Montpellier, Opéra Comédie, MITRIDATE - W.A. Mozart
Montpellier: 10.04.2025 - Wolfgang Amadeus Mozart: MITRIDATE, RE DI PONTO (1770), Libretto von Vittorio Amadeo Cigna-Santi, nach der Tragödie Mitridate von Jean Racine in der italienischen Übersetzungmvon Giuseppe Parini.

10.04.2025 - Wolfgang Amadeus Mozart: MITRIDATE, RE DI PONTO (1770), Libretto von Vittorio Amadeo Cigna-Santi, nach der Tragödie Mitridate von Jean Racine in der italienischen Übersetzungmvon Giuseppe Parini.
von Peter Michael Peters
DIE ENTSTEHUNG EINES TRIUMPHES…
Già pietà mi spoglio,
Anime ingrate, il seno:
Per voi già sciolgo il freno,
Perfidi, al mio furor.
Padre ed amante offeso
Voglio vendetta, e voglio
Che opprima entrambi il peso
Del giusto mio rigor.
Perfidi, perfidi. (Arie des Mitridate / 2. Akt / Szene 13)

Der musikalische Ausdruck von Leidenschaften…
Die Uraufführung von Mitridate, re di Ponto im Jahr 1770 in Mailand markiert einen wichtigen Wendepunkt in Wolfgang Amadeus Mozarts (1757-1791) Leben. Dieses Meisterwerk, das er im Alter von nur vierzehn Jahren komponierte, verkörpert sowohl seine intime Kenntnis der musikdramatischen Formen der Vergangenheit als auch die visionäre Dimension seiner Kunst. Darüber hinaus spiegelt die Entstehung der Partition den Wendepunkt wider, an dem sich die Oper einerseits und der Status des Musikers in der Gesellschaft andererseits damals befanden.
Als sie 1769 ihre erste Reise nach Italien unternahmen, hofften der junge Wolfgang und sein Vater Leopold Mozart (1719-1787), eine Festanstellung für das junge Wunderkind zu bekommen. Dabei hofften sie, sich im harten Wettbewerb den einen oder anderen Großauftrag zu sichern. Die größte Anerkennung, die ein Komponist damals erlangte, war die Oper: Ein Genre, das Mozart seit seiner Kindheit ununterbrochen beschäftigt hatte. Die italienische Lyrik war damals in ganz Europa vorherrschend, mit Ausnahme Frankreichs, das seine eigene Tradition fortsetzte. Die aus komischen Zwischenspielen entstandene opera buffa wurde zwar geschätzt, genoss aber weniger Ansehen als die opera seria, die große musikalische Tragödie, deren Themen die Ideale des Adels widerspiegelten. In Österreich waren die Kenntnisse über die Feinheiten dieser Form begrenzt. Auf seiner Reise in die Heimat der Oper wollte Wolfgang unbedingt ihre Geheimnisse erfahren. Er wird die Möglichkeit haben, diesen Durchbruch während der drei Jahre zu erreichen, die er hauptsächlich in Italien verbrachte.
Bevor er nach Mailand kam, einer der Hauptstädte des Musiktheaters, hatte Mozart trotz seines jungen Alters bereits vier lyrische Werke komponiert. Im Alter von elf Jahren schrieb er den ersten Teil von Die Schuldigkeit des ersten Gebots, KV. 35 (1767), einem Oratorium, dessen weitere zwei Akte den Komponisten Michael Haydn (1737-1806) und Anton Cajetan Adlgasser (1729-1777) anvertraut wurden. Wolfgangs Partitur entstand im März 1767 im Erzbischofspalast in Salzburg und spiegelt sein perfektes Verständnis für die Behandlung gesungener Prosodie wider. Die Musik basiert auf einem der damaligen Praxis getreuen Wechsel von Arien und Rezitativen und ist unwiderstehlich frisch und einfallsreich. Da das Libretto jedoch praktisch frei von theatralischer Handlung ist, handelt es sich noch nicht um eine echte Oper. Im selben Jahr komponierte Mozart seine erste richtige Oper, Apollo und Hyacinthus, KV. 38 (1767) in drei Akten nach einem lateinischen Libretto, die als Zwischenspiel zu einer Tragödie diente, die von den Studenten der Universität von Salzburg rezitiert wurde. Die Musik spiegelt die Jugend der beteiligten Künstler – Sänger, Musiker, Komponist – und die Jugendlichkeit der aus Ovids, oder auch in lateinisch genannt Publius Ovidius Naso (43 v. J.C. – 18 n. J. C.) Metamorphosen (8 n. J. C.) übernommenen Argumentation wider. Das Opus ist ein großartiges, prägendes Werk für den jungen Mozart, dessen Erfolg zwar bezeugt ist, aber bis zum heutigen Tag relativ unbekannt blieb!

