Lüttich, Opéra Royal de Wallonie-Liège, AIDA - Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 02.03.2019
AIDA - Giuseppe Verdi
150.000 Goldfranken "überzeugten" Verdi, dies große Werk zu schaffen
von Ingo Hamacher
Mehrfach war er vom regierenden Khediven Ismail Pascha gebeten worden, eine Oper „in ausschließlich ägyptischem Stil“ zu schreiben, aber Verdi hatte immer abgelehnt. Eine Repräsentations- und Prunkoper im Stil einer Grand Opéra mit Massenszenen, Balletteinlage und einem Konflikt zwischen Pflichterfüllung und Leidenschaft, den klassischen Zutaten der Pariser Oper in dieser Zeit, interessierten ihn nicht mehr.
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Nach Don Carlo, dessen ursprüngliche Fassung für Paris und auf Französisch komponiert wurde, wollte er nur noch seine Muttersprache vertonen. Verdi interessierte Erzählungen menschlicher Konflikte; wollte Opern über Schicksale und Charaktere schreiben.
Erst, als ihm der in Kairo lebende französische Ägyptologe Auguste Mariette, Begründer der Denkmalpflege in Ägypten und des Ägyptischen Museums in Kairo, sein Libretto über eine im Alten Ägypten spielende Oper namens AIDA zuspielen ließ, erwachte Verdis Interesse. Möglicherweise hat auch der Hinweis geholfen, dass das Projekt alternativ an Richard Wagner oder Charles Gounod übergeben würde, falls Verdi nicht zusagen würde. Verdi forderte und bekam für die Komposition 150.000 Goldfranken; das bis dahin höchste Honorar für einen Komponisten. Die Uraufführung von AIDA fand am 24. Dezember 1871 statt, im Khedivial-Opernhaus in Kairo. Die Handlung spielt in Memphis und Theben zur Zeit der Herrschaft der Pharaonen.
AIDA in Lüttich - So hätte wohl auch Verdi AIDA gewollt
Für das Bühnenorchester beim Triumphmarsch wurden von Verdi eigene Trompeten, die sogenannten AIDA-Trompeten, als Sonderanfertigung in Auftrag gegeben. Die Handlung ist nicht historisch, sondern fiktiv und berichtet von menschlichen Konflikten, die in vielen Opern Verdis das Wichtigste sind, immer ohne Happy End. Die Wirkung der Oper steht und fällt mit der ägyptischen bzw. ägyptisierenden Ausstattung; dies war so von Beginn an von Mariette und Verdi konzipiert.
Historische Genauigkeit der Handlung war nicht angestrebt, dagegen aber sehr wohl historische Genauigkeit in der Ausstattung. Auch die Musik sollte ägyptisch klingen, aber u?ber den Originalklang war nichts in Erfahrung zu bringen. Das die liturgischen Gesänge des Stückes als mit der Zeit der Oper stimmig erlebt werden, liegt an der Harfenbegleitung, der Chromatik der Melodik und dem monodischen und antiphonischen Gesang der Priester in der Art des Kirchengesangs von Palaestrina.
Die Tänze sind im ‚alla Turca’-Stil geschrieben, den z.B. auch Mozart für die Andeutung von „Orient“ benutzte. Besonders „ägyptisch“ klingt das Vorspiel zum dritten Akt, das eine tropische Sommernacht beschreibt. Zirpende Violinen; Flöten imitieren Vogelstimmen. Mit dem Triumphmarsch in seiner Oper Aida schuf Verdi einen der berühmtesten Märsche der Musikgeschichte und ein vor Trompeten-Fanfaren nur so strotzendes Stück opulenter Bühnenmusik.
Aber Aida endet nicht mit einem bombastischen fortissimo Finale, sondern verhaucht in einem vierfachen pianissimo. Spätere Theater verschoben den Schwerpunkt von der von Verdi komponierten Tragödie von Individuen zu einer pompösen Ägypten-Revue. Aida gehört zu den erfolgreichsten großen Opern des 19. Jahrhunderts.
