Münster, Theater Münster, Don Carlo. Ein Requiem - Verdi, IOCO Kritik, 07.11.2017

Münster, Theater Münster, Don Carlo. Ein Requiem - Verdi, IOCO Kritik, 07.11.2017
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Theater Münster

Theater Münster © Rüdiger Wölk
Theater Münster © Rüdiger Wölk

Don Carlo. Ein Requiem - Verdi / Schnittke

 Kuschender König Philipp - Im Zentrum von Münsters Don Carlo

Von Hanns Butterhof

In einem bunkerartigen Gelass sitzt ein ratloser König mit dem Rücken zum Publikum auf einem laubbedeckten Grabhügel. Daneben ein Sarg. Suchend schaut er sich um, nimmt dann die Krone ab und entzieht sich den Blicken. So rückt schon der Anfang von Don Carlo. Ein Requiem von Giuseppe Verdis Oper „Don Carlo“ (1867) unter Verwendung des “Requiems” von Alfred Schnittke (1977) am Großen Haus des Theaters Münster den König ins Zentrum und deutet auf sein Versagen voraus.

Theater Münster / Don Carlo - hier Stephan Klemm als ratloser König Philipp II. © Oliver Berg
Theater Münster / Don Carlo - hier Stephan Klemm als ratloser König Philipp II. © Oliver Berg

Verdis Oper fragt nach dem Verhältnis von menschlichem Leben und abstrakten Ideen, von Neigung und Pflicht, und so ist es nicht ganz willkürlich von Münsters regieführendem Generalintendant Peters und Generalmusikdirektor Berg, König Philipp II. von Spanien (Stephan Klemm) ins Zentrum ihres „Don Carlo. Ein Requiem“ zu stellen. Denn er trägt diesen Konflikt durchgängig und in seinem zentralen Monolog „Ella giammai m’amo!“ ergreifend aus, ohne ihn allerdings angemessen zu bewältigen.

Zwischen Pflicht und Neigung  zu stehen, seine Leidenschaften regieren zu können und eine auf Einsicht gegründete Balance mit den Anforderungen der Realität zu finden ist ein unbedingt menschlicher Grundkonflikt. Es gehört zum Erwachsenwerden, ihn immer riskant und oft auch schmerzhaft zu lösen

Theater Münster / Don Carlo - hier Filippo Bettoschi als Posa weist Carlo (Garrie Davislim) auf seine Pflichten hin. © Oliver Berg
Theater Münster / Don Carlo - hier Filippo Bettoschi als Posa weist Carlo (Garrie Davislim) auf seine Pflichten hin. © Oliver Berg

Alle Figuren um Philipp unterwerfen sich ihrer je eigenen Pflicht. So hat ihn seine Frau Elisabeth (Kristi-Anna Isene) des hohen Zieles Frieden zwischen Spanien und Frankreich wegen geheiratet und entsagt ihrer Liebe zu seinem Sohn Carlos, mit dem sie verlobt war. Rodrigo von Posa (Filippo Bettoschi) opfert sein Leben für das Ziel, die Freiheit für Flandern zu erreichen, und der Großinquisitor (Christoph Stegemann) lebt nur noch für die Herrschaft der Kirche. Selbst Carlos (Garrie Davislim), der fast bis zum Ende seiner Liebe zu Elisabeth unterworfen ist, ringt sich schließlich dazu durch, sein Leben der Pflicht zu widmen, die ihm Posa auferlegt hatte, die Freiheit erst Flanderns und später Spaniens zu erkämpfen. Nur vom Standpunkt einer hedonistischen Spaßgesellschaft aus kann der Übergang von der Neigung zur Pflicht als Schritt hin zum Tode begriffen werden.

Wie das Programmheft, das alle Gestalten im „Don Carlo“ als unter der Macht des Todes stehend beschreibt, legt das jedoch die düstere Einheitsbühne Rifail Ajdarpasics nahe. Sie ist ein bunkerartig düsterer Raum mit astlosen, in Kamine eingemauerten Baumstämmen, deren herbstliches Blattwerk wie aus einer anderen Welt durch Öffnungen in der Decke heruntersegelt. Ein Grabhügel unter Laub, ein wie ein Kreuz  hineingerammtes Schwert und ein Sarg sprechen überdeutlich von Tod.

