Oldenburg, Staatstheater, "Träume, Kindlein, Träume" - Essay, IOCO
Oldenburg- Staatstheater: Es war weise von der neuen Intendanz, die so poetische wie generations-übergreifend einnehmende Inszenierung des Humperdinck-Werkes in der Deutung durch Michael Moxham aus dem Jahr 2014 zu übernehmen.....
„Träume, Kindlein, träume!“ - Gedanken zur Wiederaufnahme von „Hänsel und Gretel“ am Oldenburgischen Staatstheater - Wir besuchten die Dernière am 29.12.2024
von Thomas Honickel
Avant-propos
Es war weise von der neuen Intendanz, die so poetische wie generations-übergreifend einnehmende Inszenierung des Humperdinck-Werkes in der Deutung durch Michael Moxham aus dem Jahr 2014 zu übernehmen. Das Bezwingende und Magische, Nostalgische wie Ironisch-Gebrochene dieser Version des Klassikers haben wir vor Jahres Frist in den folgenden Beiträgen dargestellt:
HÄNSEL UND GRETEL - ein Essay zur Weihnachtszeit (ioco.de)
Oldenburg, Oldenburgisches Staatstheater, HÄNSEL UND GRETEL - E. Humperdinck (ioco.de)
Wiederaufnahme mit Licht und Schatten
Nun war die Zeit gekommen, erneut Kinderherzen und solche von Menschen, die sich das Kindlich-Märchenhafte bewahrt haben, mit einer personell runderneuerten Besetzung zu erfreuen: Neue Sängerriege, neuer Dirigent, neue Besetzungen im Orchester.
Aber eben Vieles, was den Charme des mittelschwarzen Humors der Briten Michael Moxham (Regie) und John Southgate (Ausstattung) nun schon mehr als ein Jahrzehnt beredt zu allen Opernliebhabern jeden Alters sprechen lässt: Brilliantes Setting, das nahe an Filmischem operiert, Situationskomik, Erzählkunst, Verwandlungsmagie und Ehrfurcht vor dem Zauber der Partitur des Siegburgers Engelbert Humperdinck.
Alle diese Pluspunkte bestechen weitgehend im Jahr 2024 in der WA-Regie durch Felix Schrödinger.
Doch nach 2 Stunden 15 Minuten hat man in Sachen musikalischer Güte und szenischer Präzision auch den Eindruck, dass diese ehedem zauberhafte Produktion allerhand Federn gelassen hat. Wir bilanzieren unsere Eindrücke:
Sonnenschein
Das „Licht“ beginnt mit einem spielfreudigen Geschwisterpaar, dessen Darstellerinnen sich mit Verve und Enthusiasmus in die Partien der Kinder werfen: Stephanie Hershaw als Gretel brillierte mit nahezu akzentfreiem Deutsch und einer glasklaren Sopranstimme, die mit wenig Vibrato das Kindliche der Figur überzeugend in Szene setzte, allerdings dem teilweise viel zu üppigen Orchesterklang schutzlos ausgeliefert war. Wir erlebten sie bereits sehr plastisch als Ännchen, und man darf sich freuen, sie vielleicht einmal in einer tragenden Mozartpartie zu erleben. Ihr zur Seite eine ebenso einprägsame Stimme wie Bühnenerscheinung durch die Mezzosopranistin Dorothee Bienert. Ihre klangvolle, tragfähige und runde Stimme vermochte auch gegen den massiven Orchestersound zu bestehen. Ihr nimmt man den pseudomutigen Hänsel im Wald und den verängstigt gefangenen im Käfig der Hexe zu jeder Zeit ab.
Beide Sängerinnen sind ein anrührendes und inniges Paar, nicht nur beim Abendsegen. Und sie sind so mutig, zahlreiche kleinere ironisch intendierte Aspekte von Inszenierung und Partitur einzublenden. Entzückend die Verwundung von Gretel beim Tanzen im 1. Bild, der von beiden belachte eigene Hinweis im 2. Bild „Doch nasch nicht davon!“ oder die sehnsuchtsvolle Geste Hänsels bei der Schwertübergabe durch die Engel. Kleine aber feine Nuancen, die ein Opernerlebnis erst wirklich tief im Gedächtnis verwurzelt. Hier ist die Wiederaufnahme geglückt!
