Münster, Kunstmuseum Pablo Picasso, Ausstellung „Marc Chagall / Bildsprachen“, IOCO

Marc Chagall über die Schulter schauen
Das Picasso – Museum Münster zeigt Chagall mitreißend als Wort-Künstler
Von Hanns Butterhof
Das Kunstmuseum Pablo Picasso Münster feiert 2025 sein 25-jähriges Bestehen. Anders, als bei diesem Jubiläum zu erwarten wäre, steht in der neuen Ausstellung „Marc Chagall / Bildsprachen“ an Stelle von Picasso (1881 – 1973) sein großer Kollege Marc Chagall (1887 – 1985) im Zentrum.
Die mit über 120 Gemälden, Zeichnungen und Graphiken reich ausgestattete Jubiläums-Ausstellung hat einige Besonderheiten. Zum einen hat die Enkelin Chagalls, Frau Meret Meyer, dem Museum großzügig ein Malerbuch und 118 Lithographien ihres Großvaters geschenkt, von denen einige in der Ausstellung gezeigt werden. Zum anderen legt die Schau das Schwergewicht auf Skizzen und Vorstudien, bei denen man Chagall buchstäblich beim Entwickeln der finalen Bildidee über die Schulter schauen kann. Dabei fällt der für das Ausstellungs-Konzept entscheidende Aspekt in die Augen, dass dem Maler Chagall den Dichter Chagall gleichwertig zur Seite gestellt werden kann.
Die Ausstellung ist chronologisch geordnet. In 6 Sälen im ersten Stock beginnt sie mit Chagalls in seiner Muttersprache Jiddisch verfassten Autobiographie „Ma Vie“ und den dazugehörigen Illustrationen, die man als gemalten Stammbaum werten kann. „Ma Vie“ enthält zudem manchen Bedeutungsschlüssel für Chagalls Bilddenken aus dem Erinnerungsfundus seiner Kindheit und Jugend in seinem Heimatort Witebsk.

Dabei wird die enge Verbindung von Bild und jiddischer Sprache deutlich, in der Chagall zeitlebens gedacht hat; eine Vitrine weist mit Illustrationen Chagalls für jüdische Zeitschriften auf die dauernde enge Verbindung seines künstlerischen Schaffens mit dem Jiddischen hin, aus dem sich seine malerische Phantasie nährt.
Drei Säle sind den Malerbüchern gewidmet, die Chagall in Paris, seiner ersten Wahlheimat, in enger Zusammenarbeit mit dem Verleger Ambroise Vollard (1869 – 1939) gestaltet hat. Zu der russischer Provinzposse „Die toten Seelen“ von Nicolai Gogol (1809 - 1852) sind aufschlussreich 13 Skizzen ihrer charakteristischen Figuren als kolorierte Vorzeichnungen zu sehen. Bei ihnen kann man buchstäblich dem Maler dabei zusehen, wie er schließlich mit erzählerischer Liebe zum anekdotischen Detail zur endgültigen Bildlösung gelangt. Ähnlich verhält es sich mit den Illustrationen zu Fabeln von La Fontaine (1621 – 1695) und der Bibel. Als Besonderheit fällt auf, dass Chagall die Skizzen oft in Farbe entworfen, dann aber in schwarz-weiß ausgeführt hat.
Nach so viel wunderbar intensiver Atelier-Atmosphäre atmet der große Saal wieder die statuarische Ruhe eines Museums: Hier feiert Chagall mit 12 farbig opulenten Großformaten nach seiner Rückkehr 1948 aus dem Exil in den USA Paris als pittoreske Stadt.
Im zweiten Stock des Museums zeigt Illustrationen Chagalls zu dem kleinen Prosatext „De mauvais sujets“ des Schriftstellers Jean Paulhan (1884 – 1968). Sie zeigen in prägnanter Verkürzung den Weg zu einem Erweckungserlebnis, auf dem ein Künstler zu den richtigen, das heißt seinen eigenen, ihn selber berührenden Themen kommt. Darauf, dass dieses Künstler-Credo auch für Chagall bedeutsam ist, zeigen mehrere seiner durchwegs heiteren Skizzen, auf denen er seine eigene Figur mit der des Autors verbindet.
Weitere Kabinette zeigen farbensatte Graphiken zu den Malerbüchern „Cirque“ (1967) und „Poèmes“ (1968), zu denen Chagall auch die Texte verfasst hat. Text und Bild stehen zumeist in einem assoziativen, sehr persönlich amalgamierten Verhältnis. Dass sie die Gleichwertigkeit des Dichters Chagall mit dem Maler Chagall belegen, muss man den Kuratoren der Ausstellung wohl glauben.
Wie es im Kunstmuseum Pablo Picasso gute Tradition ist, gibt es im zweiten Stock noch eine kleinere Studioausstellung. Ihr Titel „Der diskrete Charme des Monsieur Tériade – Künstlerbücher und Zeitschriften von Picasso und Kollegen“ ist als Würdigung des Verlegers und Kunstkritikers Térade (1897 – 1983) gedacht. Er gab 27 Malerbücher heraus und ihm ist zu verdanken, dass die nach dem frühen Tod des Verlegers Vollard liegengebliebenen „Die toten Seelen“ Gogols 1948 und „Die Bibel“ 1956 in der Edition Tériade vollendet werden konnten. Zwischen den 1920er und 1960er Jahren arbeitete der große Netzwerker Tériade mit vielen bedeutenden Pariser Künstlern zusammen: Von Henri Matisse, Pablo Picasso, Alberto Giacometti und anderen zeigt die Sonderausstellung über 70 Exponate, von denen die gegenständlichen Zeichnungen Giacomettis, die seinen Weg vom Atelier zu Tériade Büro genau abbilden, am meisten überraschen.

Die Ausstellung „Marc Chagall/Bildsprachen“ im Kunstmuseum Pablo Picasso Münster ist überzeugend kuratiert. Sie ist mitreißend im besten Sinne, weil sie nicht überwältigt staunend vor großen Werken still verharren lässt. Vielmehr reißt sie von einer Bild-Idee zur nächsten mit bis zur gültigen Form. Meret Meyer würdigt mit ihrer Schenkung auch ausdrücklich dieses Ausstellungs-Format, mit dem ein neuer Blickwinkel auf Chagall erschaffen werde.
Die Ausstellung „Marc Chagall/Bildsprachen“ im Kunstmuseum Pablo Picasso Münster läuft bis 9. Juni 2025.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr.
Eintrittspreise: Erwachsene 12 €, ermäßigt 10 €, Familienkarte 24 €, Kinder bis 6 Jahre frei, ältere Kinder und Jugendliche 5 €.
Kontakt: info@picassomuseum.de
Zu der Ausstellung ist im Hirmer-Verlag ein vorbildlicher, reich bebilderter Katalog mit 224 Seiten und klaren Texten zu 197 Abbildungen erschienen.
Preis im Museumsshop: 39,90 €.