Oldenburg, Staatstheater, DAS FEUERWERK - Paul Burkhard, IOCO
DAS FEUERWERK: Was für ein Coup! In nass-kalt-dunklen Novembertagen und als Kompensation für herausfordernde Themen der Opernsparte gibt es eine leichtfüßige Operette aus den letzten Tagen des Genres, die uns etwas nostalgisch in die Zeiten des Wirtschaftswunders der 50er Jahre ....
Bellahopp! - Betrachtungen zur Produktion der Operette „Das Feuerwerk“ am Oldenburgischen Staatstheater
von Thomas Honickel
Apropos
Was für ein Coup! In extrem angespannten Zeiten, in nass-kalt-dunklen Novembertagen und als Kompensation für inhaltlich anspruchsvollere und herausfordernde Themen der Opernsparte gibt es eine leichtfüßige Operette aus den letzten Tagen des Genres, die uns etwas nostalgisch in die Zeiten des Wirtschaftswunders der 50er Jahre blicken lässt: temporeich, humorvoll, bunt und auf hohem sängerischen Niveau. Unser Tipp: Unbedingt hingehen!
Prolog zum Genre
Es ist und bleibt ein Jammer, dass wertvolle, gehaltvolle und durchaus nachdrückliche Werke der sogenannten leichten Muse, wie die des Genres der Operette, in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend zu Nischenprodukten verkommen sind. Von wenigen auf diese Gattung spezialisierten Häusern (wie etwa das in Dresden oder einige in Wien) schaffen es Werke der verschiedenen Zeitalter der meist heiteren Gattung selten in aktuelle Spielpläne. Bis weit ins Ende des vergangenen Jahrhunderts, lange nach dem Auslaufen/Aushauchen des kompositorischen Stroms, galt die Gattung im nachschöpferischen Akt als Stiefkind. Der bekannte Opernkenner und -kritiker Marcel Prawy schrieb dazu: „Sie (die Operette) nimmt eine sehr eigenartige Stellung ein. Sie ist das Lieblingskind der Kassa, weil die Vorstellungen täglich ausverkauft sind, und (gleichzeitig) das Stiefkind der Direktoren, die sie als notwendiges Übel betrachten, mit deren Hilfe sie ihre Ausflüge in die Hochkultur finanzieren.“
Das sagt viel über die interne Wahrnehmung des Theaters deutscher Provenienz zu einer Heerschar bester Werke mit meist heiterem Gestus aus. Oder anders formuliert: Da, wo die Heiterkeit, der Übermut, der Humor und die leicht eingängigen Melodien, schmissige Rhythmen und süffige Harmonien vorherrschen, ist der Bühne scheinbar die Kunst abhandengekommen. Welch ein Frevel!
Umso ehrenwerter das Unternehmen am Oldenburger Staatstheater, dass man keinen Strauß, Kalman, Millöcker oder Lehar ausgrub, um das Publikum in dunkel-schweren Novemberzeiten zu erfreuen, sondern in der Spätphase der Gattung bei „Das Feuerwerk“ (1950) vom Schweizer Paul Burkhard fündig wurde. Wie sich zeigen sollte: Ein Glücksgriff, der szenisch und musikalisch hinreißend gelang und eine Ehrenrettung für ein Werk wurde, das weit mehr ist als das bekannte „O, mein Papa“.
Zur Gattung der Operette über nahezu ein Jahrhundert von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in ihre letzten Jahre, wo sie nicht zuletzt der Folge-Gattung des Musicals und ihres auch durch Film und Fernsehen protegierten Erfolges weichen musste, wurde im Artikel „Charleys Tante“ ausgiebig Stellung genommen:
Oldenburg, Oldenburgisches Staatstheater, CHARLEYS TANTE – nach Brandon Thomas, IOCO, 16.11.2023 - link HIER!
O, mein Papa – Komponist eines Welthits
Paul Burkhard (1911-1977) war ein Schweizer Komponist, der Zeit seines Lebens in seinem Heimatland blieb und dort eine kleine Karriere als Korrepetitor und Kapellmeister einschlug. Hier war er immerhin an der Uraufführung von Brechts „Mutter Courage“ mit Eigenkompositionen und musikalischer Leitung beteiligt.