In die Kategorie „Überraschungscoup“ fallen die beiden Solistendarsteller der von Humperdinck/Wette dazuerfundenen Figuren Sandmännchen und Taumännchen. Ersteres wird von Xueli Zhou (aus dem Opernchor) berückend gesungen und gespielt. Letzteres gestaltet die blutjunge Charlotte Rabbels (aus dem Jugendchor) mit staunenswerter Souveränität und stimmlicher Noblesse; und das bei einer nicht unproblematischen Ferne zum Graben und in luftiger Höhe. Beide Sängerinnen haben nur wenige Minuten und nur kleine Partien, um ihre Chance zu nutzen, das Märchen mit Stimme und Gestaltung weiterzuerzählen. Und beide haben diese Chance genutzt. Chapeau!
Zu den Konstanten zählt man unbedingt die Gewerke, die mit lupenreiner Dramaturgie alles abspulen, was der Inszenierung gut tut. Hervorzuheben ist die nach wie vor absolut phantastische Lichtregie (Steff Flächsenhaar), die auch nach einem Jahrzehnt diese Oper konkurrenzfähig zu cineastischen Produkten macht; dazu eine Bühnentechnik, bei der ein Rad ins andere greift, um die Illusion zu perfektionieren. Naja, und natürlich der Lebkuchengeruch, der über die Klimaanlage des Hauses die Zuschauer zu Genießern macht: Synästhesie at ist best!
Leicht bewölkt
Als Gast für die Mutter Gertrud sang Bea Robein die Partie. Ihre äußerst harte Stimme mag für die emotionalen Ausbrüche der Erziehungsberechtigten „…dass ihr fliegt an die Wand!“ adäquat sein, im weiteren Kontext „Herr Gott, wirf Geld herab!“ war sie unpassend. Szenisch blieb sie völlig mit dem Graben verwachsen, während um sie herum die Geschwister freischwebend im Raum agierten. Gab es da zu wenig Proben, dass eine Sängerin bei einer so überschaubaren Partie dermaßen uninformiert wirkte?
Das Oldenburger Urgestein am dortigen Haus heißt Paul Brady. Der Ire ist für vieles gut. Neben Jazz, Musical und Operette bedient er auch kleine und mittlere Partien als reifer Sänger. Seine Deutung des Vaters Peter ist dem Kammersänger auf den Leib geschrieben. Gewiss, nicht mehr jeder Spitzenton hat den Glanz alter Zeiten, aber er weiß seine Kräfte gekonnt einzuteilen, um an den Orten der Partitur, wo er zu voller Form auflaufen kann, das Optimale mit Nachdruck und Magie zu präsentieren („Eine Hex steinalt…“).
Schattenwürfe
Der wirkliche Schatten beginnt bei der wenig zwingenden Zuschreibung von Ensemblemitgliedern für bestimmte Rollen. Hier ist erneut zu vermerken ist, dass vom KBB nicht ideal besetzt wurde.
Das betrifft heuer leider die Person der Hexe, die man nach langen Jahren erstmals wieder mit einem Mann besetzt. Es ist dies eine Praxis, die seit langen Jahrzehnten immer einmal wieder, häufig wenig erfolgreich, ausprobiert wird. Die vom Komponisten mit Mezzosopran ausgewiesene Partie ist für kaum eine Männerstimme optimal, mal zu hoch, mal zu tief. Humperdinck selbst hat sich eine maskuline Besetzung verbeten!
Diese frühe Form des Crossdressings mag da sinnvoll sein, wo sich ein Sänger mit Rolle und Textur vollkommen identifiziert. Seumas Begg gelang dies jedoch zu keinem Zeitpunkt. Diese zentrale Figur im zweiten Teil der Oper dermaßen lust- und wie sich zeigen sollte stimmlos zu präsentieren, demontiert den Künstler selbst und fügt einer Inszenierung auch wirklichen Schaden zu.
