München, Bayerische Staatsoper, Il Turco in Italia, IOCO Kritik, 30.11.2017
Il turco in Italia von Gioacchino Rossini
Eine politisch herrlich inkorrekte Inszenierung aus 2007
Von Daniela Zimmermann
Gioacchino Rossini, 1792-1868, einer der bedeutendsten Opernkomponist seiner Zeit, war bekannt für charmante und witzige Ironie. Genau diese leichte Süffisanz zieht sich elegant durch die 1814 in Mailand uraufgeführte Oper Il turco in Italia wie durch dssen orginelle Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper. Regisseur Christof Loys Inszenierung ist gestanden, nämlich aus 2007. Doch in 2017 wahrlich noch nicht abgestanden. Mutig ist Loy, wenn er Rossinis bekannt provozierenden Humor mit politisch unkorrekten Klischees noch schräger bedient: Beginnend mit dem Vorspiel (Trailer) quellen aus einem mickrigen Wohnwagen unzählige Zigeuner, der Chor, Campingstühle und Picknick folgend, die zunächst ein erstes plattes Vorurteil in eigener Sache bedienen, „Von der Leichtgläubigkeit der Menschen leben wir…..gut....“, um dann Türken wie Italiener mit vorurteilreichen Doppeldeutigkeiten ähnlich schräg zu bedienen. Doch die Provinz siegt gelegentlich auch in Italien: Nach zahlreichen wie farbigen Episoden vereinen sich die Hauptakteure der Oper, Fiorilla und Don Geronio, spießig brav vor einem Röhrenfernseher. Bühnenbild und Kostüme Herbert Murauer. Sowohl die Kleidung als auch die Requisiten spiegeln das bella Italia der 50er Jahre
Der türkische Fürst Selim landet auf einem fliegenden Teppich in Neapel, wo er sofort die erst beste Frau, die ihm begegnet, anmacht. Fiorilla ist zwar mit Ehemann und Geliebtem schon gut ausgelastet, aber neuen Abenteuern trotzdem nicht abgeneigt: „Es ist keine größere Torheit als nur einen Mann zu lieben. Langeweile, nicht Vergnügen füllt dann die Tage“, singt sie voller Selbstbewusstsein. Dass Fiorillas Hingabe vor allem Männern mit gut gefüllten Brieftaschen gilt, ist eine weitere nette Bosheit des Librettos von Felice Romani. Als Fiorillas Gatte Don Geronio genug von ihr hat und sie aus dem Haus wirft, schluchzt sie voller Verzweiflung die Schrankwand mit den Schuhen an. Nicht nur der böse Witz, sondern auch die Figur des Theaterdichters Prosdocimo, der die Personen der Oper als Vorlage für ein Theaterstück benutzt und teilweise sogar arrangiert, lassen Romanis Libretto unkonventionell wie modern erscheinen.
Prosdocimo, ein Schriftsteller, mit kräftig reinem Bariton von Sean Michael Plumb stark dargestellt, muss ein Theaterstück schreiben, aber die zündende Idee fehlt ihm. Die Lösung: Das vor seiner Nase befindliches Musiktheater und die dort gespielte Oper, deren Akteure wie Handlung, werden für sein Stück verwendet. So arrangiert er die Fortgänge und greift aktiv steuernd in die Handlung ein. Nicht immer zur Freude der Akteure, weshalb er auch erhebliche Blessuren davon trägt. Aber er kommt zum Ziel ein Stück über seinen Freund Don Geronio zu schreiben, dessen junge Frau Fiorilla eine Affäre mit Don Narciso hat. Doch eine Gruppe von Zigeunern inspiriert ihn stattdessen zu einer Zigeuneroper (Introduktion: „Nostra patria è il mondo intero“).
Verwirrungen sind das Salz dieser Oper, wie das biedere aber moralisch korrekte Ende. Doch sind die Verwirrungen überraschend wie unterhaltsam. Fiorilla, hübsch, jung und verheiratet mit dem viel zu alten Witwer Don Geronio, liebt amouröse Abenteuer. Der türkische Fürst Selim landet, ganz orientalisch, mit Diener auf einem fliegenden Teppich an der Küste Neapels und verliebt sich flugs in Fiorilla; deren bisherigen Liebhaber, Don Narciso, ebenso flugs abgemeldet ist. Alle Aufmerksamkeit Fiorillas gehört nur noch dem Fürsten. Doch da existiert auch noch Zaide, Selims große Liebe, verstoßen wegen der falschen Nachrede der Untreue. Sie musste fliehen und landete auch da, wo just Fürst Selim gelandet ist, in Neapel.
Olga Peretyatko mit lyrischen Sopran und strahlend Koloraturstimme verkörpert die schöne Italienerin auch darstellerisch höchst ansprechend. Ihre große Arie im 2. Akt Squallida veste, e bruna in der sie sich verlassen wähnt, berührt mit ans Herz gehender Zerbrechlichkeit und Dramatik.
Ildebrando D’Arangelo singt Fürst Selim mit wohlfühlend markanter Bassstimme erobert als erotische Abenteuer suchender Papagallo natürlich auch Fiorilla, Olga Peretyatko. Beide zeigen hingebungsvoll ihre Zuneigung. Mit der in der Türkei vermeintlich üblichen Tradition, Frauen abzukaufen, findet Selim allerdings bei Ehemann Don Geronio wenig Gegenliebe. Don Geronio von Alessandro Corbelli mit Gefühl für die Komik der Opera Buffa und warmen Bass humorig wie darstellerisch sehr präsent .
Paula Iancic kämpft als unglückliche Zaide mit schönem, warmen Mezzosopran und verführerischem Bauchtanz (Foto oben) um ihren geliebten Selim, der ihr natürlich erst einmal erliegt um dann zwischen den beiden attraktiven Frauen nicht entscheiden zu können / wollen. Verlierer im Kampf um Fiorella ist ihr bisheriger Liebhaber, Don Narziso, von Michele Angelini mit schmelzigem hoher Tenor, viel Applaus in der Arie “Intensi, ah tutti intensi“, perfekt dargestellt. Das Durcheinander von Wünschen und Vorstellungen der Handlung löst ein Maskenball auf. So bleibt am Ende Zaide bei Selim, Fiorilla bleibt bei Ehemann Geronio; alle scheinbar zufrieden und glücklich: Eine Parabel?
Rossinis Musik verlangt fröhliche Leichtigkeit und Tempo. Antonello Allemandi und dem Staatsorchester erzeugen diesen italienisch lebendigen Klang voller Lebensfreude. Der Chor der Bayerischen Staatsoper überzeugte mit gewohnter Klangfülle wie mit originellen Darstellungen, mal als Ballgäste, dann als Bühnenarbeiter in T-Shirts mit auffälligem Bayerische Staatsoper - Logo.
Türke in Italien an der Bayerischen Staatsoper: Eine mutige Produktion, eine Freude bringende Aufführung, ein unterhaltsamer Abend, großer Beifall.
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