Während seines Aufenthalts in Wien im Jahr 1768 begeisterte das zwölfjährige Wunderkind den Hof mit seiner Verschmitztheit und der Frühreife seines Talents und zwar so sehr, dass Kaiser Joseph II. (1741-1790) ihm vorschlug, ihn mit der Komposition einer neuen Oper zu beauftragen. Er beauftragte den Impresario Giuseppe Afflisio (1722-1788) mit der Organisation der Produktion und sie entschieden sich, nach einem bereits vorhandenen Libretto des berühmten venezianischen Komödien-Autors Carlo Goldoni (1707-1793) La finta semplice, KV. 51/46a (1769) zu erarbeiten. Die zwischen April und Juli komponierten drei Akte von Wolfgangs erster opera buffa sind umfangreicher und weisen eine größere formale Freiheit auf als die der ersten lyrischen Versuche. Bestimmte Passagen kündigen seine zukünftige Meisterschaft des Genres, insbesondere in der Behandlung von Ensembles – Duetten, Trios – und den Finalen jedes Akts. Doch Musiker und Sänger weigern sich von einem zwölfjährigen dirigiert zu werden, sodass das Werk letztlich nicht wie geplant in Wien uraufgeführt wurde: Leopolds Beschwerden bei Joseph II. blieben wirkungslos. Nach dieser Enttäuschung spielte Mozart in mehreren Salons Auszüge aus seiner Partitur und zwar so oft, dass er in Wien erneut bei einem wohlhabenden Arzt namens Franz-Anton Mesmer (1734-1815) einen Auftrag erhielt. Bastien und Bastienne, KV. 50 wurde in wenigen Wochen komponiert und ist eine Pastorale in einem Akt und zugleich ein Singspiel, das heißt, es enthält keine gesungenen Rezitative im Wechsel mit den Arien, sondern gesprochene Passagen. Das kurze und leichte Werk basiert auf einer Parodie-Oper Le Devin du Village (1752) von Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) und wurde im Herbst 1768 vor einem kleinen Komitee im Haus des Auftraggebers aufgeführt. Einige Monate später, nach der Rückkehr von Mozart und seinem Vater in Salzburg, gelang es Leopold endlich La finta semplice im Mai 1769 aufzuführen: Eine kleine Rache „im italienischen Stil“, die die Abreise des Vaters und seines Sohnes in die Heimat der Oper geschickt einleitet.
Nach einem Zwischenaufenthalt in Verona, wo der Maler Saverio della Rosa (1745-1821) ein inzwischen sehr berühmtes Porträt von Mozart malte, kamen Leopold und Wolfgang am 23. Januar 1770 in Mailand an – einer wohlhabenden Stadt, die sich damals mitten in der Karnevalssaison befand. Mozart wusste es noch nicht, aber in dieser Stadt erhielt er Aufträge von drei Opern, die eine entscheidende Etappe in seinem Leben markieren werden: Mitridate, re di Ponto, der erste große Erfolg in seinem Leben bei Publikum und Kritik, dann Lucio Silla, KV. 135 (1772) und Ascanio in Alba, KV. 111 (1771). Da die Lombardei damals von Österreich beherrscht wurde, wurden Leopold und sein Sohn von ihrem Generalgouverneur, Graf Karl Joseph Firmian (1716-1782), empfangen, einem visionären Aristokraten, der sofort das außergewöhnliche Talent von Mozart erkannte. Er bot ihm die vollständigen Gedichte des größten Opern-Librettisten der Zeit als Geschenk an: Pietro Trapassi Metastasio (1698-1782). Wolfgang vertonte rasch mehrere Gedichte in Form von Arien, die bei privaten Audienzen im Haus des Grafen am 12. März gesungen wurden und sowohl diesen als auch einhundertfünfzig exklusiv eingeladenen Mailänder Persönlichkeiten sehr beeindruckten. Der Erfolg war so groß, dass Mozart sofort einen Auftrag für eine Oper des Teatro Regio Ducale in Mailand erhielt. Es ist eine mutige und riskante Entscheidung für einen Saal, der neben dem San Carlo in Neapel und dem San Benedetto in Venedig nach wie vor eines der drei größten Opernhäuser Italiens war. Nach dem Brand, den das Regio Ducale sechs Jahre später erlitt, wurde 1778 das berühmte Teatro alla Scala eingeweiht. Dieses Theater, in dem die letzten Opern der größten Komponisten dieser Zeit – Christoph Willibald Ritter von Gluck (1714-1787), Giovanni Battista Sammartini (1700-1775), Baldassare Galuppi (1706-1785), Niccolò Vito Piccinni (1728-1800), Tommaso Traetta (1727-1779) und Johann Adolf Hasse (1699-1783) -, uraufgeführt wurden, konnte sich vor allem mit seinen 42 Streichern als eines der bedeutendsten Orchester Europas rühmen.