Für das Züricher Haus schuf er erstmals Musik zu dem Lustspiel „Der schwarze Hecht“, das 1939 uraufgeführt wurde. Der Erfolg des im schweizerischen Dialekt gehaltenen Werkes war offensichtlich so bemerkenswert, dass auch Bühnen aus dem hochdeutschen Raum aufmerksam wurden. So entstand die heute geläufige Fassung unter dem Titel „Das Feuerwerk“, das am Münchner Gärtnerplatz-Theater seine Uraufführung erlebte (1950).
Damit erreichte Burkhard, der Tonschöpfer aus der Provinz, plötzlich eine internationale Berühmtheit, die vor allem durch das von vielen Theater- und Fernsehkünstlern oft gesungene „O, mein Papa“ befördert wurde. Es wurde in 42 Sprachen übersetzt und wurde durch die englischsprachige Version von Eddie Fisher gar zu einem Nr. 1 Hit in den USA. Indes hat das Werk, das in weiten Teilen deutlich mehr Musicalgeist denn Operettencharme atmet, weit mehr als diesen einen Hit zu bieten:
Ich hab ein kleines süßes Pony
Ich sag es gern durch die Blume
Ein Leben lang verliebt
Die Welt ist groß und weit
Hokuspokus Fidibus
sind weitere durchaus populär gewordene Gassenhauer des Werkes, die vielen Älteren, wenn nicht von der Bühne so doch aus dem Radio, geläufig sein mögen. Insgesamt ist das Opus compositum ein Stilmix aus Operette, Singspiel mit hohem Textanteil, Schlagerrevue und Musical. Zwischen diesen Formen mäandert es eigentlich permanent und macht eine Zuordnung schwierig. Ästhetisch an die musikalische Mode der Zeit angelehnt mit Anleihen bei Modetänzen der Zeit und extrem zuckriger Filmmusik à la „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ (Romy Schneiders Filmdebut) bleibt es ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, einer überkommenden Epoche. Und doch entlockt es uns dieses unbestimmte Gefühl der Wehmut, der Melancholie und der Nostalgie, das uns ja auch ereilt, wenn wir eine „Feuerzangenbowle“ oder ähnliche Filme betrachten. Wir dürfen mit diesen Geschichten und dieser Musik aus längst verschollen geglaubten Zeiten noch einmal eine Zeitreise machen und uns wegträumen.
Einen ähnlichen Erfolg wie „Das Feuerwerk“ erlebte der Schweizer Burkhard nie wieder. Regionale, schweizerdeutsch verortete Werke wie etwa „Die kleine Niederdorfoper“ blieben die Ausnahme. Das nicht ganz unbekannte Weihnachtslied „Weihnachten muss leise sein“ vor allem durch die Interpretation von René Kollo erfreute sich noch einige Jahre einer gewissen Beliebtheit. Ansonsten blieb Burkhard der Ein-Werk-Komponist, der Meister des „Feuerwerk“. Da gibt es durchaus vergleichbare Schicksale in der Opernwelt, wenn man etwa an Mascagni und Leoncavallo denkt.
Hokuspokus Fidibus – Filmerfolg und Sprungbrett für junge Künstler
Befeuert durch den großen Zuspruch an den Opernkassen wurde das Werk 1954 auch vom Film adaptiert. Unter der Regie von Kurt Hoffmann (Kohlhiesels Töchter, Das fliegende Klassenzimmer, Drei Männer im Schnee, Das Wirtshaus im Spessart, Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung) spielten und sangen so prominente Stars der 50er Jahre wie Lilli Palmer (Iduna), Karl Schönböck (Alexander Oberholzer), Romy Schneider (Anna Oberholzer), Claus Biederstaedt (Roberto) und in weiteren Rollen bekannte Größen wie Werner Hinz, Liesl Karlstadt, Lina Carstens, Willy Reichert, Hans Clarin und Rühmanns einziger Sohn Heinzpeter (Franzl).
