Brünn, Mahen-Theater, DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN - Leoš Janáček, IOCO

Brünn - MAHEN Theater:Wenn es eine von Leoš Janáčeks Opern gibt, die enger mit der Stadt in der er lebte und ihrer Umgebung verbunden ist als jede andere, dann nicht nur weil Janáček sie dort komponiert hat. Das schlaue Füchslein –

Brünn, Mahen-Theater, DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN  - Leoš Janáček, IOCO
MAHEN - Theater in Brünn / Brno, Tschechien @ Peter Michael Peters

10.11.2024 / 9. INTERNATIONALES FESTIVAL JANÁČEK BRNO 2024 - Leoš Janáček: PŘÍHODY LIŠKY BYSTROUŠKY / DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN (1923), Oper in drei Akten mit einem Libretto des Komponisten, nach der Novelle von Rudolf Tésnohlídek.

 von Peter Michael Peters

VON DER MEHR ODER WENIGER MENSCHLICHEN NATUR…

Bin ich wirklich so schön?

Was ist so schön an mir?

Natürlich bin ich ziemlich vorzeigbar.

O seltsame und köstliche Gedanken! (2. Akt / Szene der Füchsin / Auszug)

Leos Janacek in Ostrava @ wikimdia commons

Bystrouška – Inbegriff weiblicher Schönheit…

Wenn es eine von Leoš Janáčeks (1854-1928) Opern gibt, die enger mit der Stadt in der er lebte und ihrer Umgebung verbunden ist als jede andere, dann nicht nur weil Janáček sie dort komponiert hat. Das schlaue Füchslein – eine unglaubliche Kombination aus der tiefgründigen Lebens-Philosophie des Komponisten, der sich seinen Siebzigern näherte, einem farbenfrohen Bild der ersten Lebensjahre der jungen Tschechoslowakischen Republik und dem Charme der Bilovicer Wälder – begann sein Leben in Brno (Brünn) in der Redaktion von Lidové noviny. Die Tageszeitung Lidové noviny wurde 1893 in Brno gegründet. Ihr Gründer war der Journalist und Politiker Adolf Stránský (1855-1931). Obwohl er ein ausgebildeter Anwalt war, begann er während seiner Studienzeit in Prag für Zeitungen zu schreiben. Als er nach Brno zurückkehrte, veröffentlichte er Moravské listy von 1889 bis 1893 den Vorläufer von Lidové noviny, einer wegweisenden Zeitung in der Geschichte des tschechischen Journalismus. Zu den Mitwirkenden der Artikel gehörten namhafte Persönlichkeiten wie Karel Čapek (1890-1938), Jiří Mahen (1880-1939), Eduard Bass (1888-1946), Pavel Váša (1874-1954) und František Gellner (1881-1914). Ab 1904 arbeitete auch Arnošt Heinrich (1880-1933) in den Büros und wurde 1919 Chefredakteur und dann später auch Direktor der Redaktion. Die Art von Zeitung, die er wollte, wurde von Bass am besten beschrieben: „Seriös, wahr  und ehrlich, um in Sachen das Extreme zu sein, flexibel, humorvoll und literarisch perfekt, das wollen wir seien…“

Und tatsächlich gelang es ihm nach und nach eine solche Zeitung aufzubauen. Janáček war nicht nur einer der treuen Leser der Lidové noviny. Auch war er von der ersten Auflage an und bis zu seinem Tod daran beteiligt. Viele der  Journalisten in Brno wurden Janáčeks Freunde und Vertraute. Der Komponist ließ sich auch oft von den Zeitungsseiten der Lidové noviny für seine eigenen Werke inspirieren, wie z. B. Das Journal eines Verschollenen (1921) oder seine zauberhaften Říkadla / Kinderverse (1926). Die größte Inspiration für Janáček kam jedoch vom  Reaktions-Direktor Heinrich selbst, der den Wunsch hatte dass die  Lidové noviny  eine Zeitung der „wahren Leser-Zufriedenheit werden sollte“.

