München, Gärtnerplatztheater, Hoffmanns Erzählungen - Jacques Offenbach, IOCO Kritik, 10.02.2022
Staatstheater am Gärtnerplatz München
Hoffmanns Erzählungen - Jacques Offenbach
Schwermut - frostig kühles, weiß-blaues Licht inmitten von Särgen
von Daniela Zimmermann
Jacques Offenbach erlebte am 10. Februar 1881 die Uraufführung von Hoffmanns Erzählungen, wohl sein größtes Werks, in der Pariser Opera-Comique nicht mehr. Er starb am 5. Oktober 1880. Die Autoren von Hoffmanns Erzählungen (Les Contes D´Hoffmann), die Franzosen Jules Barbier und Michel Carré, waren große Bewunderer von E.T.A. Hoffmann (1776 – 1822), von dessen Karikaturen, Erzählungen, Satiren. In ihrem populären Drama Les Contes D´Hoffmann integrieren sie den Menschen E.T.A. Hoffmann in dessen Erzählungen Der Sandmann, Rat Krespel, Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild, Serapionsbrüder. Jacques Offenbach wiederum komponierte 1877 aus diesem 1851 in Frankreich entstandenen, fantastischen Drama die Oper Les Contes D´Hoffmann, i.e. Hoffmanns Erzählungen.
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Am Gärtnerplatztheater wird Hoffmanns Erzählungen nun nach der quellenkritischen Ausgabe von Fritz Oeser gespielt. Gesungen wird meist in Deutsch; einige große Arien, so das Olympia Couplet „Les oiseaux“, Antonias „Tourturelle“ Romanze sowie das Chanson d’amour -Duett mit Hoffmann und die Barcarolle werden auf Französisch gesungen.
Jacques Offenbachs Oper lebt nun auch am Gärtnerplatztheater wieder auf: in der Neuinszenierung des italienischen Regisseurs Stefano Poda, welcher auch Chorographie, Bühne, die Kostüme und das Licht gestaltete. Das Bühnenbild wirkt sehr kühl und etwas trostlos. Viel „Schwarz“, auch die Kostüme, aufwendig schön, erinnern an Zeichnungen aus der damaligen Zeit, von Toulouse-Lautrec. Hauptausstattung der Bühne sind Vitrinen, bestückt je nach Scene mit Puppen, berühmte Sängerinnen oder käufliche Damen abbildend. Ein frostiges, kühles weiß-blaues Licht unterstreicht die Aussichtslosigkeit der Darstellungen.
E.T.A. Hoffmann, der Dichter und Komponist trifft zum allabendlichen Trinkgelage in Lutters Weinkeller ein, wo er seine Freunde mit dem Lied von Kleinzack unterhält. Es ist düster-dunstig in Lutters Weinkeller; alle und alles ist benebelt vom vielen Alkohol und seiner Wirkung. Hoffmann hackt in schwarzes Leder gehüllt auf einer Schreibmaschine. Im Geiste mit einem Wiedersehen der Diva Stella, beschäftigt, entwickelt er im empathischen Liebesrausch, Erzählungen von drei anderen früheren Liebesabenteuern.
Hoffmann wird von Cameron Becker dargestellt. Mit kräftig sicherem Tenor singt er die große Titelpartie dieses Spätwerkes, mit bleibend gestaltender Darstellungskraft; stets begleitet, von seinem Freund Niklas, seiner Muse (Emma Sventelius). Hoffmanns erste unglückliche Liebe gilt der lebenden Puppe Olympia. Ihr Schöpfer Spalanzani (Caspar Krieger), hat zu einer Veranstaltung geladen, in welcher er in Vitrinen acht „menschliche“ Puppen vorstellt, alle in roten Netzkleidern, welche sich minimalistisch bewegen. Faszinierend, wie perfekt die „Puppen“ sich bewegen. Olympias (Andrea Zidarics) schwierige, wunderbar gesungene Koloraturen rühren den Besucher von Beginn an. Hoffmanns Gegenspieler, der mysteriöse Coppelius, hatte Hoffmann eine rosarote Brille verkauft, durch welche er Olympia verklärt wahrnimmt. Doch in wildem Durcheinander geht diese Brille kaputt, Coppelius zerstört, und Hoffmann begreift, dass seine Liebe nur einem Automaten galt. Matija Meic ist als Lindorf, Coppelius, Dr. Mirakel, Dapertutto Gegenspieler von Hoffmann. Ganz elegant in schwarz und mit tiefem Bariton, meistert er seine großen Rollen darstellerisch und stimmlich mitnehmend.