Nachdem sie das Meiste von dem erreicht hatten, was sie von dieser ersten Etappe in Mailand erwarten konnten, machten sich Mozart und sein Vater wieder auf den Weg. Sie hielten jeweils einige Tage in Florenz, Rom, Neapel an und kamen in Bologna am 20 Juli an, wo Wolfgang an der Accademia filarmonica aufgenommen wurde. Während er beim Padre Giovanni Battista Martini (1706-1784) den Kontrapunkt studierte, erhielt er schließlich das Libretto von Mitridate, re di Ponto. Dies ist eine Adaptation der gleichnamigen Tragödie von Jean Racine (1639-1699) in der italienischen Übersetzung von Giuseppe Parini (1729-1799) durch den Librettisten Vittorio Amadeo Cigna-Santi (1728-1795). Die Geschichte hat wenig mit der historischen Figur des Mithridate I. Eupator der Große (135-63 v. J. C.) zu tun, der als Oberhaupt des Königreichs Pontus, das sich von der Türkei bis zur Krim erstreckte und im 1. Jahrhundert v. J. C. mutig gegen die römische Übermacht kämpfte. Die Handlung deren Orientalismus damals aus geopolitischen Gründen in Österreich in Mode war, thematisiert die Liebe eines Vaters, Mitridate und seiner beiden Söhne, Sifare und Farnace zu derselben Frau, Aspasia.
Sobald er das Libretto erhalten hatte, machte sich Wolfgang in Bologna an die Komposition der Rezitative, für deren Verfassung die Anwesenheit der Sänger nicht unbedingt erforderlich war. Nach seiner Rückkehr nach Mailand am 18. Oktober begann er einen sogenannten Produktions-Prozess, der speziell auf die Komposition einer opera seria zugeschnitten war und den er bei der Produktion seiner früheren lyrischen Werke nicht durchlaufen musste. Das Schreiben einer großen Oper für ein renommiertes Theater beinhaltete die Komposition maßgeschneiderter Arien für Sänger mit internationalen Ruf. Typischerweise gibt es für jede Hauptrolle vier bis fünf Arien, die die stimmlichen und ausdrucksstarken Fähigkeiten der Solisten demonstrieren sollen, insbesondere durch die berühmten da capo-Virtuosen und kunstvollen Reprisen der ersten Teile der Arien. Es kommt häufig vor, dass Sänger, die aufgrund ihrer Berühmtheit schon den Produktions-Prozess der Oper beherrschten, ihre Lieblingsarien aufdrängten, die sie von anderen Komponisten übernommen hatten – die sogenannten arie di baule – Koffer-Arien!