Stefano Mazzonis di Pralafera, Intendant der Lütticher Opéra Royal de Wallonie-Liège und Regisseur der Produktion, greift Verdis ursprüngliche Idee eines ägyptischen Seelendramas wieder auf und inszeniert das Stück als Kammerspiel. Die Bühne gehört den leisen Tönen; den Beziehungen; den Emotionen. Es braucht nicht viel, um eine AIDA glaubhaft auf die Bühne zu bringen. Man muss es nur richtig machen. Stefano Mazzonis di Pralafera und sein Team haben alles richtig gemacht.
Am Pult: Speranza Scappucci, eine 45-jährige italienische Dirigentin und Pianistin, die nach internationaler Tätigkeit im September 2017 Paolo Arrivabendi als Chefdirigent der Opéra Royal de Wallonie abgelöst hat. Scappucci spürt in ihrem Dirigat die Feinheiten der Partitur auf und lässt den Abend mit zart geführter Hand zu einem musikalischen Erlebnis werden.
1. Akt
In einem schlichten, dunklen, von einer großen zentralen goldenen Horus-Statue dominierten Bühnenbild (Bühne: Jean-Guy Lecat) führt uns das Produktionsteam (Kostüme: Fernand Ruiz; Licht: Franco Marri; Choreographie: Michèle Anne De Mey; Chor: Pierre Iodice) in eine antikisierende Welt.
Zur von Radames als Kavantine gesungene Romanze „Celeste Aida“ (Himmlische Aida) erscheint Aida in einer stummen Partie auf der Bühne, so dass der Tenor die Arie nicht wie üblich in den Zuschauerraum brüllt, sondern seiner Geliebten zärtlich zuflüstern kann.
RADAMÈS: Gianluca Terranova: Der 48-jährige Römer ist international gefragten Tenor, der durch seine Leichtigkeit in der Höhe und durch große Bühnenpräsenz besticht.
Aida, Tochter des äthiopischen Königs, muss als Sklavin am ägyptischen Hof leben. Sie ist unsterblich in Radames verliebt. AIDA: Elaine Alvarez Die aus Kuba stammende international tätige US-amerikanische Sopranistin wird in dieser Spielzeit in Lüttich noch einmal, und zwar in der Titelrolle von Anna Bolena zu hören sein. Als Ägypten von den feindlichen Äthiopiern überfallen wird, wird Radames zum Heeresführer gegen die Äthiopier bestimmt. Er freut sich auf diese Aufgabe, hofft er doch, nach einem erfolgreichen Feldzug Aida heiraten zu können.
Amneris, die Tochter des Pharao, liebt den Feldherrn Radames ebenfalls und wirbt um seine Gunst. AMNERIS: Nino Surguladze: Die 41-jährige georgische Mezzosopranistin, Preisträgerin zahlreicher internationaler Wettbewerbe, ist stimmschön sowohl weltweit, als auch häufig in Deutschland zu erleben.
Radames rückt nach einer feierlichen Zeremonie mit den Truppen aus. Aida leidet an ihrer Ambivalenz zwischen der Liebe zu ihrer Heimat und zu Radames.
2. Akt
Die säulenartigen Mauertürme, die die Bühne bisher strukturiert haben, werden bei offenem Vorhang um 180 Grad gedreht, und fügen sich nun zu einem farbenprächtigen, reich ausgestatteten Palastinneren. Das Heer der Ägypter konnte gegen die Äthiopier siegen. Amneris entlockt Aida ihr Liebesgeheimnis, indem sie ihr erzählt, Radames sei in der Schlacht umgekommen. An Aidas emotionalen Reaktion erkennt Amneris ihre Rivalin. Sie befiehlt ihr, sie als Sklavin zum geplanten Triumphfest zu begleiten.
Ein Teil des Bühnenbodens wird in die Höhe gefahren, so daß auf der Unterbühne der große Chor sichtbar wird, bereit für den Triumphmarsch. So dezent das Orchester der Opéra Royal de Wallonie-Liège bisher auch geführt wurde: Hier gibt es zusammen mit dem großen Chor des Hauses alles!
