München, Münchner Kammerspiele, #Genesis - der Schöpfungsmythos, die Genesis, IOCO Kritik, 03.02.2020
#Genesis - Der paradiesische Migrationshintergrund
Inszenierung: Yael Ronen, Bühne: Wolfgang Menardi, Licht: Jürgen Tulzer
von Hans-Günter Melchior
Am Anfang steht Damian Rebgetz allein da: vor einer Wand und salbadert auf Englisch allerlei daher, ich gehe, ich bleibe, fucking bavaria, I love bavaria, die Musik fällt aus und so weiter, die Immer-Lacher hat er auf seiner Seite, bis er sich verabschiedet, wirklich geht und losgehen kann, was eigentlich gemeint ist. Ein eher verzichtbarer Anfang, das übrige Ensemble steht am Bühnenrand und bemüht sich ein wenig gestisch um Teilnahme. Na ja, ein Versuch.
Der Vorhang öffnet sich dann endlich unter den Anfangsklängen aus Gustav Mahlers 5. Sinfonie, der wunderbaren Trompetenfanfare in Moll, die auf Schwergewichtiges einstimmt.
Die Bühne ist geradezu überwältigend gestaltet, ein das Kosmische darstellender Lichtring. Im Kreisinneren wechseln sich mythische Bilder ab, Michelangelo u. A., auch das Bühnengeschehen wiederspiegelnd, klein sind die Figuren auf der Bühne ins Kosmischen integriert, das ist wunderbar gemacht und nimmt gefangen, ist sehr gelungen –, der Schöpfungsmythos, eben die Genesis.
Für lange Minuten glaubt man wirklich in der Welt des Anfangs zu sein.
Abgesehen von ein paar zotigen und zuweilen gewollt witzigen Aberrationen geht es dann auf höchstem intellektuellem Niveau weiter. Debattiert wird auf allen philosophischen Ebenen über den Schöpfungsmythos, wie er dem 1. Buch Mose, also dem ersten Buch des jüdischen Tanach sowie der christlichen Bibel zugrundeliegt.
Da werden gewaltige Fragengeschütze aufgefahren. Wer ist Gott, wie ist Gott zu begreifen?
In der Tat ist Gott eine Antinomie im kant´schen Sinne, ein ens a se, also, ein Sein aus sich selbst heraus und von sich selbst, eine Selbstzeugung ohne kausalen Anfang, also ohne im menschlich verständlichen Sinne gezeugt worden zu sein. Ein Wesen also, das seine eigene Ursache ist. Was unserem Verständnis von Ursache und Wirkung, von dem Umstand also, dass alles Bestehende die Wirkung einer Ursache sein muss, und diese, die Ursache nämlich, wiederum Wirkung einer anderen Ursache ist und so fort, elementar widerstreitet. Gott ist einfach nur, und: er muss, nach diesem Verständnis in allem sein, im Guten wie im Bösen, selbst in den Lebensmitteln, so dass er sich am Ende selbst isst.
Das alles wird freilich höchst vergnüglich ausgebreitet und teilweise in unserer Alltagssprache, die den Alltagssorgen aufsitzt, erörtert, von der Schlange ist die Rede, die sich in den Schwanz beißt und vom Mann, dem es gelingt, sein Glied in den eigenen Mund zu stecken, gleichsam in einem Akt der Selbstbefruchtung. Man lacht über den Mann, der das versucht oder andeutet, lacht und begreift.
Adam und Eva treten auf – und Lilith, an die sich Adam partout nicht erinnern kann. Sie hätten sich im Paradies paradiesisch einrichten können, Adam und Eva, meint Gott, wären sie nicht so eigensinnig, habgierig und geil gewesen – und so verstandesgesteuert.