Mozart begann daher mit der prima donna Antonia Bernasconi (1741-1803) zu arbeiten, die die Rolle der Aspasia übernommen hatte. Die Tochter des Komponisten Andrea Bernasconi (1706-1784 ) hatte drei Jahre zuvor mit der Titelrolle der Alceste (1767) von Gluck große Triumphe gefeiert. Einem Brief von Leopold zufolge wurde die Sopranisten gebeten, die von Mozart geschriebenen Arien durch andere von Quirino Gasparini (1721-1778) komponierten Arien zu ersetzen, die auf der Grundlage desselben Librettos des Mitridate und zwar kreiert 1767 in Turin. Jedoch „la Bernasconi“ sang lieber die Arien von Wolfgang, die sie vergötterte. Besonders die herzzerreißende schöne Gift-Cavatina, die schon die Arie der Pamina „Ach ich fühl’s“ aus der Oper Die Zauberflöte, KV. 620 (1791) ankündigte, die zwanzig Jahre später die letzte Oper von Mozart sein wird. Schwieriger gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem sizilianischen Tenor Guglielmo D’Ettore (1740-1771/72), der die Titelrolle singen wird. D’Ettore ist ein aufsteigender Stern des italienischen Gesangs und auch gleichzeitig Komponist. Er blickt auf den jungen Mozart entnervt und stolz von oben herab, der ihm innerhalb von zwei Tagen fünf verschiedene Versionen seiner ersten Arie „Se di lauri“ vorführen musste. Am 10. November schrieb Leopold an seine Frau: „Ein weiterer Sturm braut sich am Theater-Himmel zusammen und wir sehen ihn schon von weitem kommen. Doch mit Gottes Hilfe und der richtigen Methode werden wir unsere Ziele erreichen“ und eine Woche später: „Wir haben gestern und heute einen neuen Sturm abgewehrt und obwohl wir mit einem weiteren Vorfall rechnen müssen, hoffe ich, dass alles gut wird“. D’Ettore beabsichtigte, die von Gasparini komponierten Arien für den Mitridate in Turin zu singen. Nach langen Verhandlungen erreichte Mozart einen Kompromiss, indem er bestimmte von D’Ettore gewünschte Gesangspassagen aus diesen Arien beibehielt, Harmonik und Orchestrierung jedoch radikal veränderte. Diese Episode wird für immer im Gedächtnis von Mozart graviert bleiben! Acht Jahre später können wir in einem Brief von Leopold an seinen Sohn lesen: „Du darfst dich nicht unterkriegen lassen […]. Erinnere dich an Italien, deine erste Oper und an D’Ettore… Du musst erneut kämpfen und alles das überwi

Obwohl zeitaufwändig, ist die Arbeit der ad hoc Komposition der Arien mit den drei Kastraten der Produktion weniger komplex: Pietro Benedetti (1745-1772), bekannt als Il Sartorino in der Rolle des Sifare, Pietro Muschietti (1741-1773) in der Rolle des Arbate und Giuseppe Cicognani (ca. 1730-1777) in der Rolle des Farnace – ein Sänger den Mozart bereits in La Clemenza di Tito (1735) von Hasse gehört und geschätzt hatte. Benedetti kommt erst in letzter Minute zur Probe und Mozart muss sein Duett: „Se viver non degg’io“ mit der Bernasconi schnellsten umschreiben, da dessen erste Version für den Sänger zu schwierig war. Die von Wolfgang vorgenommenen Änderungen erfreuten Il Sartorino so sehr, dass er zu Leopold sagte: „dass er verspricht, sich ein zweites Mal kastrieren zu lassen, sofern die Oper keinen großen Erfolg bekommen würde!“
Der Kontext, in dem Mitridate entstand, macht es zu einem Werk eines sogenannten neuen Typs in der Opernkarriere des Komponisten. Einerseits handelt es sich um eine seiner ersten opera seria, die er im Auftrag eines großen Theaters komponierte, was den beispiellosen Umfang der Partitur in Mozarts Korpus erklärt und die besondere Sorgfalt, mit der der Musiker die theatralische und tragische Dimension des Werkes hervorhob. Die Rezitative beispielsweise sind sorgfältiger und ausdrucksstärker als in seinen früheren Opern. Mozart hatte bis dahin nur zwei recitativi accompagnati – das heißt, begleitet durch das Orchester und nicht nur das Klavier oder den basso continuo entsprechend der Verwendung des recitativo secco: Eins in Die Schuldigkeit des ersten Gebots und eine andere in Apollo und Hyacinthus. Im Mitridate unterstreichen mehrere begleitete Rezitative und arioso – hybride Passagen zwischen Rezitativ und Arie – die wichtigsten Momente im Ablauf der Handlung. Beispielsweise wird in Sifares Rezitativ, das im zweiten Akt seiner Arie „Lungi da te, mio bene“ vorausgeht, die anfängliche secco-Begleitung mit zunehmender dramatischer Intensität des Textes zu einer accompagnato wird, während die dramatische Intensität des Textes noch zunimmt. Dasselbe gilt für das Rezitativ vor dem Duett zwischen Aspasia und Sifare, das den zweiten Akt abschließt: „Se viver non degg’io“, wo die Begleitung von secco au accompagnato und dann zu arioso wechselt.
