Mönchengladbach, Theater Krefeld Mönchengladbach, DER FLIEGENDE HOLLÄNDER - Richard Wagner, IOCO Kritik, 01.02.2023

Mönchengladbach, Theater Krefeld Mönchengladbach, DER FLIEGENDE HOLLÄNDER - Richard Wagner, IOCO Kritik, 01.02.2023
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Theater Krefeld Mönchengladbach

Theater Mönchengladbach © Theater MG - Matthias Stutte
Theater Mönchengladbach © Theater MG - Matthias Stutte

Der Fliegende Holländer - Richard Wagner

- Die geglückte „Entzauberung“ des Holländers -

von Uli Rehwald

Eine der ganz großen, bekannten und beim Publikum beliebten Opern, Der fliegende Holländer, stand am 29.1.2023 auf dem Programm: Nicht in Paris oder Mailand, sondern am Niederrhein, in Mönchengladbach.

Die von Wagner vertonte Geschichte ist rasch erzählt. Der fliegenden Holländer, ein zur Unsterblichkeit verfluchter Seemann, sucht die Erlösung, die er nur alle 7 Jahre durch eine treue Frau finden kann. Ewig sucht er, gefunden hat er noch nie. Die junge Senta schwärmt intensiv davon, für die Sagengestalt, die sie seit Kindertagen aus Erzählungen kennt, die richtige Frau sein zu können. Ihm ewige Treue geben zu können, seine Erlöserin zu sein. Fast wahnhaft. Natürlich treffen die beiden aufeinander. Schon ist die Lösung / Erlösung zum Greifen nah - doch dann droht alles schief zu gehen. In ihrem Erlösungs-Wahn opfert sich Senta, um so ihre lebenslange Treue beweisen zu können. Und der Holländer ist von seinem Fluch erlöst. Soweit bei Richard Wagner.

Trailer Der fliegende Holländer youtube Theater Krefeld Mönchengladbach [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Welche Deutung dieser Erzählung dürfen wir heute verfolgen? Musikalisch ist die Oper ja eigentlich nicht zu verbessern. Mit seinem frühen Musikdrama schildert Wagner überwältigend genau die zutiefst opernhaften Seelenzustände der beiden Protagonisten auf Basis seiner genialen Musik. Verbessert werden kann das wohl nur noch in dem Zusammenwirken der heutigen Möglichkeiten von Bühne, Video, Kostümen und Beleuchtung. Dann kann eine Aufführung geschaffen werden, die das Werk beispielhaft unterstütz. Und genau das gelingt dem Regisseur Roman Hovenbitzer hier und heute in Mönchengladbach. Ein paar Beispiele:

  • Vom ersten Moment an glaubt man sich mitten im stürmischen Meer zu befinden. Intensive Videos von Wogen, Wind und Wetter. Das ganze Opernhaus schwankt scheinbar mit, man möchte sich am Sessel festhalten.
  • Während der Ouvertüre wird neben den Meeresgewalten zusätzlich auch die Geschichte miterzählt, wie Senta als Kind zu ihrer Schwärmerei gekommen ist.
  • Das Meer und die Elemente (fast so etwas wie die geheime „Hauptperson“) werden durchgängig und bildstark erfahrbar über die Videos gezeigt. Zeitweise glaubt man, wirklich in einem Schiff zu sein. Und sieht durch 3 große Bullaugen auf Meer und Himmel.
Theater Krefeld Mönchengladbach / DER FLIEGENDE HOLLÄNDER hier Scenefoto © Matthias Stutte
Theater Krefeld Mönchengladbach / DER FLIEGENDE HOLLÄNDER hier Scenefoto © Matthias Stutte

Ja, das will man sehen: Starke, wirkmächtige Symbole an der richtigen Stelle, passend zur Musik. Alles an Bühne, Videos, Licht reißt geradezu hypnotisch mit in die Handlung hinein. Die Regie kriegt heute ganz sicher keine Buh-Rufe.

Das Personenkonzept von Roman Hovenbitzer stellt nicht den Holländer, sondern die junge Senta in den Mittelpunkt. Und stellt ihr auch (von Wagner so nicht vorgesehen) ein Kind als kleine Senta zur Seite, das schon früh dieser Sagengestalt in Büchern begegnet, sich als Pirat verkleidet.

