München, Prinzregententheater, Pelléas et Mélisande - Claude Debussy, IOCO

Die Opernpremiere der Münchner Opernfestspiele von Pelléas et Mélisande von Claude Debussy präsentiert zeitgenössische Oper und ein Meisterwerk des musikalischen Impressionismus ......

München, Prinzregententheater, Pelléas et Mélisande - Claude Debussy, IOCO
PRINZREGENTENTHEATER - Prinzregentenplatz, München @ Petra Schhneider

Die Tradition der Münchner Opernfestspiele reicht bis in das Jahr 1875 zurück, als zum ersten Mal ein „Festlicher Sommer“ veranstaltet wurde. Diese Tradition wird auch unter der Intendanz von Serge Dorny fortgeführt. Die Münchner Opernfestspiele 2024 zeigen die Neuproduktionen der Spielzeit, die sich auf den Leitgedanken „Ein Brunnen, der in den Himmel schaut“ berufen. Die zwei Opernpremieren der Münchner Opernfestspiele, Le Grand Macabre von György Ligeti und Pelléas et Mélisande von Claude Debussy, präsentieren zeitgenössische Oper und ein Meisterwerk des musikalischen Impressionismus.

von Getong Feng / IOCO

Am 9. Juli fand mit Pelléas et Mélisande die letzte Premiere und das Highlight dieser MÜNCHNER OPERFESTSPIELE 2024 im Prinzregententheater statt. Regie führte die niederländische Regisseurin Jetske Mijnssen, womit sie erstmals eine Produktion an der Bayerischen Staatsoper vorstellte. Der musikalische Leiter Hannu Lintu, Chefdirigent der Finnischen Nationaloper in Helsinki und des Orquestra Gulbenkian in Lissabon, debütierte mit dieser Inszenierung ebenfalls an der Bayerischen Staatsoper.

Pelléas et Mélisande - Trailer youtube Bayerische Staatsoper

Pelléas et Mélisande – Uraufführung am 30. April 1902 an der Pariser Opéra comique – stellt ein Meisterwerk des musikalischen Impressionismus dar. Der Komponist, Claude Debussy, gab ihr die Gattungsbezeichnung „Drame lyrique“. Das französischsprachige Libretto folgt dem gleichnamigen Schauspiel von Maurice Maeterlinck (1893).

Die Handlung: Pelléas et Mélisande ist eine tragisch endende, märchenhafte Dreiecksgeschichte um die Halbbrüder Golaud und Pelléas und die von beiden geliebte, geheimnisvolle Mélisande. Prinz Golaud hat sich im Wald in der Einsamkeit verirrt und trifft auf die weinende Mélisande. Er heiratet Mélisande und kommt mit ihr zusammen nach Hause zurück. Dort lernt Mélisande den Halbbruder von Golaud, Pelléas, kennen. Pelléas und Mélisande verlieben sich. Beim verabredeten Treffen küssen sie sich, Golaud hält sich in der Nähe versteckt und sticht Pelléas nieder. In der Schlussszene hat Mélisande eine Tochter geboren. Golaud will die Wahrheit über ihre Beziehung zu Pelléas erfahren. Doch sie weiß nichts mehr von den Geschehnissen und stirbt.

Das bürgerliche Leben der Zeit 1902 als Bühne

Pelléas et Mélisande ist eine Tragödie der Innerlichkeit, rätselhaft, morbid, tieftraurig und voller Schönheit. Die äußere Handlung ist für Maurice Maeterlinck nicht Kern des Dramas, vielmehr versucht er tiefer in das menschliche Bewusstsein hinabzusteigen. Mijnssen greift in ihrer Neuinterpretation des Stücks diesen Kern auf, um die Handlung von Pelléas et Mélisande in die Zeit der Uraufführung der Oper 1902 zu verlegen. Eine bürgerliche Umgebung tritt an die Stelle typischer Märchenorte aus einer märchenhaft-unkonkreten Vergangenheit. Jenes bürgerliche Leben ist für die Regisseurin eine verklemmte Welt mit strengen Regeln und hochgeschlossenen Kleidern. Deshalb tragen alle Protagonisten konservative Kostüme in den kühlen Farben Schwarz, Weiß, Grau, Dunkelblau und Dunkelgrün, die vor dem schwarzen Hintergrund zusammen mit dem schwachen Kerzenlicht in den meisten minimalistischen Szenen eine geheimnisvolle Atmosphäre schaffen – ermöglicht durch die tolle Zusammenarbeit des Kostüm- und Bühnenbildner Ben Baur mit dem Lichttechniker Bernd Purkrabek. Eine solche Bühne muss an viele Gemälde von Caravaggio erinnern. Der fast vollständig dunkle Hintergrund trägt zur Spannung des Dramas bei, indem er die Aufmerksamkeit auf die Protagonisten lenkt.