Das schlaue Füchslein - Szenenphoto mit Doubravka Novotny (Füchsin), Miroslav Casarova (Hahn) und Chor © Marek Olbrzymek

 Die Kunstbeilage der Lidové noviny war immer wichtig, auch wenn der Krieg die Zusammenarbeit mit vielen Künstlern unterbrach. Ende 1919 kam Heinrich auf die Idee, dass es in der Zeitung jeden Tag eine Karikatur mit einem kurzen und humorvollen Text geben sollte. Dem Problem des Mangels an Künstlern wurde durch die Ernennung eines Kunstredakteurs begegnet, dessen Aufgabe es war, die Zeichnungen zu beschaffen und diese undankbare Aufgabe fiel dem Journalisten Jaromír John (1882-1952) zu. Die Zeitung benötigte fast tausend Bilder pro Jahr und so wandte sich John an prominente Künstler in ihren Ateliers in Prag. Eine vielversprechende Entdeckung war der junge Ondřej Sekora (1899-1967), der noch Student an der juristischen Fakultät war, aber das reichte immer noch nicht aus und John musste seine Reisen fortsetzen. Eine seiner Reisen nach Prag führte ihn nach Vinohrady und in das Studio von Stanislav Lolek (1873-1936).

Lolek war ein bedeutender Landschaftsmaler und einer der führenden impressionistischen Künstler in Mähren. Tiere waren oft ein zentrales Motiv seiner Gemälde. Im Jahr 1936 gab es in Hodonin eine Ausstellung mit Gemälden von Lolek, die von der Zeitung folgendermaßen bewertet wurde: Stanislav Lolek war ein sehr ausgeprägter Landschaftsmaler, der nie danach strebte, die Dinge zu komplizieren. Und seine Kreationen aus der Tierwelt sind eine wahre Meisterleistung eines völlig neuen Stils, der nicht sofort einen solchen Nachfolger und Nachahmer finden wird. In den Händen von Lolek werden ewige Realität und ein tiefes Wissen über den Wald und seine stummen Kreaturen aus einer magischen Perspektive mit emotionaler Wärme, beispiellosem Heldentum und einzigartiger Poesie betrachtet. Er vereinte im wahrsten Sinne des Wortes Jäger und Künstler in einer Person. Nach Abschluss der Mittelschule in Prostějov musste er ein Jahr als Forstlehrling in Veselí u Mohelnice arbeiten, wo er den Wildhüter Augustin Kořínek (1811-1888) kennenlernte, der ihm viel beibrachte. Er wurde zum Vorbild für den Jäger in einer Sammlung von Zeichnungen, die Lolek in der Akademie für Bildende Kunst Brno anfertigte. John erinnerte sich, wie Lolek einer der Väter von Das schlaue Füchslein aus dem Jezerská Jagd-Revier wurde“: […]

Das schlaue Füchslein - Szenenphoto mit Doubravka Novotna (Füchsin) und Kinderchor © Marek Olbrzymek

 „Dann wandte ich meinen Blick vom Staubhaufen am Sessel ab und richtete meinen Blick auf den Boden und ein staubiges Stück Papier mit einer in Tinte gezeichneten Waldlichtung. Lolek hörte sich all meine Klagen und Bitten an und schüttelte den Kopf: „Ich bin Landschaftsmaler, ich mache keine Figuren und diese Tiere, die Hirsche sind einfach ein Werk der Liebe!“ Ich schaute auf den Boden, wo die Lichtung hervorragte. Ich zeigte darauf. „Und was ist das hier unten?“

