Münster, Theater Münster, Der Kleine Prinz - Antoine de Saint Exupéry, IOCO Kritik, 17.11.2021
Der Kleine Prinz - eine Fata Morgana in der Wüste
- Hans Henning Paar bringt Antoine de Saint Exupérys Welterfolg zum Tanzen -
von Hanns Butterhof
Am Kleinem Haus des Theater Münster hat Chefchoreograph Hans Henning Paar zum dritten Mal nach Braunschweig 2002 und München 2008 Antoine de Saint Exupérys Welterfolg Der Kleine Prinz auf die Bühne gebracht. Das sehr nah an der pantomimischen Bebilderung angesiedelte Handlungsballett hat mehrere Ebenen und ist eine Anmutung für die jungen und älteren Zuschauer, den Tanz mit dem Herzen zu sehen.
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Antoine de Saint Exupérys Erzählung Der Kleine Prinz aus dem Jahr 1943 bietet viel. Für Kinder lustige und süße Figuren, für Erwachsene Lebensweisheit in Märchenform. Das alles findet sich auch in der Hans Henning Paars Fassung als Tanztheater. Der Schlüssel zum Verständnis der aufgeklärten Inszenierung, die es nicht beim Märchenhaften und beschaulich Unverbindlichen belässt, liegt in den beiden ersten und letzten Szenen. Da heult der Bühnenwind, der verunglückte Pilot (Leander Veizi) liegt im Wüstensand, als sich von der Seite eine Schlange (Charla Tuncdoruk in geschupptem Ganzkörpertrikot; Kostüme: Isabel Kork) mit fließenden Bewegungen hereinschiebt. Nicht ohne mit fliegenden Händen klappernd Gefährlichkeit angedeutet zu haben, verabschiedet sie sich fürs erste vom Geschehen. Unter dissonanten Klaviertönen betritt dann rückwärts gehend eine Erscheinung im weißen Anzug mit dunklem Haar die Bühne. Erstaunt und etwas vorsichtig nimmt sie den sich aufrappelnden Piloten wahr. Wie einander spiegelnd umkreisen sie sich, bis sie sich näherkommen und schließlich Ruhe finden. Rücken an Rücken sitzend, den Kopf auf der Schulter des Anderen, scheinen es nicht zwei verschiedene Personen zu sein. Vielmehr hat der Pilot in der Wüste eine Fata Morgana: den Kleinen Prinz (Maria Bayarry Pérez).
Der Kleine Prinz hat zunächst den Wunsch nach einem Schaf, das ihm der Pilot in zwei Varianten liefert. Ein dickes Schaf (Chiara Bonciani im Flokati-Anzug) wird vom unzufriedenen Prinzen von der Bühne geschubst, ein zu altes Schaf (Matteo Mersi), dessen X-Beine immer einknicken, wackelt durchs Publikum davon. Erst als der Pilot scherzhaft das wollige Futter der Pilotenkappe nach außen kehrt, „mäh!“ und weite Sprünge wie das gewünschte Schaf macht, - Durst macht wohl high - ist der Kleine Prinz zufrieden.
Da sich die weiteren Szenen, Illustrationen der Erzählungen des Kleinen Prinzen, nur im delirierenden Bewusstsein des Piloten abspielen, kommt dieser zunächst nicht mehr vor. Durch diese Szenen mit ausgewählten Stationen seiner Reise zu sehr passenden Musikstücken von Erik Satie treibt der Prinz tänzerisch ziemlich passiv, mit neugierigen Augen meist verwundert auf das Geschehen blickend, in das er hineingezogen wird.
Man sieht zunächst den Prinz auf seinem Heimatplaneten, wo rot der Krater des Vulkans glüht, an dem er sich die Hände wärmt. Affenbrotbäume (Marieke Engelhardt, Eleonora Fabrizi, Ilario Frigione, Raffaele Scicchitano im weißen Ganzkörperkostüm, aus dem viele grüne Hände wuchern), die alles überwuchern wollen, muss er beständig herausreißen. Schließlich braucht er Platz für die zickige Rose (Fatima López Garcia), die er liebend umsorgt. Sie scheint ihn bei ihrem extravaganten Spitzentanz kaum zu bemerken und entzieht sich, sobald der Prinz nach ihrer Hand hascht. Mit einem Fingerzeig schickt sie ihn auf seine Tour in den Weltraum.
