Münster, Theater Münster, LEBEN DES OREST - Ernst Krenek, IOCO Kritik, 29.10.2022
LEBEN DES OREST - Triggerwarnung für Altphilologen
Oper von Ernst Krenek - Unterhaltsame Ausgrabung im Theater Münster
von Hanns Butterhof
Die neue Intendanz am Theater Münster hat die ganze Spielzeit 2022/23 unter das Thema Verhältnis der Generationen zu einander gestellt. Der inhaltliche, wenig optimistische Schwerpunkt liegt dabei auf dem altgriechischen Mythos der Atriden. Bei dieser Familie bedeutete der Morgengruß des einen schon das Todesurteil für den anderen, Untat und Rache setzten sich in schier unendlichen Spiralen fort. Mit einer seit den 60er Jahren nicht mehr gespielten Variante des Atriden-Themas, der Oper Das Leben des Orest von Ernst Krenek, startete das Musiktheater Münster unterhaltsam, besuchte Vorstelung am 19.10.2022, in die neue Spielzeit.
LEBEN DES OREST - Ernst Krenek - Trailer youtube Theater Münster [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Die in fünf Akten mit acht revueartig gereihten Bildern erzählte, von vier auf zweieinhalb Stunden eingestrichene Geschichte bleibt aufs Ganze gesehen an der Oberfläche der Lebensgeschichte Orests, wie sie die altgriechischen Theaterklassiker Aischylos (um 525 – 456 v.u.Z.) und Euripides (um 480 – 406 v.u.Z.) überliefern: Orest, Sohn Agamemnons, dem König von Mykene, kehrt nach langer Abwesenheit nach Hause zurück. Dort erfährt er von seiner Schwester Elektra, dass seine Mutter Klytaemnestra und ihr Liebhaber Aegisth seinen Vater getötet haben, worauf er beide umbringt. Als Muttermörder auf der Flucht irrt er lange durch die Welt, bis er schließlich bei dem nordischen Volk der Taurer Iphigenie findet, seine zweite Schwester. Mit ihr kehrt er nach Griechenland zurück und stellt sich in Athen dem Gericht, das ihn freispricht.
Ernst Krenek (1900 – 1991) geht in seinem Libretto recht freizügig mit den literarischen Quellen um, dass eine Triggerwarnung für Altphilologen angebracht ist. So erfindet er eine von Agamemnon geplante Tötung Orests und begründet dessen lange Wanderung durch die Welt mit einem letzten Fluch seiner Mutter Klytaemnestra, bevor sie von seiner Hand stirbt. Schließlich gönnt Krenek ihm die Liebe von Thamar, der Tochter des Taurer-Königs Thoas. Dessen Frau ist seine Schwester Iphigenie, die durch ein Wunder ihrer Tötung durch Agamemnon entrückt worden war.
In einzelnen Bildern scheint in der 1930 uraufgeführten Oper auch zeitgeschichtlich, psychologisch und politisch Interessantes auf wie das sich musikalisch vom Romantischen zum Dissonanten verändernde Verhältnis zu Heimat, zu narzisstischer Freiheit, Tyrannei und Krieg. Sonst bleibt der Ton musikalisch wie szenisch leicht bis karikierend. Selbst wo bei der Wiedererkennungs-Szene von Orest und Iphigenie berührend großes Gefühl aufkommen könnte, wird es durch den musikalischen Verweis auf die analoge Szene in Strauss' Elektra ironisch gebrochen. Generell tragen deutliche motivische Anklänge an Komponisten-Kollegen zur parodistischen Aufhellung der düsteren Geschichte bei.