Für die als jüdische Emigrantin zurückgekehrte Lilli Palmer war dieser Film der Durchbruch. Romy Schneider brillierte hier ein Jahr vor dem ersten Sissi-Film mit Tanz, Gesang und artistischen Darbietungen. Auch für sie der Beginn einer allerdings nicht unbedingt leichten Karriere als Filmstar. Dem Film als Ganzes gelang eine durchaus für damalige Verhältnisse gelungene Darstellung, die drei Generationen ansprechen konnte. Die Mischung aus Artistik, Slapstick, Exotik, Schlager, Revue und dem Zauber der Manege verschaffte dem Film bei der Bewertungsstelle Wiesbaden das Prädikat „Wertvoll“.
Auf der Seite filmportal.de resümiert der Journalist Falk Schwarz: „Bürgerlichkeit und Bohème prallen hier ungeschützt aufeinander; da stieben die Funken. Da gibt es Feuerwerk!“ Besser kann man Storyline und Inhalt von Bühnenwerk und Filmadaption kaum zusammenfassen!
Oberholzers Sechzigster („De sächzigscht Giburtstag“)
Wie oben gerade zusammengefasst, bezieht das „Feuerwerk“ seine enorme Sprengkraft (um im Bild zu bleiben) aus dem Aufeinandertreffen von spießig-bürgerlicher 50er Jahre-Atmosphäre und der Künstler- und Artistenwelt des Zirkus, gefärbt überdies mit der exotischen Artistin Iduna, die extremen Glanz in die miefige Hütte der Oberholzer-Familie bringt. Die Schilderungen nicht zuletzt durch sie als den Star der Compagnie sind verlockend, gerade für die Jugend. Die junge Anna, die ihren angebeteten Roberto nicht bekommen soll, weil das Standesdünkel der Bürgerlichkeit da einen Riegel vorschiebt, fühlt sich aus Trotz oder aus Magie der Zirkuswelt gleich aufs Innigste verbunden und träumt sich in die Arena mit Löwen, Trapez, Pferdedressuren und Clowns. Köstlich hier in der Traumszene der Auftritt der biederen Tanten als Raubtiere und der Onkel als Clowns. Annas Entscheidung der Loslösung von der muffig-konservativen Grundstimmung der Familie und ihrem Angebeteten Roberto ist der Paukenschlag fürs bürgerliche Idyll.
Nun ist es an der weisen und erfahrenen Iduna, der kleinen revolutionären Anna sehr freundlich und sehr bestimmt den vermeintlichen Glanz der Zirkuswelt vor Augen zu halten: Rastlosigkeit, ständig wechselnde Welten, die Pflicht zur ständigen Höchstleistung, Intrigen und Existenzsorgen. Das fahrende Volk ist nicht zwingend auf Rosen gebettet! Anna erkennt und lenkt ein. Das Familienoberhaupt ist erleichtert und erteilt seinen Segen für die Verbindung von Anna mit Roberto. Der Zirkus zieht weiter und zum Abschied dann noch einmal ein Feuerwerk mit glänzendem Finale! „Das Gastspiel ist zu Ende.“
Die Welt ist groß und weit
Neben den hinreißenden Chansons, die oft im Stile der Zeit als Shimmy, Foxtrott, Schlager oder Ballade daherkommen, sind die grotesken (Über)zeichnungen der Charaktere in Text und Musik zentral für das Aufeinandertreffen von Gutbürgerlichkeit und Manegenzauber. Obwohl man äußerlich aus dem bürgerlichen Lager größtmögliche Distanz vorgibt, erliegt man doch spätestens dem Charme und der Ausstrahlung von Iduna, die auch im Wohnzimmer der Oberholzers zum Star mutiert. Die Hanna Glawari der Produktion wird von Männern gleich reihenweise umschwärmt.
Erfolg indes ist ja durchaus beiden „Lagern“ zu eigen: Immerhin hat der Jubilar Oberholzer eine Fabrik erfolgreich aufgebaut und sein Bruder eben ein Zirkusimperium; warum also konnte man nicht schon im Jahr 1900 die Dinge so lassen, wie sie sind? Gewiss: Seine Familie kann man sich nicht aussuchen, aber das Dictum vom „Schwarzen Schaf“ hat doch heute im 21. Jahrhundert wahrlich ausgedient. Anerkennung und Wertschätzung so divergierender Berufs- und Lebenspläne würden vielleicht dazu führen, sich noch mehr auf Augenhöhe zu (zu)bewegen. Die Brüder haben sich in völlig verschiedenen Welten erfolgreich etabliert und könnten gerade deshalb nonchalant mit den Unterschieden umgehen. Aber damals war man wohl noch nicht so weit: Dogmatische Moralvorstellungen, verstaubte Ansichten, überzogene Konventionen, die längst erstarrt waren. Die 68er-Revolution stand schon in den Startlöchern.
