Oldenburg, Staatstheater, DIE TOTE STADT - Erich W. Korngold

Oldenburg, Staatstheater, DIE TOTE STADT - Erich W. Korngold
Oldenburgisches Staatstheater - am Abend © Stephan Walzl

„Mein Sehnen, mein Wähnen…“

von Thomas Honickel

Nachlese zu Die Tote Stadt von Erich Wolfgang Korngold. Premiere am Oldenburgischen Staatstheater am 2. Dezember 2023

Was mag man nach einer fulminanten Ring-Produktion, vielen ambitionierten Produktionen aus der Welt der „Alten Musik“ wie der zeitgenössischen Opernwelt dem Publikum in einer Abschiedssaison noch offerieren?

Generalintendant Firmbach und sein Team entschieden sich für ein Jahrhundertwerk mit besonderer Strahlkraft in unsere Zeit: Korngolds Die tote Stadt, ein symbolistisch-mystisch-tiefenpsychologisches Werk mit seherischen Qualitäten und einer opulenten Musik. „Es war ein Herzenswunsch von Intendanz, Regie und GMD!“, so Firmbach. Und wer wollte das bestreiten?

Der Abend ist einer der hohen, der höchsten Ambitionen mit üppigstem Einsatz und monströsen Schwierigkeiten in der Partitur. Auch wenn in Teilen einige wenige Abstriche zu konstatieren sind, ist der Gesamteindruck überwältigend.

Worum geht es?

Oldenburg erzählt die Geschichte des schmerzhaften Verlustes der Partnerin Marie, den Paul alleine im Zimmer, das er die „Kirche der Gewesenen“ nennt, nicht zu verkraften scheint. Als „Alter Ego“ lernt er durch Zufall die ihm unbekannte Marietta kennen, die seiner verstorbenen Marie nicht nur im Namenszug zu gleichen scheint. Dem Bann der Ähnlichkeit folgt der Versuch der Imitation durch Verkleidung mit Schal und Laute. Hier erklingt die über die Oper hinaus bekannte Arie (Duett) „Glück, das mir verblieb“ (übrigens auf Korngolds Grabstein in Los Angeles vermerkt).

Wahn und Wirklichkeit verschmelzen nun bei Paul und lassen keine rationale Erkenntnis mehr zu. Wer spricht hier zu ihm: Marie oder Marietta? Beim Aufsuchen ihrer Wohnung in nebliger, glockenbeschwerter Nacht erscheinen alle Zutaten für eine Poe´sche Parallelwelt: Nonnen auf dem Weg zum Gebet, sein Freund, der sich als Nebenbuhler Zugang zu Mariettas Wohnung verschaffen will und ihm die Freundschaft kündigt, Marietta selbst in geheimnisvoller Theatergesellschaft, die auf den Kaistufen des Hafens erscheint. Ein Pierrot-Lied erklingt mit bizarrem Charme, Marietta stellt die Auferstehung der teuflischen Verführerin Helene dar, einer Untoten aus Meyerbeers „Robert le diable“. All das „sieht“ er und stürzt eifersüchtig auf sie zu. Auf Pauls Einwurf, er würde nur die Ähnlichkeit lieben und nicht sie als Person, reagiert Marietta mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verführung.

Es folgt eine nahezu orgiastische Szene mit einer Mischung aus Carmen, Dalila und Salome (aus dem „Tanz der Schleier“ wird der „Tanz des Haarzopfes der Verstorbenen“); da mag Korngold vielleicht auch Strauss und Saint-Saens im Ohr gehabt haben. Diesen Opern-Femmes fatales nicht unähnlich will Marietta nun Pauls vollständige Liebe erzwingen. Sie provoziert, sie tanzt, sie verunglimpft das Andenken an Marie. In einer quasi-religiösen Stimmung (von Ferne eine Kinderchor-Prozession mit dem lateinischen Hymnus „Pange Lingua“) überwältigen die Wahnvorstellungen Paul zunehmend. Als sich Marietta auf dem Höhepunkt der ekstatischen Situation Maries Haarflechte, die Paul als Reliquie verehrt, kokett aneignet, verliert Paul die Beherrschung und erwürgt Marietta in einem Anflug von unbezähmbarem Zorn. Schnitt. „Blackout“.

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