Münster, Theater Münster, und wenn ich von der Zeit spreche ...., Thomas Köck, IOCO Kritik, 02.02.2023
und wenn ich von der Zeit spreche …. Uraufführung - Thomas Köck
- Eine Weltuntergangs-Mahnung als Medien-Satire -
von Hanns Butterhof
Es ist zu manchen Zeiten schwierig, keine Satire zu schreiben, so ernst auch das Anliegen sein mag. Das Auftragsstück des österreichischen Dramatikers Thomas Köck für das Theater Münster „und wenn ich von der zeit spreche spreche ich von der zeit die schon nicht mehr ist (am rande des rollfelds)“ hat ein ernstes Anliegen. Es will vor den auf die Welt zukommenden Vielfach-Katastrophen warnen und darauf hinweisen, dass wir alle irgendwie bereits die Zukunft dieser Katastrophen sind. Köck gestaltet die aufrüttelnde Weltuntergangs-Mahnung am Großen Haus des Theater Münster als eher heitere Medien-Satire mit Musik und Tanz.
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In dem Stück mit seinem prätentiösen Titel „und wenn ich von der zeit spreche spreche ich von der zeit die schon nicht mehr ist (am rande des rollfelds)“ reist ein hominider Chor aus einer fernen, nachkatastrophalen Zeit in die Jetztzeit. In einer Art erleuchteter Fahrstuhlkabine wird er aus dem Schnürboden auf die obere Plattform einer zweigeschossigen Treppenkonstruktion niedergelassen, die das Zentrum der von Ausstatterin Thea Hoffmann-Axthelm gestalteten Einheitsbühne bildet.
Der Chor erzählt antikisierend rhythmisiert viel von sich und seinem Auftrag, festzustellen, was eigentlich damals in der Vergangenheit schief gegangen ist. Dazu ist er jetzt im Spätkapitalismus gelandet. Der zeigt sich erst darin, dass auf der Bühne gejoggt, wild getanzt und Müll eingesammelt wird, dann an der Ichbezogenheit einer Frau, die der Chor über das Kommende aufklären möchte. Sie aber zeigt sich taub gegenüber seiner Botschaft, dass wir alle jetzt schon die Zukunft sind und Verantwortung für sie tragen. Sie ist mehr damit beschäftigt, sinnfrei ihre Wohnung zu wienern, von der sie nicht weiß, welchem der schnell wechselnden Wohnungsspekulanten sie gerade gehört, und trauert hinter ihrer Freundin her, von der sie verlassen wurde.
Dann gelangt der Chor an ein Fernseh-Format, in dem eine superblonde Moderatorin und ihr smarter Kollege um Aufmerksamkeit und Erfolg buhlen. Sie erkennen die Gäste aus der Zukunft schnell als Quotengaranten und Treibsatz für die je eigene Karriere. In schnellen Videoschnitten wird gezeigt, wie das Zuschauerinteresse an ihrer Sendung rasch wächst. Die Rückmeldungen haben aber nichts als die vielfache Präsentation nur des eigenen Egos zum Inhalt und werden jeweils stürmisch von kleinen Mädchen in Brautkleidern gefeiert. Als sich die Moderatorin unter Kichern aus dem Publikum ergiebig von der oberen Treppenebene hinab auf den Bühnenboden erbricht, ist das Stück längst in der Satire auf die Medien angekommen.
Danach zerfällt der Chor, der offenbar den Erkundungs-Auftrag zu Gunsten der Warner-Rolle aufgegeben hat. Einige, wird erzählt, warnen zwar auf ihre Art weiter, etwa indem sie Theater machen, andere vermarkten problematisch eigennützig ihre Kenntnisse über die Zukunft. Einer zockt als Sektengründer seine Anhänger mit dem Versprechen ab, sie mit einer Rakete vor der kommenden Katastrophe zu retten. Eine kleine goldene Rakete schwenkend, schreitet er als Guru mit Antilopen-Hörnern einer Prozession von Gläubigen voran, die mit viel Geschrei alle wegprügeln, die keinen Anspruch auf Platz in der Rakete haben.
Zum Ende rollt eine wie ein Astronaut gekleidete Figur einen kleinen weißen Kinderwagen in die erneut erschienene Zeitkapsel. Da färbt sich die Bühne feuerrot, und ein Kinderchor singt immer wieder „nothing at all“, eine Art Entschuldigung für den anfangs geäußerten irrigen Glauben des Chors, er würde unsere „fucking party“ stören; dazu war er zu harmlos.
Mareike Mikat inszeniert „und wenn ich von der zeit spreche spreche ich von der zeit die schon nicht mehr ist (am rande des rollfelds)“ mit viel Aufwand und auch etwas Humor. Judith Sánchez-Ruiz bringt mit ihrer Tanz-Choreographie einiges Leben auf die Bühne, und das Sinfonieorchester Münster unter Leitung von Boris Cepeda rollt mit dem Damen-Opernchor des Theater Münster zu Musik des bairischen Komponisten Enik einen insgesamt unaufdringlichen Geräuschteppich aus. Doch dieser szenische Aufwand entspringt keiner zwingenden dramaturgischen Notwendigkeit. Eher herrscht Unübersichtlichkeit, als dass das Schauspiel durch die anderen Sparten verstärkt, seine Eindringlichkeit erhöht würde.
An der fehlt es, nicht allein deswegen, weil das Stück nichts nennenswert Neues beinhaltet. Es hat vor allem keine Geschichte, bei der sich irgend Betroffenheit einstellen könnte. Die Geschichte des Chors, der als einziger eine beispielhafte Bewegung durchmacht, wird nur erzählt, nicht erspielt. Keine Mediensatire zu schreiben wäre schwieriger, dem Anliegen aber wohl angemessener gewesen.
Nach zwei Stunden gab es für alle sichtlich mit sich zufriedenen Beteiligten teils kräftigen, teils zurückhaltend ratlosen Beifall.