Osnabrück, Theater am Domhof, HIERONYMUS B. – Nanine Linning, IOCO
Linnings eigenständige, feministisch - humanistische Position in einem schönen Bild vollends deutlich. Vom Fuß eines kahlen Baumes erhebt sich das Ensemble.

von Hanns Butterhof
Drei Wege in der Bilderwelt von Hieronymus Bosch
Nanine Linning bringt ihren Tanzabend „Hieronymus B.“ nach Osnabrück
OSNABRÜCK. Nanine Linning, gefeierte Tanzchefin in Osnabrück von 2009 bis 2012, ist jetzt mit ihrer multimedialen Produktion „Hieronymus B.“ aus dem Jahr 2015 ins Theater am Domhof zurückgekehrt. In drei Stationen, zu denen das in drei Gruppen aufgeteilte Publikum von einem Spielort innerhalb des Theaters zum anderen wandern muss, setzt sie sich mit der Bildwelt des holländischen Malers Hieronymus Bosch (1450 – 1516) auseinander. Boschs Zeit der Umbrüche ähnelt der von heute, und seine Themen sind die ewig unausrottbaren Sünden der Menschheit, denen er sich in tausenderlei fantastischen Formen gewidmet hat. Bosch erzählt auf seinen meist dreiteiligen Gemälden ganze Bildergeschichten von der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies über seinen Weg in der Welt bis zur Hölle. Dagegen nimmt Linning einzelne Figuren Boschs auf und erweckt sie zu bewegtem Leben.

Dabei tanzen die Menschen-Darsteller, anders als die Teufel und bizarren Mischwesen, wie nackt in körperfarbenen Trikots (Bühne und Kostüme: Les Deux Garcons). Eine Station, die mittelalterliches Zeitgefühl vermitteln mag, ist das obere Foyer des Theaters. Auf einem kaum erhöhten Podest ist ein kleines Streichorchester um ein Cembalo versammelt. Es spielt mittelalterliche Musik, zu der die Mezzosopranistin Amira Elmadfa einen lateinischen Text singt, während sie von einem geharnischten Mischwesen mit Fischkopf und Sense umtanzt wird und ein roter Teufel umherstreicht. Eine nächste Station ist die Hauptbühne, die in sieben Kabinetten, drei davon als Triptychon, in die Bild- und Themenwelt Boschs einführt und auf die sieben Todsünden verweist. Aber Linnings Figuren sind ambivalent, wie die auf einem Fass herumfahrende Schöne. Sie lockt nicht wollüstig, sondern verführerisch. Und mitfühlend befreit Linning in der Bewegung Boschs Figuren aus dem Schicksal, das dieser für sie festgeschrieben hat. So windet sich eine Tänzerin durch die Saiten einer Harfe, die sie bei Bosch noch marternd durchtrennen, aus ihrem Gefängnis. Und die Tänzerin, die eben noch von einer schrecklichen Kröte züngelnd bedroht wurde, lernt das Untier als harmlos und als Reittier tauglich zu erkennen. Dann treibt ein Tänzer, der in einem Narren-Schiff steckt, alle ins Parkett, wo kurze Szenen mit Bosch-Figuren und Videos noch einmal die Ambivalenz der Welt und die Notwendigkeit eines einfühlsamen Urteils deutlich machen: Der harmlose Esser eines Granatapfels sieht mit seinen blutroten Zähnen so bedrohlich aus, als könnte er auch gerade ein menschliches Herz zerfleischen. Wenn sich schließlich alle drei Gruppen im Zuschauerraum zusammenfinden, wird in einer längeren Choreografie Nanine Linnings eigenständige, feministisch - humanistische Position in einem schönen Bild vollends deutlich. Vom Fuß eines kahlen Baumes erhebt sich das Ensemble.

Es lässt noch einmal dramatisch die Todsünden in Lust und Gier, aber auch in Schuld und Reue anklingen, während in der Musik von Michiel Jansen seine Seufzer hörbar werden. Als die Frauen ihre gemeinsame Kraft entdecken, können sie sich nicht nur von den Vogelkäfigen befreien, die ihnen von Männern aufgesetzt wurden. Da werden Himmelsleitern vom Schnürboden heruntergelassen, die für alle den Aufstieg als möglich erscheinen lassen. Und als würde die Vertreibung aus dem Paradies zurückgenommen, fährt utopisch ein Menschenpaar in liebevoller Eintracht final auf einem großen Paradies-Apfel mit vielversprechend großer Blüte herein. Nanine Linning macht es dem Publikum nicht leicht, ihrer Position auf den drei Wegen durch Boschs Bildwelten zu folgen. Man sollte Boschs Figuren kennen, sie aber auch loslassen können, um zu erfahren, dass und warum sie sich bei Linning anders bewegen. Sonst bieten sie wie die Bühne und die Kostüme nur dessen pittoresk-bizarre Oberfläche dar. Der Schlussbeifall des Premierenpublikums fiel nach gut zweieinhalb Stunden als freundliche Begrüßung für Nanine Linning, aber nicht enthusiastisch aus. Er galt vor allem der Leistung der Dance Company und des Osnabrücker Symphonieorchesters unter Anhon Song. Der bei Tanzpremieren sonst obligatorische Trampelbeifall fiel aus.
Die nächsten Termine: 30.3., 20., 21. und 30.4., jeweils um 19.30 Uhr.