Über diese vermeintlichen Grabenkämpfe kann die Jugend von heute nur herzlich schmunzeln: Im Zeitalter von Influencern aus Wohnzimmern, Startup-Helden und Teilnahmen an diversen Castingshows und anderen TV-Formaten. In gewisser Weise hätten wohl Anna und Iduna gleichermaßen längst ausgerufen: „Ich bin ein Star! Holt mich hier raus…“
Es gab immer wieder Lustspiele auf der Bühne und im Film, die im Aufeinandertreffen so verschiedenartiger Welten wie Bürgertum und Künstlertum köstlich Funken zu schlagen wussten; mal als Posse, mal als tragikomisches Werk. Erinnert sei an Marlene Dietrich und Emil Jannings in „Der blaue Engel“ (Drehbuch: Carl Zuckmayer) und an Heinz Rühmann und Ruth Leuwerik in „Das Haus in Montevideo“ (Drehbuch: Curt Goetz). Die Operette „Das Feuerwerk“ ist einer ihrer brillanten Vertreter, der die wunderbare Musik von Paul Burkhard mit Ohrwurmqualität zu langer Lebensdauer verhalf.
Auf nach Oldenburg!
Inszenierung – Bühne – Kostüme - Gewerke
Milena Paulovics hatte das Werk bereits am Ende ihres Engagements am Landestheater Detmold erfolgreich auf die Bühne gebracht. Nachdem Intendant Georg Heckel sie als Hausregisseurin mit in den Nordwesten nahm, lag es nahe, Erfolgsproduktionen aus jüngerer Zeit und eigener Feder, die sich bewährt haben, an anderem Ort zum Leben zu erwecken (Das macht zurzeit übrigens Intendant Firmbach in Karlsruhe ganz ähnlich, wenn dort Donizettis „Don Pasquale“ erneut das Licht der Bühnenwelt erblickt). Zu Beginn einer Intendanz sind solche Repetitionen erlaubt und verständlich, da ja ohnedies zahlreiche Umwälzungen und Akklimatisierungsprozesse stattfinden.
So gab es jetzt also diese „Wiederauferstehung“ am Oldenburger Haus.
Im Gegensatz zum Original des Lustspiels aus den 30ern wird der runde Geburtstag eine Dekade nach vorne gelegt, also ein 50. Geburtstag. Gewiss ist das auch dem Umstand geschuldet, dass nicht wenige Sängerakteure da, wenn auch nicht ganz, so doch besser ins Altersspektrum passen.
Die durch und durch pastellfarbige Bühne in Rosarot erfährt nur in den Zirkusszenen farbliche Veränderungen. Die rosarote Brille, welche die Ausstatterin Anike Sedello dem Publikum aufsetzt, soll wohl die (vermeintliche) Idylle und den Rückzug ins Private wiedergeben, vielleicht auch ein Verweis sein auf die eher bieder-schlichte Weltsicht der Obolskis in der Provinz („Wir hören gerne Klassik: vor allem Beethovens `Erotika´!“). Unwillkürlich fühlt man sich an die jüngst in den Filmtheatern erlebte Filmkarikatur „Barbie“ erinnert. Und Mutter Obolski (Anna Dowsley) bedient das äußerlich und gestalterisch auch bestens.
Aber Paulovics nutzt die so markierte Folie nicht aus, um die Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben. Vielleicht das größte Plus ihrer Arbeit. Die Verlockung liegt nahe, den Kitsch der 50er Jahre, der in dem Volkstheaterstück immanent ist, weidlich mit Häme und Überheblichkeit der Nachgeborenen auszuschlachten. Das Gegenteil ist der Fall: Sie entwickelt mit zunehmendem Verlauf ihrer Inszenierung große Sympathie für die Gestalten der beiden so heterogenen Welten; und macht am Ende auch ihren Frieden mit dem überraschenden Happyend.