Zum ersten mal in seinem Werk beschränkt Mozart den Ablauf der dramatischen Handlung nicht allein auf Rezitative! In Mitridate sind die Cavatinen, die sich von der arie da capo durch ihre zweistimmige Form unterscheiden ohne den Anfangsteil zu wiederholen, in Wirklichkeit tragen diese Handlungsarien aber dazu bei, das Drama voranzutreiben. Ohne jegliche Virtuosität geben diese Cavatinen einen Einblick in den späteren reduzierten Gesangsstil von Mozart, der in den folgenden Jahrzehnten von der Stilreform beeinflusst werden sollte, die das Genre der opera seria in Frage stellte.
Zwei weitere Merkmale unterscheiden die Musik von Mitridate von den Opernanfängen des jungen Mozart. Da Mailand über eines der größten Orchester Europas verfügte, schrieb der Komponist eine Partitur von einer orchestralen Kraft, die man in seinem Werk bis dahin noch nicht gehört hatte. Insbesondere der Einsatz der Blasinstrumente zeugt von einer meisterhaften Beherrschung der Farben, dynamischen Effekten und Fantasien, die das Publikum bei der Premiere begeisterte. Schließlich unterstreicht dieser orchestrale Schwung in der arie da capo eine Kunst der Melodieführung und eine intime Kenntnis der stimmlichen Möglichkeiten der Sänger, die durch den „maßgeschneiderten“ Kompositionsprozess zu Juwelen der Erfindungsgabe werden und die außergewöhnliche Meisterschaft der Gesangskunst des vierzehnjährigen Musikers belegen.
Anlässlich der Eröffnung der Mailänder Karnevalssaison 1770 war der Triumph von Mitridate umso durchschlagender, weil er unerwartet kam. Viele erwarteten „ein großes Sammelsurium barbarischer deutscher Musik“. Bei der Premiere wurden fast alle Arien mit großem Applaus bedacht und am Ende der Oper, obwohl jede Aufführung etwa sechs Stunden dauerte – der Tradition entsprechend wurden zwischen den Akten drei Ballette aufgeführt, hier signiert von Francesco Caselli (1742-1799) -, wird Mozart vom Publikum mit gewaltigen und begeisterten Rufen begrüßt: „Viva il Maestro! Viva il Maestrino!“ Es fanden dreiundzwanzig Aufführungen vor ausverkauftem Haus statt – eine außergewöhnliche Zahl. Die Bernasconi erhält jeden Abend stehende Ovationen, ihre erste Arie wurde entgegen der üblichen Praxis sogar bei der Uraufführung wiederholt. Ihr großes Vertrauen in Mozart wurde belohnt! Der Komponist und die prima donna arbeiteten bis 1780 zusammen.
Im Anschluss an diese Weihe erhielt Mozart vom selben Teatro Regio Ducale – Lucio Silla -, den Auftrag zu einer neuen opera seria sowie einer festa teatrale. Sie trägt den Titel Ascanio in Alba und sollte anlässlich der Hochzeit der Prinzessin Beatrice d’Este de Modene (1750-1829) mit dem Erzherzog Ferdinand Charles Antoine von Habsburg-Loraine (1754-1806), auch in Mailand am 17. Oktober 1771 aufgeführt werden. Damit bot sich endlich die Gelegenheit, auf die Mozart und sein Vater schon so lange gewartet hatten: Eine Festanstellung in Italien im Dienste eines Fürsten zu erhalten. Tatsächlich wollte Ferdinand nach dem Erfolg von Ascanio in Alba den jungen Mozart zum Komponisten seines Hofes machen. In diesem Sinne schrieb er an seine Mutter, der Kaiserin Marie-Therese von Habsburg (1717-1780). Diese gibt ihm im Nachtrag zu einem Brief vom 12. Dezember 1771 eine schallende Antwort: „Sie bitten mich, den jungen Salzburger in ihren Dienst zu nehmen. Einen Komponisten oder andere unnütze Leute brauchen Sie nicht […]. Es entwürdigt den Dienst, wenn diese Leute wie Bettler in der Welt umherlaufen. Überdies hat er eine große Familie…“. Wolfgang und sein Vater wurden daher aufgefordert, ihre Reise fortzusetzen. Angesichts dieser drei Mailänder Opern, deren großer Erfolg für den jungen Mozart sehr entscheidend war, kann man sich fragen, welches Schicksal Mitridate ereilt hätte, wenn er diese heiß ersehnte italienische Stelle erhalten hätte.

