Münster, Historisches Rathaus, AND NOW HANAU - Schauspiel Tugsal Mogul, IOCO Kritik, 02.06.2023

Münster, Historisches Rathaus, AND NOW HANAU - Schauspiel Tugsal Mogul, IOCO Kritik, 02.06.2023
Historisches Rathaus Münster © Hanns Butterhof
Historisches Rathaus Münster © Hanns Butterhof

AND NOW HANAU - Schauspiel von Tugsal Mogul

- Dokumentarisches Überwältigungs-Theater - im historischen Rathaus Münster -

Von Hanns Butterhof

Im Rathausfestsaal des historischen Münsteraner Rathauses, in dem 1648 der  Westfälische Frieden geschlossen und damit der 30-jährige Krieg beendet wurde, erlebte symbolträchtig nach seiner Uraufführung im Rahmen der Ruhrfestspiele And now Hanau von Tugsal Mogul seine zweite Aufführung. Das Dokumentar- und Recherchestück handelt von der Ermordung von neun Menschen aus rassistischem Menschenhass, Fatih Saraçoglu, Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtovic, Kaloyan Velkov, Mercedes Kierpacz, Said Nesar Hashemi, Sedat Gürbüz und Vili Viorel Paun. Der rechtsextreme Täter tötete nach seinen Untaten noch seine Mutter und sich selber.

Im symbolschweren Rathausfestsaal sitzt das Publikum in U-Form in Augenhöhe dicht um die Spielfläche. Zwei Schauspielerinnen und zwei Schauspieler in schwarzen Overalls bauen die Bühne auf, einen weißen Tisch und zwei weiße Stühle, bevor es mit der Feststellung losgeht, hier sei jetzt ein Ort der Gerechtigkeit und der Aufklärung.

Historisches Rathaus Münster / AND NOW HANAU hier Tim Weckenbrock, Regina Leenders, Agnes Lampkin, Alaaeldin Dyab © Bettina Stoess
Historisches Rathaus Münster / AND NOW HANAU hier Tim Weckenbrock, Regina Leenders, Agnes Lampkin, Alaaeldin Dyab © Bettina Stoess

And now Hanau ist mehrdimensional. Da ist zunächst die minutiöse Darstellung des Tathergangs, spannend wie ein Krimi. In der raschen Abfolge der Schilderung durch die Schauspieler in verschiedenen Rollen entsteht ein dichtes Bild des brutalen Geschehens, bei dem man den Täter von Schauplatz zu Schauplatz zu begleiten vermeint. In diese Schilderungen ist das Gedenken an die Opfer eingeflochten, deren Bilder – bis auf eine Ausnahme wegen des Einspruchs der Angehörigen – auf einem Video-Monitor gezeigt und deren Persönlichkeit durch die engagierten Schauspieler in der Rolle von Angehörigen ergreifend vor- und dargestellt wird; man kann unmittelbar nichts anderes als um die unglücklichen Opfer trauern.

Mittrauern möchte man auch mit ihren Angehörigen, aber das lässt das Stück kaum zu. In ihrer Beschreibung der Tatnacht und späteren Erlebnisse tritt Empörung über das Verhalten von Polizei und Politik in den Vordergrund. Was sie schildern, spricht von einer haarsträubend uneinfühlsamen und konfusen Polizeiarbeit unmittelbar nach den Morden und unglaublicher Arroganz und versteinerter Abwehr durch die Politik. Für die scheint sich der Fall mit all den vielen Fragen zur Tat, die sich auch anhand der sorgfältigen Recherchen der von den Angehörigen beauftragten Agentur „Forensic Architecture“ dringlich stellen, mit dem Tod des Täters erledigt zu haben.

Aus der Empörung der Angehörigen speist sich dann die Anklage. Die aber richtet sich nicht mehr gegen Polizei und Politik, sondern generell gegen alle Nicht-Opfer; gleich zu Beginn wird das Publikum unter Rassismus-Verdacht gestellt: „Ihr habt Angst“, spricht ein Schauspieler das Publikum an, „aber vor uns, nicht vor dem Täter und dem Rechtsradikalismus!“ Das findet seine Steigerung in der Aussage, Hanau sei überall und einer Gleichsetzung der sich bedroht Fühlenden mit den Juden im III. Reich. Mit einem Zitat Shylocks, des jüdischen Kaufmanns von Venedig in William Shakespeares gleichnamigem Schauspiel, stellt sich ein Angehöriger mit diesem in eine Reihe: “Wenn Ihr uns stecht, bluten wir nicht? ...Wenn Ihr uns vergiftet, sterben wir nicht?“ Solchen übertreibenden Fehlgriff mag man Angehörigen in ihrem Schmerz zugestehen. Aber das Theaterstück behauptet deren Perspektive als Wahrheit und leitet daraus die Aufforderung zum Handeln ab, erst zu einer Schweigeminute für die Opfer, dann zum Umbenennen von Straßen mit deren Namen.

Trailer AND NOW HANAU youtube Theater Münster [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Das Stück in der Regie des Autors und das fesselnde Spiel von Alaaeldin Dyab, Agnes Lampkin, Regina Leenders und Tim Weckenbrock zieht mit seiner ungebrochenen Angehörigen-Perspektive, den Übertreibungen, Verallgemeinerungen und der nach außen statt nach innen zielenden Handlungsorientierung der Betroffenheit den Boden unter den Füßen weg. Es produziert Schuldgefühle im Publikum, die widerstandslos und unkritisch gegen die Folgerungen aus den zu Recht irritierenden Verhaltensweisen der Behörden machen: Aus gut gemachtem dokumentarischem wird so nur gut gemeintes Überwältigungs-Theater.

Nach eineinhalb aufregenden Stunden stehend dargebrachter Beifall des Premierenpublikums für die Schauspieler und den anwesenden Autor.

AND NOW HANAU - Landgericht Münster  - Weitere Vorstellungstermine 07.06.2023, 19.00; 09.06.2023, 19.00; 15.06.2023, 19.00.

Legende: 1) v.li.: Tim Weckenbrock, Regina Leenders, Agnes Lampkin, Alaaeldin Dyab

Foto: Bettina Stöß

  • Das Rathaus von Münster. Foto: Hanns Butterhof

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