„Nichts! Das ist nichts für dich!“

„Ich würde es mir gerne ansehen!“

„Gott behüte!“

„Also sagen Sie mir, was das ist?“

„Nur Blödsinn von der Akademie – unmögliche Dinge… jedenfalls… jetzt muss ich aber nach Prag… gehen wir zusammen? Ich erreichte den Boden und hob ein dickes Bündel Zeichnungen auf. Ich habe sie abgestaubt und durchgesehen. Es gab eine Bilderserie im Stil von Heinrich Christian Wilhelm Busch (1832-1908) von einem wütenden Jäger mit struppigem Bart und einer Art von Das schlaue Füchslein. Da ich den protestierenden Lolek nicht länger aufhalten konnte, klemmte ich mir die Zeichnungen heimlich unter den Arm, setzte meinen Hut auf und eilte zum Bahnhof. Ich verpasste den zweiten Schnellzug nach Brno und wartete auf den letzten Nachtzug. Der Blick auf die Bilder im Bahnhofsrestaurant Zavřel haben mich aufgeheitert. Es fehlte keine einzige Seite. Die Geschichte war vollständig und die Bilder konnten problemlos für die Zeitung reproduziert werden. „Fügen wir etwas Text hinzu und wir können diese verdammte Geschichte mindestens drei Monate lang ausdehnen!“ Ich kam um vier Uhr morgens in Brno an und ging direkt ins Büro. Heinrich und seine Freunde saßen immer noch an einem Tisch und tranken Wein. „Rudolf Těsnohlídek (1882-1928) muss ihnen ein paar Verse hinzufügen!“ Allerdings schrieb Těsnohlídek keine Verse, sondern eine unglaubliche Prosa, in der er die Geschichte der schlauen Füchsin erzählte, die den Jäger in die Irre führte. Der Titel seines Zeitungs-Roman in Bildern: Das schlaue Füchslein…

Obwohl er ursprünglich aus Čáslav stammte, lebte der Schriftsteller und Journalist Těsnohlídek mehr als zwanzig Jahre in Brno. Hier schrieb er seine Hauptwerke und war einer der Journalisten, die für die hohe Qualität der Zeitung Lidové noviny verantwortlich waren. Seine Ankunft bei Lidové noviny veränderte den melancholischen pessimistischen Charakter seiner frühen Kurzgeschichten. Eine seiner Hauptaufgaben bei der Zeitung war die Rubrik Aus dem Gerichtssaal, in der er die folkloristische Welt von Brno und ihre linguistischen Besonderheiten entdeckte. Unter Těsnohlídek war die Rubrik mit unverwechselbaren sozialen Bildern gefüllt, wobei er in der Lage war, die Charaktere der Menschen, die er täglich vor Gericht sah, meisterhaft und einfühlsam einzufangen und zu beschreiben. Die Welt, der er durch sein Werk begegnete, spiegelte sich später in seinen anderen literarischen Bemühungen wider.

Das schlaue Füchslein - Szenenphoto mit Anna Nitrova (Fuchs) und Doubravka Novotna (Füchsin) © Marek Olbrzymek

