Münster, Theater Münster, MEDEA - TanzTheater - Thomas Noone, IOCO Kritik, 28.11.2019
MEDEA - Getanzter Schrecken
Thomas Noone bleibt dem Thema Fremdheit treu
von Hanns Butterhof
Mehrfach hat sich das TanzTheater Münster mit der Fremdheit befasst und etwa in Unknown Territorries oder der Winterreise intensive Studien dazu gezeigt. Jetzt hat Tanztheater-Chef Hans Henning Paar sein Ensemble zum zweiten Mal Thomas Noone anvertraut. Der britische Choreograph hat mit seiner eigenen, in Barcelona beheimateten ThomasNooneCompany bereits 2014 eine Medea aufgeführt. In einer für Münster überarbeiteten Fassung greift er mit dem Tanzabend Medea einen europäischen Grund-Mythos der Fremdheit und missglückten Integration tänzerisch beeindruckend wieder auf.
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Die Bühne des Kleinen Hauses ist leer bis auf eine leicht gebogene Wand, die die Tanzfläche nach hinten abgrenzt. Ihre Beleuchtung, einmal warmes Rotgelb, dann grellkaltes Weiß (Bühne: Hubertus Reuters, Lichtdesign: Peter Lundin), unterstützt die emotionale Färbung der einzelnen Szenen. Wenn die Wand die Mauern der Stadt Theben bedeutet, dann findet die Handlung sinnigerweise vor ihr statt: Medea bleibt eine nie in der europäischen Stadt integrierte Fremde.
Das Stück beginnt nach Medeas Flucht aus ihrer „barbarischen“ Heimat Kolchis mit dem griechischen Abenteurer Jason. Ihm hatte sie aus Liebe geholfen, das ihr als Priesterin anvertraute Stammes-Heiligtum zu rauben, das Goldene Vlies. Es geht Noone mehr um Atmosphäre und Spannung aus den unaufgelösten Gegensätzen vor Theben als darum, die Handlung vollständig zu vertanzen.
Medea (Elizabeth Towles) tritt, wie alle in düsteres Blaugrau gekleidet (Kostüme: Marc Udina Duran), mit entschlossenem Schritt auf. Mit eckigen, exotischen Bewegungen und fliegenden Händen vergegenwärtigt sie sich ihre Situation; die wellenförmig wiederkehrende elektronische Musik Jim Pinchens erzählt von ihrer Erinnerung an die lange Fahrt auf dem Schiff und von Jasons verflossener Liebe.
In krassem Gegensatz zu Medea zeigen der König von Theben, Kreon (Keelan Whitmore), und seine Tochter Glauke (Tarah Malaika Pfeiffer) geschmeidige Eleganz und fließende, kulturell gebändigte Bewegungen.Kreon will den weichen Jason (Leander Veizi) als Mann für Glauke. In einer Art Schattenboxen misst Kreon dessen Fähigkeit, seine königlichen Herrschergesten zu imitierten, für Jason eine erfolgreiche Initiation, einst König in Theben zu werden. Glauke gibt mit schwächelndem Einknicken ihr Einverständnis zum Plan der Männer. Vor den Augen des hilflosen, sich unisono bewegenden Chors der Korinther (Fátima López García, Kana Mabuchi, Matteo Mersi, Adrián Plá Cerdán, Charla Tuncdoruk) beginnt dann der verzweifelte, zu Herzen gehende Kampf Medeas um ihren Mann. Jason greift nicht mehr nach ihr, sie muss seine Hände mit letztlich vergeblicher Kraft selber an ihren Körper drücken. Ihr folgendes Ringen mit Jason um die beiden gemeinsamen, in unschuldiges Weiß gekleideten Kinder (Maria Bayarri Pérez und Raffaele Scicchitano) ist atemberaubend, ein Höhepunkt des Tanzabends. Die Glieder aller Vier verschlingen sich in großer Dynamik und Präzision. Als rotiere ein endloses Band mit nicht nachlassender Kraft, werden die Kinder zwischen den Eltern hin- und hergerissen.
Als Medea die Aussichtslosigkeit ihrer Hoffnungen erkennt, tötet sie in getanztem Schrecken alle außer Jason. Hier hätte durchaus deutlicher werden können, dass seine Strafe ist, den Tod der Kinder zu überleben, die er Medea hatte entziehen wollen. Medea ist ein eindringlicher Beitrag zum Thema Fremdheit und eine tänzerisch beeindruckende Leistung des Ensembles zur anspruchsvollen, viel Dynamik und Athletik fordernden Choreographie von Thomas Noone.
Medea - TanzTheater am Theater Münster; die nächsten Termine: 5., 13., 20.12.2019, jeweils um 19.30 Uhr, am 25.12. um 18.00 Uhr
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