Ton für Ton schreitet diese Inszenierung durch den Abend. Im Gleichklang mit Ausstattung, Bühne und Kostüm schafft Paulovics einen Abend wie aus einem Guss.
Die Bühne, die aus sich verjüngenden Portalen besteht, suggeriert eine enorme Tiefe, welche sich nochmals öffnen kann, wenn es in die Traumwelt oder in die Manege geht. Dahinter poetischer Sternenhimmel und dazwischen zahlreiche Gassen, die Auf- und Abtritte ermöglichen, Verfolgungsjagd erlauben, und eben zahlreichen Akteuren auf dieser vergleichsweise kleinen Bühne den Zutritt ermöglichen, allen voran den Gauklern, Komödianten, Ballett Tänzern, Raubtieren und einem fulminant agierenden Ehrengast: dem Pony.
Das Ganze im spießigen Rosa inkl. Plastikpalme. Später dann in mal knallbunten, mal tiefblauen oder mit Projektionen bestrahlten Farben, wenn die Welt des Biedermeier verlassen wird.
Das so unbedingt und tragfähig für sich einzunehmende Szenenbild wird folgerichtig flankiert von den vier dominierenden Farben Rosa und Braun für die Sippschaft derer von Obolski, Lindgrün für das Liebespaar Anna und Roberto, was auch die Ebene der Natur, der er als Gärtner besonders verbunden ist, widerspiegelt. Und endlich das glänzend, glitzernde Schwarz der Funktionärselite im Zirkus: Iduna und Alexander. Dazu eine Heerschar an fantasievollen, überzeichneten Kostümen für die Zirkuswelt. Besonders reizvoll in der Traumszene von Anna, wo sie ihre (vermeintliche) Zirkuszukunft imaginiert, die Vielzahl an Alter Egos, die alle in ihrem Outfit gekleidet die Szene bereichern, inkl. Crossdressing.
Hier greifen Regie, Bühne, Ausstattung, Beleuchtung und Kostüm in selten erlebter Weise wie ein Rad ins andere. Wo oft gegen ein Bühnenbild oder im Kontrast zum Kostüm agiert werden muss, sonnt sich hier das homogene Konzept aller Gewerke in einer stimmigen Darstellung. Einer Darstellung, die es dem Publikum in selten erlebter Weise ermöglicht, in den Fortgang der (abenteuerlichen) Geschichte einzutauchen und sie mit zu durchleben. Fast hat man den Eindruck, als betrachte man hier einen Spielfilm mit ausgeklügeltem Set.
Paulovics lässt die unvereinbaren Welten von Bürgerlichkeit und Zirkuskünstlertum ungebremst aufeinander zu rasen: Empörung der Verwandtschaft, Generationenkonflikt, Selbstverliebtheit der Artisten und dazwischen das junge Glück, dem keines beschert sein soll, weil alle an der jungen Anna zerren und den soliden Landschaftsgärtner („Blumen-Kultivateur“) ausgrenzen. All das ist mit einer leichten Überzeichnung und Überzuckerung trefflich dargestellt (aber durchaus auch für Diabetiker geeignet!).
Und diese legitime, weil im Original angelegte Übertreibung lässt dann am Ende auch ein Happyend zu. Als habe man es nicht gewusst, aber geahnt und ersehnt. Alle liegen sich in den Armen, jeder respektiert die Welten des Anderen, die unterschiedlicher nicht sein können. Die Familie kehrt wie aufgeschrecktes Vieh wieder in den heimischen Stall (mit Ausnahme des infizierten Onkel Gustav, der seine Hustenkrämpfe besiegt, seine Liebe zum Zirkus entdeckt hat und nun als „Alexander 2.0“ eine Karriere als Clown startet). Das junge Glück nabelt sich final von der schwierigen Mischpoke ab („Mir gehört die Zeit!“) und geht seinen eigenen Weg (auch eine „coming of age“-story). Die Obolskis bekennen am Ende das kleine Glück ihres Ehe-Alltags: „Die wahre Liebe ist der schönste Zirkus auf der Welt!“ Und Iduna und Alexander haben ihren Frieden mit der Sehnsucht nach Sesshaftigkeit und Idyll gemacht: Es wird sie für sie nicht geben (können), denn „Die Welt ist groß und weit".