Těsnohlídek reiste gern in die Wälder rund um Bílovice nad Svtavou und hier entstand sein größtes literarisches Werk. Těsnohlídek berühmtestes Werk handelt zweifellos von der verwöhnten Füchsin Bystrouška, zu dessen Schreiben er vom Redaktions-Direktor Heinrich mehr oder weniger gezwungen wurde, die unter dem Titel Das schlaue Füchslein am 1. April bis zum 23. Juni 1920 in einer Fortsetzungsreihe in der Lidové noviny erschien. Das Buch mit den Illustrationen von Lolek wurde ein Jahr später veröffentlicht. Vom Umfang ist es eher ein Roman als eine Kurzgeschichte, seine Form ähnelt eher seinen früheren Feuilleton-Romanen und in seiner Komposition ist es aber entschieden kohärenter. Es unterscheidet sich auch in der Art und Weise, wie die Welt von Mensch und Tier miteinander verbunden ist. Waren Tiere in seinen bisherigen Werken nur von untergeordnetem Interesse, sind sie hier die Hauptfiguren und die Tierwelt wird in all ihren Formen eingefangen: Von Mücken über Frösche, Vögel, Hasen, Füchse und Dachse. Die Handlung, die in 23 Kapitel unterteilt ist und in den Wäldern von Bílovice und um Brno herum spielt, ist sehr einfach: Ein alter Jäger fängt eine junge Füchsin im Walde und bringt sie nach Hause. Die Füchsin macht jedoch naturgemäß ständig Unfug und betritt schließlich den Geflügelstall im Hof und schafft es dann auch danach zurück in den Wald zu fliehen. Doch im Winter ist das Leben hart und sie überfällt das Hühnerhaus, was dem Wildhüter das Leben schwer macht und der vergeblich versucht, sie zu fangen. Der Frühling kommt und Bystrouška verliebt sich in den Fuchs Zlatohřbítek und gründet mit ihm eine Familie. Těsnohlídek bevölkerte die Menschenwelt mit drei Freunden, die sich in der Gaststätte-Pásek treffen: Bartoš, dem Wildhüter, dem Pfarrer und dem Schulmeister. Wie in seinen früheren Werken beschreibt Těsnohlídek überzeugend die einfachen Menschen mit all ihren Fehlern. Der Herr des Hauses genießt das Trinken und kehrt nach dem Kartenspiel oft tot betrunken nach Hause! Der Wildhüter zeigt Respekt vor der Frau des Gastwirts, wobei es in seiner Vergangenheit wohl eine Liebesbeziehung gegeben haben muss. Der stumpfe Schulmeister ist in die Konditorin Terynka verliebt. Těsnohlídek zeigt diese Welt aus zwei Perspektiven – der tierischen und der menschlichen – und seiner Ansicht nach ist die tierische Perspektive reiner und besser und gleichzeitig zieht er Gewisse Parallelen zwischen den beiden Welten und ihren Populationen. Der Schriftsteller verwendet Sprachen um Charaktere und Situationen zu beschreiben. In den Brno-Vororten mischt er Elemente von mindesten zwei Dialekten: Haná und Südmähren. Die verschiedenen Figuren von Těsnohlídek bedienen sich oft der Standardsprache, gelegentlich aber auch in übertriebener Form, z. B. wenn der Fuchs der Füchsin den Hof macht oder wenn der Förster in Gesellschaft spricht, aber mit zunehmendem Alkoholkonsum und steigender Stimmung verfällt er wieder in den Dialekt. Der Lišeň-Dialekt wird dann mit den Einwürfen des Pfarrers in Lateinisch und Griechisch vermixt.

Wie die ersten Künstler hinter den Füchsen, Lolek und Těsnohlídek, liebte auch Janáček die Natur und die Tiere. Er hörte nicht nur auf ihre Rufe und notierte sie in seinen Rede-Melodien, sondern war ein kompetenter Landwirt, wie wir in R. Smetanas (?-?) Artikel für die LN aus dem Jahr 1933 Das Haus hinter dem Konservatorium lesen können: „[…] Die Liebe zu Tieren gehörte zu seinen sehr ausgeprägten Charakterzügen, ein Charakterzug, der so stark war, dass er in den Merkmalen von Tieren Phänomene erwachen ließ, die noch nie zuvor gesehen worden waren. Die Hühner wurden so ungemein verwöhnt, weil sie so pflichtbewusst ihre Eier gelegt hatten. Und das Abends, wenn es Zeit für sie war zu schlafen, lehrte er sie auf Kommando auf den Gartenrasen zu springen. Von dort, wo sie zum Hühnerstall auf dem Dachboden gebracht wurden, ging er neben ihnen und hinter ihnen her durch den Garten und er lehrte sie, nicht in den Blumenbeeten herumzuharken und er verhielt sich ihnen gegenüber viel freundlicher, als es sonst üblich war bei echten Bauern. Seine beiden Hunde – der robuste schwarze Pudel Čert und der streunende Čipera – waren sehr einzigartige Hunde. Diese Gesellschaft von Tieren, mit denen Janáček sich lange Zeit sehr sanft unterhielt, nutzte er auch zur Förderung seiner musikalischen Interessen. Er lauschte gefesselt den Liedern eines Stieglitz und bemerkte auch sofort die Veränderungen der Stimme von Čipera, somit zeichnete sie auch gleich auf. Als sie aufwuchs, ging er mit ihr über die Wege in seinem Garten. Als sie einmal auf eine haarige schwarze Raupe stießen und Čipera sie überrascht anknurrte. Ging er hin um ihr Murren aufzuschreiben!“

