Osnabrück, Theater Osnabrück, LEONCE UND LENA - Georg Büchner, IOCO

Der verwirrte König Peter stellt in Georg Büchners Komödie Leonce und Lena von 1836 die große Menschheitsfrage: Was ist der Mensch? Lena und Leonce, zwei zu einer arrangieren Hochzeit fremdbestimmte Königskinder, stellen die Frage eine Nummer kleiner: Wer bin ich? Wozu bin ich auf der Welt?

Osnabrück, Theater Osnabrück, LEONCE UND LENA - Georg Büchner, IOCO
Osnabrück / Theater am Domhof © Marius Maasewerd

Hunger nach Lebens-Sinn - Theater Osnabrück haucht Büchners Komödie Leonce und Lena aktuelles Leben ein

von Hanns Butterhof

Der verwirrte König Peter stellt in Georg Büchners Komödie Leonce und Lena von 1836 die große Menschheitsfrage: Was ist der Mensch? Lena und Leonce, zwei zu einer arrangieren Hochzeit fremdbestimmte Königskinder, stellen die Frage eine Nummer kleiner: Wer bin ich? Wozu bin ich auf der Welt? Ob sie am Ende eine Antwort, gar die richtige, gefunden haben, bleibt in der sehr gegenwärtigen Inszenierung im Theater am Domhof erfreulich offen.

Leonce und Lena | Trailer - youtube Theater Osnabrück

Gleich zu Beginn macht das Regie-Tandem Katharina Schmidt und Roman Konieczny in einem ersten Bild deutlich, dass es die facettenreiche Komödie Büchners sehr ernst nimmt. Da hockt im frühgeschichtlichen Bühnendunkel eine zottelige Urmensch-Familie um ein flackerndes Feuerchen. Über ihr schwebt ein großer metallischer  Brocken, der sie jederzeit zerschmettern könnte. Das ist ein sinniges Bild für die Ursituation , in der sich dem Menschen im Bewusstsein seiner Sterblichkeit die Frage nach dem Sinn seines Lebens stellt. Den Bezug zur Gegenwart stellt ein Mensch aus der Jetztzeit her, der sich mit ans Lagerfeuer setzt. Das Thema von Büchners Komödie ist die ernste Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens, die sich so auch unaufdringlich an das Publikum richtet.

In einer weitgehend leergeräumten Bühne, auf der im Hintergrund an einer Ballett-Stange geübt wird oder Videos eingespielt werden (Ausstattung: Gregor Wickert, Video: Franziska Junge), bildet die tiefe Sinnkrise von  Lena, der jungen Königstochter aus einem winzigen Reich, den Schwerpunkt der Handlung. Sie weigert sich, den ihr unbekannten Königssohn Leonce zu heiraten und ihre vorgegebene Rolle in der Gesellschaft zu spielen. Sie weiß aber mit sich auch nichts anzufangen.

Lua Mariell Barros Heckmanns als LENA @ Joseph Ruben

Lua Mariell Barros Heckmanns ist hinreißend die wohlstandsverwöhnte Göre Lena, die nur eine (Hof-)Gesellschaft kennt, die sich mit sinnfreiem Müßiggang zu Tode amüsiert: Auf spiegelglattem Boden vollführen die Erwachsenen eintönigen Übungen an einer Ballett-Stange, folgen den Anweisungen eines Tanzmeisters oder den Posts auf einer Videowand, die „Tief Atmen“ gebieten. Eine von der Regie dazuerfundene Talkshow fällt über sie das vernichtende Urteil, ihr Lebensinhalt erschöpfe sich im Konsum.

Lena nervt zuerst mit ihrer Blasiertheit, Arroganz und spitzfindiger Wortklugheit, so dass man sie auf den Mond schießen möchte. Auch wie gefühllos sie ihre Beziehung zu der dreifachen Geliebten Rosetta (männlich, weiblich, divers) beendet, ist befremdend. Aber im nächsten Moment, wenn sie die Zerrissenheit zwischen ihrem aufgeklärten Wissen um die sinnfreie Mechanik menschlichen Lebens und dem eigenen Hunger nach Eigensinn im Lärm einer Disco herausschreit, will man sie wieder in den Arm nehmen - sie könnte die eigene Tochter sein oder ein früheres Ich.

LENA - hier mit Valerio auf de Flucht @ Joseph Ruben

Um der für sie vorgesehenen Hochzeit mit Leonce (Raphael Akeel) zu entgehen, flieht Lena mit Valerio (Oliver Meskendahl), ihrem arbeitsscheuen Partner in langen filigranen Wortgefechten. Ihr Weg führt sie in einem in psychedelischen Farben leuchtenden Video (Franziska Junge) mit Road-Movie-Flair nach Italien, dem romantischen Traumziel. Dort verlieben sich Knall auf Fall Lena und der ebenfalls ausgerissene Leonce ineinander, ohne ihre Identitäten zu kennen. Die schöne Szene auf einem dschungelwilden, aus dem Bühnenboden hochgefahrenen Gewächshaus lässt auf ein sechziger-Jahre Ende hoffen, bei dem „All you need is love“ die Sinnfrage beantwortet. Doch als sie nach ihrer Hochzeit erfahren, wer sie sind, fühlen sie sich betrogen. Sie sind genau in den gesellschaftlichen Rollenzwang geraten, vor dem sie geflohen sind. Über ihnen hängt wieder der Metallkörper aus der Vorzeit-Szene, das Ende bleibt so offen wie die Frage nach der Möglichkeit eines eigenen Lebenssinns, die sich damit auch für das Publikum stellt. 

Mit variablen Medien, einer Aktualisierung auch der Sprache und der Vertauschung der Rollen - Lena hat den Text Leonces, er den ihren; eigentlich müsste das Stück in dieser Fassung „Lena und Leonce“ heißen - hat die Regie dem textlastigen Stück Leben eingehaucht. Lua Mariell Barros Heckmanns zeigt zwanglos gegendert, dass Hunger nach Lebenssinn keine Frage des Geschlechts oder Alters, sondern menschlich ist. Für die Figur des Leonce passt Lenas Text weniger; Raphael Akeel bleibt unverschuldet blass. Oliver Meskendahl ist ein überzeugend fauler Valerio, Ronald Funke schlurft, flankiert von Sascha Maria Icks als devote Präsidentin, als Königs- und Philosophen-Karikatur erheiternd durch das Stück, das Pär Hagström passend mit Musik begleitet.

Anhaltender Beifall nach eineinhalb ohne Pause gespielten Stunden für alle Beteiligten an der so spannenden wie unterhaltsamen Aufführung, die nicht nur für Jugendliche empfehlenswert ist.

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