Münster, Theater Münster, Groteske - Bonn ist eine Stadt im Meer, IOCO Kritik, 28.09.2019
Bonn ist eine Stadt im Meer - Svenja Viola Bungarten
Quirlige Migrations-Groteske - Du sollst nicht nur die Eltern retten
von Hanns Butterhof
Ein grotesk fettes Paar ist in die Wüste aufgebrochen, um seine Ehe zu retten. Nun zankt es sich dort darüber, ob es sich um eine Dienst- oder Urlaubsreise handelt. Wie ihr Schicksal sich über viele groteske Stationen zu dem von Migranten entwickelt, entfaltet Sven Viola Bungartens Stück Bonn ist eine Stadt im Meer. Bei seiner Uraufführung im Kleinen Haus des Theaters Münster wurde es mit viel Beifall bedacht.
Die von Martin Miotk gebaute Einheitsbühne meint keinen bestimmten Ort, zeigt aber deutliche Zeichen von Katastrophen. Sie bietet in Tragflächen abgestürzter Flugzeuge mit Bildern eines Tsunamis verschiedene Öffnungen für die Auftritte der Schauspieler. Am spektakulärsten ist eine sich nach oben trichterförmig verengende Schräge, auf der sich lustig herunterrutschen und -purzeln lässt.
Die Inszenierung Simone Blattners steht nicht unter Realismusverdacht. Jeder Schauplatz wird von den Akteuren lauthals als „Wüste!“ oder „Flughafen!“ angekündigt, die Wirklichkeit dazu muss sich das Publikum denken.
Die Geschichte der beiden Fettwänste wird vom Pro- und Epilog einer deutlich hochneurotischen Kapitänin (Sandra Bezler) gerahmt, die sich vor Gericht – das offenbar das Publikum ist – dafür rechtfertigt, einen ihrer Matrosen nicht gerettet zu haben. Dabei stellt sich langsam heraus, dass sie mit ihre Fregatte „Bonn“ die eigenen Eltern in einem havarierten Boot voller Migranten hatte untergehen lassen. Sie hatte sich nicht vorstellen können, dass es wirklich ihre Eltern waren, die es in diese Situation verschlagen hatte, und sie hatte keinen Befehl, die Migranten zu retten. Das hatte nur der Matrose versucht.
Ihre Eltern sind die beiden übermäßig aufgeblasenen Durchschnitts-Urlauber Vero S. (Ulrike Knobloch) und ihr Mann Uwe (Mirco Reseg). Deren Odyssee beginnt damit, dass ihnen das außerirdisch aussehende, in Reiseprospekte (Kostüme: Andy Besuch) gekleidete Aussteiger-Pärchen Vega und Ulvi S. (Lea Ostrovskiy und Paul Maximilian Schulze) ihr Auto samt Geld und Papieren klaut.
Ohne Geld sind Vero und Uwe für ihr Hotel uninteressant und werden hinausgeworfen. Vor der Botschaft werden sie von einer sturzbetrunkenen Angestellten abgewimmelt, da sie ohne Papiere auch nicht deutlich machen können, dass sie berechtigt Hilfe einfordern. So müssen sie sich irgendwie zu ihrem Kreuzfahrtschiff durchschlagen. Dabei machen sie die ganze elende Migranten-Prozedur durch. Sie arbeiten sich in einem Bergwerk die Finger wund, durchqueren auf einem überfüllten LKW die Wüste und kommen doch zu spät: ihr Schiff ist schon weg.
Schließlich erhalten sie von einem pornoschicken Schlepper-Pärchen (Sandra Bezler und Christoph Rinke), das ihre Weiterbeförderung übernimmt, polit-ökonomische Nachhilfe. Die beiden erklären mit Verweis auf um sie blühende Landschaften, dass sie ihre Gewinne aus dem Menschenschmuggel im Inland anlegen; das trage mehr zu dessen Entwicklung bei als alle Entwicklungshilfe.
Als dann ihr Schlepperboot nicht von der „Bonn“ aufgenommen wird, obwohl die Fregatte so groß ist wie eine Stadt im Meer, erleiden Vero und Uwe S. das zu häufige Migranten-Schicksal und ertrinken.
Die mehr erzählten als erspielten Schrecknis-Szenen lässt das spielfreudige Ensemble mit viel Klamauk fast wie ein richtiges Theaterstück aussehen. Ob die Groteske das Elend der Migranten näher bringt, indem ihre Wirklichkeit an deutschen Eltern gezeigt wird, steht dahin. Aber das meint das Stück: Es gilt Menschen zu retten, nicht nur Eltern.
Nach hundert ohne Pause gespielten Minuten viel Beifall für alle Beteiligten, besonders für die sprechakrobatische Leistung Sandra Bezlers in vier Rollen und die anwesende Autorin.
Bonn ist eine Stadt im Meer - Schauspiel, Theater Münster; Die nächsten Termine: 5., 11., 19.10.2019 jeweils 19.30 Uhr
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