Das schlaue Füchslein - Szenenphoto mit Boris Prygl (Harasta), Martin Gurbai (Förster) und Jan Stava (Priester) © Marek Olbrzymek)

 Daher könnte Janáčeks herzliche Beziehung zur Natur und allen Lebewesen der Grund für sein Interesse an Těsnohlídeks Geschichten gewesen sein. Er schnitt alle Teile von Bystrouška aus der Zeitung aus, hatte aber vorher noch andere Arbeiten zu erledigen. Bis zum 24. Dezember 1920 arbeitete er am Manuskript von Katya Kabanová, dessen Uraufführung am 23. November 1921 im National Theater Brno  stattfand. Dennoch veröffentlichte die Lidové noviny im Frühjahr 1921 am 15. Mai einen Bericht über eine neue Oper, die der Maestro Janáček in Betracht zog. Erwähnt wurde auch ein neues Werk vom 11. Juni 2021 im Feuilleton: Der kleine Stieglitz (1921), wo Janáček schrieb, das er für die Füchsin Bystrouška eine Gesellschaft zusammenstellen würde. Das zeigt das Datum im Manuskript der Partitur, Janáček begann am 20. Januar 1922 zu komponieren und schrieb am 10. Februar 1922 einen Brief an seine Freundin Kamila Stösslová (1891-1935): „Ich habe angefangen eine neue Oper  Das schlaue Füchslein zu schreiben! Eine lustige Sache mit einem traurigen Ende. Und ich nehme selbst einen Platzt an diesem traurigen Ende ein. Und deshalb gehöre ich auch dorthin!“ Janáček komponierte und studierte die Natur! Im Jahr 1922 veröffentlichte die Lidové noviny mehrere Feuilletons mit Tierthemen, während er die Melodien der Vögel notierte, als er im Lužánsky-Park in Brno spazieren ging. Er bemerkte die Geräusche der Tiere, als er in Hukvaldy war. Im Sommer fand der Wildhüter Jan Sládek ( ) einen Fuchsbau für ihn, sodass Janáček das Leben der jungen Füchslein aus erster Hand beobachten konnte. Bevor Janáček jedoch mit der Komposition beginnen konnte, musste er Těsnohlídeks Novelle adaptieren. Die von ihm vorgenommenen Änderungen waren erheblich – die Handlung der Oper ist prägnanter als die des Romans – und von den 23 Kapiteln wählte Janáček die zehn geeignetsten aus und schuf daraus drei Akte. Er änderte auch die Reihenfolge der Geschichten sowie deren Chronologie, einige der Ereignisse aus den Kapiteln, die er ausgelassen hatte, wurden Teil der Erzählung der Füchsin. Er hatte bereits damit begonnen, auf den Ausschnitten, die er aus den Zeitungen aufbewahrt hatte, die Passagen zu markieren, die ihm gefielen. In der Buchfassung von 1921 nahm er gründlichere Änderungen vor, wo es eindeutig zwei Änderungsstufen gibt: In Rot und dann in gewöhnlichem Bleistift! Die Notizen in Rot deuteten darauf hin, dass es fünf sein würden, einschließlich der nächtlichen Überfälle der Füchsin im bäuerlichen Hühnerstall. Janáček begann die Geschichte mit den Jahreszeiten in Verbindung zu bringen und dachte darüber nach, dass es am Ende einen Toten geben würde, obwohl er ihn damals nur mit einem Kreuz markierte. Der nächste mit Bleistift geschriebene Abschnitt ist ausführlicher und am Ende von Kapitel 22, in dem Bystrouška sich in Zlatohřbítek verliebt, Janáček notiert das Datum 23. Juni 1922. Es ist daher möglich, dass er diese Änderung gleichzeitig mit dem Komponieren vornahm. Janáček arbeitete intensiv mit dem Text und wählte diejenigen Abschnitte aus, die die Verbindung zwischen der menschlichen Welt und der Natur hervorhoben. Er ließ die gesellschaftlichen Passagen und die Geschichten über die Raubzüge der Füchse auf den Hühnerstall und seine Vorräte weg. Er reduzierte die politische Satire und betonte gleichzeitig die Poesie der gesamten Geschichte. Die Aufteilung der Handlung nach den Jahreszeiten war ein Symbol für die Endgültigkeit der menschlichen Existenz und den ewigen Kreislauf der Natur.