Hoffmanns Liebe gehört Antonia, der er wieder begegnet. Begnadet mit dem Talent ihrer Mutter einer herrlichen Stimme, aber ebenfalls von der Mutter her, belastet mit einer tödlichen Krankheit. Nicht zu singen, wäre Lebensrettend. Das Bühnenbild ist wieder voll mit den Vitrinen, die aber hier durchsichtige Särge symbolisieren. In diesen Särgen zum Thema passend, begegnen wir lauter berühmten Sängerinnen, des 20.und 21. Jahrhunderts. Alle gleich in glitzernde Kaftane gekleidet, aber von den Gesichtern, Frisuren und Posen her, absolut zu erkennen: Tebaldi, Callas, Joan Sutherland, Montserrat Caballé, Martha Mödl und die kürzlich verstorbene Edita Gruberova. Ein gläserner Sarg aber ist leer; er ist bestimmt für Antonia, neben ihrer Mutter, Angelina de Angeli. Antonia träumt beständig von einer Gesangsarriere, singt sich schließlich in den Tod. Judith Spießer singt die Antonia voller Emotionen.
Im dritten Liebestraum verfällt Hoffmann in Venedig, der Kurtisane Giulietta, Camille Schnoor ist eine kühle, raffinierte Verführerin. Die Vitrinen auf der Bühne sind gefüllt, dieses mal mit lauter leichten Damen, gehüllt, verführerisch in weiße durchsichtige Netzhaut Kleider. Auf den Köpfen silbrige Motorradhelme mit Glasscherben und Diamanten bestückt, ein Blickfang: Hoffmann verfällt hier Giulietta. Aber er ist nicht allein in diesem Rennen: Dapertutto (Matija Meic´) verlangt Hoffmanns Spiegelbild und Giulietta mit ihren Verführungs-künsten, hilft ihm. Am Ende jedoch verlacht Giulietta Hoffmanns Liebe; er bleibt zurück,allein, verloren und ohne Spiegelbild.
Lutters Weinkeller kehrt in letzten Bild zurück auf die Bühne. Inzwischen sind alle dem Alkoholausgeliefert; in Hoffmanns Kopf verschwimmen die Bilder von Olympia, Antonia, Giulietta mit Stella. Als sie ihn suchend findet, gibt er ihr den Laufpass. Anlass seines Freundes Niklas, sich als seine Muse zu demaskieren. Endlich gehört Hoffmann konkurrenzlos vollkommen ihr und damit allein der Kunst.
In dem bisher dunstig-dunklen Lutters Weinkeller entsteht nun eine strahlend weiße Erlösungs-Stimmung, ein Paradies für die Muse . Dazu regnet es vom Himmel herunter Blätter voller Kompositionen und Geschichten E.T.A Hoffmanns. Alles ist hell und leuchtend, was vorher schwarz und traurig war. „Groß durch die Liebe, grösser durch den Schmerz“! ist der Schlussgesang.
Das Orchester dirigierte Antony Bramall und führt es passend mit großer Einfühlung und Energie durch die meist schwermütige Inszenierung.
Die Corona-bedingte niedrige 50% Auslastung des Gärtnerplatztheaters wirkt sich angenehm auf die Akustik und die ganze Theater-Atmosphäre aus. Das Publikum war vom Ensemble, dem Orchester, der Inszenierung begeistert
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