Linz, Landestheater Linz, TITANIC - Musical - Maury Yeston, Peter Stone, IOCO Kritik, 15.06.2022
TITANIC – Musical von Maury Yeston und Peter Stone
- In Linz wird die Titanic nicht versenkt -
von Marcus Haimerl
Auf ihrer Jungfernfahrt kollidierte das berühmteste Passagierschiff aller Zeiten mit einem Eisberg und sank. Heute, hundertzehn Jahre später berührt und fasziniert die Geschichte der Titanic noch immer. Die Entdeckung des Schiffswracks 1985 durch Robert Ballard inspirierte Maury Yeston (Musik) und Peter Stone (Libretto) zu einem Musical über den Untergang der Titanic. Es sollte eine amerikanische Antwort auf die europäischen Mega-Musicals der 1990er Jahre werden, wurde aber schon während der schwierigen Produktionsphase von vielen als Flop abgeschrieben. Fünf Tony-Awards, eine zweijährige Laufzeit am Broadway und viele Nachfolgeproduktionen von Amsterdam über Hamburg, Belfast, Magdeburg und Mannheim bis aktuell nach Linz beweisen den Erfolg dieses Musicals. Ebenso gigantisch wie das Schiff selbst ist auch dieses Musical. Mehr als 40 Solisten stehen auf der Bühne, groß orchestrierte Musik und überlebensgroßes Setting sorgen für einen beeindruckenden, aber auch berührenden Musicalabend. Es stehen hier nicht nur historische Persönlichkeiten auf der Bühne, auch die Verwendung von Originalzitaten Überlebender sorgt für Authentizität.
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Die Handlung beginnt am 10. April 1912. Das größte Schiff seiner Zeit, die Titanic, verlässt auf seiner Jungfernfahrt den Hafen von Southampton mit dem Ziel New York. Mit seinem Drei-Klassen-System befinden sich die unterschiedlichsten Menschen an Bord. Die Passagiere der Ersten Klasse, Millionäre wie der Besitzer von Macy’s Warenhaus Isidor Straus mit seiner Gattin Ida, der Hotelmagnat John J. Astor oder die exzentrische Erbin Charlotte Cardoza, wollen vor allem den einzigartigen Luxus an Bord genießen. Die Passagiere der Dritten Klasse hoffen auf einen Neubeginn in Amerika und auch für die Passagiere der Zweiten Klasse ist die Überfahrt ein Erlebnis. Caroline Neville und Charles Clarke träumen von einer Hochzeit in Amerika und Alice Beane erhofft sich von der Begegnung mit den Passagieren der Ersten Klasse mehr vom Leben. In der Besatzung sorgt der Chefsteward Etches für das Wohlergehen der Ersten Klasse, Ausguck Fleet überwacht die Überfahrt aus dem Krähennest, Funker Bride hilft Heizer Barrett bei der Formulierung eines Heiratsantrags und die Offiziere Lightoller, Murdoch und Hichens übernehmen unter Captain Smith die Verantwortung auf der Brücke. Zunehmend wird klar, dass die Erhöhung der Geschwindigkeit sowie das Zufriedenstellen der Passagiere der Ersten Klasse sämtliche Sicherheitsbedenken in den Hintergrund treten lassen.
Der Direktor der White Star Line, J. Bruce Ismay, drängt Captain Smith die Geschwindigkeit zu erhöhen und wendet sich mit seinem Anliegen auch an den Schiffskonstrukteur Thomas Andrews. Die Titanic kollidiert am 14. April 1912 bei Windstille und ruhiger See auf dem Nordatlantik mit einem Eisberg. Niemand ahnt das Ausmaß der Katastrophe, den mit Schwimmwesten auf Deck versammelten Passagiere wird versichert, dass die Fahrt bald fortgesetzt wird. Zwischenzeitlich erfahren Captain Smith und Ismay aufgrund von Andrews‘ Inspektionen, dass der Schaden derart groß ist, dass die Titanic binnen Stunden sinken wird. Die Erste und Zweite Klasse versammeln sich auf dem Schiffsdeck vor den Rettungsbooten, während der Dritten Klasse der Zugang verwehrt wird. Da die Rettungsboote nicht für alle Passagiere ausreichen, bleibt als letzte Hoffnung nur die Rettung durch ein anderes Schiff. Doch die Seenotsignale des Funkers Bride bleiben unbeantwortet. Während Schiffseigner Ismay alle außer sich selbst für das Unglück verantwortlich macht, suchen Captain Smith und Andrews die Schuld bei sich. Frauen und Kinder zuerst bedeutet für viele Familien die Trennung. Kurz vor dem Untergang erkennen einige Passagiere, was ihnen wichtig ist: Ida Straus weigert sich in ein Rettungsboot zu steigen, sie will bei ihrem Mann bleiben. Ismay rettet sich auf ein Boot und während Andrews verzweifelt die Ursache des Unglücks zu ergründen sucht, müssen sich die Zurückgebliebenen ihrem Schicksal stellen. Von über 2.208 Menschen überlebten nur 712, während auf den Rettungsbooten 450 Plätze leer blieben.
