesem Sinn und setzen sich mit Remarques Leben und Werk auseinander. So beginnt die neue Spielzeit im Theater am Domhof mit Die Nacht von Lissabon, Erich Maria Remarques Exilanten-Roman von 1962. Der regieführende Schauspieldirektor Dominique Schnizer hat eine Theaterfassung erarbeitet, die auf die Erzählperspektive und die turbulenten äußeren Geschehnisse der erzählten Nacht verzichtet, aber mit den Videos von Christoph Otto einen fesselnden Einblick in das Innenleben eines Flüchtlings erlaubt.
Das Stück ist mit einem Schauspieler auf der Bühne und allen weiteren Figuren nur auf eingespielten Videos absolut coronatauglich. Es spielt größtenteils in einem Container (Bühne und Kostüme: Christin Treunert), aus dessen Ecke ein Mann (Thomas Kienast), umgeben von einem Rucksack, einem Paar Stiefel und Essgeschirr, in videogestützten Rückblicken seine Geschichte erzählt.
Es ist die Geschichte eines Deutschen, der 1933 aufgrund einer Denunziation ins KZ kam und nach seiner Entlassung 1934 in die Schweiz emigrierte. 1939 kommt er mit den Papieren eines Österreichers, der sich im Exil umgebracht hatte, als Josef Schwarz in seine Heimatstadt Osnabrück und zu seiner Frau Helen (Monika Vivell) zurück. Gemeinsam fliehen sie über die Schweiz nach Frankreich, wo sie eine glückliche Zeit zusammen verleben, Nach Kriegsbeginn 1939 werden dort beide als feindliche Ausländer interniert. Doch ihnen gelingt die Flucht über Spanien bis nach Lissabon, wo seine Frau am Tag vor der Überfahrt nach Amerika stirbt.
Thomas Kienast ist ein fesselnder Berichterstatter, dem überzeugend die verschiedensten, auch jäh wechselnden Gemütszustände gelingen, von zynischer Verzweiflung bis zu liebevollen Erinnerungen an die Glücksmomente mit seiner Frau. Sie ist nur in den Videos der Erinnerung präsent, aber Monika Vivell verleiht Helen die wohl interessanteste Statur im Stück. Trotz ihrer schließlich tödlichen Krebserkrankung ist sie unbedingt lebensvoll, sogar der Flucht kann sie Abenteuercharakter abgewinnen.
Dagegen bleibt die Figur des Josef Schwarz blass. Weder wird der Grund der Denunziation noch der seines Exils ausgeführt, seine gesamte Gesinnung bleibt im Dunklen, wodurch er auf den Flüchtling an sich reduziert wird, dem unbedingtes Wohlwollen zukommt. Es sind die Videos Christoph Ottos, die mit schnellen Schnitten die traumatischen Flashbacks oder die Zeit des gemeinsamen Glücks vor Augen führen und dem Publikum effektvoll das Innenleben Josef Schwarz' zeigen.
Bedauerlich sind die ungenauen Versuche einer Identifikation des Damals mit dem Heute. Funktionslose Videoeinspielungen der fiktiven Originalschauplätze Lissabon, Paris und Osnabrück, vor allem die oberflächliche Identifikation des Osnabrücker Publikums über einen Osnabrücker Protagonisten mit leibhaftigen Flüchtlingen, die im Abspann aus einem Erstaufnahmelager in der Nähe von Osnabrück zu Wort kommen, zeigen eine fatale Neigung der Regie zu erzwungener Unmittelbarkeit. Um des direkten politischen Zugriffs willen wird das Publikum entmündigt und die Aussage des Stücks unnötig plakativ auf die der Regie verengt.
Langanhaltender Beifall des coronabedingt ausgedünnten Publikums für Thomas Kienast nach einer langen Pause der Betroffenheit am Ende des Stücks, zustimmender Applaus für die Migranten. Sie scheinen am Ziel ihrer Flucht angekommen, einem Ziel, das Joseph Schwarz nach dem Tod seiner Frau dafür aufgegeben hat, in der Nacht von Lissabon seine Geschichte erzählen zu können.
Die Nacht von Lissabon am Theater Osnabrück; Die nächsten Termine: 16.,17. und 18.10.2020, jeweils 19.30 Uhr im Theater am Domhof; Karten auch unter: karten@theater-osnabrueck.de oder 0541-7600076
---| IOCO Kritik Theater Osnabrück |---