Nicht nur die äußerlichen Kostüme und Bühnenbilder, sondern auch die zarten und feinen Gefühle der Protagonisten werden sorgfältig an die bürgerliche Welt um 1900 angepasst. Mélisande und Golaud treffen sich bei Maeterlinck verirrt und einsam im Wald. Mijnssen versucht, diese Waldeinsamkeit in eine soziale Situation zu übersetzen. Mélisande und Golaud kommen auf ein großes Fest. Alle Gäste tanzen und plaudern, aber die beiden stehen allein herum und nehmen nicht an der Fröhlichkeit teil. In dieser Situation finden die beiden Einsamen zueinander. Obwohl alle Szenen in Innenräumen spielen, ist die Natur auch in dieser Inszenierung wie bei Maeterlinck ein wichtiges Element, das als Symbol für die Innenwelt der Figuren fungiert.

Hannu Lintu über die Musik der Pelléas et Mélisande

Symbolismus: Wasser als Vorboten des Schicksals

Bei Maeterlinck erscheinen Landschaftselemente als Vorboten des Schicksals. In Pelléas et Mélisande spielt das Wasser eine besonders große Rolle, es wird als geheimnisvoll und unendlich dargestellt. Ein wichtiges der Wassermotive ist die Quelle der Blinden. Mélisandes Ring geht dort verloren, und am selben Brunnen fällt Pelléas durch Golauds Schwert. Mélisande möchte den Grund des Wassers sehen, aber das Wasser ist so tief wie das Meer, so rätselhaft wie Mélisande.

In dieser Inszenierung behält die Regisseurin das Element Wasser als roten Faden bei. Man kann anhand von Pelléas’ und Mélisandes immer intensiveren und gefährlicheren Interaktionen mit dem an der Front der Bühne verlaufenden wassergefüllten Kanal deutlich erkennen, dass ihre Liebe zueinander im Verlauf der Handlung tiefer wird und sie schließlich in den Abgrund reißt. Pelléas warnt Mélisande im ersten Akt, dass sie Vorsicht beim Spiel mit dem Wasser walten lassen soll. Er selbst berührt das Wasser nicht. Im dritten Akt zieht Pelléas die Schuhe aus und spielt vorsichtig barfuß im Wasser. Am Ende des vierten Aktes, als Mélisande gesteht, Pelléas schon immer geliebt zu haben, spielen Pelléas und Mélisande mit nassen Schuhen glücklich zusammen im Wasser. Mélisande hält das Wasser in ihren Händen, wäscht ihren Hals und macht ihr Kleid nass. Die beiden feiern im Wasser und vergessen die Gefahr der verbotenen Liebe. Für einen kurzen Augenblick der Geschichte  ist Mélisande endlich glücklich. Im fünften Akt stehen alle Protagonisten im Wasser, mehrere Kanäle durchziehen nunmehr die Bühne, Mélisande ist im Begriff zu sterben, die Liebe bleibt auf immer tief und rätselhaft wie das Wasser.

Wir bleiben ein Rätsel

Am Ende sagt Pelléas’ Großvater Arkel über Mélisande: „Sie war so ein kleines Wesen, so ruhig, so schüchtern, so still. Sie war ein armes kleines Wesen voller Rätsel, wie alle Menschen“. Das ist für Mijnssen der Kern dieser Oper: Wir bleiben den anderen und sogar uns selbst ein Rätsel. Golaud versucht von Anfang an, die Wahrheit zu entdecken. Er möchte wissen, wie alt Mélisande ist, aber bekommt nur die unverständliche Antwort: „Mir wird kalt.“ Er schreit hysterisch am Ende des Stücks, als Mélisande im Sterbebett liegt: „Schnell! Schnell! Die Wahrheit! Die Wahrheit!“ Aber, gibt es eine Wahrheit über Mélisande? Gibt es eine Wahrheit über die Liebe und das Leben?

Pélleas et Mélisane hier Ensemble - Szenefoto @ W Hoesl

Starke Besetzung

Mit kristalliner Anmut sang Sabine Devieilhe als Mélisande die Arie Mes longs cheveux descendent („Mein langes Haar fällt tief“), das Publikum musste bei ihrem reinen Sopran den Atem anhalten. Gleichsam als Kommentar auf ihrer exzellenten Gesangstechnik erklangen die von Ben Bliss als Pelléas mit heller, leichtfüßiger Stimme vorgetragenen poetischen Worte: „Was tust du da am Fenster und singst wie ein Vogel, der nicht von hier ist?Christian Gerhahers Stimme gelang es, die breite Palette von Golauds Emotionen auszudrücken: zwischen Eifersucht, Wut und Verzweiflung. Franz-Josef Selig, dem Wagnerbass, glückte als Arkel das Charakterporträt des Familienoberhauptes. Felix Hofbauer, Solist des Tölzer Knabenchors als Yniold, stellte mit tadellosem Schauspiel das in den Mustern dieser Familie feststeckende Kind dar, das gesamte Publikum spendete ihm großen Beifall. Hannu Lintu im Graben mit dem Bayerischen Staatsorchester ließ die intensiven Emotionen und das vielschichtige Seelenleben der Protagonisten mit Genauigkeit hervortreten.