Er trifft zuerst auf einen König (Enrique Sáez Martinez), der mit langer Schleppe weit ausgreifend über die Bühne stolziert und ihn mit dem Reichsapfel zum Untertanen verführen will. Doch der Prinz will, statt die Schleppe zu tragen, nur mit ihr seine Späße treiben.
Auf dem nächsten Stern begegnet er einem Säufer, der mit Stuhl, Tisch und einer Weinflasche eine groteske Einheit auf Rädern bildet. Mühsam hält er das Gleichgewicht, und beständig scheitern seine Versuche, aufzustehen und den Fesseln seiner Konstruktion zu entkommen.
Dann tanzen die Zahlen eines Geschäftsmanns zwar ausgelassen schuhplattelnd zu Oktoberfest-Musik mit dem Prinzen. Aber der Geschäftsmann (Ilario Frigione) zählt sie nur voll Gier. Wenn er auf seinen schwarzen Hut schlägt, ertönt zur allgemeinen Heiterkeit ein Klingelzeichen wie von einer alten Ladenkasse.
Auch trifft der Prinz einen Eitlen (Raffaele Scichitano mit Elvis-Haartolle, Foto oben, und weißem Anzug). Der hält in jeder Hand einen Spiegel, in dem er sich selbstverliebt betrachtet. Geziert schwänzelt er über die Bühne und braucht den Prinzen nur als Publikum.
Ein Vermesser (Matteo Mersi) verscheucht dann schnell den Kleinen Prinz, weil der beständig die Kreise seines Zirkels (Eleonora Fabrizi) stört, und ein Laternenanzünder (Adrián Plá Cerdán) befolgt atemlos den unsinnigen Befehl, beim Dunkeln die Laterne seines sich im Minutentakt drehenden Planeten anzuzünden und sie kurz darauf beim Hellwerden wieder zu löschen.
Zu Verkehrslärm und kakophonen Urwald-Geräuschen kommt der Kleine Prinz dann offensichtlich auf der Erde im Heute an. Gleichgeschaltete Menschen laufen im Marschtritt auf die Bühne und wieder herunter, ohne von irgendetwas Kenntnis zu nehmen. Jemand versucht sich daran, den Verkehr zu regeln, doch ruckelnd fahren Bahnreisende ziellos hin oder her. Jeder spricht in sein Handy, aber keiner mit seinem Nachbarn.
Da verabschiedet sich der verstörte Kleine Prinz in seine Traumwelt. Zur Melodie eines französischen Chansons tanzen ihm fünf Rosen beschwingt etwas vor. Da stellt sich die Ausgangssituation wieder her. Der Pilot kommt zurück, und wie zu Beginn an ihn gelehnt sieht der Kleine Prinz liebevoll erst seine Rose, dann wieder die Schlange. Im Tanz mit ihr, die ihren letzten Dienst an ihm getan hat, verschwindet der Kleine Prinz, erlischt die Fata Morgana des Piloten.
Die menschlichen Schwächen, die einen Großteil der sieben Todsüden abdecken vom Stolz über Sucht, Geiz, Eitelkeit, Engstirnigkeit und Unmündigkeit sowie unseren gesellschaftlichen Ist-Zustand, porträtiert Paar mit spärlichen tänzerischen Mitteln. Pirouetten, wenige Hebefiguren, ausgreifende Armbewegungen, das ist schon fast alles. Es überwiegt das Allegorisch- Pantomimische. Das macht es Kindern leicht, darüber zu lachen, und ist für Erwachsene die Anmutung, den Tanz mit dem Herzen zu sehen, mitzuleiden an der Menschheit, ohne sich darüber ganz zu erheben. Dieser Kleine Prinz mit seinem tödlichen Ende ist nur dann keine Tragödie, wenn man die Hoffnung hat, das Sehen mit dem Herzen von den Sternen herunter auf die Erde holen zu können.
Nach einer guten Stunde ununterbrochenen Tanzes viel Beifall für das Ensemble, vor allem für Maria Bayarry Pérez als Prinz und Charla Tuncdoruk als Schlange
Der Kleine Prinz im Theater Münster; die nächsten Termine 20.11.; 5.12.; 26.12.; 30.12.2021; 30.01.; 5.2.; 30.3.; 23.4.; 8.5.2022
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