Osnabrück, Theater am Domhof, GRÄFIN MARIZA - Emmerich Kalman, IOCO Kritik, 20.12.2022
GRÄFIN MARIZA - Emmerich Kálmán
- Von der heilen Puszta-Welt ins gespaltene Budapest -
von Hanns Butterhof
Wer die Gräfin Mariza noch von ihrem Landgut in der Puszta kennt, wird sich bei der Aufführung im Theater am Domhof erst einmal wie in Les Misérables fühlen. In kaltblauem Abendlicht und fallenden Schneeflocken betteln Zigeunerkinder und wärmen sich Obdachlose an den Flammen in einem Ölfass. Doch dann geht drinnen in dem exklusiven Nachtlokal Taberin der Gräfin Mariza ein ungezügeltes Feiern los, als gäbe es kein Morgen.
Regisseur Matthias Oldag, besuchte Vorstellung am 14.12.2022, verlegt Emmerich Kálmáns 1924 in Wien uraufgeführte Gräfin Mariza von der ländlichen Puszta ins quirlige Budapest. Wenn er dort nicht nur das glänzende Drinnen der Erfolgreichen, sondern auch das Unglück der Verlierer zeigt, spielt er im Kostüm der 20er Jahre deutlich auf die unglückliche soziale Spaltung der heutigen Gesellschaft an. Das wiederholt sich in dem sinnigen Bühnenbild Darko Petrovics, das den Nachtclub nur als schöne Jugendstil-Fassade zeigt, und dem zwischen kaltem Blau und schwülstigem Rot changierendem Licht (Beleuchtung: Sina Hammann und Julian Rickert), das eindrückliche Bilder malt.
Doch die Gräfin Mariza wäre keine Operette, stünde am Ende dieses musikalischen Märchens für Erwachsene nicht ein versöhnlicher Schluss. Der heldenhaft seine soziale Deklassierung ertragende ehemalige Offizier Graf Tassilo (James Edgar Knight), der im Nachtlokal der preziösen Gräfin Mariza (Susann Vent-Wunderlich) als Portier und Mädchen für alles arbeitet, kann am Ende die Chefin auf seine wiedererlangten Güter auf dem Land heimführen.
Zum passend aktualisierten Libretto von Julius Brammer und Alfred Grünwald entfaltet sich der bunte Strauß der Melodien Kálmáns, bei denen ein Glanzstück dem anderen folgt. „Brüderlein und Schwesterlein“ feiert, dass Tassilo arbeitet, um seiner kecken Schwester Lisa die Folgen seiner Verarmung zu ersparen. Der etwas einfältige, aber liebenswerte Baron Zsupán (Aljoscha Lennert) macht Lisa (Julie Sekinger) mit „Komm mit nach Varasdin“ einen unwiderstehlichen Heiratsantrag, und mit dem melancholischen „Komm, Zigan, komm, Zigan, spiel mir was vor“ bricht Tassilo das Herz Marizas und das vieler Zuhörer*innen.
Diese Gräfin Mariza ist ein Fest für Augen und Ohren. Das Ensemble ist überzeugend besetzt. Susan Vent-Wunderlich als Gräfin fesselt durch ihre Gesangkunst wie auch durch ihre Spielfreude und macht unter ihrer glänzenden Oberfläche auch ihr tiefes Unglück sichtbar. Sie bildet mit James Edgar Knight ein immer wieder gesanglich auf gleicher Höhe agierendes Paar; Knights heldischer Tenor färbt die Rolle des Tassilo eindringlich mit der Würde des Ertragens. Mit schönen Stimmen gefallen Julie Seekinger als Lisa und Olga Privalova als Sängerin Manja, und zur Heiterkeit der Operette trägt vor allem Aljoscha Lennert bei, der als Baron Zsupan mit prätentiöder Husarenuniform in so ungarischem Akzent radebrecht, wie man sich das gemeinhin vorstellt. Als Fiesling Fürst Populescu überzeugt Mark Hamman, als Conferencier gewinnt er sogar dämonisches Format im Taberin. wo auch die Dance Company des Theaters ihre an „Cabaret“ erinnernden hübsch queeren Auftritte hinlegt (Choreographie: Kati Farkas). Der von Sierd Quarré einstudierte Chor trägt wesentlich auch mit seinem ausgelassenen Spiel zum gelungenen Gesamteindruck bei.
Das Osnabrücker Symphonieorchester hat es unter dem energischen Dirigat Daniel Inbals nicht leicht, diesen leicht verschwiemelten, schwingenden Ton der Wiener Operette zu finden, aber Kálmáns tolle Musik gefällt auch in ihrer niedersächsisch exakteren Variante.
Das Publikum, das auch mit Zwischenapplaus nicht geizte, applaudierte begeistert nach fast dreistündiger bester Operetten-Unterhaltung allen Beteiligten lang anhaltend.
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