Simon Eichenberger inszenierte und choreografierte diese gigantische Produktion am Landestheater Linz. Auf mehreren Ebenen, vom Heizraum bis zur Brücke, spielt sich das Drama um den Untergang der Titanic in den authentisch wirkenden Kulissen von Charles Quiggin ab. Auch die detailgetreuen historischen Kostüme von Aleš Valášek tragen zum perfekten Gesamteindruck bei. Das Musical selbst ist als Ensemble-Stück konzipiert, zwar werden die Geschichten und Schicksale der Menschen an Bord erzählt, aber anstatt den Fokus auf Einzelschicksale fiktiver Figuren erzählen, versuchen die Autoren damit ein Gesamtbild der letzten Tage und Stunden der Titanic zu vermitteln. Das herausragende Ensemble kann dies nicht nur mit viel Gefühl szenisch umsetzen, auch musikalisch bleiben hier keine Wünsche offen.
Dean Welterlen ist ein ausgesprochen souveräner Captain E.J. Smith, als von Gewissensbissen geplagter Konstrukteur Thomas Andrews überzeugt David Arnsperger ebenso wie Karsten Kenzel als der von Superlativen geblendete Direktor der White Star Line, J. Bruce Ismay. In der Partie des Heizers Frederick Barrett begeistert Christian Fröhlich, Foto unten, erneut mit seiner überragenden gesanglichen Qualität. Hanna Kastner (Kate McGowan) und Gernot Romic (Jim Farrell) sind ein berührendes Liebespaar für die es auch ein Happy-End gibt. Daniela Dett ist eine quirlige Alice Beane mit einer schönen, klaren und präzisen Gesangsstimme, als ihr leidtragender Ehemann Edgar Beane überzeugt Sam Madwar. Luzia Nistler und Martin Berger gehen als Ehepaar Ida und Isidor Strausbesonders zu Herzen. Joel Parnis als Frederick Fleet im Ausguck (auch John Thayer aus der Ersten und Charles Clarke aus der Zweiten Klasse) sorgt im Finale des ersten Teils mit dem Titel „Kein Mond“ mit seiner außergewöhnlichen Gesangsleistung für einen weiteren musikalischen Höhepunkt des Abends. Überzeugend auch Lukas Sandmann als pflichtbewusster Funker Harold Bride, Foto unten, und Christian Bartlels als Erste-Klasse-Stewart Henry Etches. Perfekt umgesetzt war auch die grandiose Improvisation von Judith Jandl (Caroline Neville) und Joel Parnis (Charles Clarke) rund um ein abgebrochenes Stuhlbein.
Auch das restliche Ensemble begeistert das Publikum: Peter Lewys Preston (Wallace Hartley), Michael Souschek (William Murdoch), Niklas Schurz (Charles Lightoller und Herbert Pitman), Max Niemeyer (Der Major), Nina Weiß (Kate Murphy), Celina dos Santos (Kate Mullins), Elias Poschner (Bellboy), Bonifacio Galván (Andrew Latimer), Markus Raab (Benjamin Guggenheim), Linda Krischke (Madame Aubert), Tomaz Kovacic (George Widener), Amy van Looy (Eleanor Widener), Ulf Bunde (Joseph Boxhall und Jay Jates, Spieler), Marius Mocan (John J. Astor), Willemijn Spierenburg (Madeleine Astor), Stephanie Pena-Neuhauser (Marion Thayer), Vaida Raginskyté (Charlotte Cardoza), Domen Fajfar (Robert Hitchens), Laurien Siebert (Carlson, Bell und Bordkapelle), Jin Hun Lee (Bordkapelle), Raphael Naveau (Jack Thayer) und Alexander Heil (Stehgeiger beim Irish Jig).
Von der fast symphonischen Ouvertüre über die gigantische Musik bis hin zu Ragtime- und Irish Jig-Einlagen liefert das Bruckner Orchester Linz unter dem Dirigat von Juheon Han Höchstleistungen ab und trägt ebenso zu einem erfolgreichen Musicalabend bei.
Ob der großartigen Umsetzung und der hohen musikalischen Qualität dankte das Publikum mit langem Applaus und Ovationen für einen intensiven und berührenden Abend.
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