Bei stark zurückhaltendem Bühnengeschehen (Soldaten und tierköpfige ägyptische Gottheiten ziehen nacheinander an der Chorempore vorbei) wird der Triumphmarsch vor allem ein musikalisches Erlebnis. Der ägyptische König, gesungen von Luciano Montanaro, einem italienischen Bass, der ebenfalls in dieser Spielzeit in Anna Bolena zu erleben sein wird, nimmt seine siegreichen Soldaten feierlich in Empfang. Auf seinen Befehl hin werden die Gefangenen vorgeführt. Unter ihnen ist der äthiopische König, Aidas Vater, Amonasro.
AMONASRO: Lionel Lhote: Der belgische Bariton unterrichtet neben seinen internationalen Gesangsauftritten seit September 2015 an dem Königlichen Konservatorium in Brüssel. Als Lohn für seinen erfolgreichen Feldzug soll Radames auf Wunsch des Königs dessen Tochter Amneris heiraten und nach dessen Tod selbst König von Ägypten werden; er selbst bittet jedoch erst einmal um die Freilassung der Gefangenen.
3. Akt
Grüne Pflanzenspaliere verweisen auf einen neuen Handlungsort. Aida wartet in der Nacht heimlich an Nilufer auf Radames. Doch vorher erscheint Aidas Vater, Amonasro: Er möchte seine Tochter dazu bewegen, Radames das Geheimnis zu entlocken, auf welchem Weg eine Flucht gelingen würde. Aida ist im Zwiespalt. Radames erscheint und Amonasro versteckt sich. Aida erfragt die Möglickkeit einer gemeinsamen Flucht; Radames nennt die Napataschlucht.
Triumphierend tritt Amonasro nun aus dem Hintergrund hervor und offenbart seine wahre Identität als äthiopischer König. Radames erkennt, dass er ungewollt sein Vaterland verraten und sich dadurch entehrt hat. Amneris, die die Szene belauschte, tritt hervor und bezichtigt Radames des Verrats. Amonasro und Aida fliehen, Radames lässt sich ohne Widerstand festnehmen.
4. Akt
Amneris ist verzweifelt und fühlt sich zwischen Wut und Liebe hin- und hergerissen. Sie möchte Radames retten und lässt ihn vorführen. Sie versucht ihn vergeblich zu überreden, sich vor Gericht zu verteidigen, um sein Leben zu retten. Radames geht davon aus, Amneris habe Aida getötet, weshalb er den Tod wählt. Erneut hebt sich der Bühnenboden und gibt den Blick auf das unterirdische Gefängnis frei. Man hört die Anklage der Priester; Radames jedoch schweigt. Er wird dazu verurteilt, in den Räumen unter dem Altar der Göttin lebendig begraben zu werden. Während Radames in seine Todeszelle hinab steigt, vernimmt er einen Seufzen.
Er sieht einen Schatten und erkennt Aida, die sich bei Tagesanbruch in die Krypta geschlichen hat, um mit ihm zu sterben. Gemeinsam nehmen die beiden Geliebten gelassen und verklärt Abschied von der Welt und versinken im Bühenboden.
In den weiteren Rollen: RAMFIS, Oberpriester: Luca Dall’Amico, ein vielversprechender junger italienischer Bass, der an allen großen Häusern singt.
OBERPRISTERIN, Sopran: Tineke Van Ingelgem?Die Belgierin ist bekannt für ihr schauspielerisches Talent kombiniert mit einer hellen und kräftigen Stimme. Eine perfekte Besetzung für starke Frauenrollen.???BOTE: Maxime Melnik, geb. 1994, ist ein junger belgischer Tenor aus Charleroi.
Verdienter und lange anhaltender Applaus, rythmisches Klatschen, Jubel für die Solisten, ‚Ooohs‘ und ‚Aaahs‘ für die musikalische Leitung und Ovationen für das Produktionsteam beenden den erfolgreichen Abend. So hätte Verdi es gewollt!
AIDA im Opéra Royal de Wallonie-Liège; die weiteren Termine 03.03. (15:00); 05.03.; 07.03.; 09.03.; 10.03. (15:00); 12.03.; 14.03.2019
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