Modrige Todeskühle überzieht auch die Inszenierung, legt sich auf das Spiel und den Gesang. Garrie Davislim als Carlo überzeugt in seinen lyrischen Partien, lässt aber alle Leidenschaft eines verzweifelt Liebenden vermissen. Auch Filippo Bettoschi als Posa lässt erst im Tod seinem warmen Bariton freien Lauf. Und Stephan Klemm als Philipp ist nur stimmlich mit seinem fest gegründeten Bass ein König. Er verkörpert statuarisch eher einen saturierten Bürger, der sich Sorge um die Treue seiner Frau macht. Er sieht die politische Lage, das Verhältnis zu seiner Frau und seinem Sohn völlig richtig. Darauf weisen die Schnittke-Partien musikalisch eindringlich, wenn auch szenisch kaum überzeugend hin. Aber Philipp versagt auf der ganzen Linie: Die Treuepflicht seiner Gattin gegenüber erfüllt er so wenig wie seine Vater- und Herrscherpflicht. Er hat vor allem Probleme mit der eigenen Gedankenfreiheit, bedient sich zwar seines eigenen Verstandes, wagt es aber nicht, seinen Einsichten die angemessenen Handlungen folgen zu lassen. Das Schwert, das er gegen den Großinquisitor erhebt, lässt er verzagt wieder sinken. Am Ende kuscht er vor der Macht des Großinquisitors, den Christoph Stegemann so gibt, wie man sich einen König vorstellen könnte, elegante Statur, kräftiger Bass.

Theater Münster / Don Carlo - hier Vor dem Großinquisitor (Christoph Stegemann) kuscht der König (Stephan Klemm) © Oliver Berg
Theater Münster / Don Carlo - hier Vor dem Großinquisitor (Christoph Stegemann) kuscht der König (Stephan Klemm) © Oliver Berg

Auch Kristi-Anna Isene, in unschuldiges Weiß gekleidet (Kostüme: Ariane Isabell Unfried), spielt Elisabeth wie in ihrer Entsagung erstarrt und ergreift erst am Ende bei ihrer Arie „Tu che la vanità“ mit klarem, in den Höhen etwas spitzem Sopran. Nur die Prinzessin Eboli (Monika Walerowicz) entzieht sich der allgemeinen Kühle und liefert mit ausdrucksstarkem Mezzo, vor allem auch in ihrer Arie „O don fatale!“ das Bild einer leidenschaftlichen, ihren Gefühlen folgenden Frau; dafür erntete sie den stärksten Beifall des Abends.

Verlagert die Regie Ulrich Peters’ die Konflikte mehr in die Psyche des Königs und entzieht der Handlung so die Lebenswärme, so kühlt  Golo Berg am Pult des Sinfonieorchesters Münster die Musik entsprechend herab. Was an Italianita aufscheint, wird durch die Einschübe des „Requiems“ von Alfred Schnittke (1934 – 1998) nicht nur beim großen Autodafé ausgebremst. Bei aller Nähe von Schnittkes „Requiem“ zu Schillers „Don Carlos“ liegt der ganzen Aufführung ein unerklärlicher Mangel an Zutrauen in Verdis ausgewogene Komposition zu Grunde, der durch keine szenisch-psychologische Verdeutlichung gerechtfertigt wird. Vielmehr wird so diesem „Don Carlo. Ein Requiem“ das Leben ausgetrieben.

Die in der gekürzten Mailänder Fassung gespielte, italienisch und lateinisch gesungene, deutsch übertitelte Oper dauert dreieinviertel Stunden.

 Don Carlo am Theater Münster; weitere Vorstellungen 11.11.2017; 17.11.2017; 12.12.2017; 22.12.2017; 25.12.2017; 05.01.2018; 02.02.2018

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