Osnabrück, Theater am Domhof, La clemenza di Tito - Wolfgang A. Mozart, IOCO Kritik, 26.01.2023

Osnabrück, Theater am Domhof, La clemenza di Tito - Wolfgang A. Mozart, IOCO Kritik, 26.01.2023
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Theater Osnabrück

Osnabrück / Theater am Domhof © Marius Maasewerd
Osnabrück / Theater am Domhof © Marius Maasewerd

LA CLEMENZA DI TITO - Wolfgang A. Mozart

- Tragisches Ende einer allumfassenden Liebe -

von Hanns Butterhof

An der schier übermenschlichen Milde von Titus in Mozarts Oper La clemenza di Tito scheiden sich die Geister. Die einen halten Titus für die blasse Verkörperung einer Idee, die anderen bewundern die kunstvolle Reinheit und Innigkeit der Figur. Der Geist der Jetztzeit hat für Regisseur Hendrik Müller die Möglichkeit geboten, der Milde des Titus einen queeren Aspekt hinzuzufügen. Dieser spannende und musikalisch rundum gelungene Titus wurde vom Publikum der Premiere im Theater am Domhof in Osnabrück begeistert aufgenommen.

Die Bühne beherrscht ein erhöhter römischer Tempel mit einer marmornen Augustus-Figur (Bühne und Kostüme: Marc Weeger). Passend wie aus deren Untergrund tauchen die Verschwörer gegen den Kaiser Titus auf, allen voran Vitellia (Marysol Schalit), die ehrgeizige Tochter des vorherigen Kaisers. Getrieben von Eifersucht und der Kränkung, Titus habe ihre Liebe verschmäht, stiftet sie ihren Liebhaber Sesto (Olga Privalova) dazu an, Titus zu ermorden.

Theater Osnabrück / La clemenza di Tito hier vl Olga Privalova, Aljoscha Lennert, Anna Kudriashova-Stepanets © Stephan Glagla
Theater Osnabrück / La clemenza di Tito hier vl Olga Privalova, Aljoscha Lennert als Titus, Anna Kudriashova-Stepanets © Stephan Glagla

Vom Senat, einem Chor von Jasagern in Clownskostümen, wird Titus (Aljoscha Lennert) für sein tiefes Mitgefühl gegenüber den Opfern eines Vesuv-Ausbruchs gerühmt. Mildes Mitgefühl zeigt er auch gegenüber  aller Welt. Er verzichtet erst harmoniebedacht auf seine vom Volk abgelehnte ausländische Geliebte, dann auf Servilia (Julie Sekinger), nachdem sie ihm ihre Liebe zu seinem Freund Annio (Anna Kudriashova-Stepanets) gestanden hat. Als er dann Vitellia als seine Gemahlin in Betracht zieht, macht das ihren Mordplan überflüssig. Doch der von ihr zum Aufstand verführte, aber von der Entwicklung unzureichend unterrichtete Sesto sticht statt des Kaisers versehentlich einen Anderen nieder.

Theater Osnabrück / La clemenza di Tito hier Marysol Schalit, Olga Privalova © Stephan Glagla
Theater Osnabrück / La clemenza di Tito hier Marysol Schalit, Olga Privalova © Stephan Glagla

Auf dem bei Sestos Aufstand in Trümmer gelegten Tempel will Titus, tief von seinem innigen Freud enttäuscht, diesen nach einem langen, letzten Kuss nicht als Mörder und Verräter hinrichten lassen. Er begnadigt ihn wie auch später Vitellia, die sich als Sestos Anstifterin bekennt.

Die Figur des Titus ist in ein zumindest in der herrschenden Elite sexuell offenes Rom eingebettet. Die stets freizügig gekleidete Vitellia verteilt ihre Gunst neben Sesto auch an Annio. Der hat zwar mit Servilia eines der innigsten Liebesduette, taucht aber auch als eitler Lustknabe Titus' auf. Die Liebe geht hier queer durch den ganzen engeren Kreis um den Kaiser.

Dagegen steht der konservative Hardliner Publio (Erik Rousi), der auf strikte Einhaltung der Gesetze bestehende Chef der kaiserlichen Leibwache. Der verweigert sich nicht nur barsch Vitellias drastischem Versuch, ihn auf ihre Seite zu ziehen. Er führt auch das Volk dabei an, der umfassenden Liebe des Kaisers ein tragisches Ende zu bereiten.

Regisseur Hendrik Müller hat die etwas angestaubte Oper beispielhaft spannend aktualisiert. Hatte sie Mozart 1791 zur Krönung Leopolds II. mit Titus als Ideal eines toleranten Regenten zur Zeit der Bürgerkriege in der Französischen Revolution komponiert, steht der Titus in Osnabrück ästhetisch überzeugend weniger für politische Toleranz als für die Akzeptanz sexueller Vielfalt. Müllers Aktualisierung führt beispielhaft zwanglos dazu, die eigenen Empfindungen angesichts abweichender Lebens- und Liebesformen bei sich wahrzunehmen und sich selbstkritisch mit ihnen auseinanderzusetzen.

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Das Ensemble ist vorzüglich besetzt. Die schweizer Sopranistin Marysol Schalit ist als Vitellia ein emotionaler Vulkan, dramatisch überzeugend mit egoistisch glühendem Hass wie mit Wärme bei schwer errungener Liebe. Tenor Aljoscha Lennert gibt Titus eine männliche, zu Zärtlichkeit und rasender Wut fähige Gestalt ohne jeden Anflug billiger Weichlichkeit. Mit schönen Stimmen und einnehmendem Spiel gefallen Olga Privalova, Anna Kudriashova-Stepanets - die durch das Fehlen von Kastraten für Mozart notwendige Besetzung der Sesto- und Annio-Rollen durch Mezzosoprane kommt der Regie-Idee Müllers schon weit entgegen -  und Julie Sekinger wie auch Erik Rousi als Publio. Beeindruckend auch der von Sierd Quarré einstudierte Chor.

Unter dem einfühlsamen Dirigat von Andreas Hotz erfüllt das Osnabrücker Symphonieorchester alle Wünsche an Intensität des Ausdrucks und subtilem Mozart-Klang.

Nach gut zweieinhalb Stunden italienisch, deutsch übertitelten Gesangs war der Beifall des Premierenpublikums für alle Beteiligten überwältigend.

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