Lüneburg, Theater Lüneburg, Der Rosenkavalier - Richard Strauss, IOCO Kritik, 22.05.2019
Der Rosenkavalier - Richard Strauss
- Kleines Haus mit großer Produktion -
von Hartmut Kühnel
„Rote Rosen“ ist eine Telenovela der ARD, die in Lüneburg spielt und der Stadt inzwischen einen regen Bustourismus mit Leuten eingebracht hat, die auf den Spuren der Serie wandeln wollen wie einstmals die Besucher der „Schwarzwaldklinik“, inklusive „Erlebnisführung Rote Rosen“. Das entbehrt nicht der Komik, ist aber inzwischen durchaus auch ein Wirtschaftsfaktor für die Stadt. Insofern war die Idee (von wem auch immer sie stammte), die Lüneburger Erstaufführung des ROSENKAVALIERs kurzerhand während der Probenzeit mit in die Serie einzubetten (zuzüglich einiger Serien-typischer Verwicklungen) durchaus sinnvoll. Signe HEIBERG, die Sängerin der Marschallin, hatte dazu auch eine Gastrolle übernommen.
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Gespielt wird seit 1961 im ehemaligen Globe-Kino der britischen Besatzungstruppen, 542 Plätze in 21 kontinuierlich ansteigenden Reihen mit durchweg guter Sicht und erfreulich viel Beinfreiheit. Das hat nicht nur optischen Charme (wenn man es ein bisschen altmodisch liebt) sondern ist auch akustisch erstaunlich gut. Nur geben natürlich weder der Orchestergraben noch die Größe des Hauses als solche den Platz für ein originales Rosenkavalier-Orchester her. Also erarbeitete Musikdirektor Thomas DORSCH – ab 2019 frei von eventuellen Genehmigungs- und Tantiemenquerelen - die „Lüneburger Fassung“ für ca. 55 Musiker und fügte obendrein etliche kleinere Striche oder auch schlicht der vorhandenen Gegebenheit geschuldete Vereinfachungen hinzu.
So ist der Tierhändler im 1. Akt weggefallen, anstelle der 4 Lakaien laufen nur noch 2 dem „Herrn Grafen“ nach etc. Aber was tut’s, das Lüneburger Ensemble, das bei der nicht eben geringen Anzahl von Rollen trotzdem mit nur 3 Gästen auskommt (Octavian, Ochs und erstaunlicherweise die Jungfer Leitmetzerin) ist ohnehin genug gefordert. So muss der Haushofmeister der Marschallin nach getaner Frühschicht mittags im gleichen Job bei Faninal antreten und – im Niedriglohnsektor ja heutzutage leider nicht unüblich – abends auch noch den Wirt machen, bei dem sich der indisponiert gemeldete Alexander TREMMEL klugerweise das hohe B bei der „Frau Fürstin FEEELDmarschall“ schenkte. Und selbst der Notar der Marschallin kellnert abends, die Dame zahlt offenbar miserabel, was allerdings nur an der ebenso miserablen finanziellen Lage der kommunalen Theater in Niedersachsen liegen kann, das Lüneburger Haus war im letzten Herbst angeblich sogar Insolvenz-gefährdet, es wäre ein Jammer!
Kein Wunder also, dass auch die – wenn man richtig gezählt hat – 28 Mitglieder der Lüneburger Symphoniker nur 80% des gültigen Flächentarifvertrages bekommen. Sie legen sich – aufgestockt durch etwa die gleiche Anzahl Gäste - trotzdem mächtig ins Zeug und liefern unter der schwungvollen Leitung von Thomas DORSCH einen ebensolchen, obendrein sehr sauber und differenziert gespielten Strauss ab, bei dem so manches Detail in den Bläsern einmal nicht im süffigen Streicherklang von 32 Violinen untergeht.
Für die Inszenierung zeichnet Hajo FOUQUET, seit 2010 Intendant des Theaters, verantwortlich. Er lässt die Handlung in etwa in der Entstehungszeit des Werkes spielen und liefert in einem einfachen, aber funktionalen und durchaus atmosphärischen Bühnenbild, bei dem die Rückwände die Decke des jeweiligen Raumes abbilden, vor allem eine solide Personenführung mit lauter lebendigen Figuren ab (Handwerk scheint an den kleinen Häusern noch ein Wert an sich zu sein); niemand rutscht in die Karikatur ab, auch der Ochs ist – bei aller Busengrapscherei – einer, der sich im Prinzip benehmen kann, so es denn seinen Zwecken dient. Martin BLASIUS (neben der Sängerin des Octavian der Einzige, von dem ich sicher weiß, dass er seine Rolle schon vor Lüneburg gesungen hat) verleiht ihm pralle Züge und einen immer noch veritablen Bass, bei dem zwar die Intonation nicht mehr immer so ganz genau stimmt und der ein oder andere Ton auch mal leicht verrutscht; aber er mogelt sich nicht durch, sondern singt auch in den extremen Lagen ausgesprochen ehrlich. Und die Parlando-Fähigkeit, ohne die der Ochs nicht zu machen ist, lässt nichts zu wünschen übrig.
Die beste Leistung des Abends kam allerdings von Signe HEIBERG. Die ist seit der Saison 2016/17 festes Ensemblemitglied und hat seitdem neben Operette und moderner Musik Desdemona, Micaela, Mimi und Figaro-Gräfin gesungen. Jetzt also die Marschallin, mit gerade einmal 31 Jahren. Das ist früh, aber damit steht hier endlich einmal die von Strauss gewünschte junge Frau auf der Bühne, die bei allen melancholischen Anwandlungen eben doch lebenslustig ist und sich irgendwann nach dem dritten Akt (für den sie auch die Autorität der gelernten Fürstin mitbringt) sicher einen neuen Liebhaber suchen wird.
Und stimmlich kommt die Partie nicht zu früh, denn neben aller Jugendlichkeit der Stimme und einer souveränen, dynamisch differenzierten Stimmführung steht eine erstaunlich reife Textbehandlung – und die „silberne Rose“ am Ende des ersten Aktes habe ich noch selten so tonschön gehört. Das einzige Problem ist mitunter die Balance zu den Partnern, das Organ ist in diesem Haus im Forte schlicht zu groß, im Schlussterzett dominiert sie eindeutig, obwohl sie deutlich weiter hinten positioniert ist als ihre Partnerinnen. In der nächsten Spielzeit wird sie in Lüneburg noch die Senta singen, danach wäre ihr ein größeres Haus zu wünschen.
Weder Regina PÄTZER (Octavian) noch Franka KRANEIS (Sophie) können mit vergleichbarem Material aufwarten, aber Beide machen ihre Sache gut, singen sauber, ausgesprochen musikalisch und absolut höhensicher und sind auch optisch wunderbar rollendeckend. Ulrich KRATZ ist der geboten cholerisch-devote Faninal während Karl SCHNEIDER doch ein paar Probleme mit der vertrackten Arie des Sängers hat – aber da habe ich schon ziemlich berühmte Kollegen regelrecht „sterben“ gehört, die allein für die fünf Minuten sicherlich mehr Geld bekommen haben, als eine Lüneburger Monatsgage.
Diverse kleinere Partien (Annina & Valzacchi - Kirsten PATT & Marcus BILLEN, Notar & Polizeikommissar - Wlodzimierz WROBEL & Steffen NEUTZE) sind aus dem Chor heraus besetzt, alle schlagen sich wacker, wie überhaupt die ganze Aufführung eine in sich geschlossene Einheit ist.
Und auch wenn man sich vielleicht im Einzelfall etwas mehr Volumen oder ein persönlicheres Timbre gewünscht hätte, man ist hier nicht an der Met und man bekommt selbst auf dem teuersten Platz eine komplette Oper samt Inszenierung für einen Preis zu sehen, für den man sich für den Arienabend eines einzelnen Stars in der Hamburger Elbphilharmonie allenfalls die billigste Kategorie leisten könnte.
Der Rosenkavalier am Theater Lüneburg; leider weiteren Vorstellungen in dieser Spielzeit 2018/19
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