Die Koordinierung gerade der Massenszenen mit für diese kleine Bühne fast "overcrowded" wirkender Ballung an Darstellern gelingt der Regisseurin ebenso famos wie die nachdrücklichen Momente des Liebespaares, die nachdenklichen Einlassungen etwa zwischen Anna und Iduna, und auch zwischen dem Onkel und Nichte Obolski. Da bekommt die turbulente Inszenierung Ruhe und Ernsthaftigkeit fern jeden Klamauks.
Zu Hochform läuft die Regisseurin auf bei den Slapstick Szenen der schockverliebten reifen Onkels oder den geifernd-grotesken Tanten, vor allem aber bei der Köchin, deren Darstellung bei Friedrike Hansmeier optimal aufgehoben ist, und die sich mit ihrer Arie zu Kochrezepten gar für die Rolle der Hexe in Hänsel und Gretel empfehlen könnte. Dabei verliert Paulovics nie den Respekt vor den Menschen, die hinter den überzeichneten Rollen und ihren Texten stehen. Am deutlichsten wird das bei der Entwicklung des in seiner Ehe massiv unterdrückten und unterforderten Gustav.
Die poetischen Momente, etwa das doppelte tête-à-tête von Anna und Roberto sowie einem verliebten Paar grünbelaubter Büsche, die fulminante Ähnlichkeit mit dem Liebespaar aufzeigen, gehören zu den Highlights einer in weiten Teilen sonst eher lärmenden Deutung des Geschehens.
Synchrone und stimmige Choreographien des gesamten Ensembles, viel Situationskomik und eine große Liebe zur Welt der Illusion zeichnen diese Inszenierung aus. Bellahopp.
Das Sänger-Ensemble
Der heimliche Star, der manch einem verborgen blieb an diesem Abend, war der Opernchor des Oldenburgischen Staatstheaters. Mit einer nicht unerheblichen Anzahl an Rollen wurde die Produktion aus dem hauseigenen Vokalensemble, das sonst eher in der zweiten Reihe zu stehen kommt, bestückt. Das ist eine Verneigung vor der vokalen Kompetenz seiner Mitglieder ebenso wie es andererseits den eingesetzten Sängerinnen und Sängern auch zutraut, im Szenischen glaubhaft als Solisten zu bestehen. Und das taten sie allesamt brillant!
Die zickigen Tanten (Undine Mentzel, Daniela Köhler) mit überbordendem, stimmlich adäquatem schrillen Einsatz und gestenreichem Spiel, die verzweifelte Köchin des Hauses (Friedrike Hansmeier), die als "Nummerngirl" mit (stetig wachsendem) Kochlöffel, satter Stimme in allen Lagen und grandioser Darstellung der Domestikin für sich einnimmt, der Jubilar (Stephen K. Foster) mit Grandezza als gesetzter Vater, als empörter Bruder und Schwiegerpapa widerwillen, und endlich das Töchterchen auf Abwegen (Lea Bublitz), die die Herzen des Publikums durch hingebungsvolles Spiel, glockenreinen Gesang (mit stupenden Spitzentönen) und glaubhafte Emotionen gewann.
Gerade bei Bublitz, die sich mit allen etatmäßigen Opernensemblemitgliedern in Zweiersituationen wiederfand, zeigte sich, dass es keinerlei Gefälle zwischen den Solisten des Opernchores und den Profis aus der ersten Reihe gab. Ihre stimmlich und gestalterisch zauberhafte Liebesszene bei Nacht im Garten mit Roberto ist das poetische Highlight des Abends und Ausweis für ein solches Agieren auf Augenhöhe.
Ein Tr(i)umph des Hauses, solch einen Pool an Sängerdarstellern in seinen Reihen zu wissen! Dagegen musste man in der Ensemble- und Gastriege erstmal anrennen.
Die beiden Onkel (Irakli Atanelishvili, Seumas Begg) wussten und taten das mit einer prägnanten Zeichnung zweier in suboptimalen Ehen gestrandeten Existenzen, die dem Leben durchaus noch neue Wendungen abgewinnen wollen. Sie umschwirren die Exotin Iduna „wie Motten das Licht“, und die lässt sich das als Operettenvariante von Scarlett O´Hara gerne gefallen. Das stimmliche Vermögen der Onkels auf Freierfüßen konnte da durchaus glaubhafte Individuen zeichnen. Vor allem Gustavs unerwarteter Vulkanausbruch als Clown in spe war da bemerkenswert.
