Oldenburg, Staatstheater, GEORG HECKEL - Neue Intendanz - eine Würdigung, IOCO Aktuell
Im Sommer 2023 wurde Georg Heckel, noch amtierender Intendant am Detmolder Landestheater, zum designierten Generalintendanten am Oldenburgischen Staatstheater von Landesregierung und städtischen Gremien auf den Schild gehoben. Nun konnte Heckel sein neues (ergänzendes) Leitungsteam präsentieren.
Weißer Rauch in Oldenburg - Notizen zur neuen Intendanz am Oldenburgischen Staatstheater
von Thomas Honickel
„Habemus directorium!“
Nachdem im Sommer letzten Jahres Georg Heckel, noch amtierender Intendant am Detmolder Landestheater, zum designierten Generalintendanten am Oldenburgischen Staatstheater von Landesregierung und städtischen Gremien auf den Schild gehoben wurde, konnte er nun mit äußerst knapper Vorbereitungszeit, was beim Pressegespräch mehrfach unterstrichen wurde, sein neues (ergänzendes) Leitungsteam präsentieren.
Auf den Positionen KBB-Direktion, Schauspiel-Team, Orchesterdirektion und Referentin konnte er insgesamt acht neue Mitglieder des Direktoriums vorstellen, die in den kommenden Jahren die etablierte Spartenvielfalt am Haus fortschreiben werden.
Artig im Geschlechterproporz kommt dieses Leitungsteam daher, wobei zentrale Position wie Intendanz, KBB, Orchester und Schauspieldramaturgie nach wie vor maskulin besetzt sind. Die Damen im Team kaprizieren sich aufs Künstlerische (Regie) und Dramaturgisch-Administrative (Dramaturgie, Öffentlichkeitsarbeit und Referat Intendanz).
Georg Heckel ist der Stolz über das in kurzer Zeit zusammengeführte Team anzumerken. Der Sprung für ihn persönlich ist nicht unerheblich: vom regional verorteten Landestheater in der Lippischen Provinz an ein Staatstheater einer kleineren Großstadt. Oldenburg ist mehr als doppelt so groß wie Detmold, ähnlich sieht es bei Mitteln, Ressourcen und Manpower aus. Da darf die Freude über manch schöne Pläne und die Realisierung von Träumen durchaus offen gezeigt werden.
Zitiert wird der neue „Chef“ mit den Worten: „Ich freue mich auf die gerade im kulturellen Bereich sehr anspruchsvolle Stadt Oldenburg, die in ihrer Vielfalt und Offenheit schon jetzt eine große Herzlichkeit ausstrahlt.“
Das sind gewinnende Worte, die man als Noch-Gast und künftiger Kulturlenker der Huntestadt natürlich brav und sicherlich ehrlich ausspricht. Immer in der Hoffnung, dass sich all das auch bestätigend in der Zukunft einstellt, umfänglich bewahrheitet und glückverheißend den nötigen Schub für die eigenen Pläne herstellt.
Heckel ist, ähnlich seinem Vorgänger Firmbach, gelernter Opernsänger (ebenfalls Bariton), der aber wie dieser recht schnell die eigenen künstlerischen Ambitionen hintangestellt hat, um ins Gestaltende zu wechseln: Kulturmanagement, Betriebsdirektor, Operndirektor (Darmstadt mit John Dew) und endlich Intendant. Die Ochsentour durch die Republik war wohl erfolgreich.
Im Pressegespräch zur Vorstellung weiß sich Heckel auffällig zurückzunehmen, um das Feld den Mitstreitern zu überlassen. Diese nutzen dann den Moment, um ihrerseits dem künftigen „General“ für das Vertrauen zu danken und ein Loblied auf die weitestgehend noch unbekannte Stadt zu singen. Offensichtlich haftet Oldenburg ein nicht geringer Ruf an, der die Stadt im Norden als weltoffen, zugewandt, treu und bunt zeichnet. Wer das Haus und sein Publikum über lange Jahre kennt, weiß, dass die neuen Köpfe da nicht gänzlich falsch liegen.