Und nach 2 Akten glaubt man, endlich mal eine Oper zu sehen, die richtig gut gemacht auch tatsächlich genau am ursprünglichen Werk bleibt. Doch da biegt Hovenbitzer auf einmal rasant und ohne Ansage vom Normal-Ablauf ab. Im dritten Akt wird das Stück anders als von Wagner gedacht. Die mythische, sagenumwobene Heldengestalt des Holländers in der Kapitänsuniform der vergangenen Jahrhunderte ist auf einmal entzaubert. Der Mythos verfliegt mit der schlechtsitzenden weißen Uniform eines „Traumschiffkapitäns“, die er jetzt trägt, zivilisiert mit kurzem Haarschnitt. So blass, so angepasst, so leblos im Kreis der anderen Normal-Männer, sich gemeinsam mit ihnen betrinkend. Völlig entzaubert steht er da, der Holländer. Senta - schon im Brautkleid - kriegt auf einmal Schnappatmung. Hat sie das so gewollt? Nein, sicher nicht. Sie wollte das Abenteuer, die Lebendigkeit ihrer großen Illusion. Und so entscheidet sie sich ganz zum Schluss: Der Holländer wird - und das ist die Überraschung - eben nicht erlöst. Nein, Senta erlöst sich selbst von ihrer Wahnvorstellung, vom Opfertod. Schlüpft aus dem Brautkleid wieder hinein in die Piratenuniform. Nein, einen tumben Traumschiffkapitän will sie nicht. Und sie geht entschlossen den eigenen Abenteuern, ihrem eigenen Leben entgegen. Das ist starker Tobak heute zum Schluss, atemlos verfolgt das Publikum diesen fulminanten und so anderen Endspurt der Oper. Großartig. Ja, warum sollte sie sich eigentlich opfern, diese starke, junge Frau? Für einen versagenden, entzauberten Mann?

Die Sänger tragen den heutigen Abend natürlich auch im besten Sinne. In der Titelrolle als Holländer überzeugt Oliver Zwarg mit Präsenz, großer Klangfülle und bester Textverständlichkeit. Seine dämonische Zerrissenheit, seine Verzweiflung, sein Verfluchts-Sein, der übermächtiger Erlösungswunsch. Alles liegt in seinem Timbre.

Theater Krefeld Mönchengladbach / DER FLIEGENDE HOLLÄNDER hier Scenefoto © Matthias Stutte
Theater Krefeld Mönchengladbach / DER FLIEGENDE HOLLÄNDER hier Scenefoto © Matthias Stutte

Ingegjerd Bagøien Moe als Senta singt nicht nur ihre große, wirklich schwierige Ballade meisterhaft. Kaum zu entscheiden, was großartiger ist: ihre berührende Innigkeit oder ihre strahlende Explosivität. Und dann spielt sie auch noch so überzeugend.

Das Sänger-Ensemble runden ab: Matthias Wippich als wirklich starker Daland, Woongyi Lee als spielstarker Steuermann und Eve Maria Günschmann als präsente Mary. Michael Siemon war kurzfristig in der Rolle des Erik eingesprungen und fügte sich nahtlos im besten Sinne ein. Auch der Chor, heute durch einen Zusatzchor verstärkt, stellt fast eine Hauptperson der Oper dar. Stimmgewaltig und doch präzise einstudiert von Michael Preiser, auch mit enormer Spielfreude.

Gerne schreibe ich an dieser Stelle über „den einen magischen Opern-Moment“ in der erlebten Aufführung. Das wäre heute ziemlich viele Momente. Hier nur zwei davon

  • Bei der Ouvertüre ist nur „Hören“ (sonst eigentlich schon ein Superlativ) tatsächlich eindeutig zu wenig. Die Musik zusammen mit den dramatischen Seegang-Videos und gleichzeitig die schmerzhaft-entgleisende Kindheitsgeschichte ist definitiv magisch.
  • Die atemlose Spannung am Schluss (wie um Himmels Willen geht diese Neudeutung von Hovenbitzer aus?).

Die Niederrheinischen Sinfoniker unter der Leitung von Mihkel Kütson tragen das Ereignis mit großem Klangkörper spannungsvoll und differenziert.

Unbedingt erwähnt werden müssen Roy Spahn (das gelungene maritime Bühnenbild), Mechthild Seipel (Kostüme), Peter Issig (diese Videos mit ihrer unglaublichen Sogwirkung) und Ulrike Aistleitner (Dramaturgie), ohne die das heutige Gesamtkunstwerk eben keines geworden wäre. Man möchte sich erzählen lassen, wie sie das zusammen hingekriegt haben.

Leider ist die Oper in Mönchengladbach heute zum letzten Mal zu sehen. Aber weitere Aufführungen werden im nächsten Jahr in Krefeld, zeigen, dass bemerkenswerte Aufführungen nicht nur in Paris und Mailand, sondern auch am Niederrhein zu finden sind.

Langanhaltender, begeistert Applaus für alle Beteiligten. Und natürlich viele Bravorufe für die beiden Hauptfiguren.

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