Gleich doppelt verpatzt hingegen erschienen die Besetzungen der Artistin Iduna mit dem Gast Adréana Kraschewski und des Zirkusdirektors Alexander Obolski mit dem noch jungen Johannes Leander Maas.
Beide sollen laut Skript etwa Ende 30 sein, also Menschen mit einem ersten großen Schritt in Sachen Lebenserfahrung und einer entsprechend äußeren Erscheinung. Beides passte hier wie dort so gar nicht zusammen. Da erschien kein Liebespaar im mittleren Alter, sondern eher Mutter und Sohn. Weder nahm man dem jungen Maas die Rolle des Direktors ab, noch der reifen Kraschewski die Zirkusartistin. Da wirkten die wenigen ins Private verorteten Dialoge fast grotesk und bizarr. Und auch stimmlich blieben beide den Partien etwas schuldig.
Mit einer derart tiefen Partie wie der des Zirkusdirektors Obolski (etwa in "Die Welt ist groß und weit") konnte die sonst angenehm timbrierte Tenorstimme von Maas nicht mithalten. In wenigen Augenblicken, wo die Tessitura seiner Stimme angemessener wurde, ahnte man, dass es gerade im Operettenfach oder bei leichtgewichtigeren Opern gewiss viele für ihn angenehmere Partien gäbe. Der Obolski ist es jedenfalls nicht. Um sich überhaupt durchsetzen zu können, wurde bisweilen der Gesangstext in tiefen Lagen gesprochen. Unglücklich!
Sein Spiel indes kann durchaus für sich einnehmen, in den zarten Momenten mit Iduna ebenso wie in den verführerischen Szenen mit Anna und den auftrumpfenden Situationen in der Manege des Zirkus und des Obolskischen Wohnzimmers. Da ist und bleibt Potential, das mit adäquaten Rollen gehoben werden möchte.
Wäre hier nicht eine die Stimmkultur pflegende Partie aus einer Mozartoper oder eine Belcantopartie des frühen 19. Jahrhunderts das angemessene "Vademecum", um die noch junge Stimme verantwortungsbewusst zu begleiten? Hat ein Betriebsbüro hier nicht eine Verpflichtung als Arbeitgeber, gerade für junge Sängerbiographien die richtigen Rollen zur rechten Zeit zu wählen, um Stimmen zielgerichtet aufzubauen und nicht zu beschädigen?
Und bei Adréana Kraschewski, einer wahrhaftigen und erfahrenen Bühnenerscheinung, der man eine Carmen, eine Desdemona, eine Dalila, Aida oder ähnliche Partien zuschreiben möchte, fühlte man eine seltsame Inkongruenz zwischen Sängerin, Rolle und Bühne. Irgendwie konnte man das Empfinden nicht verdrängen, man habe hier in dieser kammerspielartigen Inszenierung einen „Haifisch“ in ein Aquarium gesperrt. Ihre große und dramatische Stimme passte nicht zur Leichtfüßigkeit dieses Werkes. In den beiden zentralen Songs aber, dem Clownlied „O, mein Papa“ und dem Ponysong, war sie die Diva, die der Szene angemessen die stolze Tochter bzw. die hingebungsvolle Tierliebhaberin gab.
Verschenkt wurde hier leider von Dramaturgie und musikalischer Leitung die vom Komponisten vorgesehene (und so allseits geläufige) sprachliche Färbung der Iduna-Stimme mit einem osteuropäisch angehauchten, „falschen“ Deutsch, das der Partie enormen Exotismus verleiht:
„…sein Mund, sie sein so breit und rot. Und seine Aug wie Diamanten strahlen!“ wurde so zu: „…sein Mund, er ist so breit und rot. Und seine Augen wie Diamanten strahlen!“
So blieben die Texte der Lieder am Ende im Hochdeutschen blass und teilweise platt (Ein Zugeständnis an das derzeit woke Thema „kulturelle Aneignung“?). Schade!