MITRIDATE - Aufführung - Opéra Comédie Montpellier - 10. April 2025
Inszenierung und Szenografie in einer Symbiose…
… oder wie man mit „Mitridate, re di Ponto“ allen subtilsten Wendungen in Mozarts Gedanken folgen kann…! Von Mozart-Liebhabern lange Zeit mit einer gewissen Herablassung betrachtet, gelang es der opera seria des Komponisten, mit der möglichen Ausnahme von Idomeneo, erst vor relativ kurzer Zeit sich auf der Opernbühne zu etablieren. Schrieb nicht ein so scharfsichtiger Musikwissenschaftler und auch großer Spezialist auf diesem Gebiet wie Rémy Stricker (1936-2019) 1983 in L ’Avant-Scène Opéra (N° 54), die Mitridate, re di Ponto gewidmet war: „In einem einzigen Streichquartett aus den Jahren 1772 bis 1773 steckt mehr wahrer Mozart als in all diesen großen Maschinen (Mitridate oder Lucio Silla)?“ Es besteht kein Zweifel, dass der extreme Erfindungsreichtum, der die Lorenzo Da Ponte (1749-1838)-Trilogie kennzeichnete, in den Augen der Kenner die vorhergehenden Opern mit der bemerkenswerten Ausnahme von Die Entführung aus dem Serail, KV 384 (1782) in den Schatten stellte, insbesondere die starken formalen Konventionen, die das seria-Genre kennzeichnen und die Mozart im Alter von vierzehn Jahren, als er Mitridate komponierte, als solche akzeptieren musste: Wechsel von langen da capo-Arien und Rezitativen, fast völliges Fehlen von Ensembleszenen, Katalogisieren menschlicher Leidenschaften und ziemlich vorhersehbare musikalische Illustrationen dieser Leidenschaften… Aber wie hätte man nicht inmitten dieser akzeptierten Konvention den Erfindungsreichtum des jungen Komponisten, den Reichtum seiner melodischen Inspiration und die Kraft seines dramatischen Gespürs erkennen können? Der französische Regisseur Patrice Chéreau (1944-2013), der 1984 eine eindrucksvolle Produktion von Lucio Silla in Mailand, Nanterre und Brüssel präsentierte und der französische Dirigent Christophe Rousset (*1961), der 1999 für DECCA eine großartige Version von Mitridate aufnahm, haben viel zu dieser Rehabilitierung von Mozarts frühen Opern beigetragen.
Politische und emotionale Themen…
Dennoch bleibt die Aufführung von Mitridate ein riskantes Unterfangen angesichts der Länge des Werks – zweiundzwanzig Arien, von denen einige fast sieben Minuten dauern… - und der Länge der Rezitative, die den Ablauf unterbrechen: Mehr als drei Stunden Musik und eine ziemlich mühsame Handlung – auch wenn sie von Racines großartiger Tragödie inspiriert ist – mit ihrer Verflechtung politischer und sentimentaler Themen. Dann müssen wir die Arbeit in die Hand nehmen, alle sensiblen Implikationen wahrnehmen und uns von einer Vision mitreißen lassen. Dies ist eindeutig das, was die französische Regisseurin Emmanuelle Bastet und der britische Bühnenbildner Tim Northam getan haben, deren gemeinsame Arbeit sogar mehr ist als eine Zusammenarbeit: Es ist eine offensichtliche Symbiose! „Der Dramatiker [Racine] hat besondere Vorliebe für eine erstickte Sprache, für erzwungene Geständnisse, die im Gegensatz zum Heroismus dieser lyrischen Form [opera seria] steht, die einen zwingt, gewissermaßen bis zum Schwindel zu verkünden. Mozart wird aus dieser widersprüchlichen formalen Vorschrift eine gewaltige dramatische Kraft schaffen, vibrierend und bebend“ Emmanuelle Bastet, Absichtserklärung).
