Linz, Musiktheater, DER FLIEGENDE HOLLÄNDER - Richard Wagner, IOCO

Nicht nur szenisch, sondern vor allem auch musikalisch kann der Linzer „Holländer“ überzeugen. Dorothea Herbert brilliert in der Rolle der Senta und begeistert mit ihrer Interpretation.

Linz, Musiktheater, DER FLIEGENDE HOLLÄNDER - Richard Wagner, IOCO
Landestheater Linz / Musiktheater © Sigrid Rauchdobler

von Marcus Haimerl

Mit einer intensiven, stimmungsvollen Inszenierung und einer packenden musikalischen Umsetzung bringt das Musiktheater Linz Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ auf die Bühne – eine Aufführung, die sowohl visuell als auch klanglich in den Bann zieht.

Richard Wagners Reise auf dem Segelschiff Thetis von Riga nach London im Sommer 1839 war ein einschneidendes Erlebnis, das den Grundstein für die Oper Der fliegende Holländer legte. Die Fahrt über die Ost- und Nordsee wurde von heftigen Stürmen erschüttert, mehrfach unterbrochen und führte zu einem ungeplanten Halt in Norwegen. Diese intensiven Erfahrungen prägten Wagners Bild von der wilden, ungezähmten Natur des Meeres und fanden ihren Ausdruck in der packenden und düsteren Atmosphäre seines Werks. Der fliegende Holländer entstand in den Jahren 1840/41 während seiner Zeit in Paris. Inspiriert wurde Wagner von Heinrich Heines Erzählung „Aus den Memoiren des Herrn von Schnabelewopski“, in der die Legende eines verfluchten Seemanns geschildert wird, der nur durch die Treue einer Frau erlöst werden kann. Die Uraufführung fand 1843 in Dresden statt, wo Wagner Kapellmeister war.

Für seine Regiearbeit verlegte Intendant Hermann Schneider die Handlung in einen sozialistischen Staat vor und nach der Wende und zeigt während der Ouvertüre eine Vorgeschichte: Senta wächst als Kind bei ihrem Vater Daland, einem Seefahrer und Kneipenbesitzer, auf. Oft entzieht sie sich heimlich seiner Aufmerksamkeit und sucht Zuflucht am Meer. Eines Tages wird sie in der Kneipe mit den Leichen einer Schiffskatastrophe konfrontiert, als plötzlich ein ertrunkener Mann vor ihren Augen wieder zum Leben erwacht.  Hilflos muss sie mitansehen, wie der Mann den Kampf um sein Leben vollends verliert. Senta macht von dem Toten ein Foto. Jenes Foto, auf das sie sich künftig fixieren wird. Hermann Schneider überzeugt durch seine vielschichtige und kluge Herangehensweise. Es gelingt ihm, Wagners Werk traditionell zu respektieren, aber auch mit modernen szenischen Elementen neu zu beleben. Schneider rückt in seiner Inszenierung die psychologische Tiefe der Charaktere ins Zentrum, besonders die innere Zerrissenheit Sentas und die tragische Einsamkeit des Holländers. Das beeindruckende Bühnenbild (Bühne: Dieter Richter) zeigt auf einer Drehbühne einen Hafen mit Blick auf das Meer, im Hintergrund ein blinkender Leuchtturm und das Innere von Dalands Haus/Kneipe. Ein Wandgemälde im oberen Stockwerk erinnert noch an die vergangenen sozialistischen Zeiten, ansonsten werden die Wände von Porträtfotos dominiert. Das Schiff des Holländers wird durch die Seitenwand eines großen, rot und schwarz angestrichenen, Frachtschiffs mit dem Namen Bernaard Fokke dargestellt. (Fokke war ein niederländischer Kapitän aus dem 17. Jahrhundert, der für seine außergewöhnlich schnellen Seefahrten bekannt war. Deswegen kamen Gerüchte auf, er habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Sein mysteriöser Ruf trug maßgeblich zur Entstehung der Legende des Fliegenden Holländers bei.)