Massenhafte Passagen, in denen der arme Schotte offensichtlich indisponiert (ohne Ansage!) den kräfteraubenden Tonkaskaden und Gipfeln einigermaßen hilflos ausgesetzt war. Vom bereits oktavierten ersten Einsatz „Hi, hi, hi“ über weite Kadenzpassagen, die nur als Torso erklangen, bis zu einem völlig uninspirierten Herunterbeten der witzig-ironischen Sprachspiele von Frau Wette. Selbst wenn man eine Indisposition einbedenkt, spürte man, dass er mit dieser Rolle szenisch nichts anzufangen wusste oder aber kläglich alleine gelassen wurde. Traurig, zumal man ihn sängerisch und szenisch hinreißend als Onkel-Clown in Das Feuerwerk erleben konnte!
Heiter bis wolkig
Der Kinder- und Jugendchor überzeugte im Finale vor allem mit optischem Liebreiz und dem Stück angemessenem Zuckerguss (die Echoszenen werden leider vom Band eingespielt). Passend zu den überdimensionierten Zuckerstangen des Bühnenbildes sind sie mit süßer Erscheinung als Knusperkinder eine Augenweide, besonders die Jüngste unter ihnen. Stimmlich hat man das 26köpfige Ensemble schon rhythmisch präsenter, voluminöser und intonationsgenauer erlebt. Hier kann man gewiss durch Training auch der Kleinsten nachjustieren (Einstudierung: Antonio Planelles Gallego)
Der junge 2. Kapellmeister Eric Staiger, den man schon als jazzaffinen Musiker bei Cabaret bewundern konnte, zeigte sich als beseelter Stabführer dieses Klassikers. In der Ouverture präsentierte er sich als mitatmender und subtil gestaltender Dirigent. Das setzt sich auch im 1. Bild mit sehr schönen flüssigen Tempi fort. Er vermittelt gut zwischen Graben und Bühne und weiß mit runder Bewegung und überschaubaren Gesten zu führen.
Hervorzuheben aus den Mitgliedern des Oldenburgischen Staatsorchesters sind die diversen Soli der Stimmführer (Maximilian Hörmeyer, Marie-Teresa Nawara, Fabian Boreck), „Männlein“-Klarinettensolo (Antonia Lorenz-Birk), „Hexenritt“-Xylophon (Phillip Arndt) und natürlich die Horngruppe mit episch-homogenem „Es war einmal…“ zu Opernbeginn!
Ein klanglicher Umbruch indes ist der Hexenritt zum 2. Bild, nach welchem Staiger das wagnerisch besetzte Orchester nicht mehr einzufangen weiß. Die dynamischen Unarten der Ära Vestmann führen unter dem neuen, vielversprechenden Kapellmeister leider zu einer völligen Disbalance im Wald-Akt und auch in der Folge nach der Pause immer wieder zu Ballungen, die es den Protagonisten auf der Bühne erkenn- und hörbar schwer machen, sich adäquat durchzusetzen. Lauter ist nicht besser! Hier gilt es dringlichst gegenzusteuern, wenn man das Sängerpersonal nicht früh verheizen möchte.
Dem kundigen Kenner der Inszenierung fällt überdies auf, dass manch liebevolle und subtile Details der Moxhamschen Premiere über die Zeiten verloren gegangen sind. Dazu gehört u.a. die Engelserscheinung am Ende des 1. Aktes, die nurmehr zu einer Doppeldiagonale der 14 Nothelfer (Jugendchor) heruntergekommen ist. Auch bei der Ausstattung der Engel hat der Rotstift des Hauses oder fehlende Initiative der Verantwortlichen zugeschlagen. Bedauerlich!
Vielleicht helfen da Blicke in die gewiss vorhandenen Aufzeichnungen aus früheren Zeiten, um auch hier wieder auf Augenhöhe an die Intentionen der Regie anzuschließen. Es wäre zu wünschen!
Fazit
Diese personell runderneuerte Wiederaufnahme, der hoffentlich auch eine weitere Spielzeit vergönnt sein mag, ist ein Hingucker in der Weihnachtszeit und sollte mit ein paar Besetzungsretuschen, Ausstattungsoptimierungen und einer grundsätzlichen Orchesterhygiene, was die Balance zwischen Bühne und Graben betrifft, auch das kommende Fest der Feste als kulturelles Muss erfreuen; oder wie das Sandmännchen den Geschwistern zuraunt: „Träume, Kindchen, träume!“