Dass Das Leben des Orest kein Kraftwerk der Gefühle sein soll, macht die Inszenierung von Magdalena Fuchsberger wohl durchaus im Sinne Kreneks deutlich. Die Bühne von Ausstatterin Monika Biegler braucht kaum Kulissen. Antike Säulen und wohl auch Fragmente des Romberger Hofs, dessen Weltkriegsruine in den Theaterbau integriert ist, werden bedeutungsschwer während der Handlung, ohne ersichtlich zu ihr beizutragen, über die Bühne geschoben. Den Bühnenhintergrund nehmen wechselnde Videoprojektionen von griechischer Landschaft, dem Löwentor von Mykene oder einem Katzenkopf ein nebst einer, die auf die im Tanztheater des Hauses Münster laufende Produktion Furien, link zur IOCO Rezension Hier, verweist. Zum Ende der Oper gelingt noch ein schöner Theatercoup: Zum Happy End stehen Orest und Thamar, Iphigenie und Thoas an der Rampe und singen ihre schöne Aussicht auf glückliche Rückkehr nach Griechenland vom Blatt. Durch diesen Auftritt nicht gewarnt genug, bricht im Publikum der Schlussbeifall aus. Doch Orest muss sich ja noch dem Gericht in Athen stellen, wo er in seinem Plädoyer auf seine unglückliche Kindheit verweist und auf recht fragwürdige Weise freigesprochen wird. Ende gut, alles gut? Der aufbrandende Schluss-Beifall des Publikums, dem die Regie im erhellten Zuschauerraum eine kritische Entscheidung anmutet, sollte nicht unbedingt auch dem Urteil gegolten haben.
Gegolten aber hat er sicherlich dem durchwegs überzeugenden Ensemble. Johan Hyungbong Choi irrt als Orest mit frischem Bariton als tumber Tor durch sein eigenes Leben, in das ihn sein so ehrsüchtiger wie kriegslüsterner Vater Agamemnon gestoßen hat; Brad Cooper gibt ihm mit kräftigem Tenor und neurotischen Bewegungen Gestalt. Zu spät erkennt er, dass er in jeder Beziehung das Opfer seines abgrundbösen Beraters Aegisth ist, den Tenor Garrie Davislim mit einer großen Portion Schmierigkeit ausstattet. Mit lyrischem Sopran ist Robny Allegra Parton eine bis zur Mordlust eifersüchtige Taurer-Prinzessin Thamar, die der mit klangschönem Sopran berührenden Iphigenie von Katharina Sahmland die Liebe ihres Vaters Thoas (Mario Klein) neidet. In kleineren Rollen gefallen Mezzosopranistin Wioletta Hebrowska als Klytaemnestra, Altistin Helena Köhne als Amme Orests wie auch Bariton Gregor Dalal als skrupulöser Richter und Hirt.
Das Leben des Orest ist auch eine Choroper. Der von Anton Tremmel einstudierte Chor, der sich als Volk weder in einem Krieg verheizen noch von einer so mörderischen Sippe wie den Atriden weiter regieren lassen möchte, beeindruckt mit vollem Schönklang und Verständlichkeit in der kleinen Besetzung, die aus dem Rang die Zeitsprünge der Handlung überbrückt. Das Sinfonieorchester unter Golo Berg bewältigt souverän den ständigen Wechsel der Musikstile vom populären Schlager bis zu ausgefeilt spätromantischer Tonmalerei.
Dass Regisseurin Magdalena Fuchsberger die richtige Entscheidung getroffen hat, die Offenheit der Oper in der inszenierten Öffnung der Bühne auf die Produktionsbedingungen hin zu wiederholen, darf bezweifelt werden. Ist es doch kaum Ziel eines Opernbesuchs, sich beim Blick auf kulissenschiebende Bühnenarbeiter darüber zu „freuen, welch großartige Konstellation sich die Menschheit im Theater ersonnen hat“, wie das Programmheft feiert. Es genügt doch, sich an dem raren Opernerlebnis von Leben des Orest zu erfreuen, wozu die Aufführung an Münsters Großem Haus auch für Altphilologen Anlass genug bietet.
Besuchte Aufführung: 19.10.2022
---| IOCO Kritik Theater Münster |---