Der Komponist beendete das Manuskript des ersten Aktes am 22. März 1922, den zweiten Akt am 5. Juli 1922 und die gesamte Oper am 25. Oktober desselben Jahres. Jeder wusste von Janáčeks neuer Oper und der Direktor des National Theater Brno, Václav Štech (1859-1947), im November 1922 hörte, dass das Werk fertig war, schrieb er sofort an Janáček und fragte, ob das neue Werk vom Theater in Brno aufgeführt werden könne. Die Antwort von Janáček können wir daran erkennen, dass nur drei Tage später am 25. November ein kurzer Bericht in der Zeitung Divadelní šepty: „Maestro Janáček hat die Partitur für seine neue Oper Das schlaue Füchslein nach der Geschichte von Rudolf Těsnohlídek fertiggestellt. Die Oper wird zu Beginn der nächsten Saison zum ersten Mal im National Theater Brno aufgeführt“. Der Bericht war jedoch mehr als optimistisch, da Janáček am 3. April 1923 immer noch mit Stösslová haderte: „Über die Feiertage bin ich nirgendwo hingegangen. Ich bin bis zum Hals damit beschäftigt, Das schlaue Füchslein abzuschreiben. Ich mache Bystrouška wie der Teufel, der Fliegen fängt – wenn sie nichts anderes zu fangen hat. Ich habe die Füchsin für den Wald und für die Traurigkeit der letzten Jahre gefangen“. Die Operntranskription war ein Jahr später, im Oktober 1923 fertig. Der Klavierauszug befand sich im Dezember im Theater und die vollständige Partitur wurde im Januar 1924 von Janáček eingereicht, so dass mit der Vorbereitung der Orchester-Stimmen begonnen werden konnte.

Das schlaue Füchslein - Szenenphoto mit Doubravka Novotna (Füchsin) und Jan Stava (Priester) © Marek Olbrzymek

Die Premiere sollte im Herbst stattfinden und die Vorbereitungen begannen im Sommer. Auf Wunsch von Janáček wurde das Bühnenbild und die Kostüme für die Uraufführung an Eduard Milén (1891-1976) anvertraut. Schon früh hatte ihn der Komponist um einen Entwurf für die Titelseite der Klavierpartitur gebeten, die im Juli 1924 bei Universal Edition in Wien veröffentlicht wurde. Die Zeichnung zeigte eine charmante junge, leicht kokette Frau, was Janáček sehr gefiel! Milén sagte später: „Bystrouška war in erster Linie eine Frau für Janáček“. Milén schuf eindrucksvolle Bühnenbilder und moderne Kostüme. Ihre geometrischen Formen voller Farben zeigten gleichzeitig zusammen eine auf äußerst humorvolle Weise die charakteristischen Merkmale jeden Tieres. Als Regisseur wurde Ota Zítek (1892-1955) ausgewählt, der 1921 dem Theaterensemble von Brno beitrat. Es war seine erste Produktion einer Oper von Janáček und er hatte eine schwierige Aufgabe vor sich: Einen Weg zu finden, die beiden unterschiedlichen Welten von Menschen und Tieren plausibel miteinander zu verbinden. Janáček war stark in die Proben involviert und verbrachte viel Zeit mit dem jungen Regisseur, um seine Ideen als Komponist für die Inszenierung der Füchsin zu besprechen.

