München, Staatstheater am Gärtnerplatz, Sinfonisches Ballett Jean und Antonin, IOCO Kritik, 09.04.2017
Staatstheater am Gärtnerplatz München
Sinfonisches Ballett - Jean und Antonin
Antonin Dvorák und Jean Sibelius
Von Daniela Zimmermann
Zwei große Klassiker der Sinfoniegeschichte legen das musikalische Fundament des sinfonischen Balletts Jean und Antonín von Michael Keegan-Dolan und Karl Alfred Schreiner für das Gärtnerplatztheater choreographiert. Die Vornamen der Komponisten sind Namensgeber des Ballett: Die Sinfonie Nr. 8 des Tschechen Antonín Dvorák von 1889/99 legt im 1. Teil den musikalischen Rahmen für das Ballett Antonin; den Rahmen für Jean bereitet im 2. Teil die Sinfonie Nr. 7 des finnischen Komponisten Jean Sibelius, entstanden 1918–1924. Beide Sinfonien beschreiben die Verbundenheit von Natur und Seele inmitten der langen Schöpfungsgeschichte.
Als Besucher von Jean und Antonín ergriff mich dessen Nähe zu gerade erlebten Schicksalsschlägen. Zwei Freundinnen und eine alte Tante hatte ich in den letzten Wochen beerdigt. Nun erlebte ich die Uraufführung des Ballett Antonin in der Reithalle, die Trauerfeier zu einer Beerdigung. Ein Sarg mit Blumen, mitten auf der Bühne platziert, war Mittelpunkt der Trauerfeier. Zwei Stuhlreihen rechts und links des Sarges füllten Trauergäste.
Antonin Dvoraks 8. Sinfonie gehört zu seinen erfolgreichsten Kompositionen, voll des heiteren Melodienreichtums. Sie entstand in seiner böhmischen Heimat, inmitten ländlich idyllischer Ruhe. Die Sinfonie spiegelt die ihn umgebene Natur wieder, ist voller Lebensfreude, trägt melancholischen Momenten; tiefe Religiosität ist allzeit spürbar. Doch ist diese so ergreifende Musik nicht allein zum Trauern, auch zum Feiern soll sie anregen. In einer der Todesanzeigen, die ich erhielt, stand „seid nicht traurig, wenn ihr an mich denkt, und traut euch ruhig zu lachen. Lasst mir einen Platz zwischen euch, so wie ich ihn im Leben hatte“.
Die lebensbejahende Aufforderung meiner verstorbenen Freundinnen fand ich in der Antonin - Choreographie von Michael Keegan-Dolan wieder: Der Sargdeckel auf der Bühne wird geöffnet und der Tote erlebt, zu den fast derben böhmischen Klängen Dvoraks, inmitten seiner trauernden Freunde, alle in eisig dunklen Farben, zunächst auf ihren Stühlen in tief empfundene Traurigkeit. Doch bald die Lebensfreude zurück: Rhythmisches Händeklatschen, auf den Boden knallende Schuhe, es wird geraucht, gegessen und gemeinsam geweint: "Wir brauchen alle einander", so die emotionale Botschaft der Tanzenden. Zum Ende, fast unbemerkt von den Freunden, erhebt sich der Tote, raucht eine "eine letzte Zigarette" und gibt diese seiner Lieblingsfrau weiter und entschwindet. Symbolisch zu seinem wie unserem Leben wird die Zigarette zum Symbol der Kürze unserer Lebenszeit als unser aller Vergänglichkeit. Bunte Luftballons am Sarg signalisieren, dass auch diese Seele in den Himmel fliegen möge. Die Trauernden sammeln sich um den Sarg mit der offenen Botschaft: Ist der Tod auch traurig, liebt das Leben, denn es ist so schön! Das Gärtnerplatz-Orchester unter Michael Brandstätter spielte Dvoraks einfallsreichen Melodienreigen dem Tanzverlauf angepasst mit großem Gefühl und Intensität.
Auch das Ballett Jean, Karl Alfred Schreiner choreographiert darin Jean Sibelius Sinfonie Nr. 7, beschreibt Tod und Vergänglichkeit. Es ist Sibelius´ letzte Sinfonie, er stellte sie 1924 mit Mühen und größeren Mengen Alkohols fertig. Das schwedische Publikum war bei der Uraufführung begeistert, vom Klang und der schöpferischen Vielseitigkeit des Werkes. Eine Musik über weite Landschaften, ohne Anfang und ohne Ende. Landschaften, in die der Mensch eingebettet, seinem eigenen Verfall ausgeliefert ist.
Eine leere Bühne auf der eine überdimensional große Kerze in einer Ecke Endlichkeit bezeugt. 18 Tänzer bewegen sich auf weißem Boden, allein oder in kleinen Gruppen, wie in einer eingefrorenen Seelenlandschaft. Alle sind gleich gekleidet in eisigem hellblau. Die Choreographie zeichnet den menschlichen Verfall durch ein Ensemble mit eingefrorener oder überzeichneter Motorik. Manche Tänzer kriechen matt und schlaff über den Boden, andere zeigen, der Sibelius´ Komposition folgend, menschliches Leben voll lodernder Energie. Sandra Salietti tanzt ein kämpferisches Solo der Lebensdynamik, aber auch sie verliert diesen Kampf. Zum Ende verlöscht alle Motorik, alles Leben bricht zusammen.
Begeisterter Applaus für Jean und Antonin: Er galt der ergreifenden Choreographie dieser Uraufführung wie den Tänzern des Ballett des Gärtnerplatztheaters.
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