Wuppertal, HÄNSEL UND GRETEL - E. Humperdinck, IOCO

HÄNSEL UND GRETEL, Wuppertal: Was hat sie wohl zu einem solchen Renner in der Publikumsgunst gemacht? Ihr kommt sicher zu Gute, dass sie jeder schon gesehen hat, viele auch in Kindertagen. Dass es ganz einfache Volkslieder darin gibt, die wirklich jeder kennt und mitsingen

Wuppertal, HÄNSEL UND GRETEL - E. Humperdinck, IOCO
Foto: Wikipedia

von Uli Rehwald

Heute steht die Märchen-Oper von Humperdinck auf dem Programm: Hänsel und Gretel. Nicht nur das Märchen von Grimm ist ein Dauerbrenner, auch die von Humperdinck geschriebene Oper. Und als Dauerbrenner muss man inzwischen wohl auch die Inszenierung von Johannes Weigand ansehen, die aus dem Jahr 2006 stammt. Aktuell wird eine neue Einstudierung dieser Inszenierung von 2006 gezeigt.  

Seit vielen Jahren gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Spitzenplatz, welche Oper am häufigsten aufgeführt wird. Dieser Dauerwettkampf wird zwischen der Zauberflöte und dieser Oper von Humperdinck bestritten. Viel bekannter kann eine Oper eigentlich nicht sein, zumindest in Deutschland. Hierzulande ist sie die Oper für die Adventszeit schlechthin, wie der Nussknacker das klassische Weihnachts-Ballett ist.

Foto: Björn Hickmann

Was hat sie wohl zu einem solchen Renner in der Publikumsgunst gemacht? Ihr kommt sicher zu Gute, dass sie jeder schon gesehen hat, viele auch in Kindertagen. Dass es ganz einfache Volkslieder darin gibt, die wirklich jeder kennt und mitsingen kann. Und für das Märchen der Gebrüder Grimm braucht wirklich niemand mehr eine Inhaltsangabe. Warum sie eigentlich zur Oper der Vorweihnachtszeit geworden ist, ist nicht so recht klar. Sie spielt mitten im Sommer, die Kinder übernachten ja draußen im Wald. Immerhin, die Uraufführung war an einem 23.12., für viele gehört sie über 100 Jahre später nun zum festen Ritual, wenn es auf Weihnachten zugeht. Wenn eine Kulturkommission jemals in Verlegenheit kommen sollte, die Frage zu beantworten, was im Opernhaus als typisch deutsch gelten könnte: Hier ist sie, die deutscheste Oper. Sicher mit Platz 1 auf jeder Vorschlagsliste. Na gut, den Freischütz gibt es auch noch.

Diese Oper hat sowohl Stellen von geradezu rührend einfachen Volksliedern und Tänzen als auch Stellen mit ganz großer romantischer Musik. Dieses Nebeneinander ist wohl (fast) einzigartig – neben der Zauberflöte.

Warum diese Inszenierung sich in Wuppertal so lange und erfolgreich halten konnte, dürfte neben Humperdinck selbst auch stark an der Regie von Johannes Weigand liegen. Der sicher eine glückliche Hand mit seiner Inszenierung bewiesen hat.

Der 1. Akt beginnt mit einem Bühnenbild, welches man im ersten Eindruck als fast etwas zu einfach empfinden könnte: Ein heruntergekommener Bauwagen als Wohnstatt für die arme Besenbinder- Familie, eine Wäscheleine mit wenigen Wäschestücken, einige paar skizzierte Bäume im Hintergrund. Eher schlichte Kostüme. Ganz bestimmt nichts Übertriebenes oder Bemühtes. Johannes Weigand stellt einfach nur diese Geschichte in seiner Inszenierung dar, er muss nichts umdeuten oder hinzufügen.

Aber langsam sieht man sich doch ein in die Inszenierung. Die Linien auf der Bühne sind sparsam, es ist recht viel Raum, Konzentration auf die wenigen Figuren, die Emotionen sind einleuchtend dargestellt, keine dramatische Bühnenbeleuchtung.  Ja, langsam formt sich die Idee: So könnte ein Comic über dieses Märchen aussehen, vielleicht sogar ein Comic für Kinder. Und auch das wird langsam klar: Das passt wirklich gut zu den ganz einfachen, volkstümlichen Stellen dieser Oper.