Janáček war nicht nur stark in die Arbeit des Regisseurs eingebunden, er ging auch oft zu den Proben und Aufführungen seiner Werke ins Theater und war ein stiller Beobachter hinter den Kulissen. Wie bei Janáčeks anderen Opern war die musikalische Leitung des Werks vom musikalischen Direktor des jeweiligen Opernhaus vorgesehen, im National Theater Brno war es der angesehene tschechische Dirigent und Komponist František Neumann (1874-1929). Janáček selbst hatte diesen versierten Musiker als Leiter des NTB empfohlen und er erwies sich auch als ein treuer Unterstützer und Mitarbeiter bei den Proben. Die beide Musiker-Freunde korrigierten und finalisierten zusammen auf den Opern-Proben die allerletzten Kleinigkeiten. Die Neugier auf die Uraufführung war sehr groß und die Zeitung Lidové noviny widmete sich mit viel Talent der ganzen Entstehungsgeschichte der Oper Das schlaue Füchslein mit einer einzigartiger Aufmerksamkeit zu. Am Tag der Uraufführung, dem 6. November 1924, veröffentlichte Adolf  Veselý (1886-1961) ein Feuilleton mit dem Titel Die Reise eines Kunstwerks, das die Leser mit dem Ursprung der Oper vom Schreibtisch des Komponisten bis zur Theaterbühne vertraut machte, einschließlich der „Kleinigkeiten“ wie der unerwarteten Hochzeit der Interpretin der Füchsin und am Abend gab es dazu die Gala-Premiere der Oper Das schlaue Füchslein im Theater mit tschechischen  Sopranistin Hana Hrdličková (1883-1982) als Bystrouška, der tschechischen Mezzo-Sopranistin Božena Snopková (1890-1974) als Fuchs Zlatohřbítek und der tschechische Bass Arnold Flögel (1885-1950) als Wildhüter. Sowohl das Publikum als auch die Kritiker waren begeistert von der Produktion und auch mit dem neuen Werk.

Ende November kam sogar der Direktor des Opernensembles des National Theater Prag, Otokar Ostrčil (1879-1935), um eine Aufführung von Das schlaue Füchslein in Brno zu sehen. Er hatte Janáček bereits im September 1924 nach der Möglichkeit gefragt, die Füchsin in Prag aufzuführen. Janáček war jedoch nach seiner Erfahrung mit der Premiere in Prag von Die Ausflüge des Herrn Brouček (1920) und wollte nicht, dass die Uraufführung seines neuen Werks in Prag stattfindet. Die Premiere in Prag im National Theater am 18. Mai 1925 war Teil eines von der International Society for Contemporary Music organisierten Orchester-Festivals. Die Oper wurde vom Direktor Ostrčil selbst dirigiert und von Ferdinand Pujman (1889-1961) inszeniert. Die Bühnenbilder und Kostüme wurden von Josef Čapek (1887-1945) entworfen. Janáček war damit nicht besonders zufrieden! Zu Lebzeiten des Komponisten wurde Das schlaue Füchslein im Ausland nur in Mainz aufgeführt, doch heute ist sie neben Jenufa (1904)  eines seiner am häufigsten gespielten Werke im In- und Ausland.

Das schlaue Füchslein -nhier Marek Sedivy, Dirigent © Marek Olbrzymek

DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN - Mahen-Theater Brno - 10. November 2024

Kleiner Maßstab, aber große Wirkung für eine poetische und humorvolle Inszenierung…

Janáčeks Oper über die Verbundenheit von Mensch und Natur entfaltet ihren großen Zauber in der Inszenierung und Choreografie des israelischen Choreografen Iztik Galili. Aber trotz aller Sparsamkeit in dieser entzückenden Inszenierung von Das schlaue Füchslein ist hier nichts überflüssig. Dank der Wärme und des Witzes dieser Produktion des schon genannten Regisseurs und seinem tschechischen Bühnenbildners Daniel Dvořák fühlt sich Janáčeks „jahrhundertalte“ Oper, die über den Kreislauf des Lebens und die Verbundenheit von Mensch und Natur nachsinnt, in der Großstadt ebenso wie zu Hause  eine Füchsin des 21. Jahrhunderts.