In vielen weiteren Auftritten blieb die Kraschewski viel zu defensiv an der Bühnenseite oder statisch in der Bühnenmitte. Zu wenig für eine der Partien, die im Zentrum des Geschehens stehen. Und doch ist sie aufgrund ihrer Erscheinung ein sympathischer Gewinn für die Produktion. Gespannt darf man sein auf ihre Darstellungen der Agathe im „Freischütz“ und auf die für sie stimmlich deutlich adäquater zugeschnittenen Partien bei Britten und Offenbach. Als Gast ist sie ja in dieser Saison mit starker Frequenz in Oldenburg anwesend.
Eine absolute Überraschung und ein enormer Zugewinn für das Opernensemble in Oldenburg ist der samtig-strahlende Bariton von Arthur Bruce, der als Roberto unbedingt und voll umfänglich punkten kann. Seine stimmliche Wärme in Liebesszenen, sein viriles Auftrumpfen bei Ringkämpfen, sein makelloser und in den Registerübergängen bruchloser Gesang beeindruckt uneingeschränkt. Er muss nie forcieren, um sein tragfähiges Organ zum Klingen zu bringen. Sein Spiel ist von großer Klarheit und Innigkeit, ein Teamplayer, der auch beim Kampf für seine Blumen und gegen Schädlinge nicht vor Glyphosat zurückschreckt, um anschließend von Schmetterlingen verfolgt ein humorvolles Rennen mit den bunten Faltern hinzulegen. Bruce wäre gewiss ein phantastischer Papageno, Leporello oder Figaro.
By the way:
Zwei Schotten hat das Opernensemble seit Saisonbeginn in seinen Reihen. Bei beiden (Seumas Begg und Arthur Bruce) merkt man das in ihrer sprachlichen Darstellung an keiner Stelle. Nahezu akzentfrei und deutlich prononciert kommt bei ihnen das Deutsch plastisch und dennoch nicht gestelzt daher. Chapeau!
In weiteren Rollen erlebte man Annas Mutter (Anna Dowsley) als Barbie-Verschnitt, die in einem ihrer letzten Auftritte entnervt in ihre Muttersprache wechselt, um lautstark fluchend die Bühne zu verlassen. Szenenapplaus und kollektives Gelächter!
Die beiden Tänzer Eleonora Fabrizi und Tim Olcay sind eine stimmungsvolle Augenweide, die vor allem den Beginn des 2. Aktes mit dem „Pas de deux“ zweier Schmetterlinge hinreißend tanzen.
Nachrichten aus dem kleinen Graben
Die oszillierende Partitur von Burkhard ist ein akustisches Juwel der 50er Jahre. Da das Werk aber vor allem für singende Schauspieler konzipiert wurde, hat der Komponist schon sehr zeitig nach der Uraufführung eine Fassung für kleine Häuser entwickelt, die das Ganze sehr gekonnt und ohne viel Verlust auf die vier Hände zweier Pianisten an zwei Instrumenten herunterbricht. Dazu ein Schlagzeuger (Pascal Tieke), der die Vielfalt an Tanzrhythmen flankiert und auch schon mal mit Hufgeklapper aushilft. In Oldenburg lag das pianistisch üppige Geschehen in den zuverlässigen Händen von Paul Plummer und Kei Sugaya, die keine Wehmut über das Fehlen der Orchesterfarben aufkommen ließen. Überdies hatten sie manch silbrig-orchestrale Farbe noch mit zusätzlich eingebauter Celesta aufgefangen. Kleiner Graben, große Wirkung. Bravo!
Fazit
Die heitere Kunst, die Komödie, das Lustspiel sind oft die Stiefkinder des Theaterbetriebs. Sie angemessen unterhaltsam zu inszenieren, ohne ins Lächerliche, Platte oder Überhebliche abzugleiten, macht die Güte einer Regiearbeit aus. Wenn man dazu noch über ein so hinreißend spielendes und singendes Ensemble verfügt, kann ein lichter Abend in dunkler Zeit nur zum Erfolg werden: Ein wahrhaftiges Feuerwerk!
Das ausverkaufte kleine Haus (400 Plätze) tobte am Ende minutenlang und erklatschte sich noch ein schmissig hollywoodeskes Da Capo des gesamten Ensembles. „Hokuspokus fidibus“ mit Prädikat „humorvoll“ und FSK 6, alleine wegen des Ponys!