Als wir dieses Stück mit Staunen entdeckten, glaubten wir zu verstehen, dass es gerade das Zittern der Gefühle und ihre Vibration im Herzen der Figuren waren, die die beiden Künstler zu einer so kraftvollen Produktion inspirieren konnten und somit radikal auf aufgezwungene Bilder oder eine Aktualisierung der Handlung in die heutige Zeit verzichten konnten: Wie man sie heutzutage tausendfach auf anderen Opernbühnen gesehen hat…! Bastet bestätigt dies: „Wenn der Kontext der Erzählung“, schreibt sie „tatsächlich der des Krieges ist, wenn es tatsächlich um eine zerstörte Flotte, um militärische Interventionen, um das Aufeinandertreffen von Waffen geht, so schienen uns diese Elemente nur den Hintergrund der Handlung zu bilden und dass sich die wahren dramatischen Einsätze im familiären Umfeld offenbarten, in der Erforschung der toxischen Verbindungen zwischen einem Vater und seinen beiden Söhnen, die all drei in die dieselbe Frau verliebt sind […]. Wie so oft bei Mozart überwiegt die intime Sphäre gegenüber politischen und sozialen Belangen und die Motivation der Figuren sind stets im emotionalen Register zu finden. […] Indem wir politische Konflikte in den Hintergrund rücken und uns auf das emotionale Register konzentrieren, stellen wir uns ein im Wesentlichen mentales und symbolisches Universum vor“.
Eine Szenografie voller Subtilität…
So begleitet das vom Bühnenbildner Northam entworfene Bühnenbild bestehend aus beweglichen Treppen unterschiedlicher Höhe, einem Bühnenhintergrund, der abwechselnd neutral ist oder mit einer vertikalen Kerzentafel bedeckt ist, einer Wand, die mit Quadraten in wechselnden Blau-, Lila- und Grautönen dekoriert ist – wie ein vertikaler Himmel versehen mit geometrischen Wolken… - oder sogar Vorhängen aus Luftfäden, die den Ablauf der Handlung oder die Metamorphose der Gefühle der Figuren wie eine zweite Figur behandelt. Die vom französischen Lichtbildner François Thouret durchgeführte Beleuchtungsarbeit verleiht dem Dekor eine zusätzliche Dimension, indem sie die Ränder mit leuchtenden Highlights akzentuiert. Der Künstler fügt außerdem ein ganzes Feld der Verträumtheit und Poesie hinzu, indem er sehr geschickt mit den Effekten des Hell-Dunkel-Effekts oder im Gegenteil mit der fortschreitenden Entfaltung oder dem plötzlichen Auftauchen eines eisigeren Lichts spielt. Was die Symbolik der Stufen betrifft, je nachdem, ob ein bestimmter Protagonist im Drama sie hinauf- oder hinuntergeht, die Art und Weise, wie er dies tut, in Eile und Aufregung oder zögernd und ängstlich, das Verweilen auf einer Stufe oder das Hineinsinken in sie, der Schwindel, der beim Zuschauer durch das ziemlich beängstigende Bild eines Sängers hervorgerufen wird, der über einem mehrere Meter hohen Abgrund thront. All dies verdichtet die Substanz der Handlung und die von Mozarts Musik und fügt in gewisser Weise durch die Magie der Kulisse choreografische Komponenten zu einer Partitur hinzu, die keine solchen Komponente aufweist.
Die Stärke dieses Dekors liegt in einem wahrhaft paradoxen Wesen: Durch seine Beweglichkeit – weil es keine präzise Vision, weder einer Epoche noch einer bestimmten dramatischen Situation aufzwingt – gelingt es ihm, im Zuschauer eine ganze imaginäre Welt hervorzubringen, die in der musikalischen Erfahrung verankert ist und diese subtil, aber sehr kraftvoll begleitet. Auch Northam, der auch die Kostüme entworfen hat, gibt einige Hinweise: Während die Kleider von Aspasia oder Ismene oder auch das schöne Kostüm in einem subtilen Farbton zwischen Zimt und Ziegelrot der Figur des Arbate eher aus einer Zeit stammen, die das 18. Jahrhundert sein könnte, sind die Kostüme der anderen Männer dagegen neutraler – eine Kombination aus zeitloser Kleidung und eher mit der Neuzeit in Verbindung gebrachten Accessoires. Auch die explizite Handlung der Oper hat wenig Einfluss auf die Kulisse. Ein einfacher „Hauch“ warmer leuchtender Farben, eingefügt in die Mitte der Tafel aus Blau-, Violett- und Grautönen, die den dritten Akt begleitet, könnte ebenso auf Farnaces ausgelösten Brand der römischen Flotte anspielen wie auch auf die Flamme der Liebe, die alle Figuren verbrennt…