Leisetreter mit Blick auf die Realitäten
Heckel kommt durchaus sehr sympathisch daher, wenn er ruhig, uneitel und besonnen, nicht episch wird, sondern präzise und einnehmend darstellt. Er kann pointiert formulieren, um Wesentliches zu unterstreichen und ist sich nicht zu schade, auch die Arbeit des Vorgängers zu loben, wenn er etwa von einer „königlichen Aufstellung der Sparten“ spricht. Aber anders als Firmbach, der zu Beginn seiner Ära verlauten ließ, er wolle „die Stadt umarmen mit einem breiten Kulturangebot“, tritt Heckel deutlich leiser auf, behutsamer, weniger volltönend und im Gestus bisweilen fast zurückhaltend.
Vielleicht eine Reaktion auf die Erfahrungen der Coronajahre, wo kaum noch etwas planbar war, vielleicht auch als Reaktion auf gesellschaftliche Stolpersteine wie Genderdiskussion, LGBTQ*, Krisen, Kriege und Katastrophen; das alles sind zunehmend komplexere Gesellschaftsfragen mit immer weniger einfachen Antworten. Hier öffnet sich ein Dschungel an „Spaltpilzen“ aller Orten, in dem sich Theater neu erfinden und positionieren müssen oder können, in dem sie sich aber auch vielen radikalen Strömungen, politischen Grabenkämpfen und „woken“ Diskussionen ausgesetzt sehen. Da gilt es, aufmerksam zu bleiben und anpassungsfähig zu sein.
Auf Nachfrage gibt Heckel allerdings ebenso zu, dass Theater auch in gesellschaftlich kritischen Zeiten risikobereit bleiben muss, bisweilen auch mal übers Ziel hinausschießen darf, um Grenzen des Machbaren auszuloten. Stets hieße es aber, dem Publikum gegenüber zugewandt zu bleiben.
Nach diversen Zyklen in Oldenburg (Mahler, Schostakowitsch, Ring) gibt der Neue sich moderat und realitätsbezogen: Illusionen mache er sich nicht, dass man nur mit „Leuchtturmprojekten“ auf sich aufmerksam machen kann. Sein Traum, etwa Zimmermanns „Soldaten“ auf die Bühne zu heben, sei eben hier in Oldenburg nicht machbar. Wie weise!
Hat man doch jüngst am Staatstheater zu Oldenburg manch überdimensionierte Projekte erleben müssen, bei denen das Haus in vielfacher Hinsicht ächzte und an seine Grenzen geriet bzw. darüber hinaus. Stellvertretend sei hier Korngolds „Tote Stadt“ genannt, deren Abmessungen in der Partitur völlig im Widerspruch mit den Möglichkeiten der hiesigen Bühne standen.
Da ist es wohltuend, wenn eine neue Intendanz den Blick fürs Machbare bezogen auf Personal, Ressourcen und Räumlichkeiten behält. Es gibt auch jenseits von Mahler VIII, Schönbergs „Gurre-Liedern“ und Monströsem aus der „fin de siècle“-Oper manch treffliche Entdeckung und eben auch viel wunderbares Repertoire, das in der Vergangenheit sehr vernachlässigt wurde. Wann haben wir zuletzt einen Mozart am Haus erlebt, wann einen „Freischütz“? Was ist mit den Franzosen der Spätromantik? Was mit Klassikern aus Osteuropa oder der Neuen Welt? Die Liste ließe sich mannigfaltig fortsetzen….
In die Karten indes ließ sich keiner aus dem neuen Leitungsteam blicken; denn die feierliche Schau ins Innere der ersten Saison von Heckel & Co. folgt Ende Mai, wenn das neue Saisonheft offenbart, wie die klingenden Worte der Personalvorstellung in Programmierung umgemünzt werden.
Personalia
Alle Beteiligten unterstreichen unisono die gute und harmonische Staffelstab-Übergabe zwischen alter und neuer Intendanz. Alle beschreiben schon jetzt das gute kollegiale Miteinander, das man bislang erleben konnte. Ebenso deutlich wird aber auch, dass Einiges von dem, was die Handschrift der neuen Intendanz ausmachen wird, erst in der Folge von weiteren Spielzeiten voll zum Durchbruch kommen kann. Denn (s.o.) die Vorbereitungszeit war dann doch alles in allem zu knapp.