Überhaupt: Eva. Die Benachteiligte. Die Frau. Sie führt bewegte Klage darüber, dass sie ihre Existenz nicht einem eigenem Schöpfungsakt Gottes verdankt, sondern eher als Nebenprodukt aus einer Rippe Adams entstanden ist. Und schon sind wir bei der Sprache, einem anderen, gewichtigen Mythos, dem Wort, das nicht nur Gedanken tradiert, sondern ganze Gesellschaften formt und geschichtliche Auswirkungen hat, die bis heute Anlass von heftigen Debatten sind. Etwa was die Benachteiligung der Frauen in unserer gegenwärtigen Gesellschaft angeht, denen also ungerechterweise bereits im Mythos eine gewisse Minderwertigkeit, ein untergeordnetes Dasein, bescheinigt wird: Rippe des Mannes –, dass ich nicht lache. Männerhochmut. Und so wechselt schon mal Gott aus der Männergestalt in eine Frauengestalt, man amüsiert sich bei aller Nachdenklichkeit, wenn die Gottesattrappe von einem Mann zur Frau wechselt und der liebe Gott vom Stehaufmännchen zum Stehauffrauchen wird.
Und dann wieder das höchst gewichtige Problem nach der selbstverschuldeten Vertreibung aus dem Paradies: wie kam das Böse in die Welt, überhaupt die Differenzierung in Gut und Böse? Genau: durch die Ratio, den aufspaltenden, unterscheidenden, abwägenden Logos.
Kain tritt auf, beklagt sich im Jargon unserer Alltagsbesorgnis darüber, dass sich die Eltern kaum um ihn gekümmert haben. Und dass er zum Straftäter geworden ist, zum Mörder am Bruder, ein Ausgestoßener mit „paradiesischem Migrationshintergrund“. Das ist köstlich dargestellt und formuliert und auf der Bühne und im Bühnenhintergrund rotieren die Geschehnisse auf der kosmischen Scheibe, man lacht und bedenkt zugleich das Problem. Denn in der Tat ist der Verstand der Aufspalter und Begriffsdiktator und Verdinglicher von allem (s. Adornos Nicht-Identisches), zuletzt auch Verdinglicher des Menschen selbst durch den Menschen, die moderne Philosophie weiß das seit längerem und nennt sich Vernunftkritik. Warum man erst in der Neuzeit auf diesen Umstand aufmerksam wurde, ist ohnehin ein Rätsel. Ist doch der Mensch, als Subjekt, das einzige Wesen, das sich selbst und über sich selbst denken kann, also sich zum Objekt zu machen in der Lage ist, Subjekt und Objekt zugleich.
Und wie er das macht. Oder ist das etwa keine Verdinglichung, wenn wir zu bloßen Konsumenten degradiert werden, fast willenlose Opfer der Werbung, reine Produktionsgrößen im maschinellen Ablauf der Arbeitsprozesse, manipulierte Objekte einer undurchschaubaren Organisation der verwalteten Lebenswelt? Und so weiter…
Das alles kommt, wie gesagt, in dieser Aufführung jedoch nicht so schwer philosophisch daher wie es da steht, sondern eher flockig und mit Humor –, einem Humor freilich, der unter die Haut geht und manchem leichtfertigen Lacher von hinten ans Genick greift, he, Junge, denk erstmal nach, bevor du dich ausschüttest.
Kurzum: der Abend wurde nach etwas schleppendem Anfang zu einem intellektuellen Vergnügen, zu einer Aufführung mit Tiefgang, der auf den Wellen gescheiten Witzes ins Schweben geriet. Mehr kann man wirklich nicht verlangen. Bravo.
Bleibt noch die Erwähnung des hervorragenden Ensembles. Es hatte sichtlich Spaß an der eigenen Darbietung. Und es bestand aus Zeynep Bozbay, Daniel Lommatzsch, Wiebke Puls, Damian Rebgetz, Samouil Stoyanov und Jeff Wilbusch. Zum Teil agierten sie in wechselnden Rollen, einzelne hervorzuheben, vertrüge sich nicht mit der Gerechtigkeit. Ein Team, das auf die Zuschauer eine Wolke hob, von der aus die Welt sich ein wenig kleiner ausnahm als wir sie gewöhnlich nehmen. Großer Beifall - Zu Recht.
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