Eifersucht, Verzweiflung und Wut…
Dies bedeutet, dass die Darsteller dieser Produktion, um die fruchtbare Ungenauigkeit all dieser visuellen Aspekte und ihren bewusst „polysemischen“ Charakter auszugleichen, sich voll und ganz auf die Wahrheit der Gefühle jeder einzelnen Figur einlassen müssen. Aus dieser Sicht ist die Regiearbeit, die Bastet mit den Darstellern geleistet hat, in jeder Hinsicht bemerkenswert. Und alle Sänger scheinen ausnahmslos vorbehaltlos auf das reagiert zu haben, was zunächst eine Reihe von Anweisungen gewesen sein muss – so stellt man sich als Zuschauer zumindest die gewaltige Aufgabe vor, in den Rahmen der da capo-Arien den ganzen emotionalen Reichtum eines Wesens zu bringen, das in Eifersucht, Verzweiflung, Wut, Resignation oder auch dem Wunsch nach Trost gefangen ist… Nichts Konventionelles in den Gesten und Gesichtsausdrücken, weder in den Szenen der Liebesüberflutung noch in den Szenen des Konflikts, sondern eine tiefe Wahrheit, verankert in der Aufrichtigkeit von Mozarts Musik und verbunden mit dieser Klarheit der Gefühle, die dennoch nie auf banale Weise zum Ausdruck kommt. Ein erhabenes Mozart-Paradoxon, das von den Darstellern dieser Produktion perfekt vermittelt wird. Unterstützt und sichtlich sehr inspiriert vom Orchestre National Montpellier Occitanie unter der hervorragenden Leitung des berühmten französischen Counter-Tenor Philippe Jaroussky ist das gesamte Sängerteam bewundernswert: Über die Schönheit und Rundheit ihrer Stimme und ihre makellose Beherrschung der Pyrotechnik der Partitur hinaus verleiht die junge schweizerische Koloratur-Sopranistin Marie Lys der Rolle der Aspasia die ganze Dichte einer Figur, die zwischen ihrer Treuepflicht gegenüber Mitridate und der Wahrheit ihrer Gefühle gegenüber einem der Söhne des Königs, Sifare gefangen ist. Letzterer wurde interpretiert von dem außergewöhnlichen amerikanischen Counter-Tenor Key’mon Murrah, wir erlebten vor unseren Augen alle Qualen einer großzügigen und leidenschaftlichen Persönlichkeit. Auch die Ismene von der französisch-katalanischen Sopranistin Lauranne Oliva hat uns sehr überzeugt: In bestimmten Szenen verleiht Bastet ihr den sehr bewegenden Charakter einer Art weiblichen Doppelgängers eines Cherubino, der seiner Zeit voraus ist und die Liebe mit Emotionen und Angst entdeckt, aber auch die Weisheit einer älteren Frau – der Gräfin Almavia in der zukünftigen Oper Le Nozze di Figaro, KV. 492 (1786), die in der Lage ist zu vergeben und auch zur Vergebung zu ermutigen. Die chinesische Mezzo-Sopranistin Hongni Wu hat die schwierige Aufgabe, alle extremsten Facetten der Figur des Farnace zu zeichnen, der wie uns Bastet erzählt, nicht nur ein Verräter, sondern auch ein seelisch schwer verletzter Sohn ist. Die Mezzo-Sopranistin meistert diese schwierige Partie mit großer Bravour! Der italienische Counter-Tenor Nicolò Balducci spielt einen zwiespältigen Arbate, sowohl in seiner Unterwerfung unter Mitridate als auch in seiner Niedertracht gegenüber den anderen Protagonisten. Der junge schweizerische Bariton Remy Burnens singt die Rolle des Marzio, die nur eine Arie hat um sein Talent zu zeigen und er lebt es und trägt es mit viel Schönheit und Überzeugung vor. Die Titelrolle war wohl gleichzeitig der Star des Abends, die große Entdeckung auf jeden Fall: Der südafrikanische Tenor Levy Sekgapane in der Rolle des Mitridate hat eine hervorragende Leistung geliefert, die Rolle ist wie angegossen für seinen Tenor und natürlich für Mozart und man fragt sich schon: Wann kommen die anderen großen opera seria-Interpretationen? Titus? Idomeneo? usw. ? …(PMP/22.04.2025)