Bisweilen blitzt aber durch, was es an Impulsen geben wird, die durchaus neue Seiten im Oldenburger Kulturleben aufschlagen können: es geht da wohl auch um neue Formate mit Partnern in der Region, Kooperationen mit freien Initiativen, die den Elfenbeinturm bewusst verlassen, um, wie es der neue Orchesterdirektor Stefan Schmidt unterstrich, bloß nicht eine „l´art por l´art“-Attitüde zu entwickeln. Der Genannte, Zeichen der offensichtlich fruchtbaren Übergabe, wurde vom scheidenden Orchesterdirektor Oliver Kersken vorgeschlagen. Beide aus Düsseldorf, beide Studienkollegen aus frühen Jahren, beide der alten Musik verbunden; Kersken am Horn, Schmidt an der Bratsche. So bleibt ein wenig Rheinland dem Haus erhalten.
Im Künstlerischen Betriebsbüro wird mit Oliver Ringelhahn ein Österreicher mit tenoraler Vergangenheit künftig dafür sorgen wollen, dass neue, junge, talentierte Vokalisten dem Haus zugeführt werden können. Sein Weg, wie er es nannte, auf die „dunkle Seite“ der Bühne führte ihn zuletzt über Wien, Linz und Graz in den Norden.
Im Schauspiel wird es offensichtlich keine alleinige Leitung (wie ehedem mit Peter Hailer als Schauspieldirektor) mehr geben. Vielmehr teilen sich gleich drei Personen die Funktionen als Leitender Dramaturg (Reinar Ortmann), Leitende Regisseurin (Milena Paulovics) und Hausregisseurin (Ebru Tartıcı Borchers). Sie alle haben langjährige Expertisen in ihren Bereichen.
Borchers ist seit einigen Jahren der „shootingstar“ der jüngeren Generation; Preise der Autorenstiftung und eine „Faust“-Nominierung weisen sie als enormen Gewinn für das Haus aus. Sie bekennt sich zu ihren „Träumen“, u.a. zum Austausch mit dem Publikum.
Paulovics Freude über das Engagement war vielleicht der emotionalste Moment; denn sie hat als sehr junge Frau am Haus als Regieassistentin begonnen und kehrt nun in neuer Funktion an die Hunte zurück.
Ergänzt wird der Reigen der Neuen durch Anna Neudert, die wesentliche Impulse ihrer Biographie Georg Heckel verdankt, ihm nach dem Studium nach Detmold folgte und nun eben ihre Reise nach Oldenburg antrat, wo sie die Mammutaufgabe wird schultern müssen, Musikdramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit gleichermaßen zu bedienen. Keine leichte Aufgabe, die bisher von mindestens zwei Personen umgesetzt wurde!
Vanessa Clavey endlich ist dem Haus bereits seit einer Saison verbunden und wechselt von der Dramaturgieassistenz zur Position der Referentin der GI.
Alte Besen kehren auch gut
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass dem Leitungsteam weiterhin bewährte und erfolgreiche Kräfte erhalten bleiben: Antoine Jully als Ballettchef, Veronika Hoberg als technische Direktorin, Matthias Grön als Leiter des Jungen Staatstheaters, Gesine Geppert für die experimentelle Sparte 7 sowie die Leitungen in Verwaltung, Theatervermittlung und Marketing.
Da erfindet Georg Heckel nicht überall das Rad neu und schafft so Kontinuität zwischen den Intendanzen.
Kein Wort und keine Notiz indes zum (noch?) amtierenden GMD Hendrik Vestmann. Bleibt er? Wie lange? Wie stark ist er eingebunden in die Saisonplanungen von Oper und Konzert? Wie sieht das Dirigententeam künftig aus? Da hört man aus Orchesterkreisen und dem Haus von anstehenden Veränderungen, die gewiss aufhorchen lassen werden….
Fazit
Es ist ein natürlicher Vorgang, dass man mit höchster Vorfreude den ersten Fuß auf die weißen Flecken einer neuen Herausforderung an neuem Ort setzt. Alle Mitglieder des neuen Direktoriums vermitteln denn auch weniger den Eindruck des „Pfeifens im Wald“, Indiz für mögliche, sorgenvolle Herausforderungen, sondern bezeugen durch sehr persönlich vorgetragene Statements einen stimmigen Gesamteindruck für den Neustart im kommenden Sommer.
Fortune, Fingerspitzengefühl und aufmerksames Hineinhören in die eigene Belegschaft und in die vielchörige Stadtgesellschaft sind bei diesem Marathon gewiss gute Ratgeber für anhaltenden Erfolg. Oder wie Hermann Hesse es so trefflich in seinen „Stufen“ formulierte: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben!“
Hinweis: Dieser Beitrag wird im Mai 2024 mit der Vorstellung des Saisonprogramms fortgeschrieben werden.