Diese Geschichte war ein Comic, bevor sie eine Oper wurde und die Inszenierung hat eine passende Leichtigkeit und ist frei von jeglicher Selbstgefälligkeit. Der Ton von Dvořáks Design, gleichzeitig hausbacken und stilvoll, ist genau richtig. Das Bühnenbild ist fast leer und es gibt kaum Requisiten außer einer kräftigen Handvoll leuchtender Glühwürmchen in Form von modernem Lampendesign. Das ist jedoch mehr als genug Rahmen für eine Reihe scharf beobachteter Charakterisierungen, angefangen mit den Insekten: Kinder mit dreidimensionalen Kopfbedeckungen aus Karton, die bunte Windschläuche an langen, schlanken Stangen schwenken, die um sie herumzufliegen scheinen.

Als die Füchsin Bystrouška zum ersten Mal von der Freiheit träumt, beginnt die Oper ihre wahre Magie zu entfalten. Sie blickt aus ihrer Welt in unsere, sieht das Orchester spielen und während sie von der Musik mitgerissen wird, kann man sehen wie sie durch sie an Stärke gewinnt: Sie wird zur Heldin und in der charismatischen Darbietung der tschechischen Sopranistin Doubravka Novotná, wird  sie mehr als nur eine herrlich gesungene würdige Heldin.

Galilis geschäftige Inszenierung ist von Angst, nicht von Gefühlen geprägt. Der Komponist ließ seine Oper in einem mährischen Wald spielen, wo ein Förster, interpretiert von dem phantastischen tschechischen Bass Martin Gurbaľ eine junge Füchsin fängt, die aber in die Wildnis zurückflieht, um einen Wurf Junge mit ihrem männlichen Fox, wunderbar interpretiert von der tschechischen Mezzo-Sopranistin Anna Nitrová, aufzuziehen aber leider nur um einem Jäger aus dem Dorf dann später zum Opfer zu fallen. 

Dennoch herrscht auch auf der Bühne eine Fülle farbenfrohen Lebens mit all den Insekten, Vögeln, Pilzen und Tieren, die jede Inszenierung von Janáčeks Oper und auch diese, abwechselnd zu einem Vergnügen und einem Risiko machen. Galilis choreografische Bewegungsregie sorgt mit einer Menagerie von blauen Libellen getanzt von Leonardo Baghin, Sachiya Takata Hare und Simone Giroletti, die tschechische Mezzo-Sopranistin Šárka Hrbáčková singt den Hund Lapák, der stolze Hahn gesungen von der tschechischen Mezzo-Sopranistin Miroslava Časarová und der grasgrüne junge Frosch interpretiert von dem tschechischen Knaben-Sopranisten Roman Patrick Baroš alle ihre Spuren hinterlassen, für Lacher und Eindringlinge. Es gibt Fuchsjunge und Hühner in Hülle und Fülle, während die „Zeitmesser“ die Szenerie verändern und ständig an die dunkle Seite der Oper erinnern.

Der tschechische Dirigent Marek Šedivý dirigiert fleißig, aber in einem eher allgemeinen Bogen. Novotná verleiht der Füchsin Bystrouška eine stimmliche Anziehungskraft, die es ihr ermöglicht, die transzendenten Qualitäten der Oper zu ermitteln. Ihr steht der dunklere Mezzo-Sopran von Nitrovás  Fox gut in nichts nach, der Förster von Gurbaľ hat einen reichen Klang und ist in seiner Weisheit einfühlsam, aber die Artikulation, die in dieser Oper besonders wichtig ist, hat bei keinem von ihnen eine besondere Stärke. Der tschechische Bariton Boris Prýgl der in der Rolle des Wilderers Harašta einen beeindruckenden Eindruck hinterlässt, ist dagegen auch vorbildlich klar in seiner Diktion. Dies gilt auch für das erfahrenen Paar: Der tschechische Bass Martin Javorský und der tschechische Bariton Jan Štáva, die  den wichtigen dramatischen Kontrapunkt zum unerfüllten Leben des Dorfschulmeisters und des bösartigen Dorfpriesters einfangen.

Trotz einiger Ungereimtheiten in der Inszenierung war es doch ein anspruchsvoller Abend mit wunderbaren Stimmen und charaktervoller Schauspielkunst. Brava… Bravo… Bravi… (PMP/22.11.2024)