Foto: Björn Hickmann

Bei den einfachen Kinder-Tänzen, die jeder kennt, muss nichts Zusätzliches gezeigt werden. Das reicht für ein gutes Wohlfühllächeln. Auch ganz schlicht, aber über die Gebühr rührend, kommt Gretel am Beginn des 2. Aktes mit ihrem Volkslied daher (ein Männlein steht im Walde).  Sie muss sogar ohne Orchesterbegleitung anfangen. Hier wäre sicher jeder gewollte Effekt zu viel.

Beim Sandmännchen und beim Taumännchen wird dann etwas dicker aufgetragen mit den Effekten, aber diese Szenen vertragen das auch gut. So kommt das Sandmännchen mit einem knallroten „Sandmännchen-Mobil“ gefahren, der fast nur aus der Feder von Walt Disney stammen kann. Hier sind wir wieder tief im Comic.

Aber das Einfache ist noch nicht der Kern dieser Oper. Der Kern liegt sicher in der ganz großen romantischen Musik, die Humperdinck bei den großen Momenten dieser Oper so gelungen ist, dass magische Momente entstehen. Die Ouvertüre, das Fürchten der Kinder im Walde, und natürlich der Abendsegen. Das Symphonie-Orchester Wuppertal unter der Leitung von Roberto Secilla sind der Größe dieser Momente gewachsen. Und sind sich bei der Waldszene auch für ein ganz einfaches „Kuckuck“ auf der Solo-Flöte nicht zu fein.

Humperdinck hat seine Oper selbstironisch als „Kinder-Weihfestspiel“ bezeichnet. Dies in Anlehnung an das Bühnen-Weihfestspiel Parsifal von Richard Wagner. Aber Ironisches braucht es heute Abend nicht. Nein, hier gelingt im Abendsegen etwas außerordentlich Weihevolles, was die Zuschauer fast sprachlos macht. Diese Musik ist einfach groß - sie bemüht sich nicht um weihevolle Größe. Dieses Nebeneinander der volkstümlichen Passagen mit diesen magischen Momenten – das ist es wohl, was sie zum Dauerbrenner macht.

Foto: Björn Hickmann

Im 3. Akt gibt es dann wieder reichlich Comic-Klamauk. Vielleicht ist es nur die persönliche Comic-Historie des Autors, aber das Lebkuchenhaus erinnert doch verdächtig stark an den Wohn-Turm von Lupo aus der Comic-Serie „Fix und Foxi“ (ja, der böse Wolf in diesem Comic). Von einem braunen Lebkuchenhaus findet sich keine Spur. Offenbar ist das Hexenhaus diesmal aus Haribo-Konfekt, Mäusespeck und Gummibärchen gebaut. Und wenn dieses Comic-Bild schon einmal im Kopf ist, will es scheinen, dass die Hexe ganz klar nach Oma Eusebia geraten ist, ebenfalls aus dieser Comic-Serie. Ihr Markenzeichen, die Handtasche, trägt die Hexe jedenfalls auch.

Insgesamt sind diese Comic-Momente trotz „großer Oper“ keine bisschen platt und schal. Nein, die Melange aus magischem Musikmoment und comicartiger Leichtigkeit gelingt heute ausgezeichnet.

Es ist vielleicht nicht die ganz große Sängeroper mit weltbekannten Parade-Arien. Eher eine große Publikumsoper.  Ina Yoshikawa zeigt sich als Gretel ebenso spielstark wie anrührend mit klar-schlankem Sopran, Edith Grossmann steht ihr als Hänsel nicht nach. Die große, ausdrucksstarke Stimme von Oliver Weidinger (in der Rolle des Peter) hätte man gerne in einer größeren Rolle gehört. Der Alberich soll ja seine Lieblingsrolle sein. Merlin Wagner überzeugt als Knusperhexe sowohl stimmlich als auch mit prägnantem böse-groteskem Spiel. Auch der obligatorische Hexentanz gerät außergewöhnlich  - damit könnte er sicher auch beim Impro-Theater erfolgreich auftreten.  Was für Inszenierung und Bühnenbild gilt, stimmt auch hier: Die Sänger müssen sich nicht in den Vordergrund schieben. Es passt heute alles wohltuend zusammen.

Am Ende der Oper sind dann alle gerettet, das Gute hat gesiegt. Das Kleine, das Leichte und das Große des Lebens wurde auf der Bühne gezeigt. Das gerührte Publikum findet ein großes Quantum Applaus. Und im Hinausgehen dürfen sich noch mal alle freuen: Gemäß der guten Wuppertaler Tradition stehen die Sänger, die Engel, das Sandmännchen und alle anderen auf einmal wieder im Foyer da - und verabschieden uns persönlich. Jetzt kann es Weihnachten werden in Wuppertal.

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