Lisa-Marie Schneider (Senta als Mädchen) © Reinhard Winkler

Nicht nur szenisch, sondern vor allem auch musikalisch kann der Linzer „Holländer“ überzeugen. Dorothea Herbert brilliert in der Rolle der Senta und begeistert mit ihrer Interpretation, die gesanglich durch Raffinesse und darstellerisch durch enorme Ausdruckskraft besticht. Trotz der kurzfristigen Übernahme dieser Partie liefert sie eine nuancierte und mitreißende Darstellung, die zu den Höhepunkten des Abends zählt. Mit ihrer facettenreichen Stimme verleiht sie den lyrischen Passagen zarte Eleganz, während sie in dramatischen Momenten mit beeindruckender Intensität und klanglicher Kraft überzeugt. Dorothea Herbert versteht es meisterhaft, die innere Zerrissenheit und die unerschütterliche Sehnsucht ihrer Figur glaubhaft darzustellen, was dem Charakter eine tiefgründige emotionale Dimension verleiht. Ihre Interpretation der Ballade (Johohoe! Traft ihr das Schiff im Meere an) zählt zu den Höhepunkten des Abends: Mit einer perfekten Mischung aus Intensität und Sensibilität zieht sie das Publikum in den Bann. Die darstellerische Präsenz, mit der sie Sentas Träume und Opferbereitschaft verkörpert, verleiht ihrer Interpretation eine außergewöhnliche Tiefe und beweist, dass sie eine der vielversprechendsten Interpretinnen dieser Wagner-Partie ist. Aris Argiris setzt in der Titelrolle des Holländers mit seiner unverwechselbaren stimmlichen und darstellerischen Präsenz Maßstäbe. Sein markanter Bariton durchdringt jede Szene mit emotionaler Wucht und verleiht der tragischen Figur des verfluchten Seemanns eine ergreifende Intensität, die das Publikum von Beginn an fesselt.

Aris Argiris (Holländer) © Reinhard Winkler

Mit einer beeindruckenden stimmlichen Bandbreite gestaltet Argiris die wechselnden Emotionen des Holländers – von düsterer Verzweiflung über aufkeimende Hoffnung bis hin zu erbarmungsloser Resignation – mit einer Intensität, die unter die Haut geht. Besonders hervorzuheben ist seine außergewöhnliche Wortdeutlichkeit, die jede Nuance des Textes mühelos transportiert. Dadurch wird die Dramatik der Figur nicht nur musikalisch, sondern auch sprachlich überzeugend vermittelt. Seine Artikulation lässt den inneren Schmerz des Holländers förmlich greifbar werden und macht es dem Publikum leicht, sich mit der komplexen und gebrochenen Figur zu identifizieren. Die düstere, maskuline Färbung seines Timbres unterstreicht die Schwere des Fluchs, die den Holländer belastet und verleiht der Partie eine außergewöhnliche Tiefe. Darstellerisch beeindruckt Aris Argiris durch seine kraftvolle Erscheinung. Jede Bewegung und jeder Blick sind von intensiver Bedeutung, wodurch er die Zerrissenheit zwischen Sehnsucht nach Erlösung und Bürde seines ewigen Fluchs eindrucksvoll verkörpert. In den großen Szenen mit Senta gelingt es ihm, die emotionale Verbindung zwischen den Figuren glaubhaft und berührend darzustellen, ohne dabei ins Sentimentale zu verfallen. Sein Höhepunkt ist zweifellos die Schlussszene, in der die Verzweiflung und der Schmerz des Holländers in voller Wucht auf das Publikum übergingen. Mit seiner musikalischen Präzision und darstellerischer Hingabe trägt Aris Argiris maßgeblich zur gefühlvollen Tiefe der Inszenierung bei. Insgesamt bietet Argiris eine Interpretation, die sowohl stimmlich als auch darstellerisch auf höchstem Niveau ist. Michael Wagner überzeugt in der Partie des Daland mit einer eindrucksvollen darstellerischen und stimmlichen Interpretation. Sein Bassbariton besticht durch eine bemerkenswerte Klarheit und Ausdruckskraft, die den Charakter des Seefahrers facettenreich zur Geltung bringt. Wagner versteht es meisterhaft, Dalands Mischung aus pragmatischem Geschäftssinn und väterlicher Wärme überzeugend darzustellen. Seine präzise Artikulation und stimmliche Präsenz verleihen der Figur eine besondere Authentizität. In den Dialogen mit dem Holländer bringt er die Ambivalenz zwischen seiner Gier nach Reichtum und seiner Sorge um Senta subtil zum Ausdruck. Matjaž Stopinšek überzeugt als Erik mit einer stimmlichen Leistung, die sowohl durch leidenschaftliche Hingabe als auch durch feinfühlige Nuancen besticht. Sein heller, strahlender Tenor gibt der Figur eine eindringliche Emotionalität und macht ihre innere Zerrissenheit auf berührende Weise greifbar. Mit großer stimmlicher Klarheit und emotionaler Tiefe gelingt es ihm, Eriks verzweifelte Liebe zu Senta und seinen Schmerz über die drohende Trennung authentisch und berührend darzustellen. Besonders beeindruckend ist Stopinšeks Fähigkeit, die verschiedenen Stimmungen der Rolle – von aufrichtiger Hoffnung bis zu abgrundtiefer Verzweiflung – nahtlos miteinander zu verbinden. Seine präzise Artikulation verleiht jeder Phrase Bedeutung, während sein nuanciertes Spiel auch die inneren Kämpfe des Charakters sichtbar macht. In den großen Solo-Momenten strahlt seine Stimme mit bemerkenswerter Ausdruckskraft, ohne dabei an Eleganz zu verlieren. Darstellerisch überzeugt Stopinšek mit einer intensiven Ausdruckskraft, die Eriks Dramatik und Leidenschaft für das Publikum spürbar macht. Er schafft eine Figur, die nicht nur als tragischer Nebencharakter, sondern als zentrale emotionale Kraft der Handlung wirkte. Mit seiner stimmlichen und darstellerischen Leistung trägt Matjaž Stopinšek entscheidend zur Intensität und Emotionalität des Abends bei.

Erica Eloff (Senta), Matjaž Stopinšek (Erik) © Reinhard Winkler

Jonathan Hartzendorf bringt in der Partie des Steuermanns eine bemerkenswerte Mischung aus stimmlicher Brillanz und darstellerischer Leichtigkeit auf die Bühne. Mit seinem klaren und strahlenden Tenor schafft er eine Figur, die durch jugendliche Unbeschwertheit und eine sanfte Sehnsucht überzeugt. Besonders in den lyrischen Passagen kann er mit feiner Musikalität und sicherer Stimmführung beeindrucken, während er den Steuermann mit einer natürlichen Bühnenpräsenz und sympathischer Ausstrahlung zum Leben erweckt. Darstellerisch gelingt es Hartzendorf, die Träume und Hoffnungen seines Charakters mit glaubwürdiger Leichtigkeit darzustellen, ohne dabei an Tiefe zu verlieren. Die Balance zwischen technischer Perfektion und emotionaler Ausdruckskraft macht ihn zu einem weiteren Höhepunkt des Abends. Mit seiner Interpretation setzte er einen hellen, hoffnungsvollen Akzent in der düsteren Atmosphäre der Oper, was seine Darstellung besonders eindrucksvoll macht. Lisa-Marie Schneider überzeugt in der stummen Rolle der jungen Senta durch eine feinfühlige und glaubwürdige Darstellung. Mit natürlicher Ausstrahlung und einem sensiblen Gespür für ihre Figur bringt sie die kindliche Unschuld und Neugier der jungen Senta eindrucksvoll zum Ausdruck. Ihre Interpretation trägt wesentlich dazu bei, Sentas spätere Faszination für den Holländer und ihre Sehnsucht nach Erlösung greifbarer zu machen. Schneiders subtile, aber wirkungsvolle Darstellung verleiht der Inszenierung eine zusätzliche emotionale Tiefe und machte ihren Auftritt zu einem gelungenen Beitrag in dieser bemerkenswerten Produktion.

Jonathan Hartzen© Reinhard Winklerdorf (Steuermann)

Beeindruckend sind auch die herausragenden Leistungen des Chors und Extrachors des Landestheaters Linz (Chorleitung: Elena Pierini, Leitung Extrachor: David Barnard) sowie des Bruckner Orchesters Linz unter der Leitung von Markus Poschner. Gemeinsam schaffen sie ein musikalisches Erlebnis von außergewöhnlicher Intensität und Präzision.

Der Chor und Extrachor des Landestheaters Linz beeindrucken mit kraftvollem, klanglich vielseitigem Gesang. Ihre präzise Abstimmung und die dynamische Bandbreite verleihen den Chorszenen eine fesselnde Intensität, die die düsteren sowie die emotional aufgeladenen Momente der Oper meisterhaft hervorhebt. Das Bruckner Orchester Linz begeistert unter der souveränen Leitung von Markus Poschner mit technischer Präzision und einem feinsinnigen Gespür für Wagners musikalische Sprache. Poschner entfaltet die ganze Bandbreite der Partitur – von der majestätischen Wucht bis hin zu den zartesten lyrischen Momenten – und führt Orchester, Solisten und Chor zu einer harmonischen und bewegenden Einheit.

Ensemble © Reinhard Winkler

Diese beeindruckende Aufführung von Der fliegende Holländer im Musiktheater Linz wurde nicht nur musikalisch und szenisch zu einem unvergesslichen Erlebnis, sondern fand mit dem intensiven Applaus und den stehenden Ovationen eines begeisterten Publikums ihren krönenden Abschluss, der die außergewöhnliche Qualität und